Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

(Dr. Ralf Stegner)

wegsperren müsste, dem politischen Extremismus zurechnen?

Eines ist klar: Derartige Äußerungen gibt es von vielen Vertretern demokratischer Parteien, da schließe ich selbstverständlich auch die Partei nicht aus, der ich selber zugehörig bin. Deswegen finde ich es notwendig, dass wir das etwas differenzierter betrachten.

Populismus kann trotz aller Unbequemlichkeit und politischer Problematik mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kompatibel sein, auch wenn dies oftmals bestritten wird. So viel differenzierte Betrachtung muss möglich sein, und sie ist in einer freiheitlichen Demokratie auch notwendig. Die Bandbreite politisch populistischer Thesen, die der Abgeordnete Herbst vorgetragen hat, macht deutlich, dass man eine differenzierte Bewertung dieses politischen Phänomens tatsächlich vornehmen muss.

Das Grundgesetz lässt auch unbequeme Meinungen zu, solange sie die Grundidee des freiheitlichen Rechtsstaats nicht untergraben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass rechtspopulistisches Gedankengut auch in Deutschland - ich füge hinzu: leider - teilweise auf eine breite Zustimmung stößt.

Ich zitiere aus einem Beitrag in „SPIEGEL ONLINE“ vom 12. Mai dieses Jahres, in dem über eine Forsa-Umfrage zu dem Thema berichtet wird: 70 % der Befragten, so wird dort ausgeführt, fanden, Deutschland gebe zu viel Geld nach Europa. - Über die Bewertung der Griechenlandhilfe mag man noch einmal gesondert nachdenken. - Knapp die Hälfte der Befragten verlangte, die Zuwanderung nach Deutschland müsse drastisch reduziert werden. 38 % waren der Meinung, der Islam passe nicht zu unserem Lebensstil und sei eine Bedrohung unserer Werte.

Derartige Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten vordergründig den Schluss nahelegen, dass es einen guten Nährboden für rechtsextremistische Parteien gibt. Die Ergebnisse der letzten Wahlen haben aber gezeigt, dass diese Parteien in Deutschland davon nicht profitieren konnten. Die Wählerinnen und Wähler sind offenkundig in der Lage, trotz ihrer Zustimmung zu als rechtspopulistisch empfundenen Thesen zwischen diesen und den Zielen von NPD und Konsorten zu unterscheiden. Auch dies, finde ich, sollten wir als einen Faktor der politischen Reife in unserer Demokratie zur Kenntnis nehmen.

Ich bin ein wenig erschrocken darüber gewesen, wie hier beiseite gewischt wurde, dass es eine Not

wendigkeit gibt und dass es ja auch politische Tradition in der Bundesrepublik Deutschland ist - die Volksparteien haben seit Gründung dieser Republik durchaus eine Bindungswirkung entwickelt -, das demokratische Spektrum nicht an den Rändern ausfransen zu lassen und diese Übergänge zwischen dem Populismus links oder rechts zum Extremismus hin nicht zu sich verfestigenden Parteistrukturen ausufern zu lassen. Ich halte es auch für nicht angemessen, dass der Versuch unternommen wird, in gewisser Weise eine Partei zu diskreditieren.

Die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit, Populismus und Extremismus sind mitunter strittig. Manchmal - wie im Fall Sarrazin - kommt es vermutlich einfach darauf an, wer eine These vertritt, die als populistisch empfunden werden könnte. Nach meiner Kenntnis haben der parteiinterne rechtliche Streit und die Auseinandersetzung über die Person von Herrn Sarrazin in der SPD dazu geführt, dass er nach wie vor Mitglied der demokratischen Partei SPD ist. Ich finde es trotzdem gut, dass es dazu auch in Ihrer Partei eine völlig andere politische Auffassung gibt, die Sie, Herr Abgeordneter Dr. Stegner, ja sehr exponiert vortragen. Aber es gibt in der SPD auch führende Persönlichkeiten, die eine ganz andere Auffassung dazu haben. Eine Demokratie muss es doch ertragen können, dass wir das so miteinander diskutieren.

(Beifall bei CDU und FDP)

Dennoch: Niedere Motive bei Rechtspopulisten im Auge zu behalten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch die Exekutive ist gefordert, und sie kommt dieser Aufgabe nach. Dies gilt übrigens für alle Formen des Extremismus. Deswegen gibt es ja auch den Verfassungsschutz. Ich will auch in diesem Zusammenhang daran erinnern - deswegen ist der Antrag der die Regierung tragenden Fraktionen auch wichtig -, dass wir es gerade zurzeit wieder dabei geht es mir nicht um links oder rechts - im Zusammenhang mit der islamistischen Diskussion, die wir im Bereich der Salafisten führen, mit solchen populistischen Thesen zu tun haben, mit denen versucht wird, junge Menschen in eine politisch extremistische Ecke zu ziehen.

Deswegen ist es notwendig, dass wir diese Diskussion in der gesamten Breite führen, und deshalb begrüßt die Landesregierung den Änderungsantrag von CDU und FDP ausdrücklich, in dem die Ablehnung aller Formen des politisch und religiös motivierten Extremismus und in dem die Achtung von Menschenrechten oder des friedlichen, demokratischen Zusammenlebens zum Ausdruck kommt.

(Minister Klaus Schlie)

Ob wir das nun in den Ausschuss überweisen und dort weiterberaten und dort irgendetwas beschließen oder nicht - das wird uns nicht entbinden, uns in der Demokratie weiterhin mit den fließenden Grenzen zwischen populistischen Aussagen, die dann möglicherweise in extremistische Positionen hineingleiten, auseinanderzusetzen. Aber wir können auch ein Stück weit stolz darauf sein, dass es den demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland bisher letztendlich gelungen ist zu verhindern, dass sich, auf Dauer jedenfalls, extremistische Parteien so etablieren, dass sie zu einer Gefahr für unsere Demokratie werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 17/1867 sowie den Änderungsantrag Drucksache 17/1910 als selbstständigen Antrag federführend dem Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend dem Europaausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion des SSW. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Neofaschismus und Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1444

Antwort der Landesregierung Drucksache 17/1755

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich stelle fest, das ist nicht der Fall. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich dem Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines gleich vorab feststellen: Der Standpunkt der demokratischen Parteien im Schleswig-Holsteinischen Landtag bezüglich rechtsextremistischer Bestrebungen ist eindeutig. Gemeinsam sind wir in den vergangenen Jahrzehnten allen

rechtsextremistischen Bestrebungen entgegengetreten. Diese Einigkeit ist erfreulich und bleibt auch für die Zukunft absolut notwendig.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch die Bekämpfung des Rechtsextremismus unterliegt rechtsstaatlichen Grundsätzen. Der Rahmen des Grundgesetzes beschreibt nicht nur die Inhalte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern bestimmt auch die Regeln zur Bekämpfung der Feinde dieser Ordnung. Bestrebungen, die auch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind, werden im Verfassungsschutzverbund und bei den Gerichten in die Kategorien Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Islamismus eingeteilt. Der in der Großen Anfrage verwendete Begriff „Neofaschismus“ findet in diesem Rahmen keine Verwendung, weil er in der politischen Auseinandersetzung unterschiedlich interpretiert wird und für die Beschreibung des Rechtsextremismus folglich nicht geeignet ist. Für die Beantwortung der Großen Anfrage bedeutet dies, dass die Annahme einer rechtsextremistischen Bestrebung gewisser Tatbestandsmerkmale bedarf, die zum Beispiel im Strafgesetzbuch und in den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder ausreichend präzise definiert sind.

Mehrere Fragen zielen auf die Bewertung bestimmter politischer Gruppierungen durch die Landesregierung ab. Die Beobachtung und Bekämpfung des Rechtsextremismus erfolgt aufgrund bundeseinheitlicher, eindeutiger Normen. Daraus folgend können einige offenkundig darauf abzielende Fragen nur mit einer Fehlanzeige beantwortet werden. In weiten Teilen stellen die Antworten eine Ergänzung des aktuellen Verfassungsschutzberichts dar. Andere Schwerpunkte bilden Fragen nach Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und ihren politischen Gegnern sowie Straftaten von Rechtsextremisten und spezifische Aussagen über rechtsextremistische Bestrebungen, insbesondere auch auf kommunaler Ebene. Die Antworten hierauf sind nicht überall in gleicher Informationsdichte möglich, da sonst Schwerpunkte der Verfassungsschutzarbeit offengelegt würden. Über geheimhaltungsbedürftige Erkenntnisse wird gegebenenfalls im Parlamentarischen Kontrollgremium berichtet. Das gilt zum Beispiel auch für die Frage nach der Anzahl der V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einige kurze Anmerkungen zum Thema NPD-Verbot. Alle Erkenntnisse verdeutlichen, dass die NPD eine

(Minister Klaus Schlie)

Schlüsselrolle im Geflecht des hiesigen Rechtsextremismus innehat. Der NPD-Landesverband schreckt schon seit Jahren nicht davor zurück, die Grenze vom einfachen Rechtsextremismus zum Bereich des Neo-Nationalsozialismus zu überschreiten. Schon aus diesem Grund stellt sich die Frage nach einem Verbot dieser Partei. Solange allerdings die Risiken eines Verbotsverfahrens - diese gehen über den V-Leute-Einsatz hinaus; das haben wir hier im Hohen Hause bereits diskutiert - nicht sicher bewertet werden können, werden wir einen derartigen Verbotsantrag nicht unterstützen.

Meine Damen und Herren, der Rechtsextremismus hat sich nicht nur in Schleswig-Holstein erneut grundlegend verändert. Die zum Ende der 90er-Jahre entstandenen Kameradschaften spielen heute nur noch eine untergeordnete Rolle, gleichwohl bestehen in fast allen Landesteilen - unabhängig von irgendwelchen Kameradschaftsstrukturen oder der NPD - Personenzusammenschlüsse, die unter Ausnutzung moderner Kommunikationsmittel eine Anlaufstelle für Sympathisanten der rechtsextremistischen Weltanschauung bieten. Diese Entwicklung ist das eigentlich Besorgniserregende an der gegenwärtigen Situation des Rechtsextremismus.

Die NPD stellt in diesem Zusammenhang lediglich eine Art Spitze des Eisbergs dar. Für die Landesregierung hat die Bekämpfung und Beobachtung des Rechtsextremismus daher auch weiterhin höchste Priorität, um im Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden den geschilderten Entwicklungen entgegenzutreten. Das allein wird aber nicht genügen. Der Schutz unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von der Landesregierung mit Nachdruck unterstützt wird.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich danke dem Herrn Innenminister für die Beantwortung der Großen Anfrage und eröffne die Aussprache. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Abgeordneter Björn Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hatte schon im April eine Große Anfrage zum Thema Neonazis in SchleswigHolstein eingereicht. Im September kam nun die Antwort der Landesregierung. Die Antwort enthält leider wenig interessante Daten, die zum Teil auch noch fehlerhaft sind. Man merkt, dass die Landesre

gierung zum Thema Neofaschismus entweder wenig Daten erhebt, das heißt wenig Ahnung hat, oder schlichtweg wenig Energie und Engagement in die Beantwortung der Anfrage gesteckt hat.

Das, was wir durch die Antwort der Landesregierung über die NPD und die Freien Kameradschaften erfahren haben, hätten wir uns in wenigen Stunden aus dem Internet selbst zusammensammeln können.

(Anita Klahn [FDP]: Warum haben Sie es nicht gemacht?)

In der Vorbemerkung spricht die Landesregierung von umfangreichen Informationserhebungen, Strukturanalysen, Lagebewertung, Präventions- und Gefahrerforschungsmaßnahmen durch Polizei und Verfassungsschutz. Die Antworten spiegeln diesen Umfang aber nicht ansatzweise wider. Dies liegt nur im Einzelfall am Geheimnisschutz des Verfassungsschutzes. Dies ist ein weiteres Argument für dessen Unwirksamkeit und für dessen Abschaffung.

Neben aller Kritik wurden jedoch auch einige wenige interessante Einzelheiten geliefert. Erstens. Die Landesregierung erkennt die Wichtigkeit des Internets. Sie schreibt:

„Das Internet ist das wichtigste Kommunikationsund Selbstdarstellungsmedium der rechtsextremistischen Szene. Dies gilt besonders für die nicht-organisierten Rechtsextremisten.“

Allerdings zieht sie daraus nicht die notwendigen Schlüsse. Denn die Anzahl der Internetseiten mit faschistischem Inhalt, die aus Schleswig-Holstein kommen, schätzt sie nur, und die Anzahl der nichtaktiven Seiten hält sie für „unüberschaubar“.

(Gerrit Koch [FDP]: Ja, das ist im Internet so!)

Neue Informationen gibt es auch für angemeldete Kundgebungen, die von Nazis organisiert werden. Insgesamt wurden seit 2005 60 Demonstrationen oder Kundgebungen von der Landesregierung registriert, wobei die Aufzählung offensichtlich nicht vollständig ist. Mindestens eine Versammlung der DVU in Plön fehlt in der Statistik.

(Gerrit Koch [FDP]: Oh!)

Häufigste Kundgebungsorte waren Lübeck mit 13 Kundgebungen in sechs Jahren und Kiel mit 12. Insgesamt konnten Nazis in 23 Städten in Schleswig-Holstein Kundgebungen durchführen. Dabei fällt auf, was wir vorhin schon zum Thema Rechtspopulismus besprochen haben: Nazis versuchen thematisch in die Mitte der Gesellschaft vorzudrin

(Minister Klaus Schlie)

gen. Dazu benutzen sie vorwiegend soziale Themen.

Auch die Darstellung von Gewaltstraftaten seit 2001 bringt einige Erkenntnisse. Laut Landesregierung wurden in Schleswig-Holstein in den letzten zehn Jahren 568 Gewaltstraftaten durch Nazis verübt. 568 - dabei sind nur die Verurteilungen wegen Gewaltstraftaten mitgezählt. Verfahrenseinstellungen und nicht angezeigte Straftaten werden nicht berücksichtigt. Da fallen die Zahlen massiv höher aus. In Schleswig-Holstein haben wir also fast 60 Urteile zu Gewalttaten im Jahr. Weil durch eine gezählte Tat meistens mehrere Opfer geschädigt werden, müssen wir von weitaus mehr Opfern ausgehen.

Häufige Tatorte rechter Gewalt waren Kiel mit 73, Lübeck mit 69, Neumünster mit 42, Rendsburg mit 29, Husum mit 25, Elmshorn mit 17, Flensburg mit 17, Ratzeburg mit 16, Eckernförde mit 15, Pinneberg mit 15, Heide mit 14, Uetersen mit 12 und Steinburg mit 11 Urteilen zu Gewaltstraftaten. Insgesamt wurden in 123 Gemeinden und Städten in Schleswig-Holstein Gewaltstraftaten durch Nazis verübt. Für eine Stadt wie Neumünster mit 79.000 Einwohnerinnen und Einwohnern kommt also eine Tat auf 500 Einwohnerinnen und Einwohner.