Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Im Bericht wird die Situation der Eingliederungshilfe dargestellt. Die öffentliche Diskussion hat bei Menschen mit Behinderung zu Ängsten geführt. Ich denke, auch das sollte uns alle sehr nachdenklich machen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind beunruhigt. Wir sind weit davon entfernt, in Schleswig-Holstein Qualitätsstandards bei der Eingliederungshilfe zu haben. Ich denke, die meisten von uns wissen, dass wir uns alle spätestens seit Beginn des Wahlkampfs vorgenommen hatten, zu diesem Zeitpunkt schon viel weiter zu sein.

Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig: Die Eingliederungshilfe ist eine gesetzliche Leistung. Menschen mit Behinderung haben einen rechtlichen Anspruch darauf. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe leisten verantwortungsvolle Tätigkeit. Sie haben einen guten Lohn und gute Arbeitsbedingungen verdient.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Es gibt im Bericht aber auch gute Nachrichten. Das ist erfreulich. Sie kommen aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde. Darüber freue ich mich ganz besonders, denn ich komme aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde. Sie kommen auch aus der Stadt Kiel. Darüber freut sich die Kollegin Heinold sehr. Der Kreis Rendsburg-Eckernförde und die Stadt Kiel haben Leitbilder zur Teilhabeplanung entwickelt. Ich würde mich freuen, wenn auch andere Kreise und Städte diesem guten Beispiel folgen würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen Bereich, in dem Menschen mit Behinderung besonders benachteiligt werden. Das ist der Arbeitsmarkt. Angemahnt wird mehr Initiative des Arbeitsministers für die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung. Ich bin gespannt, welche Initiativen der Minister hier in den nächsten Monaten voranbringen wird. Auch die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung gibt deutlichen Anlass zu Kritik. Krankenhäuser müssen barrierefrei sein. Daran gibt es für uns Grüne überhaupt keinen Zweifel. Ich persönlich wünsche mir auch, dass mehr Praxen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten barrierefrei sind. Auch dort gibt es noch erhebliche Probleme.

Gehen wir weiter im Bericht. Der Weg zur inklusiven Bildung ist noch weit. Auch hier besteht noch ein erheblicher Handlungsbedarf.

Kommen wir zu dem Punkt, der uns veranlasst hat, einen zusätzlichen Antrag zu stellen. Das ist die Mobilität. Mobilität ist in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein ein wichtiges Thema, und zwar gerade für Menschen mit Behinderung. Wer in Lübeck wohnt, kein Auto fährt und Freunde in Flensburg besuchen will, ist auf einen gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr angewiesen. Der öffentliche Personennahverkehr muss barrierefrei sein. Dieser Gesichtspunkt ist uns besonders wichtig. Wir sind sehr gespannt auf den Bericht, denn wir haben gehört, dass CDU und FDP auf Bundesebene die Barrierefreiheit nicht gewährleisten wollen. Das würden wir Grüne nicht für richtig halten.

Bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention brauchen wir mehr Entschlossenheit und mehr Initiative. Eines ist mir an dieser Stelle noch einmal ganz wichtig: die Umsetzung des persönlichen Budgets. Die Umsetzung muss dringend verbessert werden. Es muss Schluss sein damit, dass Menschen mit Behinderung gesagt wird, wie sie welche Leistungen zu bekommen haben. Wir müssen endlich dahin kommen, dass Menschen mit Behinderung selbst entscheiden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Ich sehe, die Zeit ist fortgeschritten. Für uns Grüne ist der Bericht nicht irgendein Bericht. Für uns Grüne ist er ein klarer Handlungsauftrag an uns alle in der Politik.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Herr Landtagspräsident! Meine Damen und Herren! Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung hat seinen vierten Bericht zur Situation der behinderten Menschen in Schleswig-Holstein und seinen Tätigkeitsbericht für die Jahre 2009 und 2010 vorgelegt. Für diesen Bericht möchte ich mich im Namen meiner Fraktion herzlich bedanken. Der Bericht macht deutlich, dass Schleswig-Holstein und vor allem die Menschen mit Behinderung in Schles

(Dr. Marret Bohn)

wig-Holstein die Stelle und Funktion eines Landesbeauftragten brauchen und dass diese Stelle mit Herrn Dr. Hase und seinem Team gut, kompetent und engagiert besetzt ist.

Der vorliegende Bericht macht aber auch deutlich, dass es um die Politik für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein nicht gut steht. Das ist offensichtlich so, weil die schwarz-gelbe Landesregierung auch diesen Politikbereich unter dem Generalvorbehalt der Haushaltskonsolidierung abhandelt.

Die Debatte um den Kostenanstieg in der Eingliederungshilfe und die Kündigung des Landesrahmenvertrages haben zu einem völlig falschen Zungenschlag geführt. Es kann nicht angehen, dass aus der richtigen Diskussion um eine inhaltliche Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Interesse der Menschen mit Behinderung eine verhärtete Auseinandersetzung um mögliche Einsparpotenziale wird.

Es kann nicht angehen, dass die notwendige Stärkung der ambulanten Hilfe als Totschlag- und Kostenargumentation gegen die stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe ins Feld geführt wird. Die dabei aufgebaute Gegenüberstellung von ambulant und stationär ist inhaltlich völlig unsinnig. Ob mit ambulanten Lösungen Geld gespart werden kann, wenn es um die inklusive Teilhabe behinderter Menschen geht, steht auf einem völlig anderen Blatt. Jedenfalls ist es sehr bedenklich, wenn der Landesbeauftragte vor dem finanzpolitischen Missbrauch und einer kostenbezogenen Verengung des Inklusionsbegriffs warnen muss.

Die Haushaltskonsolidierung in schwarz-gelber Lesart hat vor der Halbierung des Landesblindengeldes nicht haltgemacht. Das war ein fatales Signal, weil damit die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten blinder Menschen eingeschränkt worden sind, statt deren Möglichkeiten auszubauen und zu stärken. So jedenfalls kommt man nicht voran bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. So kehrt man den Gedanken einer inklusiven Gesellschaft in sein Gegenteil um.

Es macht Sinn, wenn der Landesbeauftragte in seinem Bericht die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und das Thema Inklusion an die erste Stelle rückt. Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ist eine zentrale Aufgabe. Die Verwirklichung von Inklusion betrifft und beauftragt nicht nur die Menschen mit Behinderung, sondern die gesamte Gesellschaft.

(Beifall bei den LINKEN)

Gerade darin unterscheidet sich der Inklusionsbegriff vom Begriff der Integration.

Inzwischen hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan und einen Maßnahmenkatalog zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorgelegt. Mehrere Bundesländer haben landeseigene Aktionspläne erstellt oder arbeiten zumindest ernsthaft an solchen Aktionsplänen. Schleswig-Holstein gehört bisher nicht zu diesen Ländern.

Der Landesbeauftragte hat in seinem Bericht seine Bemühungen aufgelistet, die Erarbeitung eines solchen Aktionsplans in Schleswig-Holstein anzustoßen. Bisher ist es dazu aber nicht gekommen. Schleswig-Holstein könnte bei dieser Frage weiter sein und wäre sicher auch schon weiter, wenn die vorbereitete Tagung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention im Dezember vergangenen Jahres stattgefunden hätte. Damals ist das Wetter dazwischengekommen.

Die Erarbeitung eines Aktionsplans und vor allem eines konkreten und überprüfbaren Maßnahmenkatalogs steht weiter auf der Tagesordnung. Diese Erarbeitung erfordert das Zusammenkommen und den Dialog aller Akteure.

Wir erkennen durchaus an, dass der Sozialminister erklärt hat, noch einmal eine breite Diskussion im Land zur Leitorientierung, zur Inklusion und zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufzunehmen. Mit unserem Antrag wollen wir auch keinen Schnellschuss initiieren und so zu tun, als wäre das nicht so.

Unser Antrag für einen Aktionsplan zielt auf zwei Dinge ab. Erstens wollen wir schlicht erreichen, dass der Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung in die Landtagsdebatte aufgenommen wird und nicht ein ähnliches Vertagungsschicksal erleidet wie der Bericht der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten. Zweitens wollen wir einen klaren Arbeitsauftrag für die Landesregierung, die Diskussion um die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Richtung eines Aktionsplans zu führen und dabei auf einen Maßnahmenkatalog hinzuarbeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein solcher Maßnahmenkatalog soll konkrete Schritte zusammenfassen, die überprüfbar abgearbeitet werden können. Dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr werden wir selbstverständlich zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

(Björn Thoroe)

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Heike Franzen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung und seinem Team herzlich danken, und zwar nicht nur für den vorgelegten Bericht, sondern insbesondere auch für die in den vergangenen Jahren geleistete Arbeit. Das war wirklich richtig klasse.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht legt einen deutlichen Schwerpunkt auf die Umsetzung der Vorgaben der Inklusion in Schleswig-Holstein. Er macht deutlich, dass wir in diesem Land schon seit einigen Jahren den Weg der Inklusion beschritten haben. Wir sind auch schon ein gutes Stück dieses Weges vorangekommen. Ich will an dieser Stelle auf den Bericht des Bildungsministeriums hinweisen, den wir in der letzten Landtagstagung hier besprochen haben.

Rund 50 % der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden bereits in den Regelschulen beschult. Damit sind wir in der Bundesrepublik führend. Auf diesem Weg dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Wir müssen weitergehen und nicht nur den gesetzlichen Rahmen schaffen, sondern auch für die Barrierefreiheit in den Köpfen der Menschen werben. Was nützen uns gesetzliche Vorgaben, wenn wir in den Einzelfallbeschreibungen des Berichtes lesen müssen, dass diese von den handelnden Personen nicht oder nur unwillig umgesetzt werden?

Auf diesem Weg müssen wir uns gelegentlich aber auch einmal umschauen und überlegen, ob alle Schritte, die wir gegangen sind, auch die richtigen waren. Wir wissen beispielsweise nicht, wie erfolgreich wir bei der Inklusion in der Schule sind. Gerade an dieser Stelle sollten wir den Vorschlag des Landesbeauftragten für die Erprobung von Schwerpunktschulen für behinderte und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler aufgreifen.

Auf der Inklusionskonferenz, an der leider nur Vertreter der Regierungsfraktionen teilgenommen haben, Herr Thoroe, ist deutlich geworden, dass Menschen mit Behinderung auch Menschen mit Behinderung brauchen, um sich wohlzufühlen. Ich finde diese Aussage beeindruckend. Die CDU-Fraktion

wird diese Anregung aufgreifen und an ihrer Umsetzung arbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass auch der Landesbeauftragte nach wie vor zur Kommunalisierung der Eingliederungshilfe steht. Außerdem teile ich seine Auffassung, dass die Handlungserfordernisse, die sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben, noch nicht überall angekommen sind. Hierbei sind aber auch die Verbände und Vertretungen der Menschen mit Behinderung gefragt, sich stärker in die Kommunalpolitik einzubringen, um mit ihrem Expertenwissen kommunalpolitische Entscheidungen zu begleiten.

Zwei gute Beispiele sind der Kreis RendsburgEckernförde und die Stadt Kiel, die Leitbilder zur Teilhabeplanung erstellt haben, an denen Kommunalpolitiker, Leistungsträger, Leistungserbringer und Menschen mit Behinderung beteiligt waren. Diesem guten Beispiel können auch andere Kommunen folgen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Vielleicht ist das ein gutes Vorbild dafür, dass man sich auch zum Thema Landesrahmenvertrag wieder gemeinsam an einen Tisch setzt, um sich für Menschen mit Behinderung in unserem Land einzusetzen.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Das persönliche Budget ist mir seit vielen Jahren ein besonderes Anliegen. Es bietet Menschen mit Behinderung ein größtmögliches Maß an Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Ich kann mir schlichtweg nicht vorstellen, dass im Jahr 2008, wie in dem Bericht zu lesen ist, lediglich 79 Menschen mit Behinderung von dieser besonderen Leistung Gebrauch machen wollten. Hier gibt es nach wie vor ein erhebliches Aufklärungsdefizit. Der Landesbeauftragte fordert in seinem Bericht die Sozialleistungsträger auf, ihrer Aufgabe, über Art und Form der Leistungserbringung zu informieren, an dieser Stelle nachzukommen. Allerdings sollte das in einer Form geschehen, die für Menschen mit Behinderung verständlich und nutzbar ist. Wir werden ihn an dieser Stelle unterstützen.

(Beifall bei CDU sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem Bericht wird auch Kritik an der Landesregierung geübt. Unter anderem wünscht sich der Landesbeauftragte in einigen Bereichen mehr Infor

mationen. Ich glaube, das kann man auf dem kleinen Dienstweg bestimmt sicherstellen. Da bin ich mir ganz sicher.

Zum Antrag der LINKEN! Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zwischenbericht zur Inklusion aus dem vergangenen Jahr zeigt eine Reihe von Maßnahmen auf, die im Rahmen der Umsetzung der UN-Konvention bereits ergriffen wurden. Unter anderem wurde unter der Federführung des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Umsetzung der UN-Konvention in den Ressorts der Landesregierung erhebt und für die Berichterstattung bündelt. Wir würden gern wissen, wie sich diese Maßnahmen weiterentwickelt haben. Wir wollen eine Fortschreibung insbesondere des behindertenpolitischen Gesamtkonzepts und die Verankerung des Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Konvention.

Für meine Fraktion beantrage ich, sowohl den Bericht des Landesbeauftragten als auch den Antrag der Fraktion DIE LINKE als auch den Punkt A des Antrags der Grünen in den Ausschuss zu überweisen. Dem Antrag der Grünen unter B stimmen wir selbstverständlich zu.