Protokoll der Sitzung vom 07.10.2011

Frau Kollegin Heinold, ich bewundere - das wissen Sie - Ihr Auftreten in finanzpolitischen Fragen. Deshalb frage ich Sie jetzt nach dem Vorwurf gegenüber der CDU-Opposition zur damaligen Zeit, sie sei in den Vorschlägen unseriös und unsolide. Wie bewerten Sie denn Vorstellungen in der heutigen Zeit, denen zufolge Schülerbeförderungskosten wieder erstattet werden sollen, denen zufolge das dritte beitragsfreie Kindergartenjahr eingeführt werden soll, wonach mehr Lehrer in das Bildungssystem sollen? Ist das dann nicht auch unsolide?

- Alle Vorschläge, die nicht gegenfinanziert sind, sind unseriös und unsolide.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christopher Vogt [FDP]: Ah! Also auch Ihre Vorschläge!)

Deshalb unsere Haushaltsvorlage. Der Unterschied, den es gibt - ich komme gleich noch auf den Punkt zu sprechen -, besteht darin, dass diese Seite des Hauses nicht nur Sparmaßnahmen, sondern auch Einnahmesteigerungen als Möglichkeit sieht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und der Abgeordneten Antje Jan- sen [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat in den letzen Jahren gezeigt, dass Oppositionspolitik auch anders möglich ist. Solide Haushaltskonsolidierung und Opposition müssen kein Widerspruch sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wir haben Vorschläge zur Verwaltungsreform, zur Gebietsreform, zu Kürzungen bei der Landwirtschaftskammer, zur Kürzung der Wirtschaftsförderung gemacht, und wir haben auch das unangenehme Thema der Pensionen aufgegriffen. Wir haben ehrlich gesagt: Wer in Bildung investieren möchte, der kommt an Steuererhöhungen nicht vorbei.

Herr Minister de Jager, in dem letzten Interview, das ich von Ihnen gelesen habe, haben Sie gesagt: „Wer sparen will, kann doch nicht am Anfang schon darüber nachdenken, wem er als Erstes in die Tasche greift.“

(Beifall des Abgeordneten Tobias Koch [CDU])

Das, Herr Minister de Jager, geht an der Realität vorbei. - Bitte jetzt klatschen, Herr Koch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ist das die neue Modernität der CDU? Wie war das denn bei der Grunderwerbsteuer? Die haben Sie doch inzwischen auch erhöht, nachdem Sie dies jahrelang bekämpft haben. Sie werden noch feststellen, meine Damen und Herren: Wer in Schulen und Hochschulen investieren will, wer den Ganztagsunterricht will, wer die Kinderbetreuung verbessern und Bildungsgerechtigkeit stärken will, wer die Herausforderungen des neuen Energiezeitalters und des demografischen Wandels meistern möchte, der wird an Einnahmesteigerungen nicht vorbeikommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD - Christo- pher Vogt [FDP]: Man kann die Einnahmen nur einmal ausgeben, nicht fünfmal!)

Wenn man davon spricht, dass Haushalte nachhaltig und solide aufgestellt werden sollen, dass das Land zukunftsfähig sein soll, dass wir Bildungsgerechtigkeit herstellen und sichern wollen, dann müssen wir in diesem Parlament eine Übereinkunft darüber haben, dass Sparen auf der einen Seite und Einnahmesteigerungen auf der anderen Seite zwingend zusammengehören.

(Monika Heinold)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

Wir waren schon ein Stückchen weiter. In der alten Finanzplanung hatte Finanzminister Wiegard dies ja angedeutet und hatte gesagt, dass man auch auf Einnahmesteigerungen durch Steuerrechtsänderungen setzen müsse.

(Zurufe von der CDU)

Herr Wiegard, Sie haben einmal das Wachstum berechnet und zusätzlich zum Wachstum von strukturellen Einnahmesteigerungen auch schon von einer Veränderung der Mehrwertsteuer gesprochen. Das sind Steuererhöhungen, und die werden wir brauchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf von Minister Rainer Wie- gard)

Meine Damen und Herren, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit müssen die Leitplanken der Haushaltspolitik des Landes sein. Daran werden wir Grünen uns auch weiterhin orientieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, dass Zwischenrufe von der Regierungsbank zu unterlassen sind. Ich möchte Sie bitten, sie künftig zu unterlassen.

Nunmehr erteile ich Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Ihre Vorstellungen über Bund-LänderAnleihen sind wieder einmal kein Glanzstück scharfsinniger Analyse und konsistenter Rationalität. Eurobonds lehnen Sie ab, da der Bund dann höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen müsste, Deutschland-Bonds dagegen befürworten Sie, obwohl der Bund dann höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen müsste.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Gerade nicht!)

Diese Logik müssen Sie mir einmal erklären, Herr Wiegard. Spätestens seit der Lehman-Pleite sollte auch der letzte Finanzminister wissen, dass wir es mit einem globalen Finanzsystem zu tun haben. Spätestens seit der Lehman-Pleite, Herr Minister,

sollte bekannt sein, dass wir ein international abgestimmtes Vorgehen, mindestens aber ein europäisch abgestimmtes Vorgehen brauchen. Warum brauchen wir das? - Wir müssen den Herausforderungen der internationalen Finanzjongleure, die auch nicht davor zurückschrecken, ganze Länder in die Pleite zu führen, widerstehen.

Herr Minister Wiegard, Ihre Argumentation wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht. Sie betreiben weiterhin eine bornierte, eine provinzielle Kirchturmpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wird schon allein dadurch deutlich, dass Sie mit Ihrer Logik, wenn Sie griechischer Finanzminister wären, selbstverständlich für Eurobonds eintreten müssten.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, beziehungsweise die Perspektive entscheidet über die Bewertung von Instrumenten. Das ist eine Regierungslogik, die beinahe an Ihre Glanzleistung heranreicht, den Schülerinnen und Schülern einreden zu wollen, dass jetzt bei den Schulen gekürzt werden muss, damit es ihnen später besser geht. Auch das haben wir ja heute in veränderter Form wieder gehört.

Bei einer solchen Logik der Regierung wundert es mich schon, dass sich immer noch 7 % der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner für die Fortsetzung dieser Koalition aussprechen.

Meine Damen und Herren, wir brauchen in Europa ein abgestimmtes Vorgehen und keine Rhetorik à la Wiegard. Übrigens: Wie Sie wissen, Herr Finanzminister, ist Schleswig-Holstein, was die Zinsen angeht, schon jetzt Profiteur der Schieflage auf den Finanzmärkten. Das Geld sucht sichere Häfen. Deshalb können wir auch in Schleswig-Holstein inzwischen Geld zu einem Zinssatz aufnehmen, der unter der Inflationsrate liegt. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. - Vielleicht noch eine kleine ironische Bemerkung: Wenn man sich anschaut, dass wir heute Zinsen zu einem Zinssatz aufnehmen können, der unter der Inflationsrate liegt, könnte man auch zu der Meinung kommen, dass man das Land dadurch wieder ins Lot bringt, dass man mehr Schulden aufnimmt,

(Lachen bei der CDU)

weil sich die Schulden durch die Zinsentwicklung letztlich rentieren. - Das sage ich aber nur ironisch.

(Zurufe von der CDU: Ach!)

Aber in diese Richtung geht der Finanzmarkt, was unsere Situation und die Frage angeht, wie wir uns

(Monika Heinold)

refinanzieren können. Auch Sie haben vorhin auf diesen Zustand verwiesen, dass die Zinszahlungen deutlich geringer sind als ursprünglich angenommen.

Viel interessanter als die gesamte Debatte um Deutschlandbonds ist in meinen Augen aber Ihr Finanzplan für die Jahre 2011 bis 2015, und dies vor allem deshalb, weil nichts darin steht. Er enthält keinen Weg heraus aus der Misere. Kein Wunder; das geht ja auch nicht. Dies ist der zweite Finanzplan, den ich in meiner Eigenschaft als Abgeordneter zu Gesicht bekomme. Ich habe mich immer gefragt: Was soll mir diese bunte Ansammlung von Grafiken denn eigentlich zeigen? Zuerst dachte ich, das liegt an mir; aber inzwischen bin ich klüger.

Schon der Rechnungshof, Herr Minister, kritisiert in den Bemerkungen 2011 auf Seite 42/43 - ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin -:

„Die Finanzplanung enthält für die Jahre 2013 und 2014 nur die Zielplanung für den Abbau des strukturellen Defizits. Ausgabenplanungen der Ressorts sind nicht eingeflossen. Die Finanzplanung liefert damit keine detaillierte Planung der notwendigen Sanierungsschritte ab 2013. Damit weiß die Landesregierung nicht, welche konkreten Anstrengungen sie noch leisten muss, um den Sanierungspfad einzuhalten.“

Das ist die Beurteilung des Landesrechnungshofs, was Ihren Finanzplan angeht. Genau das ist der Punkt. Die Landesregierung weiß nämlich nicht, welche konkreten Anstrengungen sie noch leisten muss, um den Sanierungspfad einzuhalten. Sie lehnen sich beruhigt zurück, weil Sie wissen, dass Sie im nächsten Jahr den Stab ohnehin weitergeben.

Ein weiterer Bericht hat mich nachdenklich gemacht. Der Stabilitätsrat hat in seinem Evaluationsbericht vom 10. März dieses Jahres gesagt, die Finanzplanung für die Jahre 2013 und 2014 liege nicht in der in § 52 Haushaltsgrundsätzegesetz vorgesehenen Form vor, sondern sei weniger detailliert und spezifiziert. Das ist genau der Punkt, Herr Minister. Ihr Finanzplan ist in meinen Augen eine leere Hülle.

Nehmen Sie sich doch einmal ein Beispiel an ihren Vorgängerinnen und Vorgängern. Ob es nun Herr Möller oder Frau Simonis war, bei deren mittelfristigen Finanzplanungen sind die Planungen detailliert in Maßnahmengruppen dargestellt worden, ebenso übrigens auch die geplante Entwicklung der Einzelhaushalte. Das vermisse ich bei Ihrer Finanzplanung. Auch die Entwicklung einzelner Projek

te wurde damals detailliert beschrieben. Bei Ihnen finde ich nichts. Niente. Nada. Transparenz, Herr Minister, sieht in meinen Augen anders aus.

Ich weiß schon, warum Sie das nicht machen: Sie würden zu vielen Menschen auf die Füße treten. Sie müssten die Grausamkeiten der nächsten Jahre dokumentieren. Ich verstehe, dass Sie sich davor sträuben; aber eine Vogel-Strauß-Politik hilft uns an dieser Stelle auch nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Einen letzten Punkt möchte ich an dieser Stelle ansprechen. Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, die sich mit Sozialpolitik beschäftigen - ich glaube, bei der FDP gibt es nicht sehr viele Sozialpolitiker, aber meine Damen und Herren von der CDU -, schauen Sie sich vielleicht nicht den gesamten Finanzplan an, aber schauen Sie sich Seite 57 an! Dort finden Sie eine schöne, bunte Grafik. Was steht dort? - Dort steht, dass laut schleswig-holsteinischer Verfassung der zulässige strukturelle Fehlbetrag im Jahr 2011 bei 1,01 Milliarden liegt. Im laufenden Haushalt, der hier ja auch mit Ihren Stimmen verabschiedet worden ist, steht aber, dass sich dieser Fehlbetrag nur auf 900 Millionen € beläuft. Das heißt auf Deutsch: Sie hätten im Haushaltsjahr 2011 110 Millionen € mehr an strukturellen Ausgaben einplanen können, ohne die Hürde der Schuldenbremse zu reißen. Im Jahr 2012 wären es sogar 120 Millionen €. Nach der Vereinbarung mit dem Stabilitätsrat hätten Sie im Jahr 2011 sogar 430 Millionen € und im Jahr 2012 immerhin noch 250 Millionen € zusätzlich einplanen können. Und uns allen wurde erzählt, dass die Kürzungen im sozialen Bereich notwendig seien, um die Vorgaben der Schuldenbremse einzuhalten. - Pustekuchen. Es wurde mit gezinkten Karten gespielt, meine Damen und Herren.