Protokoll der Sitzung vom 22.03.2012

(Wolfgang Kubicki)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Weber, ich verstehe nicht, wie Sie hier argumentieren und warum Sie in der restlichen Zeit der Legislaturperiode noch etwas durchpeitschen wollen.

(Unruhe bei der SPD)

Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel klarmachen; da spreche ich die Kollegin Strehlau an. Die liebe Kollegin Strehlau, die sehr oft im Europaausschuss sitzt, obwohl sie dort nicht Mitglied ist, und in ihrer Fraktion den Vorsitzenden des Europaausschusses stellt, hat gerade eben in ihrem Beitrag angebracht, dass sie im Bereich des Frühwarnsystems zur Subsidiaritätsprüfung gern ein Weisungsrecht des Parlaments gegenüber der Landesregierung haben möchte. Das empfinde ich nach der gestrigen Debatte und dem Verfahren als Hohn. Denn gerade Sie haben als Fraktion gezeigt, dass Sie das System und Verfahren des Frühwarnsystems und der Subsidiaritätsrüge überhaupt nicht verstanden haben. Wir haben uns fraktionsübergreifend - da können Sie Ihre Kollegen aus der SPD, vom SSW oder der LINKEN fragen - darauf geeinigt; merkwürdigerweise sind wir uns alle einig, nur Sie beurteilen das Verfahren anders.

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist in der Demokratie so!)

Wir haben auf der Grundlage der Subsidiaritätsprüfung gesagt, dass es hier allein um eine formelle Prüfung geht. Sie vermischen Formelles und Materielles, was auf diesem verabredeten Wege überhaupt nicht geht.

Ich sage Ihnen auch heute von dieser Stelle aus: Wir hätten gar nicht die Möglichkeit, das innerhalb der kurzen Frist zu regeln. Eine materielle und formelle Prüfung. Obwohl Sie dieses Verfahren nicht verstanden haben, fordern Sie auch noch ein Weisungsrecht und eine Entscheidung in dieser Legislaturperiode, obwohl wir hier erst ganz am Anfang stehen. Das kann man nicht einfach so stehenlassen. Ich verstehe nicht, dass Sie sich nicht die Zeit nehmen, eine Expertenanhörung zu diesem Punkt durchzuführen und die weiteren Gespräche abzuwarten, wie wir dieses Verfahren im SchleswigHolsteinischen Landtag weiter implementieren werden.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesverfassung ist das zentrale Rechtsdokument Schleswig-Holsteins. Sie setzt den Rahmen der staatlichen Ordnung unseres Landes. In dieser Legislaturperiode war die Landesverfassung bereits mehrfach Gegenstand von Gesetzesinitiativen. Dabei gebietet es aus Sicht der Landesregierung der Respekt vor diesem Fundament der rechtlichen und politischen Ordnung unseres Landes, Änderungen an der Verfassung nicht zum Gegenstand des politischen Wettstreits der Parteien um kurzfristig größtmögliche Aufmerksamkeit zu machen. Ein gelungenes Beispiel für den konstruktiven Umgang mit der Verfassung ist in meinen Augen die Reform, die 1990 in einem breiten Konsens verabschiedet wurde.

Mit Blick auf die beiden Gesetzentwürfe von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW ist jedoch schon unabhängig von der inhaltlichen Bewertung aus Sicht der Landesregierung zweifelhaft, ob damit ein vernünftiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Landesverfassung geleistet werden kann. Allein der Umstand, dass die Entwürfe binnen zweier Tage separat und ohne nähere Begründung eingebracht wurden, spricht nicht gerade für ein strukturiertes und der Bedeutung der Sache angemessenes Vorgehen. Zudem erlaube auch ich mir den Hinweis, dass mit Ablauf der Legislaturperiode die eingebrachten Gesetzgebungsvorhaben der Diskontinuität anheimfallen.

Darüber hinaus scheint die Opposition verdrängt zu haben, dass die Tinte unter der am 7. Oktober 2011 unterzeichneten Vereinbarung zwischen dem Landtag und der Landesregierung über die Konsultation des Landtags im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung sowie über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der EU gerade erst getrocknet ist.

Inhaltlich sind die Vorschläge von erheblicher politischer und natürlich vor allem - das ist in der Debatte deutlich geworden - verfassungsrechtlicher Brisanz. Denn die zum jetzigen Zeitpunkt offenkundig für das politische Schaufenster eingebrachten Gesetzentwürfe würden das fundamentale Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive in Schleswig-Holstein und auch - wie es der Abgeordnete Kubicki ausgeführt hat - in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt verändern. So ist vorgese

hen, dass die Landesregierung künftig bei Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht weitgehend nicht mehr die eigene, sondern die Auffassung des Landtags vertreten und sogar gegen ihren Willen den Rechtsweg nach Karlsruhe bestreiten muss. Ein ähnliches imperatives Mandat möchte die Opposition der Landesregierung künftig für bestimmte Entscheidungen im Bundesrat auferlegen. Eine solche neue Kompetenzerweiterung würde einen gravierenden Eingriff in das verfassungsimmanente System der Gewaltenteilung bedeuten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was den Vorschlag für einen neuen Absatz 3 des Artikels 30 angeht, gehe ich davon aus, dass auch den Verfassern des Gesetzentwurfs die insoweit eindeutig entgegenstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das ist die Grundsatzentscheidung, auf die sich die anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts jeweils berufen - aus dem Jahr 1958 bekannt ist. Falls nicht, verweise ich auf Umdruck 16/825 vom 15. Mai 2006, in dem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die überwiegend herrschende rechtliche Meinung dargestellt ist.

(Rolf Fischer [SPD]: Es gibt unterschiedliche Interpretationen!)

- Es gibt keine unterschiedlichen Interpretationen, sehr verehrter Herr Abgeordneter Fischer, von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Sie können diese zwar unterschiedlich auslegen, aber der Rechtsprechungsgrundsatz, der da dargestellt worden ist, ist eindeutig, und der ist so lange gültig, solange nicht unser gesamtes rechtsstaatliches Gefüge innerhalb dieses föderativen Systems grundgesetzlich verändert worden ist.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Auch in der verfassungsrechtlichen Diskussion zu Artikel 51 des Grundgesetzes wird es ganz überwiegend als unzulässig erachtet, die Landesregierung per Parlamentsbeschluss zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten im Bundesrat zwingen zu wollen.

Im Hinblick auf den vorgelegten Entwurf für einen neuen Artikel 23 a drängt sich zunehmend die Frage auf, warum über eine Änderung unserer Landesverfassung materiell das erreicht werden soll, was das ist bereits gesagt worden - einfachgesetzlich durch § 68 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes unterbunden wird, nämlich die Antragsbefugnis für den Landtag im Bund-Länder-Streit. Wenn überhaupt - das hat der Abgeordnete Kubicki dargestellt -, wäre das der richtige Ansatz. Es ist

nur etwas schwierig, dass wir das dann hier in dieser Debatte möglicherweise einbringen oder beschließen. Das ist ja auch nicht beantragt.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Beschränkung der Antragsberechtigung auf jeweils ein Verfassungsorgan der Vermeidung eines ebenenübergreifenden Organstreits und widersprüchlicher Prozesshandlungen dient. Dass der Gesetzgeber die Antragsberechtigung den Regierungen zugewiesen hat, entspricht dabei deren Rolle als typischerweise nach außen auftretendes Verfassungsorgan.

Wenn SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW die vorliegenden Anträge in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich erneut stellen sollten, wird daher eine vertiefte, vor allen Dingen natürlich verfassungsrechtliche Prüfung in den Ausschüssen unumgänglich sein. Die heutige Diskussion hat das, finde ich, eindrucksvoll bewiesen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, die Gesetzentwürfe Drucksachen 17/2358 und 17/2359 dem Europaausschuss zu überweisen. Ich frage: Gibt es weitere zu beteiligende Ausschüsse? - Ich höre, die Überweisung soll auch an den Innen- und Rechtsausschuss erfolgen. Darauf habe ich gewartet. Die Anträge sollen also dem Europausschuss und dem Innen- und Rechtssausschuss überwiesen werden. Welcher Ausschuss soll der federführende sein? Es ist immer gut, das zu beantragen. - Ich höre, federführend dem Innen- und Rechtssausschuss, mitberatend dem Europaausschuss. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung: 13:23 bis 15:00 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne erneut unsere Sitzung. Wir steigen wieder in die Beratungen ein.

Bitte begrüßen Sie zunächst mit mir auf der Besuchertribüne Gäste, und zwar Mitglieder des CDUOrtsverbands Großhansdorf. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen

(Minister Klaus Schlie)

Landtag! Ich wünsche Ihnen einen interessanten Nachmittag.

(Beifall)

Zunächst rufe ich - wie vorgesehen - die Tagesordnungspunkte 20 und 65 auf. Zusätzlich gebe ich den Hinweis, dass wir danach den Tagesordnungspunkt 61 sowie - wie bisher vorgesehen - die Tagsordnungspunkte 22, 25, 34 und 43 aufrufen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 und 65 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Privilegien für Tierfabriken streichen - für eine flächengebundene und artgerechte Nutztierhaltung

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1939

b) Landwirtschaftliche Nutztierhaltung

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/2153

c) Landwirtschaftliche Nutztierhaltung in Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 17/2327

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Für den Bericht erteile ich der Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Frau Dr. Juliane Rumpf, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen heute einen umfassenden Bericht über die landwirtschaftliche Nutztierhaltung in Schleswig-Holstein vorlegen zu können. Der Bericht setzt sich ausführlich mit den verschiedenen Facetten der Nutztierhaltung auseinander und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung einer in der Öffentlichkeit teilweise sehr emotional geführten Diskussion. Wie nötig das ist, haben wir gestern wieder während der Demonstration erlebt. In vielen Gesprächen mit Demonstranten habe ich mit Erschrecken gemerkt, mit wie viel Unwissen und teilweise Polemik 95 % un

serer landwirtschaftlichen Betriebe und unsere in den letzten sieben Jahren sehr erfolgreiche Agrarpolitik abqualifiziert werden.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Es kann doch nicht sein, dass eine unspezifische Dauerzahlung von 137 €/ha für weniger als 4 % der Betriebe und eine diffuse Definition des Begriffs Massentierhaltung über den Wert eines landwirtschaftlichen Betriebs und der Agrarpolitik entscheiden.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen keine Systemdebatte, sondern eine Debatte über konkrete Fragen und Probleme sowie deren Lösungsmöglichkeiten.

Schleswig-Holstein ist traditionell ein Agrarland, in dem die Nutztierhaltung von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Gleichzeitig unterliegen die landwirtschaftlichen Betriebe einem ständigen Anpassungsdruck durch die Entwicklung der Märkte und der rechtlichen Rahmenbedingungen. Dabei werden moderne Tierhaltungsformen in der öffentlichen Diskussion immer kritischer bewertet. Insbesondere gegenüber Stallneubauten ist die Sensibilität der Bevölkerung gestiegen, da negative Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt befürchtet werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Tierwohl relativ viel mit guten baulichen Voraussetzungen und mit einem guten Management des Tierhalters zu tun hat, aber relativ wenig mit der konkreten Größe einer Anlage oder der Anzahl der gehaltenen Tiere.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)