Protocol of the Session on January 25, 2013

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Es werden diverse Argumente für mehr Videoüberwachung angeführt, auf die ich kurz eingehen will. Das erste Argument ist, eine stärkere Videoüberwachung stärke die Sicherheit und führe dazu, dass weniger Straftaten begangen würden. Eine ausführliche Studie im Auftrag des britischen Innenministeriums, die wissenschaftlich und neutral durchgeführt worden ist und über zehn verschiedene Systeme analysiert hat, hat jedoch zu dem Ergebnis geführt, dass gerade in einem Fall, nämlich im Fall eines abgeschlossenen Parkhauses, ein Rückgang der Zahl der Kfz-Diebstähle festgestellt werden konnte, ansonsten aber auf öffentlichen Plätzen, vor allem auf Straßen, keinerlei Rückgang der Kriminalität infolge von Videoüberwachung beobachtet werden konnte.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Witthaut hat erklärt, dass, wenn man angesichts des versuchten Bombenanschlags von Bonn eine Ausweitung der Videoüberwachung fordere, es sich lediglich um eine Sicherheitssuggestion handele.

Ich musste heute in der Zeitung lesen, dass bei uns in Schleswig-Holstein in Erwägung gezogen wird, den Bahnhof von Burg in Dithmarschen mit Videoanlagen zu überwachen, weil dort Graffiti und Sachbeschädigungen aufgetreten seien. Es gibt eine Studie zum Bahnhof von Luzern, wo Videoüberwachung zum Einsatz gekommen ist. In dieser Studie wurde festgestellt, dass die Anzahl von Vorfällen von Vandalismus nach Einsatz von Videoüberwachungssystemen nicht merklich zurückgegangen ist. Deswegen hat die Stadt Luzern die entsprechenden Kameras auch zum Ende des letzten Jahres wieder abgebaut. Das ist also auch der falsche Weg, um gegen Vandalismus vorzugehen.

Eine weitere Hoffnung ist, man könne das Sicherheitsgefühl stärken. Die Studien, die sich wirklich die Mühe gemacht haben, die Bürger zu befragen, stellen aber fest: Vor Installation der Videoüberwachung meinen in der Tat die meisten Bürger, es würde ihr Sicherheitsgefühl stärken. Nachdem die Kameras aber da und einige Zeit vorhanden gewe

sen sind, zeigen alle Umfragen, dass die Bürger realistischerweise erkennen, durch die Kameras seien sie letztendlich nicht sicherer oder besser geschützt als vorher. Das heißt, eine nachhaltige Stärkung des Sicherheitsgefühls kann durch Überwachung nicht erreicht werden.

Eine dritte Hoffnung ist, es ließe sich vielleicht doch wenigstens durch die Kamerabilder die Aufklärungsrate steigern. Auch dazu gibt es eine Untersuchung, die in London durchgeführt worden ist, sicherlich die Hauptstadt der Überwachung in Europa. Auf 14 Bürger kommt dort eine Kamera. Durch diese Untersuchung wurde festgestellt: Wenn man die Zahl der Kameras in einem Gebiet mit der Aufklärungsquote in diesem Gebiet vergleicht, lässt sich keinerlei Zusammenhang feststellen. Das heißt, dass mehr Kameras nicht zu einer erhöhten Aufklärungsrate führen. Überhaupt kommen in London nur bei 3 % der Delikte bei den Ermittlungen Videobilder zum Einsatz. Wir müssen bedenken, dass sich in vielen Fällen die Delikte auch anders aufklären lassen, wenn keine Videoüberwachung vorhanden ist, ganz zu schweigen von den Fällen des falschen Verdachts, die ich genannt habe.

Selbst wenn man sich graduellen Nutzen erhoffen wollte, muss man doch immer noch die Effizienz betrachten. Das heißt: Ist unser „Sicherheitseuro“, der bei Videoüberwachungen vielleicht ein kleines bisschen bringen könnte, dort wirklich am besten eingesetzt, oder könnte er an anderer Stelle doch mehr bewirken? - Dazu sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei:

„Eine stärkere Polizeipräsenz an Orten, wo es häufig zu Gewalttaten kommt, ist wirksamer als die elektronische Linse. Jetzt auf mehr Technik zu setzen, ist zunächst der Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber den Auswirkungen der massiven Sparpolitik bei der Polizei.“

(Beifall PIRATEN, Dr. Kai Dolgner [SPD] und Tobias von Pein [SPD])

Was funktioniert wirklich, wenn man „Sicherheitseuros“ in die Hand nehmen will? - Eine helle und übersichtliche, gut einsehbare bauliche Gestaltung kann helfen. Eine Belebung von Bahnhöfen kann helfen. Die Beseitigung von Verschmutzungen ist wichtig, und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal stellt Sicherheit sicher und bewirkt, dass sich Menschen sicher fühlen. Das fordern wir mit unserem Antrag.

(Beifall PIRATEN)

(Dr. Patrick Breyer)

Ich kann jetzt aus Zeitgründen nicht weiter auf die einzelnen Argumente eingehen. Ich kann Ihnen aber die schöne Broschüre „Videoüberwachung Sicherheit geht anders“ - empfehlen, in der alle Argumente und Studien noch einmal aufgeführt sind. Die kann ich Ihnen auch gern nachher aushändigen.

Wir wollen, dass Bahnhöfe wirklich sicherer werden. Wir wollen ein Moratorium für den weiteren Ausbau der Videoüberwachung, und wir wollen, dass diese Zeit genutzt wird, um zu evaluieren, was die bisherigen Überwachungsmaßnahmen tatsächlich gebracht haben, ob sie etwas für die Sicherheit bewirken und ob sie den Euro wert sind, der in sie investiert wird.

Wir fordern an die Adresse der Deutschen Bahn bei der anstehenden Sicherheitskonferenz im Februar 2013, alle zu beteiligen, sowohl die Fahrgastverbände als auch unabhängige Kriminologen und Wissenschaftler und natürlich organisierte zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich im Bereich Datenschutz und Bürgerrechte einsetzen. Ich werbe für Ihre Unterstützung für diesen Antrag. Lassen Sie uns gemeinsam auf eine anlasslose, massenhafte Videoüberwachung verzichten, und lassen Sie uns Sicherheit schaffen, keine Überwachungsgesellschaft.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Dr. Kai Dolg- ner [SPD])

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Axel Bernstein das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist das glücklicherweise misslungene Bombenattentat auf dem Bonner Hauptbahnhof Auslöser der aktuellen Debatte über das Für und Wider einer verstärkten Videoüberwachung. Aber gerade daher geht es - anders als es im Antrag der PIRATEN suggeriert wird - nicht um reine Kriminalitätsbekämpfung und schon gar nicht darum, dass möglichst jeder Taschendieb auf Film gebannt werden sollte, sondern es geht um etwas ganz anderes.

Unser Land ist gerade deshalb, weil es eine offene und freiheitliche Gesellschaft ist, Zielscheibe für Feinde dieser Freiheit. So wie andere Demokratien auch werden wir von Terroristen bedroht, die

Gleichberechtigung, freien Handel, Gewaltenteilung und weitere Grundwerte mit Hass verfolgen. Wir sind aufgefordert, einer solchen Bedrohung ohne Angst und ohne Panik, aber mit Entschlossenheit entgegenzutreten. Die Terroranschläge der Vergangenheit zeigen, dass Täter gerade solche Ziele auswählen, an denen sie eine möglichst hohe Anzahl unschuldiger Opfer treffen können.

Wahrscheinlich sind wir uns im Grundsatz auch mit der Piratenfraktion sogar darüber einig, dass die Maßnahmen, die wir zum Schutz vor Terroristen ergreifen, immer das nötige Augenmaß haben müssen, dass nämlich nicht genau die Offenheit und Freiheit, die Ziel der Angriffe ist, von uns selbst eingeschränkt wird.

(Beifall PIRATEN)

Deswegen ist Videoüberwachung auch kein Allheilmittel. Aber eine maßvolle Optimierung an potenziellen Anschlagszielen wie zum Beispiel Bahnhöfen hält die CDU-Fraktion grundsätzlich für geeignet.

(Beifall Volker Dornquast [CDU] und Peter Lehnert [CDU])

Unbenommen davon ist, dass wir Terroristen auch in Zukunft natürlich nur dann erfolgreich begegnen können, wenn Polizei und Nachrichtendienste auf Bundesebene und auf Ebene der Länder personell und materiell angemessen ausgestattet sind.

(Beifall Volker Dornquast [CDU] und Wolf- gang Dudda [PIRATEN])

Videoüberwachung in diesem Kontext ist deshalb nicht zuerst ein Mittel der Abschreckung - diese Wirkung ist in der Tat fraglich -,

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

sondern sie soll die Wachsamkeit von Sicherheitsorganen und von Bürgerinnen und Bürgern ergänzen. Unser Ziel muss es doch sein, unsere Bevölkerung vor Terroranschlägen zu schützen, natürlich um der möglichen Opfer willen, aber auch - Sie haben die USA des Öfteren zitiert, gerade wenn man dorthin blickt - mit Blick auf die Folgen, die ein erfolgreicher Terroranschlag gerade auf die eigene Freiheit und die eigene Offenheit der Gesellschaft haben kann.

Vor diesem Hintergrund können wir dem Antrag der Piratenfraktion nicht zustimmen. Allerdings enthält er in der Tat einige Ansatzpunkte, über die es sich lohnt, weiter zu diskutieren, zum Beispiel die Frage, wie man Infrastrukturknotenpunkte wie Bahnhöfe oder Flughäfen baulich und von ihrem

(Dr. Patrick Breyer)

Unterhaltungszustand so aufbereiten kann, dass sie leicht zu überschauen sind, dass sie leicht einzusehen sind. Diese Aspekte wollen wir gern in der weiteren Diskussion aufgreifen. Ich schlage deshalb vor, den Antrag an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Simone Lange das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Vorteil ohne Nachteil: Der Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN wird von der Fraktion der SPD etwas differenzierter und kritischer gesehen. Freiheit verlangt Sicherheit. Wer sich nicht sicher fühlt, wird sich auch nie frei bewegen können.

In Ihrem Antrag - insbesondere in der Begründung Ihres Antrags - verbirgt sich das, was Sie auch in Ihrem Redebeitrag so deutlich vertreten haben, dass Sie nämlich schon jetzt für sich feststellen, dass Videoüberwachung - in dem Fall an Bahnhöfen - per se keine Straftaten verhindern würde. Sie schaffen damit eine tatsächliche Aussage, die wir so nicht unterschreiben können, auch wenn wissenschaftliche Studien immer wieder Aussagen in diese Richtung treffen.

Sie sagen auch, dass Videoüberwachung per se das Sicherheitsgefühl nicht stärken würde. Auch das halten wir für fragwürdig.

Sie beziehen sich in Ihrer Begründung unter anderem darauf, dass in Bonn ein Bombenanschlag versucht worden ist. Ich will einmal ergänzen, dass gerade dieser Bahnhof - zumindest an der Stelle - keine flächendeckende Videoüberwachung hatte. Möglicherweise - diese Frage können wir alle natürlich nicht beantworten - wäre der Anschlag durch eine richtige Technologie mit einem richtigen Konzept noch rechtzeitiger verhindert worden.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Breyer?

Ja, gern.

Bitte schön, Herr Abgeordneter!

Liebe Kollegin, können Sie bestätigen, dass an dem Bahnhof in Bonn durchaus Überwachungskameras installiert waren, dass die allerdings keine Aufzeichnung aktiviert hatten, dass aber die Täter, die im Bereich der Kameras die Tasche abgestellt hatten, das nicht wussten? Das heißt, dass ein Abschreckungseffekt der vorhandenen Kameras offensichtlich genauso wenig gegeben war wie in der UBahn in London zum Beispiel, wo auch Videoüberwachung vorhanden war.

Es ist richtig, es gab Videoüberwachung an Punkten des Bahnhofs. Es ist aber auch richtig, dass Tatverdächtige in Bonn nur deshalb identifiziert werden konnten, weil dort eine laufende Videokamera eines Schnellrestaurants einen Tatverdächtigen identifiziert hat.

(Beifall SPD)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bernstein?

Ja, gern.

Würden Sie meiner Vermutung zustimmen, dass Videoüberwachung mit Blick auf terroristische Aktivitäten eine andere Aufgabe erfüllt als mit Blick auf kriminelle Aktivitäten? Während man vielleicht die Hoffnung hat, dass ein Taschendieb abgeschreckt wird, geht es bei Terroristen sicherlich eher darum, zeitnah zu erkennen, was vorgeht.

- Das ist richtig, da gebe ich Ihnen recht.

Ihr geforderter Vergleich zwischen videoüberwachten und nicht videoüberwachten Bahnhöfen hinkt meines Erachtens, weil das Ereignen von Straftaten nicht allein davon abhängig ist, ob eine Videokamera vorhanden ist. Örtliche Gegebenheiten, Bevölkerungsstrukturen, soziale Strukturen, das Vorhandensein von Sicherheitskonzepten ganzheitlicher Art, all das sind Faktoren für Kriminalität an Bahnhöfen. Deswegen kann Videoüberwachung allein kein Vergleichskriterium sein. Jeder einzelne

(Dr. Axel Bernstein)