Protokoll der Sitzung vom 16.11.2011

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 22. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Erkrankt sind die Abgeordneten Silke Hinrichsen, Ranka Prante und Hartmut Hamerich. Wir wünschen allen drei Kollegen von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Nach einer Phase der langen Erkrankung nimmt heute wieder Herr Abgeordneter Mark-Oliver Potzahr an der Landtagssitzung teil. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat einen Dringlichkeitsantrag vorgelegt und die Fraktion der SPD dazu einen Änderungsantrag.

Konsequenzen aus den Erkenntnissen über das Rechtsextremen-Trio aus Thüringen

Drucksache 17/2000

Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/2001

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über den Dringlichkeitsantrag Drucksache 17/2000 abstimmen. Es gilt das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Wer der Dringlichkeit zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. Die Dringlichkeit ist damit bejaht. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag als Punkt 47 A in die Tagesordnung einzureihen. Die Parlamentarischen Geschäftsführer mögen sich über die Redezeiten verständigen und mir einen Vorschlag für den Zeitpunkt des Aufrufs machen.

Mit Drucksache 17/2001 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, der den Berichtsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um drei Punkte ergänzt. Ich schlage vor, zugleich über diesen Ergänzungsantrag abzustimmen. Wer dem Ergänzungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln:

Zu den Tagesordnungspunkten 5, 6, 7, 19, 23, 26, 32, 34, 43, 47 bis 49 sowie 52 bis 57 ist eine Aussprache nicht geplant.

Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 8, 16, 28, 33, 64 und 65. Der Antrag zu Tagesordnungspunkt 38, neues CCS-Gesetz der Bundesregierung, wurde von den Antragstellern zurückgezogen.

Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte: 2, 29, 41, 42 und 46 - Regierungserklärung zur Bundeswehrstrukturreform sowie Anträge zur Kompensation von Standortschließungen, zur Unterstützung betroffener Beschäftigter und Standorte sowie zu den Entwicklungschancen der Kommunen als Folge der Konversion von Bundeswehrstandorten -, 13, 21 und 22 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung sowie Anträge für ein gemeinsames Korruptionsregister und einen Ausschuss für die Zusammenarbeit zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg -, 20 und 39 - Anträge zur Erstellung eines Demenzplans sowie zu den Rahmenbedingungen in der Pflege -, 27 und 44 - Anträge zur S-Bahn-Strecke zwischen Kaltenkirchen und Hamburg-Eidelstedt -, 30 und 62 - Antrag „Personenbeförderungsgesetz nachhaltig gestalten“ und Bericht „Barrierefreiheit im Nahund Fernverkehr“ - sowie 37 und 45 - Anträge „Fairness auf dem Arbeitsmarkt - Mindestlohn jetzt einführen“ und „Lohnuntergrenzen“.

Anträge zu einer Fragestunde liegen nicht vor.

Nach der Vereinbarung zwischen den Antragstellern wird die Aktuelle Stunde auf der Grundlage des Antrags der SPD-Fraktion durchgeführt. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Antragstellerin eines älteren Antrags auf Durchführung einer Aktuellen Stunde wird in der Debatte als erste Fraktion das Wort erhalten. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 22. Tagung.

Wir werden heute und morgen jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Die Sitzungen am Donnerstag und Freitag beginnen jeweils um 9 Uhr. Weiter ist

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am Freitag eine verkürzte Mittagspause von 13 Uhr bis 14 Uhr vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Auf der Zuschauertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde Koalitionsrettungsschirm im Bundesrat ablehnen

Antrag der Fraktion der SPD

Das Wort hat zunächst für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Abgeordneter Dr. Robert Habeck.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Guten Morgen! Wenn eine Steuerreform Reichen mehr gibt als Armen, nennt das die Regierungskoalition und vor allem die FDP „Schließen der Gerechtigkeitslücke und Abbau der kalten Progression“. Es ist nicht ein Schließen der Gerechtigkeitslücke, es ist ein weiterer Beitrag zur ungerechten Umverteilung in Deutschland, über die wir heute diskutieren, ein weiterer Beitrag zum Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir müssen heute darüber reden, weil die verschiedenen Pakete, die in den sogenannten Koalitionskompromiss gepackt wurden, in alle Richtungen falsch auseinandergehen.

Um mit den Steuerentlastungen anzufangen: Jemand, der 10.000 € im Jahr verdient, wird durch die beschlossenen Kompromisse monatlich um 1,58 € entlastet. Jemand, der 50.000 € im Jahr verdient, wird um das Fünffache entlastet. Jemand, der 250.000 € im Jahr verdient, wird um 60 € monatlich entlastet. Wo da das Schließen der Gerechtigkeitslücke sein soll, muss mir jemand einmal erklären!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es ist richtig, dass der Freibetrag angepasst werden muss - immer wieder -, aber er muss angepasst werden, ohne dass der Haushalt erneut belastet wird, ohne dass die soziale Schere weiter auseinandergeht. Deswegen wäre es richtig gewesen, die Anpassung gleichzeitig mit einer Erhöhung der Progression, mit einer Steuererhöhung zu kompensieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

Die Steuersenkungen sind sozial unausgewogen und deshalb falsch. Die „Herdprämie“ ist unverzeihlich.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich zitiere zum Einstieg in die Debatte die ehemalige CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen:

„Mit dem Betreuungsgeld verstärken wir den Teufelskreis, in dem Kinder, die von zu Hause keine Chance auf frühe Bildung, gute Sprache, wenig Fernsehen, viel Bewegung haben, vom Kindergartenbesuch ausgeschlossen sind, weil ihre Eltern mit 150 € lieber ihre Haushaltskasse aufbessern.“

Das sagte Ursula von der Leyen. Man muss den Familien vielleicht nicht mit diesem Pauschalvorurteil begegnen wie die damalige Familienministerin, aber dass der Teufelskreis verstärkt wird, dass mit dem Betreuungsgeld oder der „Herdprämie“ nicht nur kein Problem gelöst wird, sondern die Abhängigkeit der Menschen von Transferzahlungen erhöht wird, dürfte in diesem Haus unstrittig sein.

Auch die CDU war schon einmal weiter. Es gibt ein Zitat des Ministerpräsidenten, als er das Kindergeld zugunsten der Bildungsinfrastruktur umschichten wollte. Herr Carstensen, ich erlaube mir, Sie zu zitieren.

(Zuruf des Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

- Ja, es ist ein bisschen was anderes, aber in der Tendenz ist das Betreuungsgeld viel, viel, viel schlimmer!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW sowie vereinzelt bei SPD und DIE LINKE)

Sie sagten:

„Wir müssen unsere alte konservative Familienpolitik auch in diesem Bereich ein Stück

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(Präsident Torsten Geerdts)

zur Seite schieben. Wir müssen die Lebenswirklichkeit sehen … “

Diese Lebenswirklichkeit sieht nicht mehr so aus wie vor 25 Jahren. Das ist genau richtig: Heute brauchen viele Familien zwei Einkommen, Frauen und Männer müssen arbeiten, müssen sich Familie und Beruf teilen. Das Betreuungsgeld geht in die völlig falsche Richtung. Auch das Argument, dass ein Gerechtigkeitsanspruch damit befriedigt wird, ist absurd, weil wir in einem Staat leben, der Leistungen bereithält und nicht Leute „kompensiert“, wenn sie die Leistung nicht nutzen. Wo kämen wir hin, wenn Leute sagten: Ich fahre nicht auf der Autobahn, ich will eine Entschädigung für Nicht-Autobahnnutzung!, oder wenn Nichtschwimmer sagten: Ich brauche eine Entschädigung für Nicht-Benutzung des Schwimmbades! Das ist überhaupt nicht im System vorgesehen. Die „Herdprämie“ ist Unsinn und muss abgelehnt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Es ist schwer umzurechnen, was die „Herdprämie“ in Euro für Schleswig-Holstein bedeuten würde. Wir haben es mit verschiedenen Rechenwegen probiert. Die Summen betragen immer zwischen 35 Millionen und 80 Millionen € jährlich. Ich nehme einmal 50 Millionen €. Wenn wir 50 Millionen € hätten, könnten wir in der frühkindlichen Bildung in diesem Land wirklich einige Probleme lösen.