Und drittens - das ist der Kern - sind die vorgelegten Gesetzentwürfe auch in handwerklicher Hinsicht alles andere als unproblematisch.
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Papier hat bei seinen Vorschlägen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hiermit staatsrechtliches Neuland betreten werde. Gerade deswegen wäre etwas mehr handwerkliche Sorgfalt angebracht gewesen, meine lieben Kollegen von der Opposition.
Die Wahrheit sieht jedoch anders aus. Diese Gesetzentwürfe von SPD, Grünen und SSW sind handwerkliches Flickwerk. Wir haben Ihre Vorschläge durch den Wissenschaftlichen Dienst des Landtages prüfen lassen. Die Stellungnahme des
Wissenschaftlichen Dienstes zu Ihrem Gesetzentwurf kommt einem Totalverriss Ihrer Verfassungsänderung gleich.
Der Wissenschaftliche Dienst dieses Hauses teilt unsere ernsthaften Bedenken hinsichtlich des Wortlautes in der Drucksache 17/2359 zur Einführung einer Klageverpflichtung der Landesregierung. Ich möchte nur wenige Beispiele nennen. Was sollen sprachlich zum Beispiel „Meinungsverschiedenheiten über Zweifel“ sein? Um welche Art von „Meinungsverschiedenheiten“ soll es zum Beispiel im Zusammenhang mit der Klageverpflichtung gehen? Oder was ist alles gemeint, wenn die vorgeschlagene Formulierung - ich zitiere Artikel 23 a Satz 2 - auch für Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht gelten soll? Wer das Wort „auch“ in die Verfassung schreibt, hat offenbar mehr als nur eine Fallgestaltung im Kopf. Also, was ist noch gemeint? Eine zweifelsfreie Abgrenzung zur Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts ist jedenfalls nicht gelungen, stellt auch der Wissenschaftliche Dienst fest.
Die Beurteilung des Wissenschaftlichen Dienstes schließt mit dem Fazit, dass die gewählten Formulierungen problematisch sind, und sie müssten - Zitat - „vor einer Verabschiedung im Rahmen der Gesetzesberatung ausgeräumt werden“. In der Schule würde man sagen: eine glatte Sechs!
Auch zum Weisungsrecht für den Bundesrat legt der Wissenschaftliche Dienst dar, dass die Regelung, die der Landesverfassung Baden-Württembergs entlehnt ist, juristisch hoch umstritten ist und der herrschenden Lehre ebenso widerspricht wie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Und an notwendige Folgeänderungen im Parlamentsinformationsgesetz des Landes oder an die notwendige Änderung der Konsultationsvereinbarung, die auch erforderlich wäre, haben Sie überhaupt nicht gedacht. Es ist schon peinlich, was Sie diesem Parlament zumuten.
Wir haben in den fraktionsübergreifenden Gesprächen immer auf die Notwendigkeit rechtlicher Klarheit hingewiesen. Deswegen frage ich Sie: Was sind das eigentlich für Gesetzentwürfe, die Sie uns heute vorlegen? Soll man so einen handwerklichen Murks wirklich auf Zuruf der Opposition noch sieben Wochen vor der Wahl in kürzester Zeit durchpeitschen?
Ich finde, es ist oberflächliche Effekthascherei für den Wahlkampf betrieben worden unter dem – zugegeben - Deckmantel der Stärkung des Parlaments. Mit diesem Versuch eines Gesellenstückes für gutes Regieren in Schleswig-Holstein sind Sie glatt durchgefallen.
Wer so stümperhaft mit unserer Verfassung umgeht, der kann in Schleswig-Holstein keine Verantwortung übernehmen. Ich fordere Sie daher auf: Ziehen Sie diesen verfassungsrechtlichen Murks zurück! Herr Kollege Weber, es tut mir leid, dass Herr Dr. Stegner Sie mit diesem Redebeitrag in diese unglückliche Debatte schickt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit der Debatte fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir Mitglieder des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft auf unserer Zuschauertribüne. Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird seinen Grund haben, warum der Kollege Dr. Stegner bei einer, wie er formuliert hat, zentralen und wichtigen Frage zur Stärkung der Rechte des Parlaments den Saal verlassen hat, vielleicht weil er gewusst hat, dass man sich mit dem, was er in der Vergangenheit gesagt hat, auch einmal beschäftigen muss. Lassen Sie mich deshalb zu Beginn den Kollegen und Mitunterzeichner der uns heute vorliegenden Gesetzentwürfe zur Änderung der Landesverfassung Dr. Ralf Stegner zitieren:
„Die Verfassung ist doch kein Abreißkalender, mit dem man einfach so umgeht, wie es einem gerade gefällt.“
So Dr. Stegner im ARD-Morgenmagazin am 16. Juli 2009. Es kommt äußerst selten vor - das kann ich wirklich mit Fug und Recht sagen -, dass ich mit Dr. Stegner einer Meinung bin. Grundsätzlich sollte ich mir in einem solchen Fall auch Gedanken machen. Aber heute muss ich sagen: Er hat recht. Wenngleich diese weisen Worte in einem anderen Kontext gefallen sind - manch einer mag sich
noch an die Ereignisse im Sommer 2009 erinnern -, so muss sich mein geschätzter Kollege auch heute noch an ihnen messen lassen.
Lieber Kollege Weber - Sie wissen, ich schätze Sie wirklich sehr -, die Tatsache, dass Sie uns verfassungsändernde Entwürfe vorlegen und wissen, dass wir wegen der parlamentarischen Ferien über die Ostertage als Beratungszeit dafür maximal zwei Wochen haben und eine Anhörung mit Sachverständigen in dieser Zeit nicht durchzuführen ist, ist eine Unverschämtheit gegenüber denjenigen, die im Parlament sitzen.
Das zeigt mir, welchen Stellenwert Sie einer Verfassungsänderung beimessen. Das ist für Sie nichts anderes als eine Möglichkeit, einen politischen Aufschlag zu machen, ohne sich mit den tiefgreifenden und grundsätzlichen Fragen ernsthaft zu beschäftigen. Sie wissen, dass ich die Auffassung, die sich politisch dahinter verbirgt, die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung zu stärken, auch bei Entscheidungen, die auf Bundesebene und europäischer Ebene getroffen werden, teile. Aber so einfach hoppla hopp in das grundsätzliche Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland eingreifen zu wollen, ist gegenüber der Verfassung unseres Landes und auch des Bundes unangemessen.
Sie wissen, dass die Debatte nicht nur bei uns geführt wird. Der Landtagsdirektor darf mir das nachsehen, aber nicht jede seiner Auffassungen ist tragfähig, wie wir bei der Klage, die wir selbst angestrengt haben, gesehen haben. Es ist einfach so, dass wir sehen müssen, dass wir damit in die Verfassungsordnung des Bundes eingreifen.
Herr Kollege Dr. Weber, wir müssen uns selbstverständlich die Frage stellen, ob eine Klagemöglichkeit des Landtags oder der Landtage gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nicht durch eine Änderung auf Bundesebene sinnvoller ergänzt wird als durch eine Bindung der Landesregierung an die Entscheidungen des eigenen Parlaments. Wir können das ja über eine Bundesratsinitiative in Marsch setzen. Selbstverständlich kann man im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Klagemöglichkeit einfachgesetzlicher Landtage verankern, soweit ihre Rechte berührt sind. Und selbstverständlich kann man auch das Grundgesetz über eine Bundesratsinitiative ändern.
die Frage der Bindungswirkung von Beschlusslagen der Landtage für Bundesratsentscheidungen vor. Wir haben 16 Landtage, die alle unterschiedlich entscheiden. Wozu wollen Sie im Bundesrat eigentlich kommen? Soll es eine unmittelbare Beteiligung der Landtage an den Diskussionen geben, oder gibt es die Möglichkeit -
- Darum geht es ja gar nicht. Im Bundesrat müssen Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, sich anders entscheiden zu können und das den Parlamenten wieder vorzulegen. Eine entsprechende Bindungswirkung durch die Parlamente würde dazu führen, dass Sie eine unmittelbare Beteiligung der Parlamente an Bundesratserörterungen bekommen wollen, die nach der bundesstaatlichen Ordnung bisher nicht vorgesehen ist. Das müssen Sie wissen. Es ist nicht vorgesehen, weil der Bundesrat ein Bundesorgan und keine Zusammenfassung der Vertretung der Länder ist.
- Herr Fischer, das ist ein sehr intelligenter Einwurf. Darüber muss man vielleicht ein bisschen länger diskutieren als im Rahmen eines Aufschlags, den Sie innerhalb von 14 Tagen abräumen wollen.
- Ich weiß, Sie haben in Ihrer Fraktion leider keinen Juristen mehr. Dazu würde ich gern einige Sachverständige hören. Für mich ist eine Verfassungsänderung nicht so einfach gemacht, wie Sie sich das vorstellen. Das hat für mich im Gegensatz zu Ihnen noch einen Wert. Im Gegensatz wahrscheinlich zu den LINKEN stehe ich zu dieser Verfassung. Deshalb haben Verfassungsänderungen für mich einen anderen Wert als für Sie.
- Das höre ich zum ersten Mal, dass die LINKEN die Verfassung verteidigen. Sie glauben doch andauernd, dass Sie an die Schuldenbremse nicht gebunden sind, weil Sie nicht mitgestimmt haben. Auch das ist ja ein Irrtum. Das macht deutlich, wie Sie die Verfassung verteidigen.
Kollege Weber, weil ich wirklich immer noch glaube, dass die Sozialdemokraten ernsthafte Debatten führen wollen, weil ich immer noch glauben will, dass die Grünen ernsthafte Debatten führen, ist der Appell des Kollegen Callsen richtig: Ziehen Sie das Ding zurück! Bringen Sie es in der nächsten Legis
laturperiode wieder ein! Dann können wir uns darüber länger unterhalten. Das innerhalb von 14 Tagen übers Knie zu brechen, ist mit uns nicht zu machen. Denn für uns ist die Verfassung ein höheres Gut als schlicht und ergreifend eine politische Deklamation.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Zeit, in der sich politische Entscheidungen immer mehr von der direkt gewählten Ebene entfernen, ist es dringend erforderlich, diese Ebene in ihren Rechten zu stärken.
Das gilt für das Europaparlament gegenüber der Kommission, den Bundestag gegenüber den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs, das gilt für den Landtag im Bund-Länder-Streit. Weil diese Rechte nicht ausreichen - siehe Schuldenbremse -, müssen sie erweitert werden. Diese Debatte berührt unmittelbar jenen greifbaren Verdruss vieler Menschen, dass Wahlen nichts ändern und politische Entscheidungen delegitimiert sind.
In der Sache gibt es weithin Einigung. Dieses Thema beschäftigt uns im Landtag auf allen Ebenen seit Einführung der Schuldenbremse, hier im Plenum, in den Fraktionen, im Ältestenrat, in öffentlichen und internen Stellungnahmen des Landtagsdirektors. Jedenfalls was den Antrag zu einem Weisungsrecht des Landtags gegenüber der Landesregierung angeht, scheint mir das Haus beschlussfähig zu sein. Wenn es das nicht ist, dann liegt das auch daran, dass CDU und FDP die Beschlussfassung leider nicht wollten und nicht wollen.
Auch zur Frage der Subsidiarität wollen wir Veränderungen in den Entscheidungsbefugnissen des Landtags. Wir wollen eine stärkere Bindung der Landesregierung an die Beschlüsse des Landtags in europapolitischen Angelegenheiten. Das sagt auch die Stuttgarter Erklärung der Landtagspräsidenten. Immer dann, wenn die Gesetzgebungszustimmungen der Länder betroffen sind, wollen wir wenigstens als Landtag Berücksichtigung finden.
Bei Einschnitten in unsere Kompetenzen wollen wir die Regierung auch binden. Ich glaube, Sie wollen diese Debatte nicht, weil Sie befürchten, dass Ihnen Uneinigkeit und Widersprüchlichkeit beim Verhalten der Landesregierung zur Last gelegt wird. Ich will deshalb darauf hinweisen, dass erweiterte Rechte auch erweiterte Pflichten bedeuten und dass es sein kann, dass die Beschlussfassung zur Klage gegen die Schuldenbremse anders ausgefallen wäre, wenn die Landesregierung damit hätte rechnen müssen, dass sie sie auch umsetzen muss.