Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

Lassen Sie mich einige Neuregelungen im Bereich der Länderkompetenzen nennen. Da steht nach §§ 90 und 90 a des SGB V die Regionalisierung und Flexibilisierung der Bedarfsplanung. Die Länder können in Zukunft ein sektorenübergreifendes Gremium auf Landesebene einrichten, in dem Fragen der sektorenübergreifenden Bedarfsplanung beraten und Empfehlungen abgegeben werden können. Damit wird die jeweils sektorenspezifische Bedarfsplanung endlich um eine sektorenübergreifende Perspektive ergänzt, die längst überfällig ist.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Die Länder erhalten nach § 92 SGB V ein Mitberatungsrecht bei den Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Fragen der Bedarfsplanung. Das war ein hartes Ringen zwischen Bund und Ländern. Wenn mehr Kompetenzen, mehr Handlungsspielräume und mehr Verantwortung auf die Länder übertragen werden sollen - was richtig ist -, dann haben die Länder auch ein Recht darauf, bei Fragen der Bedarfsplanung im GBA ein Mitspracherecht zu erhalten. Was denn sonst?

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Nach § 99 SGB V erhalten die regionalen Gremien den erforderlichen Gestaltungsspielraum, um die regionale Bedarfsplanung an den konkreten Versorgungsbedarf anzupassen. Die Länder selber können mit Hilfe dieser Instrumente den Anspruch, Versorgung sicherzustellen, unterstützen. Ich sage

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

auch, sie können, sollen aber nicht die Aufgabe der Selbstverwaltung übernehmen.

Die Selbstverwaltung erhält für die Sicherung einer flächendeckenden ambulanten medizinischen Versorgung weitere Instrumente an die Hand. Ich will einige exemplarisch aufzählen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten jetzt die Möglichkeit, über Honorarzuschläge unterversorgte Gebiete für niederlassungswillige Ärzte finanziell attraktiver zu machen. Wer das als „Ärztegesetz“ diffamiert, kennt offensichtlich die Notlagen, die zum Teil in Mecklenburg-Vorpommern schon bestehen und sich bei uns an der Westküste andeuten, schlicht und ergreifend nicht.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Markus Matthießen [CDU] und Ursula Sas- sen [CDU])

Ein Punkt, der Schleswig-Holstein in der Diskussion immer ganz besonders wichtig war, konnte endlich erfolgreich zu Ende gebracht werden. Konnten nämlich bisher freiberuflich tätige Ärzte ihre Zulassung in eine Praxis oder in ein medizinisches Versorgungszentrum einbringen und in einem Angestelltenverhältnis tätig sein - das ist im Übrigen insbesondere für Frauen eine sehr interessante Geschichte -, können sie in Zukunft aus dem Angestelltenverhältnis heraus auch wieder freiberuflich tätig werden. Es besteht also eine Rückumwandlungsmöglichkeit. Das ist ein schöner Erfolg. Ich finde es auch gut, dass wir uns an dieser Stelle beim Bundesgesetzgeber durchsetzen konnten. Es ist eine Möglichkeit, gerade Frauen eine familiäre Phase zu ermöglichen, Ärztinnen eine familiäre Phase zu ermöglichen, im Angestelltenverhältnis tätig zu sein, möglicherweise nur eine begrenzte Stundenzahl in der Woche, aber, wenn sie es denn wollen, später wieder als freiberuflich tätige Ärztinnen voll in die Niederlassung zu gehen.

(Beifall der Abgeordneten Anita Klahn [FDP] und Ursula Sassen [CDU])

Ebenso ist die Aufhebung der Residenzpflicht und die Förderung mobiler Versorgungskonzepte ein sinnvoller Ansatz. Unabhängig davon, wie unsere Kassenärztliche Vereinigung SchleswigHolstein dies findet - sie findet mobile Gesundheitsversorgung noch nicht ganz so klasse wie der Gesundheitsminister -, sage ich Ihnen: Mir ist es allemal lieber, wir lassen ein sogenanntes Doc-Mobil über Land rollen, damit Patienten auch in der Fläche versorgt werden können, als dass wir uns einen ideologischen Streit leisten.

(Beifall der Abgeordneten Anita Klahn [FDP] und Ursula Sassen [CDU])

Die Verbesserung der Rechtsgrundlagen für den Betrieb von Eigeneinrichtungen durch die Kassenärztliche Vereinigung, aber auch der Möglichkeit zum Betrieb von Eigeneinrichtungen durch kommunale Träger sind weitere aus meiner Sicht intelligente und richtige Antworten auf die Herausforderungen, die die Landesregierung im Übrigen intensiv nicht nur angeht, sondern bei denen sie bereits in der Planung zur Umsetzung ist.

Die Landesregierung hat darüber hinaus im Bundesrat weitere Anträge angebracht, um die Leistungsfähigkeit der Versorgung der stationären Einrichtungen durch eine Entspannung der Erlössituation zu verbessern. Ich weiß, dass es sich vor allem um ein Gesetz zur ambulanten Versorgung handelt. Trotzdem: Wenn wir über sektorenübergreifend reden, darf sektorenübergreifend nicht zulasten eines Sektors gehen, weder zulasten des ambulanten noch des stationären Sektors. Deswegen gehört die Entspannung der Erlössituation der Krankenhäuser für mich unbedingt zu dieser Debatte dazu.

Gemeinsam mit Bayern ist eine Initiative zur Neuregelung der Mehrleistungsabschläge und gemeinsam mit Hessen eine Streichung der gedeckelten Veränderungsrate durchgebracht worden.

Ich bedaure es sehr - dabei schaue ich insbesondere Sie an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten und den Grünen -, dass ein erneut eingebrachter Antrag Schleswig-Holsteins zur Angleichung der Basisfallwerte im Bundesrat wiederum gescheitert ist.

Die Sozialdemokraten fordere ich - humorvoll auf, ihrem Fraktionsvorsitzenden etwas mitzuteilen. Er erklärte offensichtlich in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung des Verbandes der Ersatzkassen, der Landesgesundheitsminister sei schuld daran, dass die Landesbasisfallwerte so niedrig seien. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, man kann bestimmt viel Kritik an mir üben, aber es ist häufig genug dokumentiert worden, dass ich mit meiner Forderung zu den Landesbasisfallwerten fast jeden in dieser Republik nerve. Geben Sie Herrn Dr. Stegner bitte mit, dass er gegenteilige Behauptungen einfach unterlassen möge; denn sie sind schlicht albern.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Minister Dr. Heiner Garg)

Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Die Menschen erwarten von uns zu Recht, dass wir alles daran setzen -

(Zurufe der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort hat der Herr Minister, nicht die Kollegen Heinold und Kubicki.

(Wortwechsel zwischen den Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Meine Damen und Herren!

Frau Kollegin Heinold, vielleicht erinnern Sie sich an die manchmal durchaus interessante Zeit, als wir - zu Zeiten der Großen Koalition - gemeinsam die Oppositionsbank drücken mussten. Vielleicht erinnern Sie sich auch an die erste Initiative, die die drei Oppositionsfraktionen gemeinsam stellten. Ich habe soeben nur darum gebeten - dazu stehe ich auch -, Herrn Kollegen Stegner mitzugeben, dass es albern ist, mich für die Situation bei den Landesbasisfallwerten verantwortlich zu machen. Ich bin derjenige, der wirklich mit Vehemenz versucht, das rückgängig zu machen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich halte die Entscheidung, die in Berlin getroffen wurde, nach wie vor für falsch.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Bohn?

Selbstverständlich.

Sie hat sich mit dem letzten Satz im Grunde erledigt. Ich denke, wir alle in Schleswig-Holstein sind uns darüber einig, dass Sie nicht tätig werden müssten, wenn nicht auf Bundesebene dieser Fehler begangen worden wäre - von dem FDP-Bundesgesundheitsminister?

- Nein! Frau Kollegin Bohn, ich bedaure es, auch an dieser Stelle eine Korrektur anbringen zu müssen: Die aktuelle Regelung ist auf vehementes Betreiben der Christlich-Sozialen Union aus Bayern bedauerlicherweise in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt worden, was ich zutiefst bedaure. Ich bedaure es genauso, dass es dann in Berlin umgesetzt wurde - selbstverständlich durch den zuständigen Minister, gar keine Frage. Er hatte keine andere Wahl.

Herr Minister, gestatten Sie eine Nachfrage?

Ja, gern.

Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, dass die CSU sich durchgesetzt hat und dass der Minister in Berlin die Umsetzung nicht verhindern konnte?

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] - Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab einen Konsens, und der ist aufgekündigt worden! Das ist das Pro- blem!)

- Frau Kollegin Bohn, es ist bedauerlicherweise richtig, dass die CSU genau diesen Punkt in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hat. Das habe ich immer kritisiert, und das werde ich so lange kritisieren, bis wir einen bundeseinheitlichen Basisfallwert haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Problematik in einem Satz abbilden: Wenn die Initiativen von Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein zu den beiden zunächst genannten Punkten Mehrleistungsabschlag und Aufhebung der Deckelung der Veränderungsrate - durch den Bundesgesetzgeber umgesetzt würden, hätten unsere Krankenhäuser bereits im nächsten Jahr etwas davon.

Um zum Abschluss zu kommen: Die Menschen haben ein Recht darauf, dass die Gesundheitsstrukturen trotz begrenzter finanzieller und begrenzter personeller Kapazitäten so weiterentwickelt werden, dass auch Menschen, die im ländlichen Raum leben, jederzeit Zugang zu qualitativ hochwertigen ambulanten, stationären und pflegerischen Leistungen haben. Daran wollen wir arbeiten - gern auch

(Minister Dr. Heiner Garg)

alle gemeinsam -, weil das, wie ich zu Anfang meiner Rede betont habe, eine der herausragenden Zukunftsaufgaben ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat die vereinbarte Redezeit um gut 6 Minuten überzogen. Ich schlage vor, dass wir alle miteinander jetzt etwas großzügiger sind, wie es unsere Geschäftsordnung auch vorsieht. - Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Kollegin Ursula Sassen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 3. August 2011 hat das Bundeskabinett den Entwurf des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes beschlossen. Wesentliches Ziel dieses Gesetzes ist die Sicherung einer wohnortnahen, flächendeckenden medizinischen Versorgung.

Grundsätzlich begrüßen wir dieses Gesetz, nimmt es sich doch besonders der Probleme eher unterversorgter Gebiete an. Bereits 2005 hatte die CDU aufgrund des Versorgungsberichts der KV SchleswigHolstein das Thema des drohenden Ärztemangels in ländlichen Regionen aufgegriffen und Gegenmaßnahmen angemahnt; die FDP hat uns dabei sehr unterstützt.

Ganz offensichtlich gibt es sowohl in den einzelnen Bundesländern als auch in deren Regionen unterschiedliche Interessen und Versorgungssituationen. Daher muss die Bedarfsplanung neu justiert werden. Die Reform der in die Jahre gekommenen Bedarfsplanung ist überfällig und wurde zwischenzeitlich von allen Parteien in diesem Hohen Hause gefordert.

Planungsgrundlagen, die ursprünglich als Mittel gegen eine Unterversorgung gedacht waren, sollen im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation - auch die demographische Entwicklung, die räumliche Ordnung und die Sozialstruktur berücksichtigen. So entfällt mit dem Versorgungsstrukturgesetz die starre Vorgabe, dass sich die Planungsbereiche an den Kreisgrenzen zu orientieren haben. In unterversorgten Regionen mit geringer Besiedlungsdichte und älterer Bevölkerung sollen besondere Vergütungsanreize, zum Beispiel die Anpassung der Budgetierung, die Niederlassungsbereitschaft von Ärztinnen und Ärzten fördern. Es bedarf auch konkreter Verbesserungen zur Steigerung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Um eine regionsspezifische Regelung treffen zu können, sind mehr Flexibilität und mehr Länderkompetenz erforderlich. Daher sieht der Gesetzentwurf für die Partner der Selbstverwaltung mehr Möglichkeiten vor, regional von Bundesvorgaben abzuweichen, und stärkt die Kassenärztlichen Vereinigungen, die den Sicherstellungsauftrag für die ärztliche Versorgung im Land haben.

In einer gemeinsamen Presseinformation der Kassenärztlichen Vereinigungen von Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, MecklenburgVorpommern und Schleswig-Holstein vom 22. Juli 2011 wurde die Sorge formuliert: „Zugesagte Regionalisierung findet nicht mehr statt!“ Nicht zuletzt diese Äußerung hat uns bewogen, einen Bericht des Gesundheitsministers in der heutigen Landtagssitzung zu erbitten.

Wenn Herr Lauterbach von der SPD am GKV-Versorgungsstrukturgesetz die zu deutliche Handschrift der Kassenärztlichen Vereinigungen kritisiert, ist dies nicht verwunderlich, verfolgte doch die SPD eine eher zentralistische Gesundheitspolitik und plädierte sogar für die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Wir, CDU und FDP, stehen für eine Politik, die die Freiberuflichkeit der Ärztinnen und Ärzte stärkt und sektorenübergreifende Zusammenarbeit dort fördert, wo sie dem Patientenwohl dient.