Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir aber insgesamt brauchen, ist eine andere zukunftsfeste Finanzierung des Gesundheitssektors. Für uns LINKE ist die Einführung der solidarischen Bürgerversicherung, die alle Einkommensarten zur Finanzierung heranzieht, wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Von der sind wir aber weit, weit entfernt. Wie weit, zeigt auch der Entwurf des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes.

Im Interesse der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Schleswig-Holstein besteht ein deutlicher Bedarf an Nachbesserung. Der Antrag, den die Fraktionen von SPD und Grünen dazu gestellt haben, benennt dazu wichtige Themenfelder. Wir werden diesem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, auch ich bedanke mich für Ihren Bericht. Was ist das Gesundheitssystem? Da kann man sich dumm stellen und sagen: Das ist ein schwarzer Kasten, in den viel Geld hineinfließt. So oder ähnlich stellt sich offensichtlich die Bundesregierung das Gesundheitssystem vor. Weil man sich in Berlin gar nicht mit den Einzelheiten belasten möchte, pumpt man einfach mehr Geld hinein selbstverständlich nicht das eigene, sondern das Geld der gesetzlich Versicherten.

(Ingrid Brand-Hückstädt [FDP]: Mein Gott!)

Dann wird schon eine angemessene medizinische Versorgung mit regionaler Gleichverteilung dabei herauskommen. Wenn nicht - so wie jede der sogenannten Gesundheitsreformen hinlänglich unter Beweis gestellt haben -, dann steckt man einfach noch mehr Geld hinein. Zuzahlungen, Beitragserhöhungen, Pflegeleistungen und Zusatzbeiträge - die Versicherten bezahlen und bezahlen. Die Anreizmechanismen bleiben weitgehend unangetastet. Wenn man allerdings genauer hinsieht, muss man feststellen, dass das neue Versorgungsstrukturgesetz sogar die Einzelinteressen noch besser bedient, als das bereits jetzt der Fall ist. Beispiel: Überversorgung - sie bleibt unangetastet. Im Gegenteil: Die Vergütungsbedingungen der Ärzte werden verbessert und die Richtgrößenprüfungen sollen entfallen.

Darüber hinaus sollen an der Nahtstelle zwischen ambulantem und stationärem Sektor neue ambulante spezialärztliche Versorgungspraxen eingeführt werden - geschätzte Kosten 500 Millionen €. Parallel aber verlängern sich die Wartezeiten für die gesetzlich Versicherten auf einen Termin bei einem

(Antje Jansen)

Facharzt in unerträglicher Weise. Kein Wunder, dass der Zwischentitel des ersten Entwurfs des Versorgungsstrukturgesetzes zwischenzeitlich verschwunden ist. Da hieß es: Das Angebot vom Bedarf der Patienten her gestalten. Die Patienten geben nicht den Takt vor, sondern die Anbieter.

Na gut, mag der eine oder andere einwenden, das Gesundheitssystem ist eben so kompliziert, dass man sich an einem Umbau schnell verheben kann. Wenn dann die Qualität und Versorgung einigermaßen gesichert bleibt, ist mancher bestimmt auch bereit etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Genau das ist aber nicht gewährleistet. Zum Beispiel bei der psychotherapeutischen Versorgung: Sie ist festgefroren auf Grundlage ungerechtfertigter Durchschnittswerte. Die Psychotherapeuten befürchten, dass nach dem vorliegenden Gesetz sogar bis zu 6.000 psychotherapeutische Praxen geschlossen werden. Patienten werden zukünftig im Krankenhaus oder beim Hausarzt landen.

Uns droht bis 2020 ein massiver Ärztemangel, höre ich immer wieder. Tatsächlich werden bis 2020 100.000 Absolventen die Fakultäten deutscher Hochschulen verlassen. Rechnet man alle ab, die nicht direkt in den Medizinberuf gehen, werden immerhin noch fast 90.000 Ärztinnen und Ärzte neu hinzu kommen, die die schätzungsweise 52.000 niedergelassenen und 20.000 Krankenhausärzte, die bis dahin aus Altersgründen ausscheiden, gut ersetzen können. So rechnet zumindest der Bundesverband der AOK vor.

Die Herausforderung besteht in der Verteilung. Die Überversorgung in den Ballungsräumen muss gekappt werden, indem wirkungsvolle Richtgrößen eingeführt werden. Das Gesetz ist durchzogen von richtigen Zielen. Die Maßnahmen, die daraus folgen, sind aber überwiegend falsch. Da, wo sich etwas ändern soll, wiederholen sich die Fehler aus der Vergangenheit.

Das zeigt hier ein anderes Beispiel: Die Einbindung der Länder. Unbestritten ist, dass die regionale Verantwortung gestärkt werden muss. Die Ländern sollen mehr eingebunden werden, bleiben aber in Sachen Finanzströme außen vor. Sie werden sogar im innerdeutschen Wettbewerb gezwungen sein, höhere Vergütungs- und Versorgungsstrukturen durchzusetzen.

Dagegen haben die Patienten, obwohl sie alles bezahlen, nur sehr geringe, faktisch keine Einflussmöglichkeiten. Das ist die verkehrte Welt. Sie müssen tatenlos zusehen, wie die Ökonomie die Oberhand gewinnt. Fachärzte wenden immer mehr

Arbeitszeiten für privat angerechnete IGe-Leistungen auf. Darüber hinaus steigert sich die Zahl der MRT-Untersuchungen, weil sich die teuren Geräte für die niedergelassenen Ärzte, die sich diese angeschafft haben, auch rentieren müssen. Auf diesem Gebiet muss man feststellen, dass Deutschland Weltmeister ist. Natürlich muss ein Arzt rechnen und kalkulieren können. Was wir aber derzeit erleben, ist die konsequente Durchrechnung des Patientenaufkommens und damit ständig wachsende Kosten in einem System, in dem das Angebot die Kosten bestimmt. Das Gesundheitssystem soll Krankheiten heilen, Patienten versorgen und Gesundheit bewahren. Stattdessen wird das Gesundheitssystem immer mehr zu einer Geldbeschaffungsmaschine zulasten der gesetzlich Versicherten.

(Beifall bei SSW und SPD)

Diesen Entwurf des Versorgungsstrukturgesetzes in dieser Form müssen wir ablehnen. Hier muss wirklich nachgebessert werden. Wir sind bereit, daran mitzuarbeiten. Derzeit hätte ich mir gewünscht, dass wir die Anträge in den Ausschuss überwiesen bekommen hätten, damit dann Verbesserungsvorschläge gemeinsam hätten erarbeitet werden können. Es ist sehr traurig, dass dies nicht gewünscht wurde. Ich finde es sehr traurig, dass man das nicht gewünscht hat. Ich beantrage aber Überweisung an den Ausschuss.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Deshalb schließe ich die Beratung und stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 17/1841 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat.

Der Kollege Flemming Meyer hat soeben Ausschussüberweisung beantragt. Wer zustimmen will, den Antrag Drucksache 17/1866 (neu) dem Sozialausschuss zu überweisen, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW. Wer lehnt diese Ausschussüberweisung ab? - Das sind die Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP. Die Ausschussüberweisung ist damit abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Ich lasse über den Antrag der Fraktionen von SPD und

(Flemming Meyer)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/1866 (neu) , abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Stimmen der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW. Wer ist dagegen? - Dagegen stimmen die Fraktionen von CDU und FDP. Der Antrag ist damit abgelehnt.

Nun haben Sie Zeit für die Mittagspause. Die Sitzung ist bis 15 Uhr unterbrochen.

(Unterbrechung: 13:22 Uhr bis 15:03 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wiedereröffnet. Auf der Zuschauertribüne begrüße ich unsere Gäste. Es sind Mitglieder des CDU-Ortsverbands Kaltenkirchen. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 27, 29 und 49 auf. Zu diesen Tagesordnungspunkten begrüße ich unseren Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung. - Herzlich willkommen, lieber Herr Dr. Ulrich Hase!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27, 29 und 49 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1883

b) Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1885

c) Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung beim Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags über die Situation der behinderten Menschen in Schleswig-Holstein sowie über seine Tätigkeit in den Jahren 2009 bis 2010

Drucksache 17/1799

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung hat 90 Seiten. Zuerst das Wichtigste: Im Namen meiner Fraktion sage ich herzlichen Dank an Herrn Dr. Uli Hase und sein Team für den Bericht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, der LINKEN und SSW)

Was passiert danach? Was passiert, wenn wir den Bericht gelesen und heute darüber debattiert haben sowie im Ausschuss darüber gesprochen haben? Ich finde, das allein reicht nicht aus. Wir müssen den Bericht als Handlungsauftrag nehmen und daraus konkrete politische Handlungen ableiten.

(Beifall des Abgeordneten Flemming Meyer [SSW])

Der Bericht ist nämlich nicht nur ein Bericht, sondern er ist auch ein Handlungsauftrag an uns. Die UN-Behindertenrechtskonvention spielt darin eine große Rolle. Um es ganz klar zu sagen: Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist nicht irgendetwas, das zur Disposition steht. Es ist ein Menschenrecht. Inklusion ist hierbei das Leitbild. Inklusion ist nicht nur eine Debatte für Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker. Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich freue mich, dass jetzt ein paar mehr Abgeordnete hier sind. Sie können sich das gleich noch einmal anhören, denn es geht uns wirklich alle an.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Die grüne Landtagsfraktion hat im Juli letzten Jahres einen Berichtsantrag zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention hier in SchleswigHolstein gestellt. Doch sind wir der Inklusion in der Zwischenzeit wirklich näher gekommen? - Während zu Zeiten von Rot-Grün oder der Großen Koalition die Politik für Menschen mit Behinderung eine große Rolle spielte, scheint sie jetzt auf der Stelle zu treten. Um dem Ziel der Inklusion näher zu kommen, ist ein Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sinnvoll. Daher werden wir dem Antrag zum Aktionsplan gern zustimmen. Wir halten es für selbstverständlich, dass hier mehr getan werden muss.

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])