Protokoll der Sitzung vom 21.03.2012

achten: kurze Beine, kurze Wege. Es gibt ganz viele Bürgermeister, ganz viele Schulen, die richtig gute Ideen haben. Man kann über Primarhäuser nachdenken oder Kindergärten und Schulen zusammenbringen, nicht wie in Niedersachsen, aber wie in der Schweiz. Man kann über jahrgangsübergreifende Konzepte reden, die nicht aus der Not entstehen, sondern pädagogisch wirklich gut überlegt sind. Dann muss man auch nicht in Klassengrößen denken, Frau Franzen, sondern dann kann man in Lerngruppengrößen denken. Ich war gerade in einer Grundschule, in der im nächsten Jahr die Jahrgänge eins bis vier zusammen unterrichtet werden sollen. Sie tut dies, obwohl sie vierzügig ist, aus Überzeugung, denn die Lehrerinnen und Lehrer sagen, das ist ein super Ansatz. Das kann nicht jede Schule. Aber da, wo vor Ort diese Möglichkeiten gesehen werden, muss die Mindestgrößenverordnung Flexibilität und Liberalität ermöglichen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Eine Mindestgröße von 240 für Regional- und Gemeinschaftsschulen, liebe SPD, das finde ich ziemlich aus der Hüfte. Mir ist nicht klar, wie die Konsequenzen im Land sind. Die linke Seite des Hauses hat schon gesagt, wir wollen die Mittel aus dem Schülerrückgang teilweise oder ganz im Bildungssystem lassen. Ich glaube aber, es macht keinen Sinn, zu sagen, wir nutzen diese Mittel, um kleine Schulstandorte zu sichern. Momentan habe ich den Eindruck, die demografische Rendite ist bei Ihnen das, was bei uns früher der „Jäger 90“ war.

(Beifall bei der FDP)

Je nach Podium gibt es immer eine andere Schwerpunktsetzung. Dies will ich ganz kurz selbstkritisch anmerken.

Wo wir eine gemeinsame Verantwortung haben, ist die Frage: Wie wird dieser Wandel gestaltet? Wir haben es bei ELER gesehen. Wir haben eine riesige Chance vertan. Das Zukunftsprogramm Ländlicher Raum mit Kofinanzierungsmitteln aus Bund und EU gibt die Möglichkeit, Schulen und Kitas im ländlichen Raum zu stärken. Wir haben es versemmelt. Wir müssen alle aufpassen, dieses Programm nicht noch einmal zu verpassen. Andere Bundesländer, Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel, nutzen dieses Programm für kleine Schulstandorte und für Kitas. Dies muss eine gemeinsame Anstrengung sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anke Erdmann)

Herr Kubicki fragte, warum wir gerade eine Schulstrukturdebatte führen. Die Schulstrukturdebatte führen wir, weil die CDU in der Bildungspolitik mit dem Rücken zur Wand steht.

Eine letzte Bemerkung! Frau Franzen, Sie reden hier vom Schulfrieden. Sie haben auch vor der letzten Wahl in 2009 von Ruhe an den Schulen gesprochen. Wie sah das aus? - Schulgesetzänderung 2010, Schulgesetzänderung 2011, Lehrerarbeitszeit ist hinaufgegangen, Stellenkürzungen massiven Ausmaßes.

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Letzter Satz! - Wenn Sie von Schulfrieden reden, Frau Franzen, dann wird mir angst und bange. Es scheint eher eine Kampfansage an die Schulen zu sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Meine Damen und Herren, auf der Zuschauertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler sowie deren Lehrkräfte vom Carl-Jacob-Burckhardt-Gymnasium in Lübeck. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Björn Thoroe.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt einen Schulfrieden zu fordern, wäre, das Schulsystem in seinem schlechten Zustand bestehen zu lassen. Da werden wir definitiv nicht mitmachen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sich hier hinzustellen und zu sagen, es wäre ein Skandal, wenn man die Erhöhung der Differenzierungsstunden an Gemeinschaftsschulen fordert, dann zeigt das einfach nur, wie elitär die FDP in der Bildungspolitik agiert. Bildungschancen sind in Deutschland so ungleich verteilt wie in keinem anderen Industrieland. Der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen hängt in skandalösem Maße von ihrem sozialen Hintergrund ab. Es ist daher eine zentrale Aufgabe der Bildungspolitik, Ausgren

zung und soziale Ungerechtigkeit im Bildungssystem zurückzudrängen.

Erst letzte Woche hat die Bertelsmann Stiftung Zahlen veröffentlicht, die zum wiederholten Male belegen, wie stark die Ausgrenzung in schleswigholsteinischen Schulen noch immer ist, in Schleswig-Holstein am stärksten von allen Bundesländern in Deutschland. Die soziale Herkunft als entscheidendes Kriterium für den Erfolg in der Schule, das hat nichts, aber auch gar nichts mit Chancengleichheit oder Gerechtigkeit zu tun, das ist wie Ständewesen aus dem finstersten Mittelalter.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE hat im Landtag gebetsmühlenartig Anträge eingebracht und Reden gehalten, die genau auf diesen Misstand hingewiesen haben, und die von den Regierungs-, aber hin und wieder auch von den Oppositionsfraktionen als hanebüchen abgetan wurden.

Genau zwei Wochen ist es her, dass der Philologenverband dafür geworben hat, das ausschließende gegliederte Schulsystem unter Bestandsschutz zu stellen. Der Stufenlehrer sei der Sargnagel für das gegliederte Schulsystem, hieß es. Da können wir als LINKE nur sagen: Wenn das so ist, geben Sie uns einen Hammer, dann schlagen wir den Nagel in den Sarg und schaffen das gegliederte Schulsystem ein für allemal ab!

(Beifall bei der LINKEN)

Dass nun eine Presseinformation der GEW Anlass ist, eine Aktuelle Stunde zu beantragen,

(Johannes Callsen [CDU]: Ist auch neu!)

zeigt ein bisschen die Ideenlosigkeit von SPD und FDP. Wir dachten uns, wir füttern das inhaltlich ein bisschen an, springen ein und stellen einen Dringlichkeitsantrag mit einem inhaltlichen Angebot, das Sie alle eigentlich kaum ablehnen können. Nun sagen Sie: Die Aktuelle Stunde nehmen wir zwar an, aber die Dringlichkeit des Antrags lehnen wir ab, obwohl am 12. März 2012, nach Antragsschluss, das Anmeldeverfahren an den weiterführenden Schulen aufgehört hat.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, die Entscheidung über die Dringlichkeit Ihres Antrags ist gefallen.

(Anke Erdmann)

Das ist richtig, aber ich -

Bitte sprechen Sie zum Thema der Aktuellen Stunde!

Die Aktuelle Stunde geht über das Schulsystem im ländlichen Raum.

(Zurufe)

Wenn man die Mindestgrößenverordnung nicht aussetzt oder Ausnahmeregelungen macht, werden Schulen im ländlichen Raum geschlossen werden.

Die Anmeldesituation an den Regionalschulen ist besonders interessant. Ich möchte zwei Punkte kurz erwähnen. Die Regionalschule als Restschule ist gescheitert. Ihre Legitimierung durch die Bevölkerung ist nicht mehr gegeben. Ein weiteres Reformprojekt aus der Zeit der Großen Koalition, das offensichtlich gescheitert ist. Die Menschen in Schleswig-Holstein haben mit den Füßen abgestimmt. Die Ablehnung der Regionalschule ist eindeutig.

Bei der Debatte um Standortschließungen müssen wir aber auch endlich einmal klarstellen, was uns die Bildung für unsere Schülerinnen und Schüler im ländlichen Raum wert ist und was man Kindern und Jugendlichen zumuten kann, wie lange Schulwege man Kindern und Jugendlichen zumuten kann. Deshalb sind Schulschließungen für uns keine Lösung. Die Mindestgrößenverordnung muss ausgesetzt werden. Eine Verlängerung um fünf Jahre ist keine Lösung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das laufende Anmeldeverfahren für das kommende Schuljahr macht deutlich, dass es die Landesregierung erneut versäumt hat, die Besonderheiten des ländlichen Raums zu berücksichtigen. Für eine zukunftsweisende langfristige Lösung ist es nun zu spät.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es das gegliederte Schulsystem ist, das uns bei der Versorgung mit Schulen in der Fläche Probleme bereitet. Mit der flächendeckenden Einführung der Gemeinschaftsschule könnten wir vor allem im ländlichen Raum eine wohnortnahe Beschulung aller Kinder sicherstellen. Wir müssten den Schülerinnen und Schülern nicht ständig ihre Freizeit mit Busfahrten

stehlen, wir müssten Kinder nach der vierten Klasse nicht aus ihrem Freundeskreis in der Schule herauszerren, wir müssten keine sozialen Beziehungen zerstören, und wir müssten die Eltern mit längeren Fahrwegen finanziell nicht zusätzlich belasten.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Bekennen Sie sich zu einem gerechten, flächendeckenden Bildungssystem! Jetzt liegt meine Hoffnung nur noch bei Minister Klug, von dem ich hoffe, dass er die Mindestgrößenverordnung aussetzen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile der Vorsitzenden der SSW-Fraktion, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, dass bei bildungspolitischen Debatten häufig so getan wird, als gäbe es keine Fakten. Die Faktenlage ist nun einmal so, dass die Mindestgrößenverordnung für die Gemeinschaftsschulen mehr Schülerinnen und Schüler voraussetzt als für Regionalschulen. Ich vermute, das war notwendig, um in der Fläche überhaupt irgendein Angebot an Regionalschulen aufrechtzuerhalten. Wir alle wissen ja noch, wie Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen zustande gekommen sind. Auf diesen politischen Kompromiss will ich jetzt nicht näher eingehen.

(Heike Franzen [CDU]: Das ist nur eine Ver- mutung!)

Fakt ist auch, dass Regionalschulen für Eltern, Schülerinnen und Schüler häufig nicht als attraktive Alternative zur Gemeinschaftsschule angesehen werden. Es ist daher geboten, über die Weiterentwicklung der Schulen im ländlichen Raum mehr als nachzudenken. Diese Diskussion nehmen wir ernst, und wir nehmen auch die Sorgen der Eltern und Familien im ländlichen Raum ernst.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Landesregierung spricht offen davon, dass ihr Modell Regional-/Gemeinschaftsschule heißt. Um dieses Modell zu verwirklichen, hat sie in den letzten beiden Jahren an der Verordnungsschraube gedreht: Reduzierung der Differenzierungsstunden zugunsten der Gymnasien, abschlussbezogene