Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

beiten. Die meisten wollen eine Arbeit, die Existenz sichert. Stattdessen werden Sie in Arbeitsverhältnisse gepresst, die weiter von Hartz IV abhängig machen.

Weitere 2,5 Millionen Menschen üben einen Minijob als Nebentätigkeit aus, um ein zu niedriges Einkommen aus dem Haupterwerb aufzustocken. Gleichzeitig werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt.

So wird es zugleich immer schwieriger, einen Arbeitsplatz zu finden, der anständig entlohnt wird und von dem man leben kann. Wir brauchen keine Deregulierung oder - wie die Koalition das nennt Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, um Schlupflöcher für Zuverdienstmöglichkeiten zu schaffen, sondern wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, damit Zuverdienst nicht nötig ist.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Minijobs tragen in erheblichem Maße zur geschlechtsspezifischen Spaltung des Arbeitsmarktes bei. Zwei von drei Minijobs werden von Frauen ausgeübt. Diese Frauen wollen eigentlich gar keinen Minijob. Zwei Drittel aller geringfügig beschäftigten Frauen würden gerne länger arbeiten, im Durchschnitt rund doppelt so lange. Bei den Frauen stehen einer geringfügig Beschäftigten lediglich drei versicherungspflichtige Arbeitsplätze gegenüber, bei den Männern immerhin noch sechs.

Durch die Privilegierung geringfügiger Beschäftigung wird ein überholtes Familienmodell mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Zuverdienerin gefördert.

Minijobberinnen und Minijobber sind auch im Arbeitsalltag häufig benachteiligt. Obwohl das Arbeitsrecht auch für geringfügig Beschäftigte gilt, wird es oft missachtet. Geringfügig Beschäftigte erhalten meist keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder keinen bezahlten Urlaub. Sie werden kaum in Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen. Das bestehende Diskriminierungsverbot gegenüber Teilzeitbeschäftigten wird in der Praxis viel zu oft unterlaufen.

Das alles führt dazu, dass sich Unternehmen auf Kosten der Beschäftigten immense Kostenvorteile verschaffen. Das ist eine Umverteilung von unten nach oben.

In der Wissenschaft wurde ein Vorschlag entwickelt, wie ein Einstieg in die Sozialversicherungspflicht von geringfügiger Beschäftigung ge

staltet werden könnte, der anstatt einer abrupten Einführung der Sozialversicherungspflicht einen schrittweisen Übergang von den bisherigen Regelungen zu einer vollständigen Gleichstellung ermöglicht. Diesem Vorschlag entsprechend sollen für jede Stunde Arbeit die vollen Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden. Bis zu einer bestimmten Verdiensthöhe von beispielsweise 100 € würden die Arbeitgeber den vollen Beitrag zur Sozialversicherung in Höhe von 42 % tragen. Bei steigenden Verdiensten würden die Beschäftigten schrittweise an den Sozialversicherungsbeiträgen beteiligt, und ab 800 € Verdienst würden die Sozialversicherungsbeiträge paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Dieser Ansatz würde auch dazu führen, dass die Beschäftigen ihrem Einkommen entsprechende Ansprüche aus Sozialleistungen erwerben. Er macht zudem deutlich, dass die sogenannten Lohnnebenkosten Bestandteile des Bruttolohns sind, die der Arbeitgeber den Beschäftigten zahlt und die nur formell paritätisch erbracht werden. Entscheidend ist, dass damit den Arbeitgebern der finanzielle Anreiz genommen würde, geringfügige Beschäftigung zu schaffen, da die Summe der Sozialabgaben durchgängig bei 42 % liegt.

Für eine Gleichstellung von geringfügiger und regulärer Beschäftigung sprechen sich mittlerweile auch viele Verbände und Organisationen aus. Die Gewerkschaften fordern neue Regeln für die geringfügige Beschäftigung. Der Deutsche Frauenrat will die Geringfügigkeitsgrenze abschaffen und eine „Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro“ einführen. Auch der 68. Deutsche Juristentag empfiehlt die abgabenrechtliche Privilegierung der geringfügig Beschäftigten aufzugeben. Sie alle stehen somit aufseiten der LINKEN.

(Gerrit Koch [FDP]: Ja, bestimmt!)

Die SPD dagegen will mit ihrem Antrag ganz nach alter sozialdemokratischer Maxime ein bisschen an den schlimmsten Symptomen der Minijobs herumdoktern und am Ursprungsleiden, das sie selbst unter Rot-Grün hervorgerufen hat, nichts ändern. Wir, DIE LINKE, wollen Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen. Nur dann wird es einen Abbau prekärer Beschäftigung geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW hat nun der Herr Abgeordnete Flemming Meyer das Wort.

(Björn Thoroe)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile sind über 7 Millionen Menschen in Deutschland geringfügig beschäftigt. Sie erhalten in der Regel niedrigere Löhne als ihre regulär beschäftigten Kollegen und haben dabei oft vergleichsweise schlechtere Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften befürchten, dass hierdurch auch der Druck auf die Löhne und Gehälter der Kernbelegschaften wächst und eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Diese Sorge hat auch der SSW. Je mehr Menschen unter diesen schlechter werdenden Bedingungen arbeiten, desto eher werden diese Umstände in unserer Gesellschaft akzeptiert. Dass tarifliche und ortsübliche Standards in der Folge immer weiter unterlaufen werden, kann dann keinen mehr verwundern.

Diese Probleme gibt es seit Jahren, und doch hat sich daran bis heute kaum etwas geändert. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen dieser Gruppe die grundlegendsten arbeitsrechtlichen Ansprüche verwehrt werden. Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der Anspruch auf Mutterschutz oder das Recht auf bezahlten Urlaub besteht oft nur auf dem Papier. Aus Sicht des SSW ist dieser Zustand untragbar.

(Beifall bei SSW, der LINKEN und des Ab- geordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nicht zuletzt, weil in der Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise vor allem in diesem Bereich neue Jobs entstanden sind, muss die Situation geringfügig Beschäftigter endlich verbessert werden. Deshalb muss die Landesregierung dringend dem Gesetzentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Reform geringfügiger Beschäftigung, der morgen im Bundesrat behandelt wird, zustimmen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Ich will ganz klar sagen: Wir als SSW empfinden dies eben nicht als kontraproduktiv, Herr Vogt.

Natürlich führt auch die SPD einige wichtige Punkte auf, die zu verbesserten Arbeitsbedingungen beitragen. Deshalb können wir diesen Antrag der SPD voll und ganz unterstützen.

Die Einführung einer Höchstarbeitszeit von 12 Stunden im § 8 im Vierten Sozialgesetzbuch ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn leider kommt es im Arbeitsleben geringfügig Beschäftigter viel zu häufig vor, dass sie ihr Arbeitspensum nur schaffen,

wenn sie deutlich länger arbeiten. So kommt es für sie am Ende des Tages oft zu einem viel zu niedrigen Stundenlohn. Weil in dieser Situation regulär beschäftigte Kollegen für die gleiche Arbeit wesentlich mehr verdienen, wird hier eindeutig gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Aus unserer Sicht können wir dieses Problem mit einer verbindlichen Höchstarbeitszeit in den Griff kriegen. Voraussetzung ist natürlich, dass auch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten gegen Arbeitgeber, die dagegen verstoßen, vorgesehen sind.

Doch nicht nur ein angemessener Lohn ist wichtig. Wir müssen auch sicherstellen, dass geringfügig Beschäftigte zukünftig wirklich alle Arbeitnehmerrechte bekommen, die ihnen zustehen. Es muss verbindlich geregelt werden, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgehalten werden. Außerdem müssen wir die Arbeitgeber stärker in die Pflicht nehmen, wenn es um die umfassende Aufklärung der Minijobber über ihre Rechte und Ansprüche geht.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Allen Beteiligten muss klar sein, dass diese Gruppe den gleichen rechtlichen Status hat wie normale Beschäftigte. Denn bis heute werden 400-€-Kräfte nicht selten im Unklaren gelassen, um ihnen Ansprüche vorzuenthalten. Natürlich müssen nicht zuletzt der Missbrauch und die illegale Beschäftigung wirkungsvoll bekämpft werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind striktere Kontrollen und härtere Strafen unvermeidbar. Wir dürfen nicht vergessen, dass geringfügig Beschäftigte selbst dann, wenn sie ordnungsgemäß angestellt sind, konkrete Nachteile gegenüber regulär Beschäftigten haben.

Ähnlich wie bei Leiharbeitern wird ihnen oft langfristig die Chance auf eine unbefristete und fair entlohnte Arbeit genommen. Sie werden leider häufig nicht in gleichem Maße in die soziale Struktur des Unternehmens eingebunden und erfahren eine geringere Wertschätzung als ihre Kollegen.

Darüber hinaus werden ihnen nicht annähernd die gleichen Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten geboten, wie sie der Stammbelegschaft geboten werden.

Für den SSW ist klar: Die Arbeitsbedingungen geringfügig Beschäftigter müssen so schnell wie möglich verbessert werden.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Landesregierung hat der Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herr Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wahr: Geringfügige Beschäftigung hat nicht in dem Maß Brückenfunktion in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, wie dies von den Sozialdemokraten, aber auch von den Grünen zu Zeiten der Hartz-IV-Reform propagiert wurde.

Geringfügige Beschäftigung ist aber anders, als Sie es dargestellt haben und als es der Kollege Baasch dargestellt hat, mitnichten ausschließlich eine missbrauchsanfällige und problembehaftete Fehlkonstruktion. Geringfügige Beschäftigung ist nach wie vor ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie bietet Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Anpassung an individuelle Bedürfnisse und an betriebliche Erfordernisse. Zudem trägt sie in Kombination mit weiteren Instrumenten zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bei. Sie trägt also dazu bei, dass Arbeit in Deutschland im internationalen Maßstab wettbewerbsfähig bleibt.

Kollege Tietze, wir können gerne darüber diskutieren, wie sich der Arbeitsmarkt künftig weiterentwickeln wird. Wir können auch gerne über das Problem diskutieren, wie sich Erwerbsbiografien in einer modernen Postindustriegesellschaft weiterentwickeln. Dass sich aber dieser Arbeitsmarkt mit all seinen Instrumenten in dieser größten Wirtschaftsund Finanzkrise als ausgesprochen robust, robuster als in vielen anderen europäischen Ländern gezeigt hat, das darf man nicht wegdiskutieren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Natürlich ist es wahr - jeder kennt entsprechende Beispiele -, dass es Arbeitgeber gibt, die die rechtliche Konstruktion geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse ausnutzen oder sogar missbrauchen. Es gibt Arbeitnehmer in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, denen Rechte vorenthalten werden. Die Antwort auf diese Probleme besteht aber - wie in jedem anderen Beschäftigungsverhältnis auch - darin, im Einzelfall das Recht des Arbeit

nehmers durchzusetzen, notfalls sogar mithilfe von Arbeitsgerichten.

(Beifall bei der FDP)

Unser Arbeitsrecht verbietet ausdrücklich die Schlechterstellung von Teilzeit- und befristet Beschäftigten gegenüber vergleichbar beschäftigten Arbeitnehmern in Vollzeit. Lesen Sie das einmal in § 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes nach.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, schärfere Gesetze zu formulieren, sondern es geht darum, das geltende Recht in diesem Bereich endlich durchzusetzen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die arbeitsrechtlichen Schutzstandards sichern allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Mindeststandard an Arbeitsbedingungen, beispielsweise den bezahlten Jahresurlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen oder auch den Kündigungsschutz. Geringfügig Beschäftigte haben damit die gleichen gesetzlichen Ansprüche wie alle anderen Beschäftigte. Sie müssen nur endlich in die Lage versetzt werden, diese auch durchsetzen zu können.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage hier ausdrücklich: Das Vorenthalten von Arbeitnehmerrechten missbillige ich ausdrücklich. Ich empfinde es als einen Skandal erster Klasse, dass es offensichtlich immer noch so ist, dass die Mehrzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten nach wie vor keine geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sind, sondern dass sie „schwarz laufen“. Es kann doch nicht sein, dass wir durch eine Verschärfung dieser Regelung diesen Schattensektor noch weiter mobilisieren. Das will doch niemand, und das wollen auch Sie nicht.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Meines Erachtens kann es keine über das reguläre Maß hinausgehende Sanktionierung von Arbeitgebern geben. Der Antrag der Sozialdemokraten gibt aus der Sicht der Landesregierung keine schlüssigen Antworten auf die geschilderten Probleme. Ich glaube, damit würden neue Probleme geschaffen werden.