Protokoll der Sitzung vom 10.03.2016

Leider hat die SPD auf Bundesebene bei Abschluss des Koalitionsvertrags gleichwohl dem Drängen der Union nachgegeben. Ich darf in diesem Zusammenhang nicht ganz ohne Stolz daran erinnern, dass wir Freie Demokraten in der schwarz-gelben Koalition, also in der vorherigen Wahlperiode, auf Bundesebene verhindern konnten, dass es zu einer solchen Gesetzgebung gekommen ist. Die SPD ist anders als die deutlich kleinere FDP dabei eingeknickt.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Herr Kollege, das hören Sie nicht gern, das weiß ich. Zur Klarstellung der historischen Wahrheit ist dies aber wichtig.

Die Befürworter der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung führen für ihre Position immer wieder Sicherheitsbedürfnisse ins Feld. Mit einer solchen Argumentation kann man mit Blick auf die Abwehr oder die Verfolgung schwerer Kriminalität oder zur Abwehr von Terrorismus letzten Endes ja auch alle anderen Grundrechte zur Disposition stellen.

(Beifall FDP und Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

Hinzu kommt, dass die Argumentation in der Sache falsch ist.

(Beifall FDP)

Nehmen wir als Beispiel die Pariser Terroranschläge vom 13. November 2015. Das ist ja noch nicht lange her. In Frankreich gibt es seit Januar 2006 die Möglichkeit zu einer 12-monatigen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Sie hat diese Anschläge und andere terroristische Aktionen aber nicht verhindert. Die beteiligten Terroristen waren in den meisten Fällen schon seit längerer Zeit der

Polizei und den Nachrichtendiensten bekannt. Sie waren sozusagen aktenkundig.

Mit anderen Worten: Es hätte überhaupt nichts genutzt, in einem stetig größer werdenden Heuhaufen - ich will einmal dieses Bild benutzen - gesammelter Daten nach Stecknadeln zu suchen; denn man hat diese Stecknadeln bereits lange zuvor identifiziert.

(Beifall FDP, Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Gefehlt hat es im Zweifelsfall an einer gezielten Überwachung der schon bekannten Gefährder durch elektronische Überwachungsmaßnahmen in diesen bekannten Fällen und natürlich am Einsatz aller anderen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Mittel, die sich auch in der Vergangenheit bewährt haben.

(Beifall FDP)

Das gilt natürlich auch für den berüchtigten Vorort von Brüssel, Molenbeek, von dem man lesen kann, dass Molenbeek als bekanntes Milieu gilt, aus dem heraus mehrfach Personen in Terroranschlägen aktiv geworden seien. Auch in diesem Fall haben Sicherheitsinstitutionen offenbar nicht richtig hingeschaut.

Meine Damen und Herren, wenn es eine Lehre aus den üblen terroristischen Akten der zurückliegenden Jahre gibt, dann ist das diese: Weder hat die anlasslose massenhafte Vorratsdatenspeicherung dort, wo sie in Europa praktiziert wird, Terrorismus verhindert, noch hat das Fehlen solcher Bestimmungen in anderen europäischen Staaten Polizei und Nachrichtendienste daran gehindert, terroristische Pläne zu vereiteln, wie es zum Glück in einer ganzen Reihe von Fällen in Deutschland möglich gewesen ist. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Urteil vom 2. März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung drei Grundsätze gefasst. Erstens unterliegt die Vorratsdatenspeicherung wegen der schweren Grundrechtseingriffe strengen Anfor

(Dr. Ekkehard Klug)

derungen hinsichtlich des Umfangs der gespeicherten Daten. Zweitens ist die Vorratsdatenspeicherung auf das absolut Notwendige zu beschränken. Drittens muss die Datensicherheit ein hoher Standard sein und normenklar und verbindlich vorgegeben werden. Diese drei Punkte mussten erfüllt sein, um so etwas überhaupt möglich zu machen.

Die Bundesregierung meint, dies nun erfüllt zu haben. Auch der Bundestag hat dem Ganzen zugestimmt. Man mag politisch dazu stehen, wie man will. Erst einmal ist das aber so. Zudem habe ich als Parlamentarier großen Respekt vor politischen Entscheidungen. Wenn man politische Entscheidungen als Politiker, als Land oder als Landtag immer wieder vor Gericht hinterfragt und infrage stellt, dann wird es irgendwann einmal schwierig mit unserer Demokratie. Darauf werde ich gleich aber noch eingehen.

Meine Damen und Herren, es steht außerfrage - das ist auch eine Folge dieses Gerichtsurteils -, dass die Vorratsdatenspeicherung verfassungsrechtlich möglich ist. Das müssen wir erst einmal zur Kenntnis nehmen. Sonst würde man nicht diese schweren einschränkenden Bedingungen formulieren, wenn man nicht auch meinen würde, dass es geht.

Deshalb ist es zunächst einmal egal, wie man politisch dazu steht. Es ist eindeutig so, dass wir als SSW, aber auch wir als Koalition immer noch gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung sind. Das ist überhaupt keine Frage.

Trotzdem muss man zunächst einmal feststellen, dass das Gesetz, das wir jetzt haben, natürlich Einschränkungen macht. Wenn man sich das einmal genau anschaut, dann stellt man fest, dass diese inzwischen ziemlich eng gestrickt sind. Die Behörden dürfen Daten nur noch bei bestimmten schweren Straftaten nutzen, zum Beispiel im Falle der Bildung von terroristischen Vereinigungen, bei Mord, bei sexuellem Missbrauch und so weiter. Daten werden nur noch maximal zehn Wochen gespeichert. Das ist wesentlich weniger als in anderen Ländern, aber auch als nach dem Gesetz zuvor.

Der Abruf der Informationen, also die Nutzung, wenn man so will, muss durch einen Richter erlaubt sein. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern, etwa Rechtsanwälten, Ärzten oder Journalisten, dürfen nicht verwendet werden. Sie dürfen gespeichert, aber nicht verwendet werden; das ist auch etwas Neues. Die Daten zum E-Mail-Verkehr werden hiervon überhaupt nicht erfasst. Auch Kommunikationsinhalte werden nicht erfasst. Auch das ist ein

Unterschied zu der Regelung, die es möglicherweise in anderen Ländern gibt.

Im Gegensatz zu früheren Regelungen können wir, wenn wir jetzt auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 2. März 2010 zurückgehen, also erst einmal feststellen, dass weniger Daten gespeichert werden. Sie werden kürzere Zeit aufbewahrt, und es gibt wesentlich höhere Hürden für den Zugriff. Das muss man erst einmal konstatieren, auch wenn ich, wie gesagt, kein Freund von Vorratsdatenspeicherung bin.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Kann man immer noch dagegen klagen? Kann man dann immer noch ein Normenkontrollverfahren machen? Dazu vielleicht Folgendes - das haben auch andere schon gesagt -: Es gibt bereits Klagen. Es gibt die Klage der grünen Bundestagsabgeordneten Frau Rößner, die zusammen mit den Journalistenverbänden eine Klage eingereicht hat. Es gibt in der Tat seit Januar schon die Klage der FDP vor dem Bundesverfassungsgericht. Das heißt, Einzelklagen sind somit da.

Eigentlich, finde ich, bedarf es dann keiner politisch motivierten Normenkontrollklage. Ich glaube, das ist der Kern. Es geht nicht darum, dass man nicht dafür oder dagegen sein kann, sondern für mich stellt sich als SSW die Frage: Ist es opportun, Fragen, die in irgendeiner Art und Weise politisch entschieden worden sind - mit welchen Mehrheiten auch immer -, als Politiker immer wieder vor Gericht zu hinterfragen? Wenn das mein einziges Mittel ist und es das des Arguments nicht mehr gibt, dann wird es schwierig. Deswegen glaube ich, ist ein solches Normenkontrollverfahren, von uns angestoßen, eingeleitet dann durch die Landesregierung, genau der falsche Weg. Ich glaube, es ist richtig, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte einklagen, und das geschieht ja auch.

Wenn man einmal ganz genau hinsieht, dann stellt man fest, dass es bei diesen Klagen nur noch um eine Frage geht, was bei mir im Umkehrschluss die Vermutung wachsen lässt, dass all das, was im Gesetz sonst drinsteht, möglicherweise verfassungsrechtlich in Ordnung ist. Es geht eigentlich nur noch darum, ob die auch Daten von Berufsgeheimnisträgern gespeichert werden dürfen und ob man die in irgendeiner Form herausfiltern kann. Das will ich technisch gar nicht hinterfragen; das ist wahrscheinlich superschwierig. Aber das ist der Kern: Dürfen Daten von Rechtsanwälten gespeichert werden? Dürfen Daten von Journalisten gespeichert werden? Da ist es in Ordnung, dass die betroffenen Berufsgruppen entsprechend klagen. Da werden wir

(Lars Harms)

irgendwann auch Klarheit erhalten, meine Damen und Herren. Ich glaube, das ist auch etwas Vernünftiges, dass wir diese Frage noch geklärt kriegen. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass es richtig ist, immer wieder vor Gericht zu hinterfragen, was politisch beschlossen worden ist, auch wenn es mir möglicherweise nicht passt. Mein Respekt vor der Demokratie ist größer als meine Klagewut. - Vielen Dank.

(Beifall SSW und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen vonseiten des Parlaments liegen nicht vor. - Dann hat jetzt die Landesregierung das Wort. Das Wort hat der Minister für Inneres und Bundesangelegenheiten Stefan Studt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es jetzt mehrfach gehört: Beim Bundesverfassungsgericht liegen bereits Verfassungsbeschwerden vor. Ein weiterer Antrag ändert an der Rechtshängigkeit des Gesetzes beim Gericht nichts, und auch eine Normenkontrollklage der Landesregierung ändert daran nichts. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht erst am 12. Januar 2016 einen Antrag auf einstweilige Anordnung unanfechtbar abgelehnt, wonach §§ 113 b beziehungsweise 113 c des Telekommunikationsgesetzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zur Anwendung kommen dürfen; denn dies betrifft gerade die Kernnormen des Gesetzes. Für das Bundesverfassungsgericht lässt der Antrag nicht erkennen, dass - ich darf einmal kurz zitieren

„… Nachteile, die mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nach späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, die Nachteile, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten, in Ausmaß und Schwere deutlich überwiegen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen der antragstellenden Fraktion, soweit Sie mich an den bekannten Koalitionsvertrag, unseren Koalitionsvertrag, erinnern: Auch dieser gibt Ihrem Vorhaben kein hinreichendes Fundament, Haushaltsmittel in beträchtlicher Höhe für eine nicht erforderliche weitere Verfassungsklage dieser Landesregierung zu diesem Thema zu verbrauchen. Der Koalitionsvertrag spricht davon, dass man sich im Bundesrat und in

der Innenministerkonferenz gegen die Einführung aussprechen will. Das haben wir an vielen Stellen getan. Wir haben es hier häufig genug diskutiert. Der Abgeordnete Dolgner hat die vielen Termine hier genannt.

Jetzt ist das Gesetz auch ohne schleswig-holsteinische Stimme im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und gibt damit den aktuellen Rechts- und Anwendungsrahmen vor. Ich schließe mich da den Ausführungen des Abgeordneten Harms an. Auch ich akzeptiere den Gesetzesbeschluss des Bundes an dieser Stelle. Gemeinsam werden wir dann sehen, wie sich das Bundesverfassungsgericht in dem anhängigen Hauptsacheverfahren einlassen und wie es entscheiden wird.

Herrn Bernstein, es ist für mich ein Gebot des Respektes gegenüber dem Bundesverfassungsgericht und gegebenenfalls dem Europäischen Gerichtshof, hier mit einer möglichen Umsetzung in Landesrecht bis zum Vorliegen einer abschließenden Entscheidung zu warten. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Gibt es einen Überweisungsantrag? Mir liegt keiner vor.

(Zuruf: Nein!)

Dann stimmen wir in der Sache ab. Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Damit stelle ich ihn zur Abstimmung.

Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? - Das sind alle anderen Fraktionen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt. - Danke schön.

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 11:

Generellen Ausschluss von homo- und bisexuellen Männern von der Blutspende aufheben

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/3845

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Dudda von der Piratenfraktion.

(Lars Harms)