Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Ganz am Ende lassen Sie mich eines sagen: Sie stellen hier dar, ich, der Ministerpräsident und andere Mitglieder der Landesregierung hätten gerade in diesem Themenfeld keinen Gestaltungswillen. Ich finde, das ist wahrlich vermessen, denn Sie wissen genauso gut wie ich: In allen Diskussionen, die wir mit allen relevanten Organisationen führen, mit

(Minister Stefan Studt)

den Flüchtlingsverbänden, den Sozialverbänden, den Kirchen, den IHKs, den Unternehmensverbänden, den Gewerkschaften, den Wohnungsbaugesellschaften, den Mietvereinen, dem Landessportverband und vielen anderen, auf allen Ebenen sind wir mit den kommunalen Landesverbänden stets in der Diskussion, um die richtigen und die weiteren Schritte miteinander abzustimmen. Uns allen an dieser Stelle den Gestaltungswillen in der Diskussion abzusprechen, das ist - wie gesagt - schon besonders und bemerkenswert.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Noch ein Stichwort zur gesamtstaatlichen Verantwortung. Die Aufnahme und die Integration von Flüchtlingen sind sicherlich das Kernthema. Zum Thema integriertes Rückführmanagement: Frau Damerow, das Thema ist nicht auf die Hinweise, die wir von Ihnen bekommen, zurückzuführen, sondern auf die Beschlusslage der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin vom 26. Januar 2016. Damit machen wir genau das, was auch die Kehrseite der Situation ist.

Natürlich wissen wir, dass es verschiedene Gruppierungen und Menschen gibt, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Wir kümmern uns um diese Dinge. Sie sagen, Boostedt sei eine Neuregelung, diese habe es vorher nicht gegeben. Ich sage, seit 2006 gibt es eine Regelung, die vorsieht, dass eine zentrale Aufnahme in einer Unterkunft des Landes vorgenommen werden kann. Das war bislang in Neumünster der Fall. Künftig wird dies in Boostedt sein, und zwar mit dem ganz einfachen Ziel, dass wir die Menschen nicht nachts aus ihren Betten holen müssen, wenn die Rückführung ansteht, sondern dass wir ihnen die Möglichkeit geben, gezielt anzureisen und ein bis zwei Tage vorher Aufnahme in Boostedt zu finden. Dabei geht es um die Menschen, es geht um die Geflüchteten. Und es geht darum, diese in Sicherheit und Würde zurückzuführen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ist das niedlich!)

- Das mögen Sie als niedlich bezeichnen. Für mich ist das eine humane Verpflichtung.

Noch eines: Wir reden nicht über diejenigen, die wir nicht wollen. Bei denen, die ihrer Rückkehrverpflichtung nicht freiwillig nachkommen, haben wir weitere Instrumentarien. Sie kennen das Thema Abschiebegewahrsam. Darüber sind wir mit Hamburg in guten Gesprächen.

Was die Zentralisierung angeht, heißt das bei uns integriertes Rückkehrmanagement. Es gibt auch nach dem Konzept keine Zentralisierung dieser Rückführungsthematik, Frau Damerow. Es gibt weitere Dienstleistungen, die wir für die Kommunen, die in der Verpflichtung sind, diese Rückführung durchzuführen, wahrnehmen wollen. Wir wollen uns zentral darum kümmern, dass Charterflüge realisiert werden. Wir wollen uns darum kümmern, dass insbesondere die Begleitung durch Vollzugskräfte gewährleistet werden kann. Wir wissen, dass die Kreisausländerbehörden keine eigenen Vollzugskräfte haben. Diese werden wir auf Ebene des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten zur Verfügung stellen. Wir wollen die Polizeieinsätze koordinieren. Wir arbeiten an dieser Stelle gemeinsam mit den Kommunen. Ich glaube, das muss man hier nicht kaputtreden, sondern das ist genau das, was richtig und notwendig ist. - Danke schön.

(Starker, anhaltender Beifall SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, der Minister hat vier Minuten länger geredet als vereinbart. Diese Redezeit stünde jetzt allen Fraktionen zur Verfügung. Möchten Sie davon Gebrauch machen? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung.

Ich frage Sie zunächst, ob jemand beantragen möchte oder beantragt hat, dass die Anträge im Ausschuss weiter diskutiert werden sollen. - Dann kommen wir zur Abstimmung in der Sache, zunächst zu a): Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 18/4251. Wer diesem Antrag seine Zustimmung erteilen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von FDP und CDU. Wer lehnt diesen Antrag ab? - Das sind die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und PIRATEN. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung zu b): Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 18/4259. Wer will diesem Antrag seine Zustimmung erteilen? - Das sind die Mitglieder der FDP-Fraktion und der CDU-Fraktion. Wer lehnt diesen Antrag ab? - Das sind die Abgeordneten von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SSW und Piratenfraktion. Gibt es Enthaltungen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir können weitere Gäste auf der Tribüne begrüßen. Es sind Schülergrup

(Minister Stefan Studt)

pen des Wolfgang-Borchert-Gymnasiums aus Halstenbek sowie der Hebbelschule in Kiel. Auch euch heiße ich herzlich willkommen im Kieler Landeshaus.

(Beifall)

Wir machen nun weiter mit einem Thema, das sicher auch Schülerinnen und Schüler interessieren dürfte. Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Informatische Allgemeinbildung gewährleisten Pflichtfach Informatik an allen Schulen der Sekundarstufe I einführen

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/4215

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Sven Krumbeck von der Piratenfraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Code is Law“, frei übersetzt heißt das: Programmcode ist Gesetz. So titelte der amerikanische Jurist und Verfassungsrechtler Lawrence Lessig bereits 1999. Dieser Satz gilt heute umso mehr; denn wir sind uns alle einig darüber, dass die Digitalisierung unseres Alltags, ja unseres ganzen Lebens seit dem Ende der 90er-Jahre rasant vorangeschritten ist und dass sich diese Veränderung auch in Zukunft eher beschleunigen als verlangsamen wird.

Was folgt nun aus dem Satz „Programmcode ist Gesetz“? Für uns PIRATEN steht er sinnbildlich für eine Gesellschaft, in der das Alltagsleben zunehmend von informatorischen Aspekten geprägt ist. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären.

Wenn Sie früher bei Ihrer Bank einen Kredit aufnehmen wollten, dann war relativ klar, wie der Bankangestellte Ihre Kreditwürdigkeit ermittelt. Es ging zum Beispiel um Ihr Einkommen oder um Ihre Arbeitsplatzsicherheit. Vermutlich waren auch Ihr Ruf im Ort oder ein seriöses Auftreten nicht unwichtig. Heute funktioniert das anders. Nicht nur werden Informationen von Wirtschaftsauskunftsdateien eingeholt, nein, die Entscheidung, ob Sie einen Kredit bekommen, wird heute schon von mathematischen Algorithmen getroffen. Diese Algorithmen lassen in die Entscheidung eine Reihe von externen Faktoren einfließen: Sie wohnen in einer vermeintlich schlechten Gegend? Pech gehabt! Sie

heißen Cheyenne Sabina Krüger? Oh! Ihre Namensschwestern gelten statistisch als nicht besonders solvent. Und was sagt eigentlich Ihr FacebookAccount über Ihre Zahlungsmoral aus?

Ich könnte noch unzählige weitere Beispiele nennen, aber ich denke, es wird deutlich, warum wir informatorische Bildung brauchen. Sie ermöglicht unseren Schülern, einen Blick hinter die Dinge zu werfen, Sachverhalte nicht nur zu hinterfragen, sondern auch Antworten auf die Fragen zu geben.

(Beifall PIRATEN)

Wir statten sie mit dem nötigen Rüstzeug aus, um die Welt zu verstehen und nicht bloß im Strom mitzuschwimmen. Wenn Ihnen das jetzt bekannt vorkommt, dann ist das nicht verwunderlich; denn im Kern soll informatorische Bildung das leisten, was Schule schon immer geleistet hat, nämlich die Schüler auf das Leben dort draußen vorzubereiten, nur, dass das „Draußen“ heute eben auch die digitale Welt ist und nicht nur die analoge.

(Beifall PIRATEN)

An dieser Stelle sollte jetzt auch den letzten Zweiflern klar werden: Informatikunterricht ist kein betreutes Programmieren, kein „Wie erstelle ich eine Powerpoint-Präsentation?“ und kein „Wie funktioniert ein Monitor?“. Informatikunterricht bedeutet viel mehr. Er lehrt ein unverzichtbares informatorisches Grundverständnis unserer digitalen Welt. Nur wer dieses versteht, findet sich auch in Zukunft in der analogen Welt zurecht.

(Beifall PIRATEN)

Deswegen halten wir PIRATEN auch optionale Angebote wie Wahlpflichtfächer oder Arbeitsgemeinschaften für nicht ausreichend. Wir betrachten den Umgang mit und das Verständnis von Informationstechnologie als Kulturtechnik. Wer von uns würde schon die Lehre einer Kulturtechnik - nehmen wir als Beispiel das Lesen - nur auf freiwilliger Basis anbieten? Niemand.

(Beifall PIRATEN)

Stichwort Kontingentstundentafel. Wer von uns wäre damit einverstanden, dass der Mathematikunterricht zugunsten anderer Fächer ausfällt, weil nicht genug Stunden vorhanden sind? Niemand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist völlig klar, dass Sie unserem Antrag hier nicht einfach so zustimmen werden. Aber ich weiß auch, dass viele von Ihnen den Bedarf nach einem Fach Informatik ebenfalls sehen. Zum Beispiel hat die SPD letzte Woche eine Veranstaltung hier im Landeshaus ab

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

gehalten, in der es um Schulen auf dem Weg zum digitalen Lernen geht. Ich denke, es wird Zeit, dass wir den Weg weitergehen, vor allem deshalb, weil wir das Ziel nicht von jetzt auf gleich umsetzen können. Wir müssen die Lehrer ausbilden und Kapazitäten schaffen. Lassen Sie unsere Schüler nicht mehr nur mit Informationstechnologie lernen, sondern lassen Sie unsere Schüler die Informationstechnologie an sich begreifen und verstehen.

(Beifall PIRATEN)

Wir wären dann neben Sachsen und Bayern - das sind zwei Länder, die in den Naturwissenschaften ganz oben mitspielen - eines der ersten Bundesländer, die Informatik als Pflichtfach einführen. Beschreiten wir diesen Weg gemeinsam. Ich bin mir sicher, dass wir im Ausschuss eine fraktionsübergreifende Einigung werden erzielen können. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Vielen Dank. Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Heike Franzen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Fraktion der PIRATEN dankbar für ihren Antrag. Im täglichen Leben gehen wir inzwischen alle ganz selbstverständlich mit Informationssystemen um. Dazu gehören Computer, Handys, Kameras genauso wie die großen Systeme des Internets, dazu gehören Musiktauschbörsen und Suchmaschinen. Der Kollege Krumbeck hat ja gerade auch an einem Beispiel deutlich gemacht, wie weit das Auswirkungen haben kann.

Wie schnell die Entwicklung fortschreitet, erleben wir alle selber mit. Aber leider wissen nur die wenigsten, wie die Technologie und die Systeme tatsächlich funktionieren. Aber genau dieses Wissen wird für unsere Kinder und Jugendlichen immer wichtiger, wenn sie an gesellschaftlichen und vor allem auch am Arbeitsleben teilhaben wollen.

Um also diese Teilhabe in Zukunft konsequent und kritisch sicherstellen zu können, bedarf es ist der Tat Grundkenntnissen im Fach Informatik. Dabei geht es nicht nur um die Frage des Programmierens und des Bedienens von Anwenderprogrammen, die übrigens auch relativ schnelllebig sind, sondern insbesondere um systematische Grundkenntnisse im Umgang mit den Informationssystemen. Schülerinnen und Schüler sollen grundlegende, allgemeine

Kompetenzen für informatorisches Denken und Handeln erwerben, um auch mögliche Gefahren, die das Internet mit sich bringt, kritisch erfragen und erkennen zu können.

Deswegen soll das Fach Informatik - das haben wir ja im Übrigen auch schon in den Schulen - Grundlagen zum Verständnis einer solchen Technologie und der Systeme legen. Es ist bereits Bestandteil der Stundentafel. Allerdings - das muss man zugestehen - ist der Umfang der erteilten Unterrichtsstunden durchaus überschaubar. Wie aus meiner Kleinen Anfrage zu den naturwissenschaftlichen Fächern in den Oberstufen hervorgeht, nehmen an den Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe nur 8 % der Schülerinnen und Schüler am Informatikunterricht teil. In den Oberstufen an den Gymnasien sind es immerhin 17 %; das ist schon doppelt so viel. Aber vor dem Hintergrund der Bedeutung dieses Faches in der Gesellschaft ist das in beiden Fällen deutlich zu wenig.

(Beifall PIRATEN)

Gerade im Hinblick auf die stetig zunehmende Bedeutung von Informationstechnologien in unserem Alltag ist das Ziel, Informatik als Pflichtfach an den Schulen zu etablieren, richtig und mit Blick auf die gesellschaftliche und technische Entwicklung auch notwendig. Dazu gehören aus unserer Sicht eine fundierte Lehrkräfteausbildung, eine entsprechende Berücksichtigung in der Stundentafel und natürlich auch eine Evaluation des bestehenden Lehrplans.

Das werden wir nicht per Knopfdruck erreichen können, sondern es bedarf dazu mehrerer kleiner Schritte, die wir gehen müssen. Der Vorschlag der PIRATEN ist ja ein schrittweises Vorgehen, nämlich zunächst ein Konzept für die Einführung verbindlicher Angebote für Informatik zu schaffen und im zweiten Schritt auf die Verbindlichkeit von Informatik hinzuarbeiten. Das ist ein sehr pragmatischer und richtiger Ansatz.

(Beifall CDU und PIRATEN)