Protokoll der Sitzung vom 16.11.2011

- Lieber Kollege Koch, es geht doch nicht darum, ob ich irgendwelche Steuermehreinnahmen, egal wie sie entstehen, als „Geschenk“ definiere. Von Ihrer Seite wird immer argumentiert, arme Menschen dürften nicht mehr Geld bekommen und Mädchentreffs dürften nicht unterstützt werden, weil das alles Steuergeld koste und schuldenfinanziert sei. Dann aber laufen Sie draußen umher und verkünden, riesige Summen verteilen zu wollen. Das geht doch nicht! Seien Sie doch einmal konsistent in Ihrer Argumentation!

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn Sie das nicht wollen, wenn Sie nicht den Willen haben, nachhaltig und sozial gerecht zu sparen - dass gespart werden muss, ist unstrittig -, dann haben wir alle in der Politik verloren. Dann werden uns die Bürgerinnen und Bürger unsere Bemühungen nicht abnehmen. Das wäre eine Katastrophe für unser Land.

(Beifall bei SSW - Tobias Koch [CDU]: Darf ich nachfragen?)

- Selbstverständlich.

Das Wort zu einer weiteren Frage erteile ich Herrn Abgeordneten Koch.

Ihre Antwort zeigt, dass noch ein gewisses Verständnisproblem besteht. Wir sprechen hier nicht von Belastungen oder zusätzlichen Ausgaben, sondern davon, dass wir auf zusätzliche Einnahmen, die inflationsbedingt anfallen, verzichten wollen.

Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte eine Frage.

Ich würde Herrn Kollegen Harms gern fragen wollen, ob er mir zustimmt, dass wir nicht von zusätzlichen Belastungen oder Ausgaben sprechen, sondern davon, dass wir auf zusätzliche Einnahmen, die uns allein dadurch zufließen, dass die Bürgerinnen und Bürger von der Inflation betroffen sind und allein deswegen höhere Steuern zahlen müssen, verzichten.

(Christopher Vogt [FDP]: Das versteht Lars Harms nicht!)

Nein, wir verzichten nicht darauf. Ich argumentiere so, wie unser Finanzminister hier im Land Schleswig-Holstein immer argumentiert.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn Sie uns immer entgegenhalten, wir könnten für soziale Zwecke kein Geld ausgeben, weil dafür Schulden aufgenommen werden müssten, dann verlangen wir von Ihnen, dass Sie in Bezug auf Ihre Steuergeschenke genauso argumentieren. Mehr verlangen wir nicht.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Wort erteile ich jetzt dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Formulierung „Kinder abgeben“ ist falsch. Das tut mir leid.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, dass ich gesagt habe: Es tut mir leid. - Das war der falsche Tenor.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt Familien - die Lebenswirklichkeit ist so -, in denen es Doppelverdiener oder Zusatzverdiener gibt beziehungsweise beide arbeiten müssen, um das Familieneinkommen zu erwirtschaften.

(Zurufe von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN: Oder arbeiten wol- len!)

- Gemach, gemach, da mache ich schon einen kleinen Unterschied.

Herr Stegner hat über die Erziehung seiner Kinder gesprochen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Nur, weil Sie mich attackiert haben!)

Herr Stegner, ich habe vielleicht ein etwas anderes Bild, und wenn ich ein anderes Bild habe als Sie, dann ist mir das sehr recht.

Damals, als meine erste Tochter geboren wurde, war ich Student. Ich habe das erste Kind - als Mann - selbst aufgezogen. Das ist nichts Besonderes. Für mich war das selbstverständlich. Meine Frau hat gearbeitet; ich habe mich in dieser Zeit von meinem Studium beurlauben lassen. Das Kind ist von mir aufgezogen worden.

Ich wehre mich dagegen, wenn es, wie es gerade in der Debatte - ich glaube, von den Linken; ich weiß es nicht genau - anklang, heißt: Wir wollen nicht zurück zur Familie; wir wollen eine gute Erziehung in kostenfreien Kindertagesstätten.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Das war Frau Jansen! - Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

- Richtig. Also habe ich das richtig verstanden. Ich habe ein anderes Bild von Familie. Dazu stehe ich und werde das auch weiterhin sagen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich wehre mich dagegen, dass der Eindruck entsteht, in den vielen Familien, die bei uns im Land ihre Kinder, wenn sie ein Jahr, ein halbes Jahr, eineinhalb Jahre oder zwei Jahre alt sind, nicht in die Kindertagesstätten bringen, werde eine schlechte Erziehung gemacht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Bei der Familie Stegner ist keine schlechte Erziehung gemacht worden, bei der Familie Carstensen ist keine schlechte Erziehung gemacht worden. Ich wehre mich dagegen, dass der Eindruck entsteht, dass Kinder in Familien nicht ordentlich erzogen werden können.

(Lebhafter Beifall bei CDU und FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Finanzminister Rainer Wiegard das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich schon, mit wie viel Schaum vorm Mund hier kraftvoll Gesetzentwürfe bekämpft werden, die noch gar nicht auf dem Tisch liegen und die Sachverhalte regeln, die weder in diesem noch im nächsten Jahr, sondern erst im übernächsten und überübernächsten Jahr in Kraft treten.

(Zurufe von der SPD)

Aber man kann ja schon einmal kräftig Schaum herauslassen. Der wird allerdings immer weniger, je näher man die Sachverhalte betrachtet.

Nun hat die Kollegin Heinold gesagt, es sei unsere Aufgabe, Schaden vom Land abzuwenden. Ich will Ihnen nur kurz sagen, dass wir seit sechseinhalb Jahren sehr viel Schaden dadurch von diesem Land abgewendet haben, dass Sie nicht mehr in der Regierung sind. Sie können sich darauf verlassen: Das hat ganz erheblich gewirkt.

Herr Kollege Habeck, Sie haben mich mit den Worten zitiert, wir müssten endlich mit diesem Unsinn aufhören. Ich meine, ich habe sogar „Wahnsinn“ gesagt. Aber ich habe das auf die charakterlose Schuldenpolitik bezogen, die in den letzten 20 Jahren hier in Schleswig-Holstein gemacht worden ist. Diese ist im Wesentlichen von Ihnen zu verantworten.

Wir werden in diesem und im nächsten Jahr wahrscheinlich rund 800 Millionen € mehr einnehmen als noch vor einem Jahr geschätzt. Wir werden in der Zeit der mittelfristigen Finanzplanung bis 2015 gegenüber der Mai-Schätzung etwa 900 Millionen € mehr einnehmen. In diesem Jahr sind es gut 2 Milliarden € mehr, als wir im Jahr 2005 an eigenen Steuereinnahmen hatten. Es sind übrigens auch 2 Milliarden € mehr, als Schleswig-Holstein im Jahr 1996 hatte.

Ich will damit sagen, dass Sie es in den zehn Jahren, in denen Sie hier regiert haben, nicht geschafft haben, das eigene Steueraufkommen SchleswigHolsteins überhaupt zu erhöhen. Zehn Jahre lang keine Weiterentwicklung! Und jetzt stellen Sie sich hier hin und verlangen von uns Aufkommensneutralität, und das bei über 2 Milliarden € höherem Steueraufkommen und in diesem Jahr dem wahrscheinlich höchsten Steueraufkommen, das das Land je gesehen hat, das wir nicht vermutet haben

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

und wofür wir uns alle herzlich bei jenen bedanken, die das erwirtschaftet haben und erwirtschaften werden, nämlich bei den Unternehmen und Arbeitnehmern. Sie haben in der Zeit, in der Sie hier regiert haben, für nichts Aufkommensneutralität dargestellt.

Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich noch einmal: Wenn wir jetzt aufzeigen würden, wir hätten nicht 900 Millionen €, sondern 850 Millionen € Steuermehreinnahmen, dann wäre die Nachricht noch genauso gut wie jetzt; denn es wäre immer noch ein deutliches Mehr.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Grundfreibetrag sichert das Existenzminimum und wird aus Mehraufkommen finanziert. Nur der zarte Einstieg in die Abflachung der kalten Progression, die übrigens von allen Parteien und sehr lautstark und insbesondere von den Grünen verlangt wird, ist die einzige steuerermäßigende Maßnahme, die sich bereits in dem Augenblick, in dem sie in Kraft tritt, selbst finanziert hat, weil sie sich aus dem inflationsbedingten Zuwachs selbst finanziert.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Ich möchte lieber auf die vielen Vorhalte eingehen, die hier von den Rednern in der Zwischenzeit gemacht worden sind.

Hier wird immer dargestellt, dass diejenigen, die wenig verdienen und wenig Steuern zahlen, wenig Entlastung bekommen. Sie reden permanent den Steuererhöhungen bei den hohen Steuersätzen das Wort. Meine Damen und Herren, nehmen Sie zur Kenntnis: Die oberen 10 % der Einkommensteuerzahler tragen 50 % zum Steueraufkommen bei, die oberen 20 % tragen 70 % zum Steueraufkommen bei. Ich glaube schon, dass dies eine Umverteilung ist, die gerecht ist und die auch angemessen ist, die aber von Zeit zu Zeit auch einer Nachbesserung bedarf. Deshalb, glaube ich, sind diese beiden Maßnahmen richtig und besonders wichtig. Und wenn der Bund von den etwa 6 Milliarden € - wir wissen es ja noch nicht genau; das muss der Gesetzentwurf erst ergeben - 4 Milliarden € trägt, so ist das eine ordentliche und gerechte Verteilung der Mittel.

Ich will noch einen Satz zu den, wie ich finde, diffamierenden Begriffen wie „Fernhalteprämie“ und „Herdprämie“ sagen.