Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

Meine Damen und Herren, auf der Zuschauertribüne begrüßen wir jetzt weitere Gäste. Das sind Schülerinnen und Schüler sowie deren Lehrkräfte von der Herderschule, Rendsburg, und der Domschule, Schleswig. - Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall)

Die Landesregierung hat ihre Redezeit um zweieinhalb Minuten überzogen. Ich gebe das schon einmal bekannt, weil die Zeit dann auch von den Fraktionen genutzt werden kann.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Kollegin Luise Amtsberg.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt - es wurde schon erwähnt - ist nicht leicht. Er ist nicht leicht, weil er drei komplexe und auch wichtige Themen miteinander vermengt, die leider überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Das ist besonders vor dem Hintergrund, dass wir gestern ziemlich viel Zeit darauf verwendet haben, uns über uns selbst zu unterhalten, ein bisschen bedauerlich, wenn nicht sogar ärgerlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte mich auf den Punkt Unterbringung für Flüchtlinge im Land Schleswig-Holstein konzentrieren und Ihnen erst einmal darstellen - die Frage

kam ja -, was unser Antrag bringen soll. Ich werde Ihnen dazu darstellen, was in unserem Antrag steht. Es geht um zwei Punkte, von denen wir glauben, dass sie einer menschenwürdigen Unterbringung in Schleswig-Holstein sehr dienlich sind.

Das eine ist die Mindestgröße der Unterbringung. Ihnen ist heute ein Änderungsantrag zugegangen. Ich möchte das kurz erklären. Wir haben - das tut uns ausdrücklich leid - an der Stelle einen Übertragungsfehler gemacht. Wir haben jetzt - so haben wir das auch im Ausschuss diskutiert die Mindestgröße, die der Flüchtlingsbeauftragte als Mindeststandard formuliert hat, in unseren Antrag aufgenommen. So ist es richtig.

Im zweiten Punkt unseres Antrags fordern wir den Landtag und die Landesregierung auf, den Flüchtlingsbeauftragten Stefan Schmidt bei der Erstellung einer detaillierten Bestandsaufnahme der Unterbringungen in Schleswig-Holstein zu unterstützen. Das klingt zunächst einmal einfach, aber bereits hier - und das ist traurig - beginnen die ersten Probleme.

Wir haben alle Stefan Schmidt aufgrund seiner fachlichen und menschlichen Kompetenz als Flüchtlingsbeauftragten des Landtags gewählt, damit er sich für die Flüchtlinge in unserem Land einsetzt. Und was passiert als Erstes? Im Innen- und Rechtsausschuss weisen Sie das erste Anliegen des neuen Flüchtlingsbeauftragten ab, zeigen ihm die kalte Schulter und verweigern ihm die Unterstützung für eine Bestandsaufnahme über die Wohnsituation von Flüchtlingen in Schleswig-Holstein ohne Not.

Wohlgemerkt, das hätte keinen Cent gekostet. Mit fadenscheinigen Verweisen darauf, wie schwierig und umfangreich ein derartiges Unterfangen wäre, verweigern Sie ihm direkt von vornherein jede Hilfe. Ich finde das wirklich unmöglich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ihr Änderungsantrag zeigt es noch deutlicher. Obwohl bereits ein Bericht des Ministeriums vorliegt, fordern Sie noch einen weiteren Bericht. Obwohl der Flüchtlingsrat und der Flüchtlingsbeauftragte bereits Mindeststandards formuliert haben, brauchen Sie unbedingt noch den Vergleich zu anderen Bundesländern. Ich frage Sie: Warum?

Unser Antrag stellt lediglich zwei Fragen: Wollen wir unserem Flüchtlingsbeauftragten des Landes und seinem Team logistische Unterstützung bei die

(Minister Emil Schmalfuß)

sem Projekt bieten - Kontaktherstellung zu den Ausländerbehörden, Information darüber, wo sich Unterkünfte befinden, und so weiter und so fort? Und wollen wir diesen Menschen - das ist die zweite Frage - ihre 10 m2 beziehungsweise 8 m² zugestehen?

Das verärgert mich. Denn wenn man es genau nimmt, ist dieser Antrag schon fast ein unverschämtes Entgegenkommen von unserer Seite des Hauses. Denn zu dem Thema gibt es noch viel mehr zu sagen, zum Beispiel was die Qualität der sanitären Einrichtungen angeht, das Betreuungsangebot vor Ort, die Möglichkeit zur Beschwerde der Flüchtlinge selbst, ramponierte Möbel, Schimmel oder auch die absolut unerträgliche Praxis der Unterbringung in Baucontainern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD, der LINKEN und SSW)

Wir wussten, dass wir mit solchen Ansätzen hier keinen Millimeter weiterkommen. Machen Sie sich also klar, dass die Forderungen, die wir in unserem Antrag stellen, der absolute Minimalkonsens in dieser Sache sind. Aber dass selbst dieser Konsens hier nicht möglich ist, spricht Bände.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Mal abgesehen davon, dass es parlamentarisch unschön ist, auf einen Sachantrag mit einem Berichtsantrag zu antworten - aber das nur nebenbei -, werden wir dem Berichtsantrag selbstverständlich zustimmen. Das gehört sich im parlamentarischen Verfahren so. Wir wissen aber, dass das von Ihnen an dieser Stelle ein Ausweichmanöver ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, besinnen Sie sich, und führen Sie sich bitte vor Augen, mit was für kruden Vorstellungen und Regelungen wir das Leben und die Zukunft dieser Menschen hier in Deutschland erschweren - das gilt an so vielen Stellen. Die psychische Verfassung von Menschen hängt maßgeblich von ihrem Lebensumfeld ab. Machen Sie sich klar, dass diese Menschen mit einem riesigen Gepäck an Erfahrungen und Erlebnissen hier ankommen, die von uns keiner erleben möchte. Und machen Sie sich bitte klar, dass die Abgeschiedenheit, die fehlenden sozialen Kontakte, das Getrenntsein von Familie und Freunden, von ihrem gewohnten Lebensumfeld, schlechte Unterbringung und fehlende Perspektiven Menschen über kurz oder lang zerstören können.

Ich war vor Kurzem in Nahe und habe mir einen Ort angeschaut, der den Namen „Unterbringung“ auch wirklich nur deshalb verdient, weil er Wände und ein Dach bietet. Es handelt sich nämlich um einen Baucontainer. An diesem Ort leben zwei, zeitweise leider sogar drei, junge Männer - fast schon zwei Jahre lang. Ich hatte die Gelegenheit, mit Mahdi, einem jungen Afghanen, länger zu sprechen. Er sagt, er wird über die Zustände krank. Deutsch hat er gelernt - ziemlich gut sogar -, davon konnte ich mich überzeugen, seinen Abschluss mit Unterstützung seines Bildungspaten gemacht, und nun will er noch eine Ausbildung machen, damit er überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Aber er bricht unter der beengten Wohnsituation, in der er sich ein Zimmer mit einem jungen Mann teilt, der die Nacht zum Tag macht, und von der aus er täglich zwei Stunden zur Schule fahren muss, bald zusammen. Ich frage Sie: Wie viele Steine wollen wir so einem engagierten Menschen denn noch in den Weg legen?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Meine Motivation ist eine gänzlich andere, aber wieso bei Ihnen der Fachkräftemangel oder Demographiewandel immer noch so wenig Motivation hervorruft, werde ich vermutlich nie verstehen.

Es ist schlimm, dass Sie der Sache als solcher nicht Ihre ausdrückliche Unterstützung geben, denn natürlich kann der Flüchtlingsbeauftragte diesen Unterbringungs-TÜV auch ohne unsere Unterstützung auf den Weg bringen, Unterkünfte besuchen und bewerten, Defizite aufzeigen. Dem künftigen Parlament wird es dann freistehen, diesen TÜV hoffentlich in parlamentarische Initiativen zu verwandeln. Aber es zeigt, wie skeptisch Sie einer sogenannten Bestandsaufnahme gegenüberstehen. An dieser Stelle muss ich erneut fragen: Warum eigentlich?

Noch ganz kurz etwas zum anonymen Krankenschein. Ich muss ein bisschen hetzen, weil wir - wie gesagt - drei Themen beraten, die in der Logik vielleicht nicht so zusammengebracht werden können. Zum anonymen Krankenschein, zu dem wir einen Vorschlag geliefert haben, haben Sie im Ausschuss so getan, als ob die Menschen, um die es dabei geht, freiwillig nach Deutschland kommen und hier in der Illegalität leben. Das möchte ich einmal auflösen. Ich glaube, vielen, die an diesem Tag im Ausschuss waren, ist das sauer aufgestoßen, was da gesagt wurde. Das sind Menschen, die nicht freiwillig und nicht gern hier in der Illegalität leben. Wenn wir es nicht schaffen, sie in dieses medizinische Regelversorgungssystem mit einzugliedern, wird

(Luise Amtsberg)

es eine Chronifizierung von Krankheiten geben, die am Ende zu echten Notfällen werden können. Das kann absolut - auch wirtschaftlich; um auch einmal so zu argumentieren - nicht in unserem Interesse sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt beim SSW)

Ich möchte die Chance nicht versäumen, einige Worte zum Thema Integration zu sagen. Herr Schmalfuß, ich freue mich natürlich, dass Sie die Erfolge Residenzpflicht und Bildungs- und Teilhabepaket für Asylbewerberleistungsempfänger hier kundtun. Ich freue mich darüber besonders, weil das ein Beweis dafür ist, dass wir an manchen Stellen auch zu einem Konsens kommen können. Das waren nämlich zwei Anträge von den Grünen. Das rechne ich Ihnen hoch an. Da gibt es überhaupt keinen Grund, in dieser Sache irgendetwas Schlechtes zu sagen. Da haben wir sehr, sehr gute Arbeit geleistet, als Parlament und gemeinsam.

Dennoch muss ich sagen: An Integration - das fällt mir immer wieder auf bei diesen Debatten - kann ohne Flüchtlingspolitik nicht gedacht werden. Wir haben so viele Menschen, die über viele Jahre, zum Beispiel 15 Jahre lang, hier in Deutschland leben, die nach wie vor keinen gesicherten Aufenthaltstitel haben, keine Zukunft. Diese Leute in Sprachkurse und Integrationskurse zu bringen, ist so dringend notwendig, vor allen Dingen, wenn wir fordern, dass sie ein Bleiberecht bekommen sollen. Das setzt genau das voraus, nämlich dass sie sich bürgerschaftlich engagieren, integriert sind und so weiter. Sie haben stattdessen einen nachrangigen Arbeitsmarktzugang und teilweise Arbeitsverbote. Das passt alles nicht zusammen.

Ich fordere Sie an dieser Stelle noch einmal auf: Denken Sie darüber nach, dass Integrationspolitik und Flüchtlingspolitik zusammengehören. Die Menschen, die heute hierher flüchten, sind die Menschen, die wir morgen hier integrieren müssen. Das ist - das zeigt auch die andere Debatte - einfach noch nicht richtig angekommen.

Vielleicht abschließend: Das Integrationskonzept, das hier vorgelegt wurde, ist sicherlich ein guter Anfang. Aber auch darin gibt es ein paar Sachen, bei denen man sich fragen muss: Wie soll das gehen? Sie haben als zentrale Säule die soziale Stadt mit aufgenommen. Sie wissen um die Debatte, die gerade läuft. Wir haben es morgen ja auch auf der Tagesordnung. Sie sprechen von interkultureller Öffnung in den Ministerien. Was aber wurde konkret getan, um Menschen mit Zuwanderungsge

schichte tatsächlich für den öffentlichen Dienst zu begeistern? Es reicht nicht, die Bereitschaft zu erklären, sondern man muss sie fördern.

In Sachen Einbürgerung bilden wir das europäische Schlusslicht. Trotzdem wird am Optionszwang festgehalten - ich komme zum Ende -, und die Menschen werden gezwungen, sich zwischen Staatsbürgerschaften zu entscheiden. Das ist nicht Anerkennungskultur, das ist auch nicht das, was am Ende dazu führt, dass sich die Menschen hier tatsächlich integrieren wollen. Da gibt es Nachbesserungsbedarf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Serpil Midyatli.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben und verehrten Kolleginnen und Kollegen! Einzelne Kollegen von der FDP und der CDU-Fraktion möchte ich auch begrüßen.

(Beifall bei der SPD)

Unter diesem Tagesordnungspunkt - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - werden leider drei Anträge miteinander vermengt, die nicht viel miteinander zu tun haben. Nun denn, wir werden alle versuchen, das Beste daraus zu machen.

Zunächst einmal möchte ich gern auf den SPD-Antrag zur Integrationsleistung dieser Landesregierung eingehen.

2009 startete diese schwarz-gelbe Koalition mit der Überschrift „Koalition des Aufbruchs“. Trotz Finanznot des Landes scheute man nicht davor zurück, weitere Ressourcen zu schaffen. So kam Schleswig-Holstein mit dem Kollegen Peter Lehnert zu seinem ersten Integrationsbeauftragten. Die SPD-Fraktion sah keine Notwendigkeit für einen Beauftragten für die Integrationspolitik. Jetzt haben wir 2012, und ich meine, es ist Zeit genug ins Land gegangen, um mal zu schauen, was passiert ist, welche Akzente gesetzt worden sind und was er persönlich in Schleswig-Holstein dafür getan hat, dass sich das gemeine Zusammenleben auf dieser Basis verändert und verbessert hat.

Im November 2011 haben wir endlich einen Aktionsplan der Landesregierung vorgelegt bekommen. Vieles davon kennen wir bereits; das kommt

(Luise Amtsberg)

uns sehr bekannt vor, denn bereits 2002 hat die rotgrüne Regierung ein Integrationskonzept vorgelegt, und vieles daraus ist jetzt auch in diesen Aktionsplan eingegangen. Wenn wir uns aber die Ergebnisse anschauen, dann können wir feststellen, dass fast ausschließlich unsere Arbeit fortgeführt worden ist, ohne nennenswerte eigene Akzente zu setzen. Ihr Integrationsplan, lieber Herr Minister Schmalfuß, trägt die rot-grüne Handschrift,

(Beifall bei der SPD)

bis auf den Punkt - das haben Sie auch schon angeführt -, Deutsch als Fremdsprache verpflichtend in die Lehrerausbildung aufzunehmen und einen Integrationspreis auszuloben, für dessen Finanzierung Sie bei der Integrationssozialberatung gespart haben - das muss man auch dazu sagen -, um sozusagen ein öffentlich wirksames Schauspiel zu veranstalten, wozu über 370 Menschen auch tatsächlich gekommen sind. In der Presse fand dies aber überhaupt keinen Widerhall. Das fand ich sehr schade; Sie haben auch mehrfach gesagt, dass Sie es traurig fanden, dass darüber gar nicht berichtet worden ist.

Was die Charta der Vielfalt angeht, so finde ich es wie soll ich es ausdrücken - sehr gut und wirklich lobenswert, dass wir der jetzt auch beigetreten sind. Ich muss dazu sagen, als ich Sie damals gefragt habe, was sie davon halten, ob wir dieser Charta der Vielfalt beitreten wollen, fragten Sie mich: Frau Midyatli, was ist denn das? Man muss aber zugutehalten, dass Sie damals Ihr Amt erst neu angetreten hatten. Deswegen freue ich mich ganz besonders und teile auch das, was die Kollegin Amtsberg gesagt hat, dass wir mit Ihnen eigentlich gut zusammenarbeiten konnten.

Ich möchte jetzt noch auf die mageren Ergebnisse eingehen und muss auch feststellen: Sie haben ja vorhin auch ausgeführt, Herr Minister Schmalfuß, was der Kollege Peter Lehnert als Integrationsbeauftragter alles geleistet hat. Ich muss um Verzeihung bitten, falls ich meinen Job als Abgeordnete hier falsch verstanden habe. Genau das haben wir als integrationspolitische Sprecherinnen und Sprecher aus allen Fraktionen im gesamten Land auch getan.