Protokoll der Sitzung vom 13.06.2012

nicht nur Attitüde sein. Wir suchen diesen Dialog, und wir sind neugierig auf das, was wir hören.

Wenn wir über unsere Rolle in Europa reden, wenn wir über unsere Nachbarschaft reden, dann ist es auch nicht nur eine kulturelle Randnotiz, ein Niceto-have, sondern wir wollen, dass in unserem Land dänisch und friesisch gesprochen wird. Es ist nicht nur ein Punkt in Kulturhaushalten oder in Bildungshaushalten, um den man in Koalitionsverträgen ringt.

Wir möchten - und auch ich möchte es -, dass sich die jungen Menschen in unserem Land hier in der Besonderheit Schleswig-Holsteins verorten, dass sie hier ihre Wurzeln auswerfen und dass sie dabei erkennen, dass dieses Land eines ist, das vielschichtiger als andere in Deutschland ist, das selber Wurzeln geworfen hat, die weiter nach Europa gehen. Deswegen werden wir so etwas fördern, nicht, weil wir glauben, es ist eine nette Geste, sondern weil es uns europäischer macht.

All die, die es noch nicht gesehen haben, die glauben, dass man solche Bündnisse kritisieren muss, die glauben, dass es unterschiedliche Qualitäten von Beteiligung gibt, rufe ich auf, mit uns darüber nachzudenken, ob sie auf dem richtigen Weg sind, mit uns darüber nachzudenken, ob es nicht für das gesamte Haus, für die gesamte politische Klasse in Schleswig-Holstein an der Zeit ist zu sagen, ja, genau zu diesem modernen Verständnis bekennen wir uns. Das kann und darf kein Streit zwischen den Parteien sein. Wir wollen Zusammenarbeit. Wir wollen Partnerschaft. Wir wollen die Hand reichen. Das wollen wir im Norden Europas. Das wollen wir zwischen den Regionen unseres Landes, zwischen jeder einzelnen Frau und jedem einzelnen Mann.

Meine Regierung wird alles dafür tun, unser Land sozial und regional zusammenzuhalten. Es hilft uns nicht, Städte gegen den ländlichen Raum zu stellen. Es hilft uns nicht, die deutsch-dänische Region gegen die Metropolregion in Stellung zu bringen. Es hilft uns nicht, die Vorteile Ostholsteins gegen die Nordfrieslands abzuwägen, auf die Waage zu legen und sich gegeneinander in Position zu bringen. Nur wenn wir uns als ein Land begreifen, das Teil einer über unser Land hinausgehenden europäischen Region ist, werden wir die einmaligen geowirtschaftlichen Vorteile Schleswig-Holsteins auch nutzen können. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

Wer von außen auf unser Land schaut, wird nicht auf die Idee kommen, dass es ein Land ist, das nicht wirtschaftlich prosperiert. Wer von außen auf dieses Land schaut und sieht, dort ist eine Metropolre

gion in Hamburg, da ist eine Metropolregion in Kopenhagen, da ist ein baltischer Raum mit Wachstumskräften, die die Europäische Kommission für die größten Europas hält, wird sagen, es ist die ideale Lage, um sich wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreich aufzustellen. Wer von außen auf uns schaut, wird sehen, dass sie die Lernmöglichkeiten in Europa direkt vor der Tür haben. Sie müssen es nur tun. Sie müssen es nur nutzen. Wir wollen und wir werden das. Dazu gehört eine politische Kultur, die wir ändern wollen, auf die wir Wert legen und die auf Dialog, Transparenz und Teilhabe aufbaut.

Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl, die für uns alle eine schmerzhaft niedrige war, die auf ein historisches Tief von nur noch 60 % gesunken ist, macht deutlich, dass es höchste Zeit ist, über politische Kultur in unserem Land nachzudenken. 60 % sind ein Sorge machendes Ergebnis. Das wieder zu ändern ist Verpflichtung von Parlament und Regierung. Mit Sorge sehe ich, dass viele der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land den Eindruck haben, dass von denen da oben in der Politik für ihre Lebenssituation dort unten nicht viel zu erwarten sei. Sie sehen, dass Milliarden für die Rettung von Banken sehr schnell organisierbar sind, aber die 6.000 € für die Sanierung des stinkenden Klos in der Schule der Kinder nicht da sein sollen, dass die uns fehlen und wir sie in Sparprogrammen - in kommunalen wie in anderen - offensichtlich nicht finden. Sie erleben Staat als einen, der in ihrem Leben keine Antworten mehr geben will, nicht mehr geben kann. Warum also sollten sie wählen gehen?

Wir sind es, die den Menschen in unserem Land Antwort geben müssen, die diese Widersprüche erklären müssen, die natürlich da sind und die wir nicht wegreden können, die wir daher deutlich machen müssen Wir müssen deutlich machen, dass wir Grenzen haben, die aber nicht Zeichen unserer Handlungsunfähigkeit, sondern der Komplexität der vor uns stehenden Probleme sind. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürgern wieder davon überzeugen: Deine Meinung interessiert uns, deine Stimme kann etwas bewegen, du bist Mitgestalter und Mitentscheiderin, du bist Subjekt von Politik und nicht nur Objekt unseres Tuns. Mach mit, sei an der Seite von Politik, und wir werden Schritt für Schritt dieses Land voranbringen. - Aber wir müssen auch genauso klar sagen, wenn wir über Beteiligung reden: Du kannst nicht erwarten, dass du mit deiner Meinung eins zu eins durchkommst. Denn zur Demokratie gehört auch, dass das Interesse dort an eine Grenze stößt, wo ein anderes berechtigtes Interesse formuliert wird.

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Ja, ich bin für Beteiligung - zutiefst -, eine Beteiligung, die das Gelingen will und nicht nur in das Scheitern verliebt ist, eine Beteiligung, die ihre Verantwortung kennt und die nicht in die Verantwortungslosigkeit flüchten will, eine Beteiligung, die die Entscheidung vorbereitet und nicht sie unmöglich machen will.

Meine Regierung wird Entscheidungen treffen, Entscheidungen, die gut, fair und transparent vorbereitet werden, Entscheidungen, die wir erklären und die wir verantworten, für die aber nicht gelten wird, dass jeder sie akzeptiert haben muss, bevor wir sie treffen. Der Weg hin zur Entscheidung muss akzeptiert sein, der Weg hin zur Entscheidung muss Basis unseres gemeinsamen Handelns sein. Das ist die Bedeutung von guter Bürgerbeteiligung.

Wir werden die repräsentative Demokratie in den nächsten fünf Jahren gemeinsam weiterentwickeln. Unser Nordbündnis hat sich das vorgenommen.

(Beifall Abgeordneter Wolfgang Kubicki [FDP])

- Dass Sie da mitmachen, freut mich sehr.

Meine Landesregierung wird Schleswig-Holstein zum deutschlandweiten Vorbild für eine aktive Informationsfreiheit machen. Jeder soll sich einbringen und frei äußern können, niemand soll unter Generalverdacht stehen. Auch deshalb lehnen wir eine Vorratsdatenspeicherung für unser Land ab.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN, SSW und vereinzelt CDU)

Unser Grundsatz lautet, dass der Zugang zu Informationen zur Regel und seine Verweigerung zur Ausnahme werden muss. Künftig wird auch die Regierungskommunikation genau diesen Grundsatz widerspiegeln. Wir werden die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, unser Handeln Schritt für Schritt nachzuvollziehen und sich an geplanten Entscheidungen ihres Landes, ihres Staates, als Bürger auf Augenhöhe zu beteiligen. Wir werden Bürgerbegehren erleichtern und auch die gesetzlichen Hürden für Volksinitiativen auf Landesebene senken. Wir werden auch das Wahlalter bei Landtagswahlen von heute 18 auf künftig 16 Jahre senken.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Wer junge Menschen für die Demokratie, für Teilhabe begeistern will, der sollte ihnen nicht das Wahlrecht verwehren. Wir stellen fest, wenn wir mit 16-Jährigen zusammenkommen, die in unseren

Schulen sind, und hier über das Leben dieser jungen Menschen reden, dass sie sehr kundig und sehr mündig sind. Sie wissen genau, was hier passiert. Wir sollten nicht den Fehler machen zu sagen: Wenn wir das Wahlalter senken, wählen die uns vielleicht gar nicht. - Das sage ich gerade in Richtung Volkspartei.

Nein, unsere Aufgabe muss sein, sie dafür zu begeistern, weil sie ernst genommen werden, dass sie mitwirken können, dass sie deswegen zu Wahlen gehen und dann auch für das breite Rund des Hohen Hauses ihre Stimmen abgeben. Die jungen Menschen sind längst so weit. Viele meiner besten Gespräche als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt habe ich mit sehr kundigen jungen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes geführt. Was in Kommunen funktioniert, wird für unser Land auch funktionieren.

Das sind Botschaften der Veränderung des Stils und des Umgangs, der Transparenz und des Dialogs, die wir senden, die uns von großer Bedeutung sind. Deswegen stehen sie auch am Anfang dieser Worte.

Lassen Sie mich nun auf fünf zentrale politische Ziele der Koalition und in meiner Regierung eingehen.

Das sind an erster Stelle die Fragen, wie es mit Bildung und Wissenschaft weitergeht, wie wir uns zur Kultur aufstellen. Ich rede mit Ihnen zweitens über Wirtschaft und Arbeit für Schleswig-Holstein. Wie stärken wir unser Land, wie setzen wir Kräfte frei, die in Schleswig-Holstein sind, aber noch schlummern?

Drittens. Wie machen wir das mit der Energiewende?

Viertens. Wie geht es mit sozialer und innerer Sicherheit in Schleswig-Holstein weiter?

Fünftens. Wie konsolidiert man Haushalte aller öffentlichen Ebenen so, dass sie alle vorankommen?

Neue Horizonte wollen und werden wir auch in der Bildungspolitik setzen. Gerade hier soll sich unser Politikverständnis beweisen. Das Bildungsministerium und die Bildungsministerin sind dabei von zentraler Bedeutung. Wir wollen, dass dieses Schlüsselressort meines Kabinetts sich noch stärker als Dienstleister, als Förderer, als Partner an der Seite unserer Schulen und Hochschulen sieht, dass es sich täglich von der Leitfrage leiten lässt: Was hilft eigentlich guter Schule und guter Hochschule? Nicht: Was macht ihr den Weg schwer, was für Bürokratie kann ich mir ausdenken?

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Der Grundsatz soll sein, dass alles, was besser vor Ort geregelt wird, auch vor Ort geregelt werden soll. Wir vertrauen unseren Schulen.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Wir vertrauen unseren Hochschulen, und wir sind bereit, ihnen mehr Verantwortung zu geben. Ich setze auch hier auf Dialog, Transparenz und Teilhabe, gemeinsam mit Schülern, Lehrern und Eltern.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, wir stehen gemeinsam vor der großen Herausforderung, die Anschlüsse zwischen den Bildungsabschnitten nicht zu Sackbahnhöfen werden zu lassen: von Krippe zu Kita, von Kita zu Grundschule, der Weg hin zum bestmöglichen Schulabschluss, der Übergang in Berufsausbildung oder Studium. Wie fördern wir die Potenziale unserer jungen Menschen in unserem Land?

Wenn wir auf die Realität Schleswig-Holsteins schauen, sehen wir, dass wir hier nicht so gut sind, wie wir sein könnten. Wir sehen, dass wir uns an den Stellen, an denen wir verhindern können, dass aus jungen Menschen Verliererinnen und Verlierer werden, heute nicht ausreichend Mühe geben, dass wir nicht da sind, wo junge Menschen gefördert werden müssen, dass wir nicht da sind, wo sich die Wege gabeln, ob ich nach oben oder nach unten fahre, dass wir nicht da sind, wo wir zwar sonntags über Krippe reden, über Beteiligung, über Sprachkompetenz, aber montags vergessen haben, dass man dafür auch eine Krippe braucht, dass man dafür Erzieherinnen und Erzieher braucht, die ausgebildet sein müssen, dass wir so schrecklich inkonsequent in dem sind, was wir tun.

Der Erfolg unseres Landes beginnt in den ersten Jahren unserer Kinder. Wenn wir den Jüngsten keine Chancengleichheit geben, wenn wir ihren Eltern die Möglichkeit nicht geben können, Familie und Beruf vernünftig zu vereinbaren und deshalb Kinder nicht in Krippen und nicht in Kitas sind, wird dieses Experiment, das wir machen, Kosten aufrufen, es wird ein teures Experiment sein. Wir werden sehen, dass unsere Kinder dann nicht ihre Potenziale ausschöpfen können.

Meine Damen und Herren, das ist der zentrale Grund dafür, dass meine Regierung auf die Kommunen in diesem Land zugeht und sagt: Wir können es nicht akzeptieren, dass ihr nicht in der Lage seid, einen Rechtsanspruch, den diese Gesellschaft

versprochen hat, zu erfüllen. Wir können es nicht akzeptieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Es ist nicht zuvorderst eine Debatte des aktuellen Haushalts, ob wir Krippenplätze schaffen. Es ist eine Debatte der Haushalte der Zukunft, ob es uns gelungen ist, Krippenplätze ins Werk zu setzen. Es ist eine Debatte der Haushalte künftiger Generationen, ob wir versagt haben vor dieser Idee unserer Gesellschaft, die wir alle für richtig halten, bei der wir uns aber scheuen, den Schritt zu gehen und sie auch umzusetzen. Kommunen alleinzulassen auf diesem Weg, sich aus der Verantwortung zu stehlen, ist ein Versagen.

Dieses Versagen will meine Regierung nicht akzeptieren. Deswegen gehen wir an die Kommunen heran und nehmen das auf, was uns das Landesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat, im Dialog mit den Kommunen eine Lösung zu erarbeiten. Wir werden vorschlagen, dass wir uns in einem ersten Schritt der Entlastung der kommunalen Welt an den Betriebskosten der Betreuung der unter dreijährigen jungen Menschen in unserem Land beteiligen werden. Wir werden das leider nur in kleinen Schritten tun können. Das werden wir von 2013 bis 2017 in 15-Millionen-Euro-Schritten aufbauend machen. Wir werden jede haushalterische Anstrengung leisten, um das abzubilden; denn wenn wir hier versagen, wird eine andere Finanzministerin, ein anderer Finanzminister in späteren Jahren fragen: Warum haben die das nicht getan? Warum muss ich jetzt in meinem Haushalt die Folgen tragen?

Es gibt kein starkes Land mit schwachen Kommunen, und es gibt keine starken Kommunen mit einem schwachen Land, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Abgeordneter Uli König [PIRA- TEN])

Meine Regierung weiß das. Sie weiß es nicht nur deswegen, weil in ihr eine Bürgermeisterin und zwei Bürgermeister vertreten sind. Wir wissen es, weil wir aus diesem Leben kommen. Auch wissen wir, dass es nicht ausreicht, abstrakt über unser Land zu reden, sondern wir müssen konkret beschreiben, wie Schleswig-Holstein besser wird, meine Damen und Herren.

(Beifall Abgeordnete Christopher Vogt [FDP] und Oliver Kumbartzky [FDP])

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Dazu gehört auch, dass wir uns gegen Überlegungen des Bundes wenden, Kommunen wieder zu schwächen, indem ein Betreuungsgeld eingeführt wird, das kein Mensch braucht und das ganz offensichtlich Familien von guter Bildung fernhalten wird und fernhalten soll. Das lehnen wir ab.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und PIRATEN)

Dies beschädigt die Kraft unseres Landes, gerade das zu tun, was wir alle für richtig gehalten haben, nämlich Krippen und Kitas auszubauen. Dieser Plan ist falsch. Wenn man ihn nur aus Gründen politischer Macht umsetzt, zeigt dies, dass man nicht verstanden hat, was unser Land braucht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und PIRATEN)