Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich zunächst dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Jost de Jager, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne den öffentlichen Personennahverkehr funktioniert unsere Gesellschaft nicht. Der öffentliche Personennahverkehr ist ein System, das gut funktionieren und - es ist ja Zweck dieser Debatte, darauf hinzuweisen - für alle da sein muss - auch für die Menschen mit Behinderung oder Menschen, die sonstwie in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Ich danke den Antragstellern, dass sie dieses wichtige Thema zur Sprache bringen, und möchte zunächst auf den dem Bericht der Landesregierung zugrundeliegenden Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingehen. Unser Bericht zur Barrierefreiheit liegt Ih
Es geht darum, dass Menschen mit Behinderung selbstständig und selbstbestimmt mit dem ÖPNV von A nach B fahren können. Das bedeutet: Sie sollen an die Informationen über den Fahrplan und den Betrieb kommen, sie sollen dorthin gelangen, wo das Fahrzeug tatsächlich abfährt, sie sollen in das Fahrzeug hineinkommen, und sie sollen sich im Fahrzeug vernünftig aufhalten können. Das bedeutet konkret: Die Fahrscheinautomaten müssen vom Rollstuhl aus zu bedienen sein, man braucht Rampen und Fahrstühle, die Bahnsteige müssen hoch genug und die Fahrzeugeinstiege niedrig genug sein, und die Fahrzeuge müssen Platz für Rollstühle bieten.
Das ist eine riesige Aufgabe, die nicht von heute auf morgen zu 100 % zu erfüllen ist. Deshalb geht der Gesetzgeber von einer Daueraufgabe aus, zumal die Standards und Normen immer weiter steigen. Die Eisenbahnbau und -betriebsordnung sowie das Personenbeförderungsgesetz schreiben vor, dass eine möglichst weitreichende barrierefreie Nutzung angestrebt werden muss. Die Landesregierung arbeitet nach Kräften daran. Wenn wir im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs Aufträge ausschreiben oder vergeben, oder wenn wir eine Konzession erteilen, verlangen wir Barrierefreiheit. Dadurch ist schon viel erreicht worden. In Schleswig-Holstein können sich Reisende an der Hälfte aller der rund 170 Bahnstationen ohne Hilfe bewegen; bis Ende 2014 kommen weitere zehn Stationen hinzu.
Auch in den Jahren danach müssen die Anstrengungen weitergehen, bis die flächendeckende Barrierefreiheit in Schleswig-Holstein erreicht sein wird. Das gilt auch für den Busverkehr, für den die Kommunen zuständig sind, und für die barrierefreie Verknüpfung der einzelnen Verkehrssysteme Bahn, Bus, Pkw, Fuß und Rad. Hier arbeiten wir bei den entsprechenden Ausbauvorhaben mit den Kommunen zusammen, um Lösungen aus einem Guss realisieren zu können.
Ein Beispiel dafür sind die umfangreichen Baumaßnahmen beim Umbau des Bahnhofs in Heide. Hier wird der Busbahnhof an den Eisenbahnbahnhof verlegt, und der Zugang zum Bahnhof wird städtebaulich deutlich vereinfacht.
Was die Novellierung des Personenbeförderungsrechts betrifft, nach der der SSW gefragt hat, ist Folgendes zu sagen: Sie ist seit Jahren überfällig, vor allem im Hinblick auf das europäische Recht, und nun aber auch endlich unterwegs. Der
vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes ist im September dieses Jahres im Bundesrat behandelt worden. Dort hat die Mehrheit umfangreiche Änderungen gefordert. Nun warten wir auf die Gegenäußerung der Bundesregierung. Wann das Gesetz fertig sein wird, lässt sich zurzeit nicht sagen. Für uns in Schleswig-Holstein ist wichtig, dass unser erfolgreicher Weg, ÖPNV effizient zu organisieren, nicht gestört wird. Die Fahrgastrechte beispielsweise sind in Schleswig-Holstein einheitlich geregelt.
Unabhängig von der Novelle können Landkreise und kreisfreie Städte schon heute, wie es der SSW fordert, im Rahmen eines regionalen Nahverkehrsplans Umwelt- und Sozialstandards berücksichtigen. Daran hindert sie niemand - höchstens die Knappheit öffentlicher Mittel. Auch darauf muss man hinweisen. Das Thema Direktvergabe und Interessenbekundungsverfahren ist meines Erachtens im Einzelfall zu klären und im Rahmen des Wettbewerbsrechts auch ohne Personenbeförderungsgesetz zu lösen.
Zum Schluss noch zwei Sätze zum Thema Liberalisierung der Fernbusverkehre! Stichwort Wettbewerb: Wir gehen nicht davon aus, dass Fernbuslinien unseren Nahverkehr negativ beeinflussen. In eher zentral gelegenen Flächenländern mag die Furcht vor Rosinenpickerei zulasten des Nahverkehrs begründet sein, bei uns aber nicht. Stichwort Barrierefreiheit: Fernbusse unterliegen im Personenbeförderungsrecht den gleichen Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit wie Nahverkehrsbusse. Was dazu zu sagen ist, habe ich vorhin gesagt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat am 3. August 2011 den von Bundesverkehrsminister Ramsauer vorgelegten Entwurf zur Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes beschlossen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. September 2011 den Regierungsentwurf zurückgewiesen. Im Herbst 2010 war im Bund-Länder-Fachausschuss Personenverkehr
ein Kompromiss zur Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes erzielt worden, der mehrheitlich von den Ländern unterstützt worden war.
Mit dem Regierungsentwurf von Minister Ramsauer wurde seitens des Bundes in wesentlichen Punkten von diesem Kompromiss abgewichen, indem er vornehmlich an den Interessen eigenwirtschaftlicher Betreiber ausgerichtet wurde. Der von den Ländern Brandenburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bremen ausgearbeitete eigenständige Gesetzentwurf fand im Bundesrat keine Mehrheit. Allerdings wurden die meisten Änderungsvorschläge aus diesem Gesetzentwurf durch angenommene Einzelanträge übernommen, da auch CDU-geführte Bundesländer - wie das Land Hessen - diesem zugestimmt haben. Der Gesetzentwurf ist parallel auch von den Bundestagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Bundestag eingebracht worden, sodass er im Verfahren bleibt.
Der Kompromisscharakter der Änderungen liegt darin, dass weitergehende Änderungsansätze, die vorsahen, dass auch eigenwirtschaftliche Genehmigungen vollständig den Anforderungen des neuen EU-Rechts - Verordnung 1370/2007 - unterworfen werden müssen, nicht aufgegriffen wurden. Diese Änderungswünsche kamen von einigen Bundesländern, von den Gewerkschaften sowie von den kommunalen Spitzenverbänden.
Der Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre, den die Regierungsfraktionen im Bund in ihrer Koalitionsvereinbarung postuliert haben, wird von uns grundsätzlich nicht infrage gestellt. Gleichzeitig wird jedoch in den Beschlüssen des Bundesrats abgesichert, dass dieser Vorrang nicht absolut gilt, sondern dass bei Umfang und Qualität des Angebots immer das als Maßstab gilt, was die kommunalen Aufgabenträger mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren bereit sind. Wer bestellt, darf berechtigterweise ansagen, wie groß der Umfang der Bestellung ist. Nur so wird gewährleistet, dass die kommunalen Aufgabenträger ein dem öffentlichen Interesse entsprechendes Verkehrsangebot gewährleisten können. Die Kommunen als Aufgabenträger werden so gestärkt.
Es wäre grundfalsch, wenn Verkehrsminister Ramsauer unter dem Druck einzelner Lobbygruppen die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes fallen ließe. Die Bundesregierung ist vielmehr aufgefordert, mit den Ländern eine Einigung zu erzielen, die zwar - das sei zugegeben - von allen Beteiligten Zugeständnisse erfordert, aber eine langfristige Planungsgrundlage gewährleistet und - das ist
Besonders erfreulich ist, dass der Bundesrat fordert, den gesamten öffentlichen Verkehr in den nächsten Jahren komplett barrierefrei zu gestalten. Das entspricht dem Antrag, der von unserer Fraktion gestellt worden ist. Inklusion und Barrierefreiheit das ist auch im ÖPNV ein wichtiges strategisches Ziel.
Davon profitieren nicht nur mobilitätseingeschränkte Personen, sondern letztlich alle, die nicht mehr gut zu Fuß sind oder mit Kinderwagen, Fahrrad oder schwerem Gepäck unterwegs sind.
Auch der öffentliche Verkehr muss sich den Herausforderungen des demografischen Wandels stellen. Wir alle wissen: Die Zahl älterer Kunden, die mit dem Rollator den Bus betreten, nimmt zu. Auch für sie muss ein sicherer Einstieg gewährleistet sein.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der uns als grüner Fraktion sehr wichtig ist: Der Bundesrat fordert zudem, dass die Aufgabenträger auch die Umweltqualität definieren können, die in der Regel in Nahverkehrsplänen festgelegt ist. Umweltgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit kommen hier zusammen. Das ist sicher sinnvoll. Es wird vor allem dafür sorgen, dass im Busbereich schnellere Fahrzeuge zum Einsatz kommen und moderne Umweltstandards eingehalten werden.
Die im Regierungsentwurf vorgesehene Marktöffnung im Fernbusverkehr wird auch von den Ländern grundsätzlich befürwortet. Mehr Menschen im Bus - das bedeutet auch eine bessere CO2-Bilanz. Es bedarf allerdings flankierender Maßnahmen, um die Übereinstimmung mit den öffentlichen Interessen abzusichern. Dies betrifft aus unserer Sicht vor allem den Schutz bestellter Eisenbahnverkehre, die Etablierung von betreiberneutralen Informationsund Vertriebsmöglichkeiten, die Ausweitung der Fahrgastrechte sowie die Einbeziehung des Busses in die Mautpflicht nach dem Bundesfernstraßenmautgesetz. Für Letzteres fand sich allerdings im Bundesrat keine Mehrheit.
Fazit für meine Fraktion: Die Landesregierung von Schleswig-Holstein sollte Abstand nehmen von ihrer Nibelungentreue zur Bundesregierung. Tragen
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben schon viel von Barrierefreiheit gehört; ich glaube, alle haben sich dieses Ziel auf die politische Agenda gesetzt. Nun geht es darum, dieses Ziel nicht nur anzusprechen, sondern auch konkret weiterverfolgen. Bislang scheitert Barrierefreiheit oft an der mangelnden gesetzlichen Grundlage. Genau das wollen wir ändern.
Derzeit befindet sich auf Bundesebene das Personenbeförderungsgesetz in der Beratung. Genau hier wollen wir ansetzen, damit das Ziel der Barrierefreiheit in das Gesetz aufgenommen wird.
Im Rahmen der Beratungen über das Gesetz im Bundesrat spielte unter anderem die Verbindlichkeit des Nahverkehrsplans eine Rolle. Handelt es sich also bei den Zielvorstellungen und Lösungsschritten, die im Nahverkehrsplan beschrieben sind, nur um unverbindliche Vorschläge, oder sollen diese wesentlich verbindlicher werden?
Unser Landesweiter Nahverkehrsplan ist derzeit in Vorbereitung. Es wird angestrebt, diesen bis Ende 2012 zu beschließen. Er wird dann von 2013 bis 2017 gelten.
Es ist von immenser Bedeutung, ob dieser Plan wie bisher - eher eine Selbstbindung des Landes mit empfehlendem Charakter für andere ist oder ob er in Zukunft verbindlicher für alle ist. Hätte der Landesweite Nahverkehrsplan zumindest hinsichtlich seiner Zielsetzung verbindlichen Charakter, würde dies bedeuten, dass niemand, der am ÖPNV beteiligt ist, an dieser politischen Zielsetzung vorbeigehen könnte. Würde man Umwelt- und Sozialstandards im Plan festlegen, wären diese nicht nur „nice to have“, sondern verpflichtend. Deshalb ist es dringend notwendig, durch ein neues, nachhaltiges Personenbeförderungsgesetz diese Chance zu eröffnen.
Bisher greift der Regierungsentwurf dieses Ansinnen leider nicht auf. Vielmehr bleiben die Regelungen nahezu unverändert, obwohl die Verbände in der Anhörung zu dem Gesetzentwurf deutlich gemacht haben, dass sie diesem Ansinnen positiv gegenüberstehen. Ein Alternativgesetzentwurf der SPD- und grüngeführten Bundesländer enthält im Übrigen genau diese Änderungswünsche zum Nahverkehrsplan; Herr Kollege Tietze hat es schon deutlich gemacht.
Ähnlich verhält es sich mit der Vorgehensweise bei Direktvergaben von Beförderungsleistungen, die im Gesetz geregelt sind. Überschreitet man einen bestimmten Auftragswert, so ist es sicherlich weiterhin sinnvoll, Beförderungsleistungen auszuschreiben. Bei geringerem Leistungsumfang kann aber durchaus eine Direktvergabe sinnvoll sein. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn zu erwarten ist, dass sich qualitativ und preislich kaum etwas ändert. Mit einer Direktvergabe kann man sicherlich auch Bürokratie abbauen.
Der Regierungsentwurf sieht nun aber vor, dass einer Direktvergabe ein Interessenbekundungsverfahren zwingend vorgeschaltet werden muss. Genau das passt nicht zusammen.
Dass hieße doch: Zunächst einmal fragt man alle nach Angeboten, aber dann wird doch direkt vergeben. - Diese Praxis orientiert sich gerade nicht an der Realität. Das Interessenbekundungsverfahren kann sehr gut einer Ausschreibung vorgeschaltet werden; zu einer Direktvergabe passt dieses Instrument nicht. Es verursacht mehr Bürokratie, die mit einer Direktvergabe begrenzt werden könnte, und schafft eine Möglichkeit, die Direktvergabe in einem späteren Verfahren anzugreifen, nämlich immer dann, wenn sie nicht den Inhalten der Angebote aus dem Interessenbekundungsverfahren entspricht und wenn nicht gut genug nachgewiesen wird, warum man gegebenenfalls von dem im Interessenbekundungsverfahren vorgeschlagenen Weg abweicht. Das Verfahren wird so unnötig verlängert und verkompliziert. Deshalb muss der Vorschlag der Bundesregierung für ein Personenbeförderungsgesetz hier noch geändert werden.
Der letzte Punkt betrifft die Fernbusverkehre. Diese sollen zugelassen werden, was an sich okay ist. Es ist aber nicht okay, wenn diese Fernverkehre auf ihren Fahrtrouten auch Ziele des ÖPNV ansteuern und so die Nahverkehre in ihrer Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen. Auch hier muss nachgesteuert werden, damit die mit öffentlichen Geldern finanzierten Nahverkehre nicht das Nachsehen haben. Das muss auch in unserem Interesse liegen; denn wir als