Protokoll der Sitzung vom 17.11.2016

Warum sind die Ergebnisse so interessant, dass Frau Ernst hierzu eine Regierungserklärung abgegeben hat? - Sie sind für Schleswig-Holstein besonders, weil es um den Zeitraum 2009 bis 2015 geht. 2009 fing die Schulreform der Großen Koalition an. Sie hat zu viel Unruhe in den Schulen geführt, man wusste nicht genau, was rauskommt. Jetzt haben wir in den Fächern Deutsch und Englisch belastbare Ergebnisse und können faktenbezogen sehen, was hilft und was nicht hilft. Deswegen macht es Sinn, hier darüber zu debattieren.

Herr Günther, ich verstehe nicht, warum Sie das so verreißen. Sie könnten doch eigentlich darauf hinweisen, dass es die Große Koalition war. Ganz viele Punkte - darauf gehe ich gleich detailliert ein -, die Sie jetzt kritisieren, hat die Union mit der SPD unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen eingeführt. Das könnten Sie sich ans Revers stecken. Was machen Sie stattdessen? Sie stellen sich hierhin, jammern, maulen und klotzen rum. Das ist nicht nachvollziehbar.

Warum hat die PISA-Studie 2001 einen solchen Ruck ergeben? - 2001 haben wir festgestellt, dass von den 15-Jährigen, die auch jetzt wieder geprüft worden sind, mehr als ein Viertel nicht sinnerfassend lesen konnte - nach neun Jahren Schule! Wir haben immer noch viel zu viele Jugendliche, die das nicht können. Die Zahlen sind zwar nicht eins zu eins vergleichbar. Wir liegen jetzt bei 17 %. Das ist immer noch viel zu viel, aber eine Senkung um fast 10 Prozentpunkte in dieser Risikogruppe ist ein wirklicher Erfolg.

Woran liegt das? Damals sind nicht nur Strukturdebatten geführt worden, es ging nicht nur um die Sichtstrukturen des Unterrichts, was man von außen gut sehen kann, es ging auch um die Tiefstrukturen. Es gab die Vereinbarung auf Bildungsstandards. Viele Lehrkräfte, viele Schulen haben sich auf den Weg gemacht und in Fachkonferenzen intensiv an der Unterrichtsqualität gearbeitet. Das ist die Ernte, die die Lehrkräfte jetzt einfahren. Das IQSH hat dabei massiv unterstützt.

Frau Ernst hat das Programm „Lesen macht stark" angesprochen, das sich an die Risikoschülergruppe wendet, die schwer in der Lage ist, Lesen zu lernen. Die Erfolge sind wirklich beträchtlich. Um diese Programme werden wir in anderen Bundesländern beneidet.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Englisch in der Grundschule: Ich gebe zu, dass ich eher skeptisch war, als das eingeführt wurde, weil ich dachte, dass die fachliche Qualifikation vieler Lehrkräfte nicht vorhanden ist. Die 15-Jährigen, die jetzt geprüft worden sind, waren im Jahr 2009 Drittklässler und sind alle mit Erfolg durch die Schulreform gegangen.

Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, alle Schulabschlüsse müssten gestärkt werden. Herr Günther, wenn Sie sich die Zahlen einmal sinnerfassend zu Gemüte geführt hätten - es geht ja auch um Lesekompetenz -, hätten Sie festgestellt, dass die Schulabschlüsse in allen Bereichen gestärkt worden sind: Es gibt mehr Leute, die Abi machen; es gibt mehr Leute, die den Mittleren Schulabschluss erreichen; es gibt auch mehr Leute, die den Ersten Allgemeinbildenden Abschluss erreichen.

Im Ziel unterscheiden wir uns nicht. Warum können Sie da nicht einmal sagen: „Ja, das ist in Ordnung“? Von mir aus sagen Sie: Es war die Große Koalition. Das wäre mir egal. Wir müssen doch einmal anerkennen, dass die Entwicklung gut ist, und dürfen nicht nur daran herummäkeln.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Gibt es Grund zum Ausruhen? - Nein, auf keinen Fall. Wir haben es schon angesprochen: Unsere Lehrkräfte haben eine gute Arbeit gemacht, aber sie haben das mit relativ niedrigen Bildungsausgaben im Land Schleswig-Holstein gemacht. Da liegen wir im Ranking immer ziemlich weit unten. Wir versuchen, da gegenzusteuern. Wir liegen da nicht im Mittelfeld. Unsere Lehrkräfte haben das geschafft, obwohl sie weniger zur Verfügung haben als Lehrkräfte in anderen Bundesländern. Wir wollen nachlegen: Unterrichtsversorgung, Inklusion, Sozialfaktor - das sind Punkte, bei denen ich keinen allzu großen Unterschied sehe, weil wir alle fordern, dass da mehr Ressource reingehen muss, auch in den Bereich DaZ.

Wenn Sie uns vorwerfen, dass die Qualität momentan absinkt, weil die Schulen teilweise keine Fachlehrer mehr bekommen, dann sage ich: Das ist ein Problem, das man unter Ihrer Regierung tatsächlich nicht gehabt hätte. Sie haben so viele Lehrerstellen gekürzt, dass man gar nicht in die Gefahr gekommen wäre, keine Leute zu finden. Früher war das Problem, dass man keine Stellen hatte. Jetzt haben die Schulen Stellen, aber in einigen Bereichen

nicht genug Lehrkräfte. Das ist ein Problem, das Sie tatsächlich nicht gehabt hätten.

(Zurufe)

- Herr Kubicki, das ist keine Legendenbildung. Sie müssen sich einmal die Zahlen angucken.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das können wir gern machen! - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das passt ihm einfach nicht, aber es stimmt halt! - Weitere Zurufe)

- Davor habe ich keine Sorge. - Risikoschüler sind ein weiterer Bereich, der eine große Rolle spielt. Da müssen wir weiter ansetzen. Frau Ernst hat das betont, Herr Stegner hat das betont. Wir müssen im Bereich der Risikoschüler stärker nach vorn kommen. Ich gehe jetzt nicht auf die Punkte ein, die man sich da vorstellen könnte, weil ich noch zum Faktencheck kommen will.

Herr Günther hat gesagt, die Bildungsreform dieser Landesregierung sei wie die Axt im Walde gewesen. Ich erinnere mich an Januar 2014: Die einzigen Proteste, die man vernehmen konnte, kamen von der Jungen Union, die draußen ein paar mäßig witzige Plakate geklebt hat. Wenn Sie das mit der Schulreform unter Schwarz-Gelb 2011 vergleichen: Da gab es einen Volksentscheid, es gab Unterschriftensammlungen, und es gab Demos. Und da behaupten Sie, das sei bei uns die Axt im Walde gewesen? Die Axt im Walde gab es unter SchwarzGelb, bei uns war es eher Staubquaste oder was weiß ich. Das ist wirklich ruhig abgegangen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Zurufe)

Ich komme jetzt zum Faktencheck. Herr Günther, Baden-Württemberg ist ein schlechtes Beispiel. Die Schulreform in Baden-Württemberg war 2013. Die Schülerinnen und Schüler, die 2015 in der neunten Klasse geprüft worden sind, sind von der Reform gar nicht direkt betroffen gewesen. Da haben Sie den Teufel an die Wand gemalt, obwohl das gar nicht die Schülerinnen und Schüler waren. Deswegen können Sie daraus überhaupt keine Farbenlehre ableiten.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, eine Nachricht an Sie und auch an die Union: Was man daraus ableiten kann, ist, dass diese ganzen Strukturhin- und herfummeleien Herr Günther hat gerade sein Wahlprogramm hier vorgetragen - eine ganze Masse an Schulunfrieden bringen werden, was die einzelnen Schulen wirklich in Diskussionen stürzen wird, die sie in der

(Anke Erdmann)

Qualitätsentwicklung jedenfalls nicht weiter nach vorne bringen. Wenn man etwas aus den Zahlen von Baden-Württemberg lernen kann, dann, dass eine Verunsicherung im Schulsystem Gift für die Qualität ist.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Deswegen ist Baden-Württemberg als Argument ein Bumerang.

Besonders beeindruckend finde ich, mit was für einer Chuzpe sich Herr Günther hier hinstellt und den Leistungsabfall durch Maßnahmen wie Abschaffung des Sitzenbleibens und den Einstieg in die notenfreien Klassen beklagt. Da habe ich mich nochmal gefragt: Also Moment, wann wurde das nochmal eingeführt? War es Schwarz-Rot? - Ja, es war Schwarz-Rot! Das Sitzenbleiben ist unter SchwarzRot abgeschafft worden. Die Einführung der notenfreien Klassen in 3, 5, 6 und 7 wurde unter der Großen Koalition eingeführt. Ich sage: Herzlichen Glückwünsch! Aber Sie sollten vielleicht einmal irgendwie überlegen, was es mit Ihrem Gedächtnis auf sich hat. Sie werfen uns jetzt Leistungsverweigerung vor und nehmen als Beleg dafür Maßnahmen, die Sie selbst eingeführt haben. Das ist das eine.

Das Zweite, was daran interessant ist: Die Schülerinnen und Schüler - ich habe das vorhin beschrieben -, die 2009 in der 3. Klasse waren, sind alle in den Genuss dieser Maßnahmen gekommen. Was sehen wir? Ist es leistungsfeindlich?

(Zurufe SPD: Nein!)

- Nein, im Gegenteil! Ich sage nicht, dass das jetzt eins zu eins übertragbar ist, aber zu sagen, das werde alles den Bach heruntergehen, weil jetzt RotGrün seine leistungsfeindlichen Punkte eingeführt habe, dazu sage ich: Faktencheck, Herr Günther!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Uns die Sachen vorzuwerfen, die Sie selbst eingeführt haben, ist so peinlich. Das ist wirklich peinlich!

Was habe ich mir noch aufgeschrieben? Es war ja ziemlich viel Unsinn.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Jungen seien im Lesen schlechter geworden. Die Jungen sind im Lesen nicht schlechter geworden. Wir haben Kompetenzzuwächse im Bereich Lesen - Herr Günther, da kann ich Sie beruhigen

bei beiden Geschlechtern. Aber die Paritäten sind noch weit auseinander. Aber da ist keiner schlechter geworden. Die Mädchen sind nur doll besser geworden als die Jungs.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Vielleicht ist es aber ein bisschen zu kompliziert, als dass Sie das verstehen könnten.

Ihre Kritik am Einheitslehrer: Ich verstehe sie einfach nicht. Wir hatten vorher fünf Bildungsgänge: Wir hatten Förderschullehrer, wir hatten Grundschul- und Hauptschullehrer - das war ein Bildungsgang -, wir hatten Realschullehrer, wir hatten Gymnasiallehrer, wir hatten Berufschullehrer. Fünf!

Jetzt haben wir: Grundschullehrer, Sekundarstufenlehrer mit dem Schwerpunkt I, Sekundarstufenlehrer mit dem Schwerpunkt II, Berufsschullehrer und Förderlehrer.

(Martin Habersaat [SPD]: Huch!)

- Huch! Zweimal fünf? - Aber das ist ja auch egal: Faktencheck: Ich sage mal „Einheitslehrer“.

(Lebhafter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SPD, SSW)

Ich, Daniel Günther, habe festgestellt: Die Leute mögen es, wenn man ihnen Angst macht.

Genauso zu der Angst, das Gymnasium abzuschaffen, ein kurzer Faktencheck: Dürfen jetzt Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium nicht mehr an die Gemeinschaftsschulen gehen? - Kokolores! Wir haben es nur als den normalen Weg aus dem Schulgesetz gestrichen. Natürlich gehen immer noch weiter Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium an die Gemeinschaftsschule. Uns ging es darum, dass nicht klassenweise abgeschult wird, wie das in einigen wenigen Schulen der Fall war. Das ist der Punkt. Viele Gymnasien können damit gut leben. Wenn Sie viel in Gymnasien unterwegs sind, dann sagen die Ihnen, sie merkten langsam, dass es ruhiger wird und dass sich die Stellenausstattung wirklich bemerkbar verbessert. Wir sind jetzt bei der Unterrichtsversorgung bei 99 %. Davon konnten die Schulen während Ihrer Zeit nur träumen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich belasse es einmal dabei. Ich finde, das war schon genug Zeug, an dem man zeigen kann, dass Sie überhaupt nicht über die Studie geredet haben. Sie haben Ihre scheinbaren Wahrheiten vom Red

(Anke Erdmann)

nerpult aus verkündet. Das ist ärgerlich. Für mich ist das - bezogen auf dieses Thema heute - ein Akt der Leistungsverweigerung. Ich sage noch einmal: „Applaus, Applaus!“ in Richtung der Schulleitungen, der Lehrkräfte, des IQSH und des Bildungsministeriums. Und vor allen Dingen: „Applaus, Applaus!“ in Richtung der Schülerinnen und Schüler.

(Lebhafter anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)