Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Meine sehr geehrten Damen und Herren Besucherinnen und Besucher sowie Mitarbeitende! Ich wünsche einen wunderschönen guten Morgen und einen guten Verlauf der heutigen Sitzung.
Zunächst einmal möchte ich mitteilen, dass von der CDU-Fraktion Frau Abgeordnete Barbara Ostmeier und Herr Abgeordneter Karsten Jasper krankgemeldet sind. Wir wünschen ihnen von dieser Stelle gute Besserung.
Beurlaubt sind für die Landesregierung Ministerin Professorin Dr. Wende und für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.
Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Besuchertribüne die stellvertretende Landesvorsitzende der Europa-Union und unsere ehemalige Kollegin Frau Kirstin Tappenbeck, die Sie alle noch unter dem Namen Funke kennen. Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Antrag der Fraktionen von PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/729 (neu)
Antrag der Fraktionen von FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/737 (neu)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der PIRATEN möchten wir die Landesregierung bitten, über eine Bundesratsinitiative eine Grundgesetzänderung zu erwirken, die ein Wahl- und Stimmrecht auf kommunaler Ebene für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen ermöglicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits im Februar 1989 wollte es die damalige schleswig-holsteinische Landesregierung durch eine Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlrechts ermöglichen, dass fremde Staatsbürger, die bei uns leben, also unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Recht bekommen zu wählen. Leider erklärte das Verfassungsgericht dies im Jahr darauf für verfassungswidrig.
Im Jahr 1992, angestoßen durch entsprechende Vereinbarungen im Vertrag von Maastricht, änderte der Bundestag das Grundgesetz, sodass EG-Bürgerinnen und -Bürger das Kommunal- und Kreiswahlrecht erhalten konnten. Schon damals hat das Land Schleswig-Holstein der Entwicklung auf Bundesebene den Boden bereitet. Heute, über 20 Jahre später, befinden wir uns in einer ähnlichen Situation.
Wir PIRATEN sind im vergangenen Jahr auch dafür angetreten, die Ausgrenzung von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund und ohne deutsche Staatsangehörigkeit von der demokratischen Teilhabe zu beenden.
Nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch auf Landes- und Bundesebene möchten wir Menschen, die am gesellschaftlichen Leben teilhaben, eine demokratische Teilhabe an den staatlichen Entscheidungen gewährleisten. Wir wollen, dass das Volk an der Demokratie teilhat. Das Volk sind für uns nicht nur deutsche Staatsangehörige, sondern alle Menschen, die in Deutschland leben und an Deutschland teilhaben.
Ein Rückblick: An dieser Stelle gingen die Auffassungen damals offenbar auseinander. 1990 - das möchte ich noch erwähnen - begründete das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der schleswig-holsteinischen Gesetzesänderung damit, dass das Volk, das das Wahlund Stimmrecht ausübe, ausschließlich das deutsche Staatsvolk sei, also nur deutsche Volksangehörige.
Heute, 23 Jahre später, hat sich die Auffassung verbreitet, dass auch die Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein integraler Bestandsteil der Gesellschaft und des Staates sind. Nicht zuletzt aufgrund des Versprechens der Willkommenskultur muss uns deutlich werden, dass die existierende Ausgrenzung ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht nur aus demokratietheoretischer Sicht ungerechtfertigt und unsinnig ist, sondern auch das falsche politische Signal setzt; denn wir wollen es heute nicht mehr als Bestandteil praktizierter Politik verstanden wissen, dass Minderheiten vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden.
Der Begriff des Staatsvolks hat sich mittlerweile entscheidend weiterentwickelt. Die Gesellschaft wird vielfältiger. Ausgrenzungen und Rassismus ist der Kampf angesagt. Vielfalt ist keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. Toleranz und Teilhabe sollen die Grundlagen unserer Gemeinschaft sein. Diese Entwicklung wollen wir mit unserer Initiative ins Grundgesetz tragen. Wir wollen, dass das Tor zur Demokratie, das 1992 von Schleswig-Holstein aus einen Spalt breit aufgestoßen wurde, nun immerhin einen Fußbreit geöffnet wird.
Wir wollen, dass nicht nur die Volkszugehörigkeit über die Angehörigkeit zur Gemeinschaft entscheidet. Denn wir halten die soziale und politische Teilhabe für ein Einwohnerrecht. Nicht die Staatsangehörigkeit, sondern das Eingebundensein in die Gesellschaft muss das Kriterium für Bürgerrechte sein.
Wir halten dies für einen zentralen Grundgedanken der Demokratie. Die Menschen, für die die Gesetze gelten, müssen die Möglichkeit haben, diese mitzugestalten und zu ändern, und zwar in Wahlen und Abstimmungen.
Aus diesem Grunde und aufgrund der langen Diskussion, die ich vorhin aufgezeigt habe, möchten wir gern über diesen Antrag heute in der Sache ab
stimmen. Wir schlagen vor, den Antrag der FDP, der eine Änderung mit Blick auf die Landtagswahl betrifft, dem Ausschuss zu überweisen und im Ausschuss eine Anhörung durchzuführen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bevor wir die Beratung fortsetzen, möchte ich noch eine Begrüßung vornehmen. Ich weiß inzwischen, wer neben der stellvertretenden Landesvorsitzenden der Europa-Union sitzt. Das ist die Geschäftsführerin der Europa-Union, Henrike Menze. - Seien auch Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Noch eine geschäftsleitende Bemerkung: Ich gehe davon aus, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 18/748, durch die Mitantragstellung zu den beiden weiteren Anträgen seine Erledigung gefunden hat. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann beraten wir jetzt im Wesentlichen die Anträge unter Tagesordnungspunkt 28 und Tagesordnungspunkt 35.
Wir kommen jetzt zum Antragsteller zu Tagesordnungspunkt 35. Das ist die FDP-Fraktion. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erfreulicherweise hat sich die Zahl der Antragsteller in beiden Fällen etwas vergrößert. Das ist gut so.
Europa wächst zusammen. Die Unionsbürgerschaft, die 1993 dazu geführt hat, dass EU-Bürger in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union das kommunale Wahlrecht erhalten haben, war schon ein großer Fortschritt. Die Zahl der Unionsbürger, die in einem anderen EU-Mitgliedsland leben, hat sich im Laufe der letzten zehn, zwölf Jahre annähernd verdoppelt auf mittlerweile 8 Millionen Menschen. Es gibt also sehr viele EU-Bürger, die in einem anderen EU-Mitgliedsland leben und arbeiten.
Gleichzeitig ist die Integration vorangeschritten mit dem Vertrag von Lissabon. Auch infolge des Lissabon-Urteils des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts sind die Teilhaberechte, die der Bundestag,
der Bundesrat, aber auch die Landtage im Gestaltungsprozess der Europapolitik erhalten haben, deutlich vergrößert worden. Das spricht dafür, dass wir den Unionsbürgern, die bei uns leben, auch auf der Ebene der Landtage ein erweitertes demokratisches Teilhaberecht einräumen.
Das ist übrigens auch ein Appell, der Anfang des Jahres vom Ausschuss der Regionen in einer, ich glaube, fast einstimmig getroffenen Entscheidung an die Mitgliedstaaten ergangen ist, sich in diese Richtung zu bewegen.
Erweiterte demokratische Teilhabemöglichkeiten für Unionsbürger in ihrem regionalen Umfeld sind also das Ziel der Initiative, die wir eingebracht und der sich die Koalitionsfraktionen angeschlossen haben. Es geht darum, dass die Landesregierung aufgefordert wird, in diesem Sinne eine Bundesratsinitiative einzuleiten und dabei auch die Frage eines gegebenenfalls bestehenden Änderungsbedarfs des Grundgesetzes zu prüfen. Es spricht einiges dafür, dass eine solche Wahlrechtserweiterung ohne grundgesetzliche Anpassung wohl nicht möglich ist.
Aber wie auch immer, wir glauben, dass es richtig ist, dass Schleswig-Holstein einen Anstoß in diese Richtung gibt. Denn generell kann man sagen, ist das Ausländerwahlrecht - das hat auch gerade das 1993 eingeführte Wahlrecht auf kommunaler Ebene für Unionsbürger gezeigt - ein Instrument, das die Integration voranbringt. Das ist ein Grund, der aus unserer Sicht dafür spricht, das kommunale Wahlrecht auch auf Bürger aus Drittstaaten, also nicht EU-Mitgliedstaaten, bei uns auszuweiten.
Deshalb werden wir dem Antrag der PIRATEN und Koalitionsfraktionen zustimmen. Wir regen allerdings an, dass wir dann auch diesen Antrag in den Ausschüssen beraten, dass wir also beide Anträge in die Ausschussberatung hineingeben. Denn auch hier sind natürlich noch rechtliche Fragen zu klären im Zuge der Entwicklung einer solchen Bundesratsinitiative. Das lässt sich, glaube ich, auch mit der Landesregierung diskutieren. Ich würde also darum bitten, dass wir beide Anträge noch für kurze Zeit in die Ausschussberatung geben, um dann aber doch mit breiter Mehrheit als Schleswig-Holsteinischer Landtag zwei Initiativen in diese Richtung zu starten.
Noch einmal gesagt: Ich freue mich sehr, dass unsere Initiative zur Erweiterung des Landtagswahlrechts auf Bürger der Europäischen Union auch die Unterstützung der Koalitionsfraktionen gefunden hat. Ansonsten hoffe ich auf eine konstruktive Beratung der beiden vorliegenden Anträge.