Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen die Restredezeiten der Fraktionen mit: Der SDP-Fraktion stehen noch drei Minuten, der CDU-Fraktion noch acht Minuten, der FDP-Fraktion noch acht Minuten, den Grünen noch fünf Minuten, der Fraktion DIE LINKE noch fünf Minuten und dem SSW noch fünf Minuten zur Verfügung.

Mir liegen erste Wortmeldungen vor. Für die SPDFraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Beran das Wort. Dies ist eine Wortmeldung im Rahmen der verbleibenden regulären Redezeit von drei Minuten.

Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns an dieser Stelle einmal ein Problem heranzoomen und uns am Beispiel der Gemeinde Boostedt einmal

(Anke Spoorendonk)

genauer anschauen, wie es ist, wenn eine Gemeinde so hart getroffen wird.

Boostedt ist eine Gemeinde, die nicht im Norden dieses Landes, sondern im Süden dieses Landes liegt, woran man erkennen kann, dass nicht nur der Norden, sondern dass auch der Süden betroffen ist. 1.820 Soldaten werden dort abgezogen; ganze 40 bleiben für das Munitionsdepot. Etwa 220 Soldaten davon haben ihren Lebensmittelpunkt in Boostedt. Rechnet man nach der Statistik die Familienmitglieder hinzu, so wird Boostedt ungefähr 10 % seiner Einwohnerschaft verlieren.

(Abg. Rolf Fischer [SPD]: 10 %?)

- 10 %. Ich finde, das muss man noch einmal unterstreichen. Das trifft natürlich eine solche Gemeinde schwer.

Das Bundeswehrgelände ist ca. 5,5 ha groß, fast so groß wie das gesamte Ortsgebiet. Daran kann man die Dimension sehen und erkennen, was es für Boostedt ausmacht, wenn die Soldaten spätestens 2014 oder 2015 abgezogen sein werden. Mit der Schließung des Standorts Boostedt wird der Kreis Segeberg praktisch ohne stationierte Soldaten sein. Das ist eine wichtige Information, die man sich näher anschauen sollte. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Gemeinde und darüber hinaus, wenn ich zum Beispiel an unseren nächsten Tagesordnungspunkt denke, der sich mit dem Katastrophenschutz auseinandersetzt. Für die Gemeinde bedeutet dies weniger Eigenbedarf an Kindergärten, an Schulplätzen. Sport- und andere Vereine verlieren Mitglieder, die Nachfrage im Handel wird sinken, es kommt zu geringeren Steuereinnahmen und so weiter. Ich glaube, ich muss das nicht alles einzeln aufführen. Jeder hier ist irgendwie in seine Heimatgemeinde eingebunden und kennt diese Problematik.

Mit dieser Problematik kann die Gemeinde Boostedt nicht allein gelassen werden. Ich bin froh darüber, auch aus der Richtung der Regierung deutliche Signale zu hören, dass die Gemeinden entsprechend unterstützt werden sollen. Die Sozialdemokraten vor Ort fordern einen Runden Tisch „Boostedt nach der Bundeswehr“. Sie fordern, dass daran außer den örtlichen Institutionen auch die Nachbargemeinden, das Land und auch der Bund teilnehmen sollen. Sie wollen einen öffentlichen Dialog über die Zukunft Boostedts ohne Bundeswehr. Es geht auch darum, eine möglichst zügige Nachfolgenutzung für das Bundeswehrgelände zu erreichen, denn es gibt Negativbeispiele im Kreis Segeberg, so zum Beispiel den alten Standort Bad Segeberg, bei dem es sich unglaublich lang hingezogen

hat, bis dort etwas Neues entstehen konnte. Ich glaube, dort ist man immer noch nicht so weit.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich fordere alle Verantwortlichen auf, sich daran zu beteiligen, die Zukunft von Boostedt auch ohne Bundeswehr mit zu gestalten.

(Beifall bei SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, im Rahmen der Restredezeit im angemeldeten Bereich erteile ich jetzt für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gehört, dass offensichtlich im Frühjahr die Feinsteuerung vonstatten gehen soll. Sie ist in vielen Orten sicherlich auch ein weiterer wertvoller Begleiter. Aber ich denke, wir müssen uns damit beschäftigen, dass wir unterschiedliche Geschwindigkeiten der Standortschließungen bekommen werden. Ich höre aus Lütjenburg, dass dort im Frühjahr Schluss sein könnte. Wir wissen, dass dort schon seit einem Jahr erhebliche Kapazitäten abgezogen werden. Insoweit wird uns die Zäsur dort schon in einigen Monaten ereilen. Deswegen halte ich es für meine Aufgabe, hier in diesem Haus auf diese Information aufmerksam zu machen, weil sie natürlich Folgerungen nach sich ziehen muss.

Das gilt auch mit Blick auf die regionalen Besonderheiten. Die Kaserne Lütjenburg liegt mitten in der Stadt, nicht irgendwo draußen, die Gemeinde hat hohe negative Arbeitsmarktzahlen zu verzeichnen, in der Region besteht eine große Strukturschwäche. Dort gibt es noch nicht einmal eine gute Notarztversorgung.

Warum erwähne ich dies? - Weil eine solche Region natürlich vereinsamt, weil sich eine solche Region die Frage stellt: Werden wir abgekoppelt? Darüber müssen wir miteinander sprechen, denn über diese Frage des Vertrauens zu sprechen, ist die erste Krisenbewältigung in einer solchen Situation.

Das möchte ich hier zum Ausdruck bringen, und ich möchte auch das Marinearsenal in Kiel ansprechen. Ich hätte fast gesagt: Das ist ein Hammer, und man kann es überhaupt nicht glauben, dass es dazu gekommen ist. Das berührt übrigens auch unsere Region in recht starkem Maße, weil viele, die dort arbeiten, aus unserer Region kommen.

(Andreas Beran)

Die Frage des Vertrauens muss auch noch aus einer anderen Sichtweise heraus angesprochen werden. Im Jahr 2004 wurde Lütjenburg gestärkt. Dort gab es viele Hoffnungen und Erwartungen. Es hat mit Parteipolitik gar nichts zu tun, dass sich die Leute heute fragen: Warum trifft es uns so stark? Warum trifft es Schleswig-Holstein so stark? - Damit beschäftigen sich die Menschen. Dies anzusprechen, muss in einem Parlament nicht nur gestattet sein, sondern es ist notwendig.

Daher lassen Sie mich abschließend zwei Dinge sagen: Erstens. Ich denke, wir müssen als Parlament sehr stark an unsere Bundestagskollegen aus Schleswig-Holstein appellieren, sich in dieser Frage mit hohem Nachdruck zu engagieren und sich dafür einzusetzen. Ich glaube, das ist etwas, was nicht nur die Landesregierung leisten kann. Hier müssen sich auch unsere Bundestagskollegen entsprechend massiv einsetzen. Zweitens gibt es offensichtlich unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Frage, wo etwas konkret zu tun ist. Drittens. Konversion ist kein Zauberwort. Wir haben im Land Liegenschaften, die noch nicht einmal veräußert werden konnten. Ich habe den Herrn Ministerpräsidenten so verstanden, dass wir auch bei begrenzten Landesmitteln darüber sprechen können, wenn es vernünftige Lösungen gibt. Ich glaube, das ist notwendig, denn es ist hier geboten, dass Land, Bund, Kommunen und private Investoren Hand in Hand bei den Liegenschaften arbeiten.

(Beifall bei CDU und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Tietze das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal aus der Perspektive eines regionalen Abgeordneten die Landesregierung an dieser Stelle ausdrücklich dafür loben, dass das Spezialpionierbataillon in Husum geblieben ist. Wir haben das Thema Katastrophenschutz schon angesprochen. Ich stelle auch in den Gesprächen mit den Verantwortlichen vor Ort immer wieder fest, dass wir im Katastrophenschutz immer weniger Indianer und immer mehr Häuptlinge haben. Im Fall einer Katastrophe ist das Problem tatsächlich, dass die Westküste auf die militärisch-zivile Zusammenarbeit angewiesen ist. Insofern ist es für die Westküste, für die Inseln und auch für Schles

wig-Holstein gut, dass wir diesen Erfolg erringen konnten.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Zweitens. In der Frage des Instrumentenkoffers ist der Aktionsplan angesprochen worden. Da gibt es wenig Neues, aber es ist ein guter Instrumentenkoffer, das muss man einmal sagen. Liebe Antje Jansen, das ist nicht nur heiße Luft. Es geht jetzt darum, wie diese Instrumente eingesetzt werden. Aus meiner Erfahrung als Sylter darf ich hier sagen: Wir haben große Probleme. Der Bund ist auf der Insel als der schlimmste Spekulant aufgetreten, den wir uns vorstellen konnten.

(Beifall beim SSW)

Der Bund hat verhindert, dass es eine sinnvolle Nachnutzung gibt. Wenn man nur einmal die Idee geäußert hatte, dass es eine sinnvolle Nachnutzung geben könnte, ging der Immobilienpreis in die Höhe. Der Bund hat sich auch durch seine Haushaltspolitiker so verhalten und gesagt: Wir wollen dieses Geld haben, wir haben kein Geld im Staatssäckel. Wir wollen das Geld erhalten, das auf dem Markt zu erzielen ist. Man hat sich überhaupt nicht darum gekümmert, was das für die Bevölkerung bedeutet. Das ist falsch. Herr Ministerpräsident, ich kann mir nur sehr wünschen, dass Sie diese Richtung im Bund korrigieren, denn wir alle wissen, wie diese Grundstücke auf der Insel historisch zum Bund gekommen sind.

Drittens. Kollege Habeck hat es schon angesprochen: Wir wollen der Konversion eine grüne Richtung geben. Das ist natürlich hoch komplex. Wir haben hier aber eine Chance. Herr de Jager, wir reden über Stromnetze. Wir reden über die Frage, wie wir die Energiewende hinbekommen. Warum können wir Standorte, die jetzt frei werden, nicht tatsächlich als Prototypen für dezentrale Energieversorgung, für neues Bauen oder für Passivhäuser nutzen? - Wir haben unser grünes BIP daraufhin abgeprüft. Wir wollen der Konversion tatsächlich eine grüne Richtung geben, aber auch hier muss man sehr differenziert danach schauen, was geht und was nicht geht.

Viertens. Lassen Sie mich von meinen persönlichen Besuchen berichten. Es wurde hier gesagt, wir sollten auch einmal zoomen. Ich war in Seeth und habe mir die Lage dort angeschaut, Herr Ministerpräsident. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Kurz vor einer Bundeswehrstrukturreform wurde noch ein medizinisches Versorgungszentrum aufgebaut. Ich habe mir das angeschaut. Mehrere Millionen

(Werner Kalinka)

6 oder 7 Millionen € - wurden dort verbaut. Das ist jetzt eine Ruine. Dort sollte ein Operationszentrum entstehen. Ich habe den Kommandeur gefragt: Was passiert jetzt mit diesem Gebäude? - Er sagte: Das weiß ich auch nicht. Es gibt im Ministerium eine Prüfung dahin gehend, ob es betriebswirtschaftlich sinnvoller sei, es im fast fertigen Zustand als Bauruine dahinvegetieren zu lassen, oder es doch noch zu Ende zu bauen. Man sei sich da aber nicht sicher. Ich sage es ganz deutlich: Wenn man einen Standort so herunterwirtschaftet, dann ist die Verantwortlichkeit klar. Herr von Guttenberg hat angefangen, die Bundeswehrreform auf den Weg zu bringen. Man hätte doch sagen können: Bevor man diese Reform diskutiert, stoppt man solche Bauten. Das ist eine Verschwendung von Steuergeldern! Ich habe dafür kein Verständnis.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der LINKEN)

Dies sage ich gerade in Anbetracht der Tatsache, dass wir hier im Haus die Schuldenbremse diskutieren. Ich sage es auch in Anbetracht dessen, was wir der Bevölkerung in der Folge der Einhaltung der Schuldenbremse zumuten.

Wie sieht Konversion denn aus? - Wenn Ihre Task Force jetzt von Ihnen auf den Weg geschickt wird und arbeitet, dann würde ich mir wünschen, dass das Werkstück Seeth in der Werkbank steckt und dass man sagt, wie man dem Ort helfen kann. Dort gibt es 500 Einwohner. 720 Stellen sind weggefallen. Wir haben mit dem Bürgermeister dort gesprochen. Er sagte, das sei für diesen Ort ein Tsunami. Es gibt natürlich sehr schöne Konversionsgrundstücke und -flächen, die man schnell und mit Erfolg auf dem Markt platzieren kann. Gerade aber in den schwächeren Regionen sind die Kunst und die Solidarität der schleswig-holsteinischen Politik gefragt.

Ich weiß, dass das schwer ist. Man kann nicht das Blaue vom Himmel versprechen, aber man muss sich dieser Aufgabe stellen. Gerade Nordfriesland ist als Standort der erneuerbaren Energien und als Innovations- und Messestandort von Bedeutung. Wir haben sehr dafür gekämpft. Man muss jetzt ein Gesamtkonzept für die erneuerbaren Energien und für eine grüne nachhaltige Wirtschaft erstellen. Ich hätte Spaß daran, daran mitzuarbeiten. Meine Fraktion und ich, wir möchten uns hier konstruktiv einbringen. Das fände ich richtig. Es ist schwer, aber das wäre eine strategische Richtung, die man einhalten kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt beim SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Konversion birgt unglaubliche Chancen für die einzelnen betroffenen Kommunen. Voraussetzung dafür ist, man fängt an anzupacken und legt seine Jammermentalität ab. Das sage ich vor allen Dingen in die Richtung der SPD.

(Lachen bei der SPD)

Wer noch Demonstrationen unterstützt, obwohl bereits alles entschieden ist, der handelt verantwortungslos. Die Energie sollte lieber für die Ideenfindung zur Schaffung ziviler Arbeitsplätze genutzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles andere gefährdet die Zukunft der zivilen Angestellten, die nun auf einen anderen Arbeitsplatz angewiesen sind. Nun ist Vorausschauen angesagt. Das Marinearsenal in Kiel liegt zum Beispiel direkt am Wasser und hat phänomenale Entwicklungsmöglichkeiten. Die Wartung von zivilen Schiffen wäre nur eine Möglichkeit, um das Gelände gewinnbringend zu nutzen. Eine andere Möglichkeit wäre der Ausbau eines Handelshafens, da Kiel bisher eher als Kreuzfahrerhafen bekannt ist. Ein Teil der Fläche sollte auf jeden Fall für alle Kielerinnen und Kieler zugänglich werden. Über einen freien Zugang zum Wasser würde sich das gesamte Kieler Ostufer freuen.

Auch die Konversionsobjekte auf dem Land haben durchaus Entwicklungschancen. Ich möchte diese am Beispiel Demen in Mecklenburg-Vorpommern deutlich machen. In Demen ging zwar die Einwohnerzahl nach dem Weggang der Bundeswehr von 1.960 auf 1.018 zurück, gleichzeitig aber stiegen die Gewerbesteuereinnahmen von 44.000 € auf 300.000 €, und die Arbeitslosigkeit halbierte sich von 12 auf 6 %. Man hatte sich früh Gedanken gemacht, und es gab schon vor dem Abzug die Zusage, auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände ein Bioenergiezentrum anzusiedeln. Das zeigt, wie es funktionieren kann.

(Beifall bei der LINKEN)

(Dr. Andreas Tietze)

Der Truppenabbau ist unserer Meinung nach vor allem eine Chance für Schleswig-Holstein. Der Rückzug aus der Fläche ist auch ein Gewinn für die vielen Menschen in Schleswig-Holstein, die unangenehm davon berührt sind, tagtäglich Menschen in Bundeswehruniformen zu begegnen.

Finanzieren ließen sich die Konversionsprojekte sehr simpel. Statt Geld in Aufrüstung und Hightech-Waffen zu investieren, sollte das eingesparte Geld lieber den nun betroffenen Kommen zugutekommen. Eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee lehnt DIE LINKE ab.

(Beifall bei der LINKEN)