Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

Probleme werden sich weiter verschärfen, wie sie jetzt - es gibt schon ein Beispiel - in Norderstedt aufgetreten sind, wo der Kreis Segeberg die Miethöchstgrenzen für die Übernahme von Unterkunftskosten Ende 2011 gesenkt hat. Dazu hat der Kreis nicht einmal eine Satzung erlassen müssen. Die soll ja jetzt erst kommen; das wird heute beschlossen. Das wurde über eine kommunale Richtlinie gemacht. Die Folge ist, dass über 1.000 Menschen aus ihren Wohnungen ausziehen müssen und sich innerhalb von zwölf Monaten neue Unterkünfte suchen sollen.

(Katharina Loedige [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! - Weitere Zurufe)

Das gibt der derzeitige Wohnungsmarkt nach unserer Meinung überhaupt nicht her. Denn wo gibt es heute noch günstigen Wohnraum?

(Beifall bei der LINKEN)

Wir nennen das eine entwürdigende Praxis. Das Merkmal der Angemessenheit bildet das entscheidende Kriterium für die Höhe der Leistungen, die für Unterkunft und Heizung gewährt werden. Wenn nun die Umstände des Einzelfalls nicht mehr zugrunde gelegt werden, besteht für die Betroffenen in vielen Fällen im Bereich der Kosten der Unterkunft die Gefahr von Leistungskürzungen.

(Unruhe)

Zum Ausgleich dieser Leistungskürzungen muss dann ein Teil des Regelsatzes herangezogen werden. In vielen Fällen wird der auf Bundesebene im letzten Jahr von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgehandelter Hartz-IV-Kompromiss für die Betroffenen eine Verschlechterung darstellen.

Die Regelbedarfe werden durch ein verfassungswidriges Ermittlungsverfahren künstlich niedrig gehalten. Sie mögen dazu eine andere Auffassung vertreten, aber die gerade veröffentlichte Entscheidung des Berliner Sozialgerichts fällt ein vernichtendes Urteil über die so aufwendige Neufestsetzung der Regelsätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Transparent und nachvollziehbar ist daran höchstens die politische Willkür. Eine Prüfung der Angemessenheit muss sich auf den Einzelfall beziehen und darf nicht hinter der politischen Setzung einer pauschalen Obergrenze verschwinden. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum beinhaltet den Anspruch auf die Übernahme der angemessenen Miete und Heizkosten in voller und nachgewiesener Höhe.

(Beifall bei der LINKEN - Anhaltende Unru- he)

Die Satzungsermächtigung zugunsten der Kommunen bedeutet auch keinesfalls eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Durch die Satzungsermächtigung wird für Kommunen mit angespannter Haushaltslage nun eine Möglichkeit eröffnet, die kommunalen Leistungen durch niedrige Obergrenzen für Kosten der Unterkunft zu drücken.

Einer der Hauptgründe für dieses Defizit besteht gerade darin, dass der Bund den Kommunen bereits seit Jahren zahlreiche kostenträchtige soziale Aufgaben übertragen hat, ohne für eine angemessene Finanzierung zu sorgen. Im Endeffekt werden hier die Haushaltsnöte der Kommunen gegen das Existenzminimum der Betroffenen ausgespielt. Es ist zu befürchten, dass durch kommunale Satzungen zu den Kosten von Unterkunft und Heizung eine Rechtszersplitterung nicht nur fortgeführt, sondern verfestigt wird. Denn Satzungen sind - anders als kommunale Richtlinien - nur mit erheblichem Aufwand wieder zu ändern.

Die kommunalen Landesverbände und eine Reihe von Kreisen und kreisfreien Städten versprechen sich von Angemessenheitssatzungen mehr Rechtssicherheit. Wenn überhaupt, dann werden mit der Satzungsermächtigung einseitig die Hartz-IV-Verwaltungen gestärkt, die Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV werden dagegen geschwächt.

(Anhaltende Unruhe)

Die Umsetzung der Satzungsermächtigung durch den Gesetzentwurf der Landesregierung löst für die Menschen keine Probleme, sondern schafft nur neue.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb darf das Land von der Möglichkeit, die Kommunen zu Satzungen zu ermächtigen, keinen Gebrauch machen. DIE LINKE lehnt den Gesetzentwurf der Landesregierung ab. Norderstedt im Kreis Segeberg wird nicht die einzige Kommune sein, wo dieses Problem auftritt, dass viele Menschen umziehen und eine neue Wohnung zu günstigen Bedingungen suchen müssen. Aber diesen Wohnraum gibt es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf Drucksache 17/2159 unverändert anzunehmen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Stimmen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW. - Gegenprobe! - Das sind die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. Dann dürfte es eigentlich keine Enthaltungen mehr geben. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.

(Antje Jansen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich unterbreche die Tagung bis morgen 10 Uhr. Kommen Sie alle gut dahin, wohin Sie unterwegs sein wollen, und haben Sie einen ertragreichen, entspannten oder angespannten Abend!

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 18:09 Uhr

(Vizepräsidentin Herlich Marie Todsen-Reese)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst

Name Abstimmung Name Abstimmung

CDU Michael von Abercron Nein Hans-Jörn Arp Nein Dr. Axel Bernstein Nein Dr. Christian von Boetticher Nein Johannes Callsen Nein Peter Harry Carstensen Nein Astrid Damerow Nein Heike Franzen Nein Torsten Geerdts Nein Hauke Göttsch Nein Daniel Günther Nein Hartmut Hamerich Nein Niclas Herbst Nein Marion Herdan Nein Susanne Herold Nein Karsten Jasper Nein Werner Kalinka Nein Klaus Klinckhamer Nein Tobias Koch Nein Peter Lehnert Nein Jens-Christian Magnussen Nein Markus Matthießen Nein Hans Hinrich Neve Nein Petra Nicolaisen Nein Barbara Ostmeier Nein Mark-Oliver Potzahr Nein Katja Rathje-Hoffmann Nein Heiner Rickers Nein Ursula Sassen Nein Klaus Schlie Nein Peter Sönnichsen Nein Herlich Marie Todsen-Reese Nein Wilfried Wengler Nein Rainer Wiegard Nein

SPD Wolfgang Baasch Ja Andreas Beran Ja Detlef Buder Ja Dr. Kai Dolgner Ja Peter Eichstädt Ja Rolf Fischer Ja Martin Habersaat Ja Lothar Hay Ja Bernd Heinemann Ja Birgit Herdejürgen Ja Dr. Henning Höppner Ja Anette Langner Ja Serpil Midyatli Ja Hans Müller Ja Birte Pauls Ja Regina Poersch Ja Sandra Redmann Ja Thomas Rother Ja Bernd Schröder Ja Olaf Schulze Ja Marion Sellier Ja

Dr. Ralf Stegner Ja Siegrid Tenor-Alschausky Ja Dr. Gitta Trauernicht Ja Jürgen Weber

FDP Ingrid Brand-Hückstädt Nein Carsten-Peter Brodersen Nein Cornelia Conrad Nein Jens-Uwe Dankert Nein Kirstin Funke Nein Dr. Heiner Garg Nein Günther Hildebrand Nein Anita Klahn Nein Dr. Ekkehard Klug Nein Gerrit Koch Nein Wolfgang Kubicki Nein Oliver Kumbartzky Nein Katharina Loedige Nein Christopher Vogt Nein

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Ja Rasmus Andresen Ja Dr. Marret Bohn Ja Anke Erdmann Ja Marlies Fritzen Ja Dr. Robert Habeck Ja Monika Heinold Ja Detlef Matthiessen Ja Dr. Jörg Nickel Ja Ines Strehlau Ja Dr. Andreas Tietze Ja Bernd Voß Ja

DIE LINKE Antje Jansen Ja Heinz-Werner Jezewski Ja Ranka Prante Ja Ulrich Schippels Ja Ellen Streitbörger Ja Björn Thoroe Ja

SSW Lars Harms Ja Flemming Meyer Ja Anke Spoorendonk Ja Jette Waldinger-Thiering Ja

Zusammenstellung: Abgegebene Stimmen 94 davon Jastimmen 46 Neinstimmen 48 Enthaltungen