Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

(Lachen CDU und FDP)

Ich will, dass dieser majestätische Greifvogel auch in Zukunft in Schleswig-Holstein zu Hause ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Wenn wir das wollen, wenn wir die Zahl von bisher über 30 durch Windanlagen getöteten Seeadler nicht erhöhen wollen, müssen die Abstände so groß

sein, dass er nicht von seinem Revier in die Rotoren fliegt.

Wenn wir uns die Menschen anschauen, gibt es andere wichtige Schutzbelange, auch physische und psychische Belastungen, die wir sehr ernst nehmen: die Sorgen vor Infraschall, die Sorgen vor Schlagschatten, die Sorgen vor Lärm. Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst.

Aber wir wissen, dass die Belastung beim Menschen ab einem bestimmten Abstand objektiv nicht mehr nachweisbar ist. Wir sind in intensiven auch wissenschaftlichen Erörterungen, um die Unsicherheiten der Menschen wahrzunehmen, zu diskutieren, um die Hintergründe zu erarbeiten, um zu helfen, aus der wahrgenommenen Belastung herauszukommen. Erst in der vergangenen Woche haben wir mit renommierten Fachleuten einen Workshop zum Infraschall veranstaltet. Zudem werden wir den Infraschall von Windkraftanlagen in einem Messprogramm immer wieder überprüfen lassen.

All das ist für uns selbstverständlich, weil verantwortungsvolle Politik unterscheiden muss, wenn es einen Unterschied gibt - aber es muss auch einen Unterschied geben.

Wir setzen das übrigens auch durch. Wenn sich herausstellt, dass einzelne Anlagen über den Richtwerten liegen, dann schalten wir sie ganz oder teilweise ab, auch wenn sie schon gebaut sind.

Es bleibt auch unser Anliegen, den Bürgerwillen als Kriterium aufzunehmen. Das ist für uns wichtig,

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

wenn es sinnvoll, wenn es rechtlich praktikabel und nicht a priori angreifbar ist. Dazu werden wir noch in diesem Spätsommer mit den uns empfohlenen Experten ein entsprechendes relevantes Symposium veranstalten.

Ja, auch jeder von uns wünscht sich höchstmögliche Mindestabstände zu Siedlungen. Wer könnte grundsätzlich dagegen sein? Doch bei uns in Schleswig-Holstein haben schon geringfügig höhere Abstände Auswirkungen auf andere Schutzziele, und sie gehen auf Kosten anderer Schutzziele, oder sie gefährden den Erfolg der Energiewende ganz.

Um am Ende 2 % der Landesfläche als Vorranggebiet für Windkraft auswählen zu können, brauchen wir eine Potenzialfläche, die größer ist als 2 %, weil ich sonst nicht abwägen kann. Bei den jetzigen Abständen und Kriterien kommen wir derzeit auf eine Potenzialfläche von gut 3 %. Schon eine Erhö

(Ministerpräsident Torsten Albig)

hung der Siedlungsabstände auf 500 oder 900 m würde die Potenzialfläche - also Abwägungsfläche - auf 2 % reduzieren. Das heißt, dann gäbe es keine Abwägung mehr, sondern ich müsste genau die 2 % für jede Mühle nehmen, da nichts anderes zur Verfügung stünde.

Nimmt man den heute zur Diskussion stehenden Antrag der FDP, so verbleiben nach unseren aktuellen Daten und Kriterien nur rund 1,6 % der Landesfläche zur Abwägung. Wir brauchen aber 2 % für unser Energieziel. Nimmt man den Antrag der CDU, verbleiben sogar nur 1,1 % der Fläche. Wir brauchen aber 2 %.

(Widerspruch CDU)

Um das auszugleichen, müsste massiv in andere Schutzbelange eingegriffen werden. Darüber kann man diskutieren, aber das muss dann auch gesagt werden. Wollen die, die das fordern, ganze Gemeinden mit Windanlagen umzingeln, um andere Orte zu entlasten? Wollen die, die das fordern, charakteristische Landschaftsräume aufgeben? Wollen die, die das fordern, Grünzüge im dicht bebauten Hamburger Umland opfern? Wollen die, die das fordern, den Deichschutz aufweichen? Darauf muss es Antworten geben, sonst macht eine solche Forderung keinen Sinn.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Auf welche der rund 80 Tabukriterien soll verzichtet werden? Selbst wenn wir das Bundesnaturschutzgesetz missachteten und den Seeadler in die Rotoren fliegen lassen wollten, brächte uns das rechnerisch nur ein paar Meter mehr Abstand zu den Siedlungen. Das reicht bei Weitem nicht. Der Verzicht auf den Schutz aller Großvogelhorste brächte zusätzlich 0,28 % Landesfläche als Potenzial, wir brauchen aber beim CDU-Antrag 2 % und beim FDP-Antrag 1,5 % zusätzliche Landesfläche, um arbeiten zu können.

Meine Damen und Herren von der Union und der FDP, welche Schutzziele wollen Sie aufgeben, um an Ihre Ziele und Abstände zu kommen? Charakteristische Landschaftsräume verspargeln? Das kann man machen. - Das brächte 0,47 % zusätzliche Landesfläche.

Wir haben alle Kriterien transparent aufgearbeitet. Legen Sie Ihre Vorschläge auf den Tisch! Wer 1.000 m Abstand oder mehr von Windanlagen will, der muss eine Menge an Tabukriterien in den Rotor fliegen lassen. Gelingt Ihnen das nicht, müssten Sie in der Lage sein, Schleswig-Holstein um 30.000 ha

größer werden zu lassen. Das ist eine ambitionierte Aufgabe.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW - Unruhe)

Meine Aufgabe ist es, sämtliche Interessen in einen ausgewogenen Ausgleich zu bringen, fair, gerecht und für alle gleich. Bei den Tabukriterien kann es keinen Unterschied geben zwischen Nordfriesland und Stormarn. Würde ich das machen, wäre es vor dem OVG nicht gerichtsfest. Die Anforderungen des OVG werden die Planungen von 2012 deutlich verändern. Ja, wir werden viel Wildwuchs korrigieren. Das ist gut. Wir können nicht allen Wünschen nach noch mehr charakteristischen Landschaftsräumen wie an der Westküste nachkommen, aber wir werden auch an der Westküste andere Wege mit den Menschen und Verantwortlichen vor Ort prüfen und gehen können.

Ja, wir können auch nicht dem Argument entsprechen, wir hätten uns daran gewöhnt. Ich höre immer beides: Gib mir mehr charakteristische Landschaftsräume, aber da, wo es welche gibt, verzichte doch auf die Abstände. Dann geht es eher in die andere Richtung: Mach die Abstände kleiner. Wir haben uns doch daran gewöhnt.

Dieses Argument kann nicht gelten. Es kann nicht darum gehen, dass sich die jetzigen Bewohner an die Anlagen gewöhnt haben, sondern wir brauchen allgemeingültige Antworten, allgemeingültige Schutzansprüche, die jetzt und für alle Zeit gelten. Der Lärmschutz muss für alle gleich sein. Sonst verliere ich jedes Verfahren vor Gericht. Kreative Einzellösungen sind weder zeitgemäß noch gerichtsfest.

Wenn wir an einer Vorrangfläche von 2 % und einer Potenzialfläche von rund 3 % festhalten, dann müssen wir, wenn wir die Debatte ernsthaft führen, jedes Tabukriterium genau anschauen. Da muss jeder, der mehr als 400 oder 800 m verlangt, sagen, worauf er verzichten will, oder er muss so ehrlich sein und sagen, dass er eigentlich zu den Atomkraftwerken zurück will. Denn das ist die Alternative, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die ersten Entwürfe unserer Regionalpläne werden nach der Sommerpause fertig sein. Wir werden die Vorranggebiete so auswählen, dass wir einen austarierten Entwurf hinbekommen, der die Energiewende und die Akzeptanz der Energiewende im Blick hat und der vor den OVG bestehen kann. Wir werden drei wichtige Ziele damit erreichen: möglichst viel Landesfläche von Windanlagen freihalten, Investoren planungssichere Flächen anbieten und die

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Energiewende absichern und voranbringen. Mit der Entwurfsvorlage der Windregionalpläne im Spätsommer wird die Debatte ja im Kern erst beginnen. Dann geht sie richtig los, aber dann endlich auf der Basis von Fakten und nicht - wie heute - auf der Grundlage von reinen Vermutungen.

Ein Blick auf Berlin ist auch spannend für die Frage: Wie geht es eigentlich weiter, ob wir unsere gemeinsamen Ziele auch unter den neuen bundesweiten Rahmenbedingungen erreichen? Um es vorwegzunehmen: Wir können und wir müssen uns mit dem Ausbau mehr Zeit lassen, nicht nur wegen des Kompromisses in Berlin am 1. Juni 2016, sondern auch, seitdem wir wissen, dass die Stromautobahn SuedLink bis 2022 nicht fertig sein wird, wenn das letzte AKW vom Netz geht. Der Ausbau des Netzes verzögert sich - wie wir hören, bis mindestens 2025, auch weil es mehr aufwändige Erdkabel statt Freileitungen geben soll.

Man kann es nicht anders sagen: Wir sind bei der Energiewende in den Mühen der Ebene angekommen, nicht nur durch den populistischen Gegenwind hier und da, sondern auch durch die immer lauter werdenden Formulierungen der Interessen einzelner Interessengruppen aus Brüssel und aus Berlin. Bund und Länder haben vor einer Woche bei der Kanzlerin um einen erneuten Energiekompromiss gerungen, bis tief in die Nacht, sechs Stunden lang. Und ja, es ist richtig, das Ergebnis ist wahrlich nicht Schleswig-Holstein pur. Aber wir haben mit dieser Vereinbarung schlimmere Einschnitte für die Windenergie im Norden verhindert. Es war ein wahrer Kompromiss zwischen Bund, den einzelnen Ländern und den unterschiedlichsten Interessen, bei dem jede Seite etwas schlucken musste.

Eigentlich sehen wir aus schleswig-holsteinischer Sicht, dass das Klimaschutzabkommen von Paris uns zu einem schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien zwingen müsste, nicht nur für Strom, sondern auch für Wärmegewinnung und für Mobilität. Aber mit dem Bund war jetzt mehr als ein Festhalten an den bestehenden Ausbauzielen nicht zu machen. Wer die Medien verfolgt hat, der weiß, dass insbesondere die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch ganz andere Vorstellungen davon hatte, wo wir eigentlich nach dem Kompromiss rauskommen sollten. Aber es bleibt jetzt dabei, bis 2025 40 bis 45 % des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen decken zu wollen. Wir in Schleswig-Holstein werden bei unserem Klimaschutzgesetz ehrgeiziger sein.

Meine Damen und Herren, die Kompromisse, ja, sie waren schmerzhaft. Der Ausbau der Windenergie an Land wird gedeckelt - das ist nicht das, was wir im Koalitionsvertrag der Großen Koalition mal vereinbart hatten - deutschlandweit auf zunächst 2.800 MW im Jahr inklusive Repowering - wir hatten 2.500 MW plus Repowering im Koalitionsvertrag. 2020 dann 2.900 MW - schmerzhaft, sicherlich, aber weit mehr als das, was die Bundesregierung eigentlich wollte - es waren 2.500 MW - und weit, weit mehr als das, was die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Bundeskanzlerin mitgegeben hat. Die wollte 1.500 MW. Das wäre ein schreckliches Ergebnis für unser Land gewesen. Die Energiewende in Schleswig-Holstein wäre in eine Schockstarre verfallen, Wirtschaft und Arbeitsplätze in dieser hoch innovativen Brache wären belastet worden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, wir in Schleswig-Holstein wollen weiterhin in der erneuerbaren Branche regionale Wertschöpfung realisieren und Arbeitsplätze schaffen. Wir sehen, dass wir bundesweit bei 360.000 Arbeitsplätzen im Bereich der Erneuerbaren sind, 16.000 davon in Schleswig-Holstein. Energiewende ist eben immer auch Industriepolitik. Das sind übrigens deutlich mehr, als im Bereich von Kohle vorhanden sind.

Die Bundesregierung begründet ihre Zurückhaltung immer wieder mit Netzengpässen, damit, dass für Strom gezahlt werden muss, der gar nicht eingespeist werden kann. Das muss dann nicht so bleiben, lieber Herr Arp, wenn wir endlich mehr Tempo beim Netzausbau hinbekämen.

(Beifall SSW und Anke Erdmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir in Schleswig-Holstein - ich habe es gesagt - haben unsere Hausaufgaben gemacht. Ende Mai wurde der zweite Abschnitt der Westküstenleitung planfestgestellt.

Wir sind bereit und haben immer wieder in Berlin gefordert: Wir brauchen schnellere Planung für die großen Nord-Süd-Leitungen. Und wir werden das auch weiterhin tun. Wer der Windenergie die Flügel stutzt, der gefährdet am Ende doch nur den Bau der SuedLink-Trasse. Wir brauchen nicht weniger Druck für den Netzausbau, wir brauchen mehr Druck für den Netzausbau.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Die norddeutschen Länder haben gemeinsam im Kanzleramt klargemacht: Die Ausbaugebiete dürfen nur dann unterschiedlich behandelt werden, wenn der Netzausbau auch wirklich weiter vorangeht und die Windkraft im Norden nur übergangsweise langsamer wächst, bis dann die Netze endlich ausgebaut sind oder bis die, die tatsächlich die Netze verstopfen, das sind Kohle- und vor allem Atomstrom, endlich aus den Netzen verschwunden sind.

Was haben wir dann konkret erreicht? - Für die nächsten Jahr heißt das, dass wir in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein und Nordhessen maximal 890 MWh zubauen können, das sind 58 % der Ausbauleistung der Jahre 2013 bis 2015 und rund 100 % der Ausbauleistung der letzten zehn Jahre im Durchschnitt. Wir haben darüber hinaus die innovationsfeindliche Idee verhindert, dass Netzbetreiber willkürlich Anlagen abschalten und diese dann nicht mehr vergütet werden - eine windkraftfeindliche Forderung, die wiederum aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kam. Man kann manchmal glauben, dass dort überhaupt niemand sitzt, der aus Norddeutschland kommt.

Für unsere schleswig-holsteinischen energiepolitischen Ziele kommen wir pro Jahr mit rund 120 bis 150 Windrädern aus, 400 bis 500 MWh Zubau im Durchschnitt pro Jahr. Dieses glauben wir auch in einer veränderten Situation von Ausschreibungen hinbekommen zu können. Wir müssen keine Angst haben vor diesen Ausschreibungen. Unsere Wettbewerber und unsere Bürgerwindparks sind stark genug. Dieses Ziel ist erreichbar: von den knapp 900 MWh 400 bis 500 MWh nach Schleswig-Holstein zu holen.

Worüber wir uns sehr freuen, ist, dass wir in den Kompromiss der Bundesregierung hineinbekommen haben, Energiewende konsequent weiterzudenken. Ja, Strom für Maschinen oder Strom für das Smartphone ist zunehmend sauber. Jetzt wollen wir die erneuerbaren Energien auch in Transport und Verkehr sowie in der Wärmeversorgung nutzen, anstatt die Windanlagen bei überlasteten Netzen einfach auszuschalten. Auch dafür haben wir geworben, damit wurden wir gehört. Unser Konzept der zuschaltbaren Lasten war überzeugend. Bei Netzengpässen soll Ökostrom in Wärme oder auch in Wasserstoff umgewandelt werden oder die Batterien von E-Autos und Hybridautos laden. Für alle Möglichkeiten zuschaltbarer Lasten sind wir offen. Dieser Schritt muss und wird nun schneller kommen, und das ist auch gut so. Ich denke an das Zusammenspiel von Elektrodenheizkesseln, aus Wärmespeichern und Wärmenetz, wie sie gerade auf

der anderen Seite der Förde hier entstehen oder in Flensburg bereits laufen.

Wir haben die Experimentierklausel hineinbekommen für das Schaufenster Intelligente Energie. Die Smart-Region Pellworm stand dabei Pate, und das denken wir jetzt in groß. In dieses Schaufenster wollen wir die norddeutsche Energiewende NEW 4.0 stellen. Ohne diese Klauseln, die wir erreicht haben, wären verschiedene Modellprojekte kaum wirtschaftlich. Ich freue mich, dass die Bundesregierung zugesagt hat, dass wir dieses hinbekommen.

Das war eine schwere Nacht. Die Eckpunkte der jüngsten EEG-Reform sind ein Abschied von alten Gewissheiten. - Ja, das wissen wir. Aber ich bin ganz sicher: Wir in Schleswig-Holstein werden das miteinander hinbekommen. Die Erneuerbaren sind längst den Kinderschuhen entwachsen. Windstrom an Land ist inzwischen kostengünstiger - ist kostengünstiger! - als die Stromerzeugung mit neuen, fossilen Kraftwerken, und er ist auch viel kostengünstiger als die Stromerzeugung durch Atomkraft, wenn wir denn alle wahren Kosten von Atomenergie mit auf die Rechnung schreiben würden.