Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tagung ist wieder eröffnet. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich.

Als erkrankt darf ich die Abgeordneten Hartmut Hamerich, Ranka Prante und Silke Hinrichsen melden. Wir wünschen ihnen von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Abgemeldet für heute Nachmittag und beurlaubt sind die Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski und Luise Amtsberg.

Wir haben ein Geburtstagskind unter uns. Wir gratulieren ganz herzlich Herrn Abgeordneten Dr. Michael von Abercron.

(Beifall)

Auf der Zuschauertribüne begrüße ich die Stadtpräsidentin der Landeshauptstadt Kiel, Frau Cathy Kietzer,

(Beifall)

den Bundestagsabgeordneten Dr. Bartels und Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf, der gemeinsam mit den Tagesordnungspunkten 29, 41, 42 und 46 beraten wird:

Gemeinsame Beratung

a) Regierungserklärung zur Bundeswehrstrukturreform

b) Schnelle Kompensation von Standortschließungen in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1940

c) Von der Bundeswehrreform betroffene Beschäftigte und Standorte aktiv unterstützen

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1973

d) Konsequenzen aus der Bundeswehrstrukturreform

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1974

Änderungsantrag der Fraktion des SSW Drucksache 17/2013

e) Konversion von Bundeswehrstandorten als Entwicklungschance für Kommunen

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1978

Das Wort für die Regierungserklärung erteile ich dem Ministerpräsidenten des Landes SchleswigHolstein, Herrn Peter Harry Carstensen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der 26. Oktober brachte bittere Nachrichten für viele Menschen in unserem Land. Seit den Standortentscheidungen von Bundesverteidigungsminister de Maizière ist klar: Die Strukturreform der Bundeswehr wird im Land zum Teil tiefe Spuren hinterlassen.

Während Soldaten darauf eingestellt sind, den Standort häufiger zu wechseln, sind die zivilen Mitarbeiter und deren Familien deutlich härter betroffen. Genauso wie Bürgermeister und Einwohner sind sie daher enttäuscht. Sie haben für ihre Standorte geworben, sie haben gekämpft und gehofft bis zuletzt.

Bis zuletzt hatte auch das Verteidigungsministerium an der endgültigen Liste gearbeitet, und bis zuletzt haben auch wir unsere Argumente in Berlin vorgetragen. In unzähligen Gesprächen und Schreiben haben wir uns dafür eingesetzt, die schleswigholsteinischen Standorte so weit wie möglich zu erhalten. Wir haben auf unsere besondere Gefahrenlage als Küstenland hingewiesen und die zivil-militärische Zusammenarbeit im Katastrophenschutz betont. Immer wieder machten wir deutlich: Bedenkt bei eurer Entscheidung, dass Schleswig-Holstein noch immer an den besonders harten Standortentscheidungen der Vergangenheit zu knapsen hat. Von 1990 bis 2017 reduziert sich in SchleswigHolstein die Zahl der Dienstposten von circa 86.000 auf nur noch 15.300. Das ist etwa so viel wie Norderstedt Einwohner hat. Was für ein Kraftakt für unser kleines Land!

Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 63. Sitzung - Donnerstag, 17. November 2011 5395

Für die Standorte Husum, Heide, Jagel, Eckernförde, Plön, Eutin und Appen hat sich der Einsatz ausgezahlt; die Standorte bleiben erhalten und werden zum Teil sogar gestärkt. Damit will ich überhaupt nicht relativieren, mit welcher Härte es unser Land auch diesmal wieder getroffen hat. Wir sind massiv betroffen. Wir haben nicht alle Standorte retten können. Allerdings hat das mit Blick auf die höchste Dienstpostendichte aller Länder niemand ernsthaft erwarten können.

Was allerdings einige Standortentscheidungen betrifft, gebe ich ganz offen zu: Auch für mich sind nicht alle Entscheidungen so begreifbar und nachvollziehbar, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass es betriebswirtschaftlich günstiger sein soll, jedes Schiff, das repariert werden muss, durch den Nord-OstseeKanal in einen niedersächsischen Hafen zu verbringen, wenn wir das Arsenal hier vor der Küste haben.

(Beifall bei SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)

Der SPD-Antrag mag daher manchem vor Ort aus der Seele sprechen. Auch ich kann gut die Forderung verstehen, das Bundesverteidigungsministerium möge seine Entscheidungsgrundlagen offen darlegen. Ich sage Ihnen nur schon heute voraus: Im Zweifel wird man für alles eine Begründung finden, und zwar eine militärische Begründung. Den betroffenen Kommunen hilft das letztlich nicht.

Die Lage, mit der wir jetzt umgehen müssen, ist folgende: Der Verteidigungsminister hat klargestellt, dass der 26. Oktober für alle von ihm genannten Standorte eine abschließende Entscheidung gebracht hat. Ob Bayern, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein - die Entscheidungen sind getroffen worden und stehen fest. Der Bundverteidigungsminister wird für niemanden das Paket aufschnüren. Das ist für alle Betroffenen bitter, gar keine Frage.

Jetzt heißt es, mit den Folgen dieser sicherheitspolitisch gebotenen Bundeswehrreform umzugehen. Für das ebenfalls von harten Einschnitten betroffene Rheinland-Pfalz hat mein Kollege Kurt Beck sinngemäß gesagt: Ich kann eine Politik, die im Prinzip richtig ist, nicht prinzipiell ablehnen. - Damit hat er recht. Schleswig-Holstein wird von den Folgen nicht auf dem falschen Fuß erwischt. Es ist nicht unser erster Abbau, nicht unser erster Aderlass, nicht unsere erste Konversion, mit der wir es zu tun haben. Schon in der Vergangenheit sind in Schleswig-Holstein große Brocken eingeschlagen.

Denken Sie nur an das MFG II in Eggebek-Tarp oder die Marineversorgungsschule in List. Unter den Verteidigungsministern - SPD-Verteidigungsministern! - Scharping und Struck musste Schleswig-Holstein den Abbau von 28.000 Dienstposten verkraften.

Deshalb ist es auch für dieses Hohe Haus nicht die erste Konversionsdebatte. Der Landtag hat sich zuletzt 2004 mit dem Truppenabbau befasst. Damals betonte Ministerpräsidentin Heide Simonis, wie sehr sich die Landesregierung bei SPD-Verteidigungsminister Struck eingesetzt hat. Dafür bekam sie von der Opposition, also auch von meiner Partei, zu hören, die Landesregierung habe wieder einmal nicht genug getan, sie habe kein Gewicht in Berlin, sie werde nicht gehört. Dieses Argumentationsmuster kommt mir also bekannt vor.

Selbstverständlich können wir die heutige Debatte so führen wie vor sieben Jahren, nur dieses Mal mit vertauschten Rollen. Wir können uns und den Menschen im Land aber auch diese Debatte ersparen; denn nachkarten und Vorhaltungen bringen niemanden weiter.

(Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Der hat Hu- mor!)

- Das ist ja das, was uns unterscheidet, Herr Stegner.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei CDU und FDP)

Was wir jetzt brauchen, ist vielmehr der Blick nach vorn. Wir brauchen den Schulterschluss des Parlaments mit den betroffenen Kommunen. Nur dann werden wir den Konversionsprozess meistern.

Die Anträge von CDU und FDP und auch von den Grünen sind eine gute Grundlage; sie sind konstruktiv und nach vorn gerichtet. Der Kollege Dr. Habeck hat in einer Pressemitteilung gesagt: So steinig der Weg heute aussieht - wir sollten ihn gemeinsam und energisch angehen. Recht hat er. Genau das muss unser gemeinsames Vorgehen sein. Die betroffenen Kommunen haben einen Anspruch darauf.

Jeder beschwerliche Weg fällt leichter, wenn die Wandernden den wuchtigen Rucksack abwechselnd schultern. Der Konversionsrucksack ist kein leichtes Marschgepäck, das man den ganzen Weg über allein tragen könnte. Der Rucksack ist derart schwer, dass wir den Weg kaum schaffen, wenn sich nur Land und Kommunen beim Schleppen abwechseln. Der Bund muss hier als Dritter mitmarschieren.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Er hat die Marschroute bestimmt; auch er muss die Last ein gutes Stück mittragen. Anders geht das nicht.

Auch aus diesem Grund habe ich mich in der vergangenen Woche mit den Bürgermeistern aller betroffenen Städte und Gemeinden zusammengesetzt. Es war ein ausgesprochen gutes Gespräch, bei dem wir uns einig waren: Land und Kommunen müssen Seite an Seite in den Konversionsmarathon starten und dabei auch den Bund in die Pflicht nehmen. Für das Land habe ich den Bürgermeistern zugesagt: Wir lassen euch nicht allein; das Land steht an eurer Seite, und wir tragen mit euch die schwere Konversionslast. Ihr bekommt von uns konkrete Hilfe, und wir arbeiten an einer politischen Lösung. - Das sind die zentralen Botschaften.

Mir geht es darum, dass wir möglichst schnell aus der Schockstarre herauskommen. Deshalb hat die Landesregierung auch umgehend einen „Aktionsplan Konversion“ aufgelegt. Schon einen Tag nach Bekanntgabe haben die Länder unter unserer Federführung den Bund zu Kompensationsleistungen aufgefordert. Die Ministerpräsidenten der Länder waren sich auf ihrer Konferenz in Lübeck einig: Der Bund muss die betroffenen Kommunen bei der Konversion unterstützen, er muss für die Zivilbeschäftigten sozialverträgliche Lösungen finden, und die Liegenschaften müssen verbilligt und frei von Altlasten abgegeben werden, nicht nur - so haben wir gesagt - an Kommunen, sondern wenn Bedarf besteht und es notwendig ist, auch an das Land und private Investoren.

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Botschaft aller Ministerpräsidenten war deutlich: Der Bund muss mit ran.

Meine Damen und Herren, wir stehen noch ganz am Anfang des Kraftakts, der sich Konversion nennt. Zu diesem Zeitpunkt sind mehr Fragen offen, als beantwortet sind. Noch ist für keinen Standort klar: Wie lange bleibt er uns in dem Zeitraum bis 2017 erhalten? In welchen Schritten vollzieht sich der Abbau oder die Schließung? Bei den komplexen Standorten wie zum Beispiel in Kiel ist auch noch unklar: Welcher Bereich ist nun genau von welchen Plänen betroffen? Das ist momentan noch alles völlig offen.

Genau das ist es, was den Bürgermeistern derzeit am meisten zu schaffen macht. Nicht nur Tausende