Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

(Beifall bei der SPD - Christopher Vogt [FDP]: Da sind Sie Experte!)

Außerdem ist es ein Verdummungsbeschleunigungsgesetz, wenn man genau hinguckt. Herr Finanzminister, ich habe selten eine so lange Rede mit so wenig Inhalt gehört wie die, die Sie hier heute vorgetragen haben.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Bei Ihrer Rede hö- ren Sie ja nicht zu!)

Das ist schon ein Kunststück, 17 Minuten zu reden und nichts zu sagen. Das ist Ihnen gelungen. Das muss ich Ihnen wirklich sagen.

Schwarz-gelb in Bund und Land vermitteln den Bürgern eine Welt, in der wir nur einen schlanken Staat brauchen, gerechte Besteuerung nach Leistungsfähigkeit eigentlich Diebstahl ist und man deshalb privatisieren und die Steuern geradezu senken muss. Dann wandelt sich alles zum Besten

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau!)

und blühende Landschaften entstehen quasi von selbst. Wir haben ja heute gehört: Es sind nur rechnerische Verluste.

Deshalb sind die abstrusen, aber im Wahlkampf unisono verkündeten Steuersenkungspläne in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag des Bundes gekommen. Sie wurden von Koppelin, Carstensen & Co. vor dem 27. September landauf, landab vertreten und danach abgenickt. Das ist die Wahrheit zum Koalitionsvertrag in Berlin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, völlig überraschend stellt sich nun heraus, dass Steuersenkungen doch tatsächlich dazu führen, dass dem Land und den Kommunen Einnahmen verlorengehen. Man kann es nicht glauben. Jahr für Jahr 70 Millionen € weniger für das Land und 60 Millionen € weniger für die Kommunen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Durch den großartigen Verhandlungserfolg von Ministerpräsident Carstensen bei der Föderalismusreform bekommt Schleswig-Holstein brutto das an Konsolidierungshilfe, was jetzt fehlt. Das ist ein richtiger Klassiker aus der Serie ,,linke Tasche, rechte Tasche“. Das Gesetz allerdings ist ein Klas

siker aus der Serie „kleine Tasche, große Tasche“. Das ist nämlich das, was Sie mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz machen.

Was sagt der FDP-Landesvorsitzende Koppelin in der „Frankfurter Rundschau“? ,,Auf Dauer geht es nicht immer weiter, die Ausgaben zu kürzen.“ Gut gebrüllt, Löwe, kann ich nur sagen. Er sagt weiter: Deswegen könne man dem Gesetz so nicht zustimmen. - Aha! So weit sind wir uns hier im Parlament auch einig, was auch in dem im Geiste adventlichen Friedens entstandenen Beschluss des Finanzausschusses deutlich geworden ist.

Aber sind wir uns wirklich einig? - Die neue Glaubwürdigkeit à la Schwarz-Gelb heißt doch Folgendes: Im Wahlkampf für reiche Erben und Hoteliers Wahlversprechen abgeben, nach der Wahl sagen, Schleswig-Holstein könne sich das nicht leisten und müsse dagegen sein, dann - wie alle CDU/FDPMdBs aus Schleswig-Holstein - im Bundestag für das Gesetz stimmen, dann öffentlich Radau machen, am Schluss klein beigeben und im Bundesrat zustimmen. Merken Sie eigentlich noch was? Das ist doch eigentlich nicht zu glauben. Wenn das glaubwürdig ist, dann ist Zickzackkurs die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Konsequent wäre gewesen, wenn das geschehen wäre, was wir vor und nach der Wahl gesagt haben, nämlich dass der Staat für Bildung, Kinderbetreuung, Klimaschutz mehr Geld braucht, dass Steuersenkungen nett, aber nicht finanzierbar sind, dass wir im Gegenteil sogar die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker an der Solidarität beteiligen müssen.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und verein- zelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Motto dagegen lautet: Und die Lehre davon ist selbst der allergrößte Mist zahlt sich irgendwann für irgendjemand aus.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt!)

- Stimmt sogar. Sie bedienen nämlich einzelne Wählergruppen wie reiche Erben und Hoteliers. Und dann machen Sie zu allem Überfluss das mit der Kinderförderung auch noch so, dass die mit den höchsten Einkommen am meisten bekommen, die Normalverdiener weniger und die, die es am nötigsten hätten, gar nichts. So stellen Sie das an.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Das ist falsch, das ist ungerecht, und es ist auch noch wirkungslos, weil Sie damit im Gegensatz zu öffentlichen Investitionen keine dauerhaften positiven Wachstumseffekte erzielen, sondern ausschließlich Mitnahmeeffekte bei denjenigen, die es nun überhaupt nicht nötig haben. Das ist das, was Sie tun.

(Beifall bei SPD und der LINKEN - Wolf- gang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Nun fragen sich die staunenden Schleswig-Holsteiner: Womit kamen eigentlich unsere beiden wackeren Teilnehmer an der Adventskaffeefahrt aus Berlin zurück?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das wüssten Sie gern, nicht? - Heiterkeit)

Mit Kompensationsheizdecken von der Edelmarke Merkel & Westerwelle. Genau damit sind sie zurückgekommen.

Wir erinnern uns: In Schleswig-Holstein können sich weder Land noch Kommunen weitere Einnahmeverluste leisten, und deshalb bestehen wir auf Kompensation. So stand das ja im Beschluss des Finanzausschusses. Nun könnte ja ein Nörgler - das liegt mir fern!

(Lachen bei CDU und FDP)

einwenden, die Zahlung eines Lösegeldes mache die schändliche Tat nicht ungeschehen. Dafür spricht ja etwas. Aber potz Blitz!, da droht unser Ministerpräsident mutig, Schleswig-Holstein werde im Bundesrat nicht zustimmen, wenn es keine echte Kompensation gebe. ,,Ihr habt sie nicht mehr alle“, soll er in einem Anflug von Wahrheitsliebe der Kanzlerin zugerufen haben. Bravo, Herr Ministerpräsident! Bravo!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Was ist aber nun eine echte Kompensation? - Das ist ein Ausgleich. Das findet man übrigens in jedem ordentlichen Lexikon. Also nach meinem Sprachund Logikverständnis 130 Millionen € jährlich, also der vollständige Ersatz der Einnahmen, die Schleswig-Holstein durch das Gesetz dauerhaft verlorengehen, durch dauerhafte Zuschüsse oder Einsparungen. Das ist echte Kompensation, wie Sie es genannt haben. Nichts anderes. Nicht weniger.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Was haben wir dazu aber in den letzten Tagen und heute vom Finanzminister nicht gehört? Alle im Raum stehenden Vorschläge übertreffen sich im Bemühen, das Wort Kompensation zu verunstalten, ja ins genaue Gegenteil zu verkehren. Das ist natürlich konsequent, denn mit dem Wort Wachstumsbeschleunigungsgesetz verhält es sich ja genauso. Es beschleunigt auch nicht das Wachstum, außer das Wachstum der Schulden und der öffentlichen Armut.

Und dann hören wir auch noch, um eine Sonderregelung für Schleswig-Holstein sei es nie gegangen. Niemand hatte die Absicht, einen gerechten Ausgleich für Schleswig-Holstein zu fordern. Das ist doch das, was wir von Ihnen hören. Wie denn nun?

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich dachte immer, Schleswig-Holstein habe besondere Probleme und brauche deshalb besondere Hilfen.

Kommen wir kurz zu den Varianten, die hier diskutiert werden. Möglichkeit Nummer 1: Mittel für Straßenbau oder Hilfen bei der Hinterlandanbindung der festen Beltquerung. Abgesehen von teuren Kofinanzierungswirkungen wären das immerhin zusätzliche, aber einmalige Zuschüsse, denen dauerhafte Einnahmeausfälle gegenüberstehen. - Fällt also aus.

Möglichkeit Nummer 2: Eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Bildungsausgaben. Mehr Geld für Bildung, wie von Frau Merkel letztes Jahr in Dresden versprochen, ist bitter nötig, das wissen wir alle, aber über den gestrigen Bildungshügel in der Größe des Bungsberges werden wir ja nachher noch debattieren. Rausgekommen ist nichts. Aus 60 Milliarden sind 16 Milliarden geworden, und wie die verteilt werden sollen, wollen Sie im Sommer diskutieren - na wundervoll -, aber abgestimmt werden soll morgen über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.

Auch hier handelt es sich um einen Ersatz für Mittel, die sich Schleswig-Holstein ohnehin nicht leisten könnte. Eine Kompensation von Einnahmeausfällen ist auch dies nicht, die angebliche Kompensation wäre auch nicht dauerhaft. Statt unser um 70 Millionen € erhöhtes strukturelles Defizit zu verringern, ist das wie bei der Werbung mit Thomas Gottschalk, der zwei Jacken im Sonderangebot kauft und sagt, er hätte nun doppelt so viel gespart. Das ist die Logik der Vorschläge, die Sie machen.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall bei SPD, der LINKEN und des Ab- geordneten Lars Harms [SSW])

Kommen wir zu Möglichkeit Nummer 3: Der Bund übernimmt großzügig die Trennungskosten der ARGEn. Wundervoll! Wieder geht es um die Teillösung eines Problems, das es ohne Sie gar nicht gäbe.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW)

Würde Frau von der Leyen umsetzen, was 16 Arbeitsministerinnen und Arbeitsminister beschlossen haben, hätten wir per Verfassungsänderung weiterhin die Arbeitsvermittlung aus einer Hand.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Erst durch den Murks der Neuregelung entstehen überhaupt die Kosten, über die wir reden, und die sollen teilweise ausgeglichen werden. Na großartig! Das hat mit dauerhafter Kompensation von Einnahmeausfällen überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei SPD und SSW)

Sie fahren dem Nachbarn gegen den Wagen, der geht kaputt, und Sie bieten ihm an, seinen Zaun zu streichen. Das ist die Logik, mit der Sie hier argumentieren.

Bleibt Möglichkeit Nummer 4 - diese Verknüpfung musste ich wirklich zweimal lesen, weil selbst ich das nicht glauben konnte, obwohl ich Ihnen vieles nicht zutraue; als ich das gelesen habe, musste ich doch stutzen, dass Sie sich so etwas trauen -: Bei der großen Steuerreform 2011 soll es dann wirklich eine weniger starke Belastung für die Länder geben. So sollen das Frau Merkel und Herr Westerwelle am Sonntag versprochen haben. Das ist ja richtig klasse. Das heißt, gegen den geplanten Irrsinn des Schuldenbeschleunigungsgesetzes Nummer 2 sind die jetzigen Einnahmeausfälle ja geradezu nur „Peanuts“, wie der verehrte Herr Vorsitzende des Aufsichtsrats der HSH Nordbank das formulieren würde. Das ist ja wunderbar, dann kann man ja jetzt zustimmen, dann kommt es im nächsten Jahr ja vielleicht nicht ganz so schlimm, wie es sonst kommen würde. Dann muss Schleswig-Holstein weniger leiden, aber natürlich auch das nur, wenn Sie nächstes Mal wieder zustimmen, wie Sie es auch morgen tun werden. Mit dauerhafter Kompensation hat auch dies nichts zu tun.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])