Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick ist es schwierig, den fraktionsübergreifenden Antrag zu den Resolutionen der diesjährigen Ostseeparlamentarierkonferenz und des Parlamentsforums Südliche Ostsee mit der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung unter einen Hut zu bringen. Ich bin aber davon überzeugt, dass eben diese neue Vereinbarung künftig die Klammer sein wird, wenn es um den Stellenwert der Ostsee- und Europapolitik für Schleswig-Holstein und damit auch für den Landtag gehen wird.

Der Weg dorthin war nicht ganz einfach, doch zuletzt haben wir uns auf einen Kompromiss verständigen können, mit dem wir alle leben können. Aus Sicht des SSW heißt dies, dass es in dieser ersten Phase mit der neuen Vereinbarung darum gehen muss, Erfahrungen zu sammeln. Stillstand ist nicht angesagt, aber wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass es anscheinend Barrieren in den Ressorts gibt, die erst einmal überwunden werden müssen. Dennoch haben wir uns alle bewegt, dafür herzlichen Dank, dem Landtagspräsidenten und unserem Direktor, aber auch Staatssekretär Maurus, dem die undankbare Rolle zugefallen war, allen Bedenken aus den Reihen der Regierung Rechnung zu tragen.

Die Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung ist eine Konsequenz des LissabonVertrags und des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das für die Legislative die gleichberechtigte Beteiligung an EU-Entscheidungen einfordert.

Das bezieht sich in erster Linie auf die Rolle des Bundestags.

Soll der deutsche Föderalismus ernst genommen werden, betrifft der Urteilsspruch des Verfassungsgerichts aber auch die Landesparlamente. Da reicht es nicht aus zu sagen, die Länder sind im Bundesrat über die Landesregierungen vertreten. Dieser Konfliktpunkt - denn es ist einer - ist noch nicht zu Ende behandelt. Umso wichtiger ist es, dass sich die Landtagspräsidenten in ihrer „Wolfsburger Erklärung“ eindeutig für eine Stärkung der Landesparlamente ausgesprochen haben, auch in EU-Sachen und wenn es um Subsidiaritätsangelegenheiten geht. Dass es bei der Frage nach Einhaltung der Subsidiarität nicht vor allem um Inhalte, sondern um demokratische Entscheidungsrechte geht, werden wir sicherlich weiter miteinander diskutieren. Wir brauchen mit anderen Worten dieses neue Instrument der Vereinbarung. Der Europaausschuss bekommt damit einen neuen Stellenwert, den es nunmehr politisch umzusetzen gilt. Das ist eine weitere Konsequenz des Verfassungsgerichtsurteils.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich vertraue darauf, dass die Europapolitik eine neue Qualität bekommt. Das gilt vor diesem Hintergrund auch für die Ostseepolitik. Daher in diesem Zusammenhang nur einige wenige Bemerkungen! Nicht zu dem Inhalt der jeweiligen Resolutionen, dem die schleswig-holsteinische Delegation in Gdansk und Helsingfors ja schon zugestimmt hat. Nun ist erst einmal die Landesregierung gefordert: Wir erwarten ihren Bericht zur Umsetzung dieser Resolutionen, dann ist wieder das Parlament gefragt. Wir sollten aber die Zeit nutzen, einige Strukturen kritisch zu hinterfragen.

Schon lange bahnt sich aus unserer Sicht die Frage an, welche Rolle das Parlamentsforum Südliche Ostsee künftig spielen soll. Die Schwächen dieser Plattform wurden auf der diesjährigen Konferenz deutlich. Bei allem Verständnis für die Situation unserer polnischen Freunde in den Wojewodschaften ist das Parlamentsforum Südliche Ostsee sicherlich nicht der richtige Ort für eine Auseinandersetzung mit der Zentralregierung in Warschau.

Für uns steht fest, dass die Zukunft des Parlamentsforums wesentlich damit zusammenhängen wird, ob es uns gelingt, die Arbeit des Forums an die Ostseeparlamentarierkonferenz anzudocken. Das sollten wir im Ausschuss diskutieren und sehen, ob wir da weiterkommen können. Weiterhin wird der SSW beantragen, dass mit Bornholm als Teil der Region Seeland Kontakt aufgenommen wird, um auszulo

(Björn Thoroe)

ten, ob es nicht gelingen könnte, die Insel mit ins Boot des Parlamentsforums zu holen. Das ist angesagt, das war von Anfang an auch so gedacht, aber durch die Regierungsbildung ist das irgendwie hinten runtergefallen.

Ein weiterer Punkt ist die Zusammenarbeit innerhalb der deutschen Delegation bei der Ostseeparlamentarierkonferenz, soll heißen, wir brauchen eine bessere Abstimmung unserer Positionen mit den Delegationen des Deutschen Bundestags und der teilnehmenden Bundesländer. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass auch der Landtagspräsident an der diesjährigen Ostseeparlamentarierkonferenz teilgenommen hat. Das ist ein gutes Signal. Schleswig-Holstein hat über viele Jahre eine Vorreiterrolle in der Ostseekooperation gespielt. Diese Rolle wieder zu erreichen, muss unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall)

Für die Landesregierung erteile ich dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vertrag von Lissabon hat die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt, was das Einhalten der Subsidiarität betrifft. Es gibt inzwischen ein Frühwarnsystem, nach dem die nationalen Parlamente Dokumente zu einem europäischen Gesetzgebungsvorschlag unverzüglich bekommen und prüfen können. So können Bundestag und Bundesrat innerhalb von acht Wochen Stellung nehmen.

Ich bin natürlich gespannt, wie wir das umsetzen können. Ich habe da ein bisschen Erfahrung. Der eine oder andere weiß, dass ich mehrere Jahre Vorsitzender des Agrarausschusses im Deutschen Bundestag gewesen bin. Der Agrarausschuss war derjenige Ausschuss, in dem europäische Vorgänge am stärksten vertreten waren. Es war nicht immer leicht, die Vorlagen unverzüglich zu bekommen. Manches, was wir hatten, war schon verabschiedet oder nicht mehr aktuell. Insofern werden wir darauf drängen, dass dies eingehalten wird.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde auch ermöglicht, dass die nationalen Parlamente gegebenenfalls die regionalen Gebietskörperschaften mit Gesetzgebungszuständigkeiten, also bei uns den Landtag, hierzu konsultieren. Das wollen wir als Landesregierung gern tun, und das ist ein Gegen

stand der Vereinbarung, über die wir heute beraten. Die Landesregierung verpflichtet sich daher in dieser Vereinbarung, dem Landtag unverzüglich alle den Frühwarnmechanismus unterfallenen Dokumente zu übermitteln. Hierzu werden Ihnen die Fachressorts auf einem Vorblatt eine erste Einschätzung geben.

Zudem werden wir künftig gemeinsam diejenigen Vorhaben der Europäischen Union identifizieren, die wesentliche Interessen unseres Landes unmittelbar berühren und daher von erheblicher landespolitischer Bedeutung sind. Denn eines steht für uns fest: Um die Interessen unseres Landes möglichst zielgerichtet und effizient in der Europäischen Union zu vertreten, müssen Landesregierung und Landtag bereits im Vorwege europäischer Rechtsetzungsvorhaben eng zusammenarbeiten. Eine frühzeitige Befassung des Landtags und damit eine frühe öffentliche Debatte über geplante Vorhaben ist europapolitisch von elementarer Bedeutung. Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sollen schon im Vorfeld verstehen, wieso sie ein europäisches Gesetz betrifft oder betreffen wird und in welcher Weise. Wir verankern Europa damit in Schleswig-Holstein noch fester im Bewusstsein. Wir machen den Bürgerinnen und Bürgern klar und deutlich: Europa ist wichtig für unser Land.

Meine Damen und Herren, ich werde nicht müde, es zu betonen: Europa ist für Schleswig-Holstein von herausragender Bedeutung, nicht nur wegen der finanziellen Mittel, die wir für unser Land bekommen, sondern vielmehr, weil wir als Land zwischen den Meeren, als Land der erneuerbaren Energien, als Agrar-, Wirtschafts-, forschungs- und Gesundheitsland großes Interesse haben, an der europäischen Entwicklung mitzuwirken.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich habe keinen Zweifel: Wir in Schleswig-Holstein, Landtag und Landesregierung, erkennen dies gemeinsam. Meine Damen und Herren Abgeordneten, das steht für mich im Fokus dieser Vereinbarung. Europa stärker in die öffentliche und vor allem in die regionale Debatte zu holen, sollte eine gemeinsame Aufgabe sein.

Mit der gemeinsamen Vereinbarung regeln wir nicht nur das formale Instrument der Subsidiaritätsprüfung, die Vereinbarung soll - wenn ich den Herrn Landtagspräsidenten richtig verstanden habe - morgen gemeinsam unterzeichnet werden, in einem großen Akt.

(Zuruf des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

(Anke Spoorendonk)

Das ist es auch wert, dass wir dies so machen. Für mich ist wichtig, dass wir eine Grundlage im Vorwege von europäischem Recht schaffen. - Das ist Sache des Landtagspräsidenten. Darüber müssen wir gemeinsam mit ihm sprechen. Ich sehe wenig Bedenken, dass da noch einer mehr kommen kann.

(Heiterkeit)

Wann haben wir denn schon einmal so eine Gelegenheit? Das muss man auch zelebrieren, das können wir gemeinsam machen.

Für mich ist viel wichtiger: Wir schaffen eine Grundlage, im Vorwege von europäischen Vorhaben gemeinsam Schwerpunkte zu setzen. Wir werden künftig im Konsens von Exekutive und Legislative diejenigen Rechtsetzungsvorschläge identifizieren, die wesentliche Interessen des Landes berühren und daher für unser Land von erheblicher landespolitischer Bedeutung sind, und diese Chance werden wir gemeinsam nutzen.

Zur Debatte will ich nur wenige Sätze sagen. Es steht heute auch die Umsetzung der Resolutionen des Parlamentsforums Südliche Ostsee und der Ostseeparlamentarierkonferenz auf der Tagesordnung. Wie der Name bereits sagt, handelt es sich hier um eine originäre Aufgabe des Landtags. Dieser Aufgabe hat der Landtag entsprochen mit dem Umsetzungs- und Berichtsantrag zur 26. Tagung, dem wir gern nachkommen werden.

Die internationale Zusammenarbeit auch auf parlamentarischer Ebene lässt die Partner rund um die Ostsee noch enger zusammenrücken. Ich halte das für sehr wichtig. Die Landesregierung wird den Landtag im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Umsetzung der Resolutionen gern unterstützen.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW)

Die Redezeit des Ministerpräsidenten wurde um knapp eine Minute überschritten. Diese Zeit steht den Fraktionen zur Verfügung. Wird davon Gebrauch gemacht? - Das ist nicht der Fall.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung zu a). Es ist beantragt worden, über den Antrag Drucksache 17/1879 in der Sache abzustimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag Drucksache 17/1879 einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung zu b), Beschlussempfehlung des Europaausschusses, Drucksache 17/1849 (neu). Mit der Drucksache 17/1849 (neu) haben die Mitglieder des Europaausschusses dem Landtag den Entwurf einer Vereinbarung zwischen dem Landtag und der Landesregierung mit der Bitte um Übernahme und Zustimmung vorgelegt. Wer dieser Vereinbarung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Vereinbarung in der Beschlussempfehlung Drucksache 17/1849 (neu) einstimmig zugestimmt worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Schleswig-Holsteinischer Integrationsplan für Roma

Antrag der Fraktion des SSW Drucksache 17/1887

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lars Harms von der Fraktion des SSW.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat einen Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma beschlossen. In diesem Rahmenplan werden alle Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Integrationsstrategien auf die Ziele der EU abzustimmen und den Planungshorizont bis 2020 auszuweiten. Die Ziele der EU beziehen sich auf mehr Bildung und Beschäftigung für Roma sowie verbesserten Zugang zum Gesundheitswesen und zu mehr Wohnraum.

Dass sich die EU um die Integration der Roma in Europa sorgt, ist nicht weiter verwunderlich. Der „Spiegel“ schrieb am 28. September dieses Jahres

„In Osteuropa herrscht ein moderner Bürgerkrieg. Die Regierungen von Tschechien bis Bulgarien spielen ihn seit Jahren herunter, die westliche Öffentlichkeit weiß wenig von ihm: Es ist ein Krieg gegen die Roma. Es gibt Aufmärsche gegen sie, selbsternannte Ordnungshüter schikanieren und bedrohen sie; um die Viertel, in denen sie wohnen, werden Mauern errichtet; ihre Häuser werden angezündet; sie werden von ihren Wohnorten vertrieben; manchmal brutal ermordet.“

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Nun könnte man sagen: Wir sind hier nicht in Osteuropa und auch nicht in Frankreich, wo in den letzten Jahren mehr als 8.000 Roma vertrieben wurden; wir sind in Schleswig-Holstein. Was kümmern uns also die Probleme der Roma in anderen Ländern?

In Deutschland leben schätzungsweise 70.000 Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit. Hinzu kommen etwa 50.000 Flüchtlinge, von denen 20.000 Kinder sind. Die geflüchteten Roma stammen zum überwiegenden Teil aus osteuropäischen Ländern, in denen sie zunehmend diskriminiert und verfolgt werden. Auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit landen viele von ihnen auch in SchleswigHolstein. Wir wissen nicht genau, wie viele es sind. Die meisten sind nicht rechtmäßig in Deutschland. Nicht alle sind registriert. Viele leben im Untergrund. Sie haben keinen Zugang zu Bildung, keine offizielle Beschäftigung, sie leben unter erbärmlichen Bedingungen und können nur in Notfällen auf Gesundheitsfürsorge zugreifen. Aber all dies ist immer noch besser als die eskalierende Lage in ihren Herkunftsländern, die sie im schlimmsten Fall mitten in Europa mit ihrem Leben bezahlen.

Die Sinti und Roma sind ein vertriebenes Volk. Seit vielen Generationen versuchen diese Menschen, ihre Kultur und ihre Tradition zu leben, und werden dafür von der Gesellschaft ausgegrenzt. Die Vorurteile gegen Zigeuner, die betteln und stehlen, sitzen tief. Nach dem Massenmord an den Sinti und Roma unter dem Nationalsozialismus trägt Deutschland aber eine historische Verantwortung für diese Minderheit. Damit tragen wir eine solche auch in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Auch hier in unserem Bundesland sitzen die Vorurteile tief. Das darf man nicht einfach vom Tisch wischen, und man darf sich auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Roma in Schleswig-Holstein unter erbärmlichen Bedingungen leben und wir die Verantwortung dafür tragen, dass ihnen bei uns vor Ort geholfen wird.

Der SSW fordert daher einen Integrationsplan für Roma in Schleswig-Holstein. Auch wenn die Reaktionen auf unsere Forderungen die Frage sein mag: Warum denn für Roma und nicht für andere? und auch wenn gesagt wird, dass doch alle Angebote den Roma offenstehen, ist es aus unserer Sicht notwendig, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, die auf die Bedürfnisse der Roma, die ganz besondere Bedürfnisse sind, zugeschnitten sind.

Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert uns nicht daran, den Roma zu helfen. Der SSW fordert daher den Ausbau geeigneter Förderinstrumente und Integrationsmaßnahmen für Roma, damit diese die Negativspirale der Duldung durchbrechen können und hier im Land eine Perspektive erhalten. Außerdem muss den Roma-Kindern dringend geholfen werden. Sie und ihre Eltern brauchen Unterstützung und Beratung, damit die Kinder die Schulpflicht erfüllen und auch weiterführende Bildungsangebote in Anspruch nehmen können.

Ich glaube, meine Damen und Herren, hier können wir insbesondere auch auf die Fachkenntnisse des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma zurückgreifen. Warum immer nur etwas geben? Warum nicht auch einmal die Expertise der Sinti und Roma in Anspruch nehmen? Sie ist nämlich vorhanden, und ich glaube, das wäre eine gute Sache, bei der wir gerade auf unsere deutschen Sinti und Roma zurückgreifen könnten.

(Beifall bei SSW, der LINKEN und verein- zelt bei der SPD)