Protokoll der Sitzung vom 22.02.2012

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Das war mein Beitrag zum Aschermittwoch, Herr Stegner.

(Beifall der Abgeordneten Oliver Kumbartz- ky [FDP] und Susanne Herold [CDU])

Auch der Kollege Habeck von den Grünen sollte den Konfrontationskurs als Strategie der Kooperation schnellstmöglich wechseln und die Hamburger nicht mehr als „Pfeffersäcke“ bezeichnen. Vielleicht findet sich ein anderer Ausdruck.

Verstärkte Kooperation oder gar den Nordstaat zu wollen, erfordert ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl, als bei den Oppositionsparteien vorhanden ist.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wie bei Ihnen, ja?)

Das dachte sich anscheinend auch die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft von der SPD, die vorsichtshalber zur Selbsthilfe griff und vermutlich rein zufällig an dem Tag, an dem die Enquete

kommission vor der Presse ihren Ertrag vorstellte, ein Schreiben an den Schleswig-Holsteinischen Landtag versandte, um mitzuteilen, dass der Hamburgischen Bürgerschaft sehr daran gelegen sei, die Beziehungen zwischen unseren Landesparlamenten zu vertiefen. Fingerspitzengefühl? - Wohl eher knallharte Wahlkampfkooperation zwischen der schleswig-holsteinischen und der Hamburger SPD.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich möchte zum Schluss auf einen Gesichtspunkt in dieser Debatte aufmerksam machen, der aus meiner Sicht bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Wer gedanklich über eine Kooperation der norddeutschen Bundesländer hinausgeht und vom Nordstaat redet, muss sich auch Folgendes vergegenwärtigen: Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Firmierung, sondern beschreibt die Grundfesten unserer Staatsform, nämlich eine Republik. Damit wird in unserem Staatsnamen die Bedeutung des Föderalismus signalisiert. Er gehört neben der Demokratie, der Republik, dem Rechtsstaat und dem Sozialstaat zu den fünf grundlegenden Verfassungsprinzipien. Bei aller Vielfalt ist doch immer ein gewisses Maß an Einheitlichkeit gegeben. Wir sind bisher ganz gut damit gefahren. Der Föderalismus hat Wohlstand in alle Ecken der Bundesrepublik gebracht und nicht - wie zum Beispiel in Frankreich - die Hauptstadt vergoldet. Seine eigentliche Rechtfertigung findet der Föderalismus allerdings darin, durch Machtstreuung die freiheitliche Demokratie zu stützen. Diese gilt es zu bewahren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Kollegin Ines Strehlau.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wahlkampfgeklingel, Frau Brand-Hückstädt, ist wohl auf beiden Seiten da. Aber dazu komme ich gleich.

„Die Enquete hat in vielen Sitzungen nichts herausgefunden, was nicht schon vorher bekannt gewesen wäre. Man hätte sie sich also sparen können.“ - So fasste ein Journalist das Ergebnis der Enquetekommission „Norddeutsche Kooperation“ zusammen. Hat er recht? - Nein, ganz und gar nicht. Wir haben

(Ingrid Brand-Hückstädt)

deutlich mehr als eine Bestandsaufnahme mit altbekannten Fakten erstellt. Die Enquetekommission hat die Kooperationsfelder und konkrete Maßnahmen herausgearbeitet, die eine zukünftige Regierung beackern muss. Außerdem haben wir dazu beigetragen, den Diskurs über eine intensivere norddeutsche Kooperation und über eine Neuordnung unserer Länderstruktur wieder in die Öffentlichkeit zu bringen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Kooperationsdebatte hat Fahrt aufgenommen, und das ist gut so. Jetzt müssen Taten folgen. Die nächste Landesregierung muss sich daranmachen, die norddeutsche Kooperation auf solide, krisenfeste Beine zu stellen. Sie muss gemeinsam mit anderen norddeutschen Partnern ein Gesamtkonzept entwickeln, das konkrete Ziele festlegt, aber auch Spielregeln, wie bei strittigen Themen eine gemeinsame Lösung auf Augenhöhe gefunden wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Martin Habersaat [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Kooperation liegt auf vielen Feldern noch im Argen und muss ausgebaut werden.

Wir brauchen eine gemeinsame Verkehrsplanung zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein inklusive Hafen und Schiene, einen gemeinsamen Verkehrsverbund für den ÖPNV, gemeinsame Landesplanung, um zum Beispiel länderübergreifende Gewerbegebiete zu ermöglichen. Wir brauchen die Angleichung der Förderinstrumente für die Wirtschaft, die verstärkte Kooperation bei der Justiz, die Zusammenarbeit der Uni-Klinika, eine gemeinsame Krankenhausplanung. Insbesondere bei der Umsetzung der Energiewende ist ein norddeutsches Zusammenspiel zwingend erforderlich.

Wir brauchen eine Hochschulkooperation mit einer Angleichung der Hochschulgesetze an eine gemeinsame Schulplanung mit Hamburg. Dazu gehört auch, die Lehrerausbildung anzugleichen und die Lehrerfortbildungsinstitute von Schleswig-Holstein und Hamburg zu verzahnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Diese Liste der konkreten Projekte ließe sich noch lange fortsetzen. Alle Projekte sind im Abschlussbericht enthalten.

Um in der norddeutschen Zusammenarbeit weiterzukommen, brauchen wir eine Landesregierung, die die Kooperation entschlossen angeht,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Olaf Schulze [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

die sich keine Denkverbote auferlegt, die Ziele entwickelt, sie in einen Fahrplan einbettet und die mutig notwendige strukturelle Veränderungen angeht für mehr Service für die Bürgerinnen und Bürger und mehr Spielraum bei den Finanzen.

Frau Brand-Hückstädt, was wir nicht brauchen, sind Bedenkenträger, die alles so lassen wollen, wie es ist, weil es schon immer so war.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das hemmt unser Land und seine Entwicklung. Wir wollen dabei nicht den Föderalismus infrage stellen. Wir wollen ihn weiterentwickeln, und das ist bitter notwendig. Es ist schon bezeichnend, dass die FDP die Enquete im Sommer einstampfen wollte.

Die FDP hatte sich - zumindest bis zu dem Zeitpunkt - selten aktiv in die Diskussion eingebracht. Als dann die Arbeit für die Fraktionen begann, die Protokolle gelesen und die Bewertungen geschrieben werden mussten, wollte sie die Arbeit verweigern. - Mit so einer Arbeitsmoral bringen Sie das Land nicht auf Vordermann, liebe FDP.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Gerrit Koch [FDP]: Woher haben Sie denn den Quatsch? - Oliver Kumbartzky [FDP]: Unmöglich!)

Nein, Sie katapultieren sich ins Aus - bei den Wirtschaftsverbänden ebenso wie im Parlament.

Die norddeutsche Kooperation sowie die Kooperation mit Dänemark sind gut und wichtig. Durch Bündelung der Kräfte wird der Norden gestärkt und kann im globalen Wettbewerb seine Potenziale voll ausschöpfen. Aber die gemeinsame Basis muss dringend ausgebaut werden. Wir brauchen keine Wahlkampfkabinettssitzungen mit Hamburg kurz vor Ende der Wahlperiode. Das ist blanker Populismus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

Wir brauchen kein Wahlkampfgeplänkel zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg mit Einladungen, die nicht angenommen werden, und Briefen, die an

(Ines Strehlau)

geblich nicht beantwortet wurden. - Das ist Kinderkram!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir brauchen kein Auf-die-Schnelle-Gutachten von Herrn de Jager, der kurz vor Abschluss der Enquete noch fix eine Expertise zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf den Tisch wirft. - Das zeigt Torschlusspanik, Herr de Jager.

Wir brauchen institutionalisierte Treffen der Parlamentarier und Landesregierungen, um Konzepte zu entwickeln, und auch, um uns persönlich kennenzulernen. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, finden wir auch die Gremienstruktur dafür. Der Gemeinsame Ausschuss wäre eine Möglichkeit. Man kann ihn verfassungsmäßig einbetten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Siegrid Tenor-Al- schausky [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wir Grüne wollen gern der Motor der Kooperation sein und hoffen, dass wir dabei in der nächsten Legislaturperiode auch Partnerinnen und Partner finden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Brand-Hückstädt, es ist schon schwierig, nicht mitzuklatschen, wenn Sie hier reden, und das Gefühl zu unterdrücken, Sie auch einmal in Schutz nehmen zu müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Ingrid Brand- Hückstädt [FDP])

Auch wenn man das inmitten dieser Jubelarien kaum glauben mag: Wir sind ja nicht die ersten, die sich in diesem Land mit dem Thema norddeutsche Kooperation und allem, was dazugehört, beschäftigen. Am 15. Februar 1988 - ich erinnere mich sehr genau an den Tag, weil mein Sohn da zwei Jahre alt geworden ist -, also vor exakt 24 Jahren, zitierte der „Spiegel“ den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht mit den Worten, niemand hätte Verständnis dafür, wenn gewachsene Strukturen nun wieder zerschlagen würden. Und

das Nordlicht Albrecht - so der „Spiegel“ weiter sagte: „Bei gutem Willen können die Nordlichter gemeinsame Probleme auch grenzüberschreitend lösen.“

Zu grenzüberschreitend gehört, dass es Grenzen gibt, dass man ganz deutliche Abgrenzungen zwischen Bundesländern hat. Aber noch treffender drückte diese Tatsache ein unbenannter Bremer Parlamentarier aus, der in der gleichen „Spiegel“-Ausgabe mit den Worten zitiert wird: „Wenn mal jemand ein Ei loslegen will, fängt er an, vom Nordstaat zu reden.“

Exakt die gleichen Erkenntnisse, die der „Spiegel“ damals aufgeführt hat, hat die jetzt abgeschlossene Arbeit der Enquetekommission erbracht. Erstens: Wir haben eine gewachsene und funktionierende Struktur. Sie zu verbessern, ist unsere ständige Aufgabe, nicht nur im Hinblick auf eine bessere Zusammenarbeit mit den norddeutschen Ländern. Sie nicht zu zerschlagen, muss unsere Pflicht sein. Wir wissen alle, wovon wir reden. Es gibt Strukturen, die den Landesteil Schleswig am Leben halten. Ich habe Angst, dass diese Strukturen vor die Hunde gehen, wenn die norddeutsche Kooperation in die Richtung geht, die einige gern möchten.