Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung. Erkrankt ist Herr Abgeordneter Klaus Jensen. Wir wünschen ihm von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Bitte begrüßen Sie mit mir Schülerinnen und Schüler der Immanuel-Kant-Gemeinschaftsschule in Reinfeld und des Auguste-Viktoria-Gymnasiums in Flensburg. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 und 55 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Europawahl am 25. Mai 2014: Das Europäische Parlament stärken - Chancen auf Mitbestimmung nutzen!

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/1853 (neu - 2. Fassung)

Inzwischen liegt ein interfraktioneller Antrag aller Fraktionen vor. Das heißt, Sie bekommen nachher eine Neuvorlage der Drucksache. Die Fraktion der PIRATEN ist diesem Antrag soeben beigetreten, wenn ich dies richtig verstanden habe.

b) Schleswig-Holstein in Europa - Europapolitische Schwerpunkte 2013 bis 2014 Europabericht 2013 bis 2014

Bericht der Landesregierung Drucksache 18/1841

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Zunächst erteile ich das Wort der Ministerin für Justiz, Kultur und Europa, Frau Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Brennende Häuser, bürgerkriegsähnliche Kämpfe mit Toten und Verletzten, eine Scheinabstimmung, die allen demokratischen wie rechtstaatlichen Grundsätzen Hohn spricht und die im Schatten von Panzern einer anderen Macht stattfindet, die Annexion eines Landesteils; dies sind keine Bilder aus

der Dritten Welt, das sind Bilder aus Europa, aus der Ukraine, aus unserer Nachbarschaft.

Es fällt nicht leicht, mit diesen Bildern im Kopf die Debatte über den Europabericht zu eröffnen und über die Umsetzung von EU-Verordnungen und -Programmen, über die Frage von Entwicklungsperspektiven für die deutsch-dänische Zusammenarbeit oder über die erfolgreiche Vertretung der Interessen des Landes auf EU-Ebene zu diskutieren. Diese Bilder zeigen etwas, was wir uns schon lange nicht mehr vorstellen konnten. Frieden in Europa und der Verzicht auf altes Machtstreben sind nicht mehr selbstverständlich. Der Kern der europäischen Idee ist noch lange nicht überall verwirklicht.

Die EU ist in dieser Krise bisher einheitlich aufgetreten, trotz unterschiedlicher Perzeptionen. Der Ansatz, über Diplomatie und Verhandlungen weiterzukommen, entspricht der europäischen Idee. Wir alle hoffen, dass eine Lösung gefunden wird, die für das ukrainische Volk akzeptabel ist und nicht zu einer langfristig andauernden geopolitischen Konfliktsituation führt.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt PIRA- TEN)

Da ist es fast ein Symbol, wenn am 25. Mai 2014 zwei Wahlen geplant sind: Die Wahlen zum Europäischen Parlament in den Mitgliedstaaten der EU und die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine. Die ersteren Wahlen werden stattfinden; friedlich, rechtstaatlich, frei. Ob die anderen Wahlen wirklich stattfinden können, weiß derzeit niemand.

Meine Damen und Herren, Europa, insbesondere die EU, hat gewaltige Herausforderungen zu bewältigen, und zwar außen wie innen. Innen kommt es immer stärker darauf an, dass diese EU die Lösung vieler Probleme ist und nicht, wie viele Populisten behaupten, das Problem selbst. Die europäische Politik muss sich das Primat politischer Gestaltungskraft erhalten, um den Menschen zu zeigen, was für ein Wert die EU für uns ist. EU-Politik zu gestalten, ist nicht einfach. Mitunter sind es viele mühsame, kleine Schritte, aber so ist das eben.

Abseits der aktuellen Ereignisse befinden sich auch die Europäische Union - und mehr noch die europäische Idee - in einer gefühlten Dauerkrise, in der fast alles auf die Bewältigung der Wirtschafts-, der Banken- und der Finanzkrise reduziert wird. Ich halte es für äußerst problematisch, dass bei aller Konzentration auf die Krisenbewältigung der Blick für die zentrale Frage verlorengeht, die jetzt gestellt werden muss: Welches Europa wollen wir nach der Krise? Überlebt überhaupt der Konsens, dass

wir nur gemeinsam in der globalen Welt bestehen können? Kurz - wir müssen aktuell erkennen, dass Europa mehr bedeutet als Bankenaufsicht und Finanzmarktkontrolle.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Es gehört schon fast zu den europapolitischen Gemeinplätzen, dass die Zustimmung zur EU auch deshalb geringer geworden ist, weil der Alltag die europäische Idee eingeholt hat. Ich glaube, das ist ein zentrales Problem.

Es stimmt auch, dass die europäischen Themen kompliziert sind. Das weiß jeder, der sich zum Beispiel mit den Feinheiten der Programmierung von Strukturfonds beschäftigen durfte. Doch ist das wirklich der Grund dafür, dass die Diskussion über Europa und über die europäische Idee ein immer größer werdendes Maß an politischer Rechtfertigung und Entschuldigung enthält? - Ich glaube, nein.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, ein wichtiger Grund liegt darin, dass der politische Diskurs über Europa - treffender: der demokratische Streit - oft genug auch von der strategischen Einschätzung getragen wird, man könne hier besser holzen als bei anderen Themen, weil sich hier eh niemand richtig auskenne. Ich ärgere mich, dass in der Diskussion über Europa gerade in Wahlkämpfen gern Logik und Fakten vergessen werden.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Da wird in aktuellen Wahlprogrammen gefordert ich zitiere -, „dass Staaten, die die Stabilitätskriterien nicht erfüllen, die Eurozone verlassen können“ gemeint ist natürlich: verlassen sollen. Oder: Auch Deutschland solle am besten aus dem Euro ausscheiden und zur D-Mark zurückkehren. Dass dies für das Exportland Deutschland eine massive Aufwertung seiner Währung mit der Folge einer massiven Verschlechterung seiner Wettbewerbsfähigkeit bedeuten würde, wird da genauso gern übersehen wie der dann unvermeidliche ökonomische Kollaps für Griechenland.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn trotz Rückkehr zur Drachme blieben die Staatsschulden in Dollar und Euro bestehen und müssten bedient werden. Ich weiß, das ist kompli

ziert, aber es gehört nun einmal zum ökonomischen Einmaleins dazu.

Ich will europäische Fehlentwicklungen weder klein- noch wegreden. Es gibt sie, und sie müssen gelöst werden. Aber hier geht es um anderes. Populismus kümmert sich nicht um Fakten oder komplizierte Erklärungen. Er spielt mit Behauptungen und Vorurteilen und manchmal bewusst mit der Unwahrheit. Genau da verläuft die Grenze zu einer verantwortungsvollen politischen Diskussion. Umso wichtiger ist es, dass wir alle der Versuchung widerstehen, den Stammtisch zu bedienen. Gerade hier müssen sich die demokratischen und verantwortungsvollen Parteien von populistischen Kräften wie der AfD abheben.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Zu einer ehrlichen Diskussion gehört auch, nicht nur vor der Wahl die große Bedeutung des europäischen Parlaments zu betonen, sondern sie auch nach der Wahl ernst zu nehmen.

Ich finde es richtig, dass die großen europäischen Parteienfamilien eigene Spitzenkandidaten aufgestellt haben. Ich finde es zwingend, dass derjenige Spitzenkandidat der Parteienfamilie, der nach der Wahl eine Mehrheit im europäischen Parlament hinter sich weiß, Präsident der nächsten Kommission wird.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Schlagzahl bei der Befassung mit europapolitischen Themen nimmt zu. Dies gilt für den Landtag und seine Ausschüsse sowie für die Landesregierung. Es gilt auch für die kommunale Ebene, für Akteure und Verbände im Land. Über so gut wie alle landespolitisch relevanten Themen, die im Europabericht genannt werden, wurde und wird der Landtag informiert, beziehungsweise er befasst sich bereits damit. Ich nenne nur die laufende politische Auswertung des Arbeitsprogramms der Kommission, das Frühwarnsystem von Landtag und Landesregierung und die laufende Befassung mit komplexen Einzelthemen, wie es die Programmierung der Strukturfonds in den letzten zwei Jahren war.

Ich denke, es ist wichtig, bei jeder Gelegenheit zu sagen, dass europäische Politik uns alle und unseren Alltag betrifft. Man schaue sich seine Wohnung und die standardisierten Bestimmungen für Geräte an. Dann wird man wissen: Auch das hat mit europäischer Politik zu tun. Wobei ich die Standardisie

(Ministerin Anke Spoorendonk)

rung, die mit den Staubsaugern zu tun hat, nicht schlechtreden möchte; denn das hat letztlich etwas mit Klimaschutz zu tun. Auch das muss man, denke ich, sagen.

Dem, der jetzt immer noch mit der Krümmung von Bananen kommt, einer Bestimmung, die schon vor Jahren aufgehoben wurde und die letztlich aus Sicht der deutschen Industrie wichtig war, weil man diese Kartons hatte, in denen man zehn Gurken verpacken konnte - es war nicht die Krümmung von Bananen, sondern die Krümmung von Gurken, wie ich gerade höre -, muss ich sagen: Auch das gehört zu einer europapolitischen Debatte dazu, dass man nicht immer mit den alten Sachen kommt und nicht immer Vorurteile schürt.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine Damen und Herren, ich möchte ein Thema herausgreifen, das für diese Landesregierung eine herausragende Bedeutung hat, nämlich die Weiterentwicklung der deutsch-dänischen Zusammenarbeit. Die enge Zusammenarbeit mit Dänemark ist unverzichtbarer Bestandteil der Europapolitik des Landes. Sie gehört ebenso notwendig zur Landesinnenpolitik Schleswig-Holsteins. Chancen auf Wachstum, Beschäftigung und Gestaltungskraft gewinnt unser Land nicht nur aus der Nachbarschaft zu Hamburg, sondern auch aus der Zusammenarbeit mit unserem Nachbarn Dänemark.

Diese Zusammenarbeit stützt sich vor allem auf drei Pfeiler: die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Region Syddanmark die INTERREGA-Programme der EU, deren Förderungen, viele grenzüberschreitende Projektkooperationen erst möglich machen, sowie die politische Kooperation STRING, in der neben den Partnern Hamburg und Skåne eine gute Zusammenarbeit mit den dänischen Regionen Sjælland und Hovedstadsregion sowie der Kommune Kopenhagen besteht. Eingerahmt wird dies von der erfolgreichen kommunalen Zusammenarbeit in der Region Schleswig-Sønderjylland, der sich im Aufbau befindenden Kooperation in der Fehmarnbelt-Region und durch die vielfältigen Netzwerkkooperationen, die im Rahmen der INTERREG-Programme entstanden.

Als wichtige Marksteine im Berichtszeitraum will ich kurz nennen: die Unterzeichnung der deutschdänischen Kulturvereinbarung für die Region Sønderjylland-Schleswig am 10. April 2013, die turnusmäßige Übernahme des Vorsitzes der STRINGKooperation im August 2013 und die Unterzeichnung des Jahresarbeitsplanes 2013/2014 für die

Partnerschaft mit der Region Syddanmark im Oktober 2013.

Das von Syddanmark und dem Kulturministerium getragene INTERREG-Projekt Dybbøl 2014 ist gleichsam das neue Fundament der Zusammenarbeit, bei der beide Partner den Blick auf die gemeinsame Gegenwart und die gemeinsame Zukunft richten. Dybbøl 2014 steht für eine neue Erzählung in der deutsch-dänischen Zusammenarbeit. Damit steht Dybbøl 2014 auch für neue Begegnungen, die über 2014 hinaus den Rahmen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bilden.

Kulturbegegnungen, Wirtschaftsbegegnungen, Jugendbegegnungen - lassen Sie mich zwei Beispiele nennen.

Erstens. Am 3. April 2014 fand eine deutsch-dänische Wirtschaftstagung in Flensburg statt, ausgerichtet von der Region Syddanmark, der IHK zu Flensburg, dem Udviklingsråd Sønderjylland und unserem Wirtschaftsministerium. Gemeinsam wurden die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale der Region herausgestellt und erstmals ein deutschdänischer Innovationspreis für Existenzgründungen verliehen.

Zweitens. Rund hundert Jugendliche aus Syddanmark und Schleswig-Holstein sollen im Sommer unter dem Motto „jUNG zuSAMMEN 2014“ ihre Zukunftsvisionen für die deutsch-dänische Region entwickeln. Diese sollen in einem deutsch-dänischen Jugendparlament hier im Landeshaus diskutiert und die Ergebnisse dem Landtag und dem Regionsrat Syddanmark vorgelegt werden.

Ministerpräsident Torsten Albig hat in seiner Rede bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Schlacht bei Dybbøl völlig zutreffend unterstrichen, dass Dänemark und Schleswig-Holstein beständig aufeinanderzuwachsen, auf eine ganz neue Weise und ohne zu verschmelzen. In diesem Prozess bringen sich die Minderheiten beiderseits der Grenze engagiert und zielgerichtet ein. Mir persönlich, meine Damen und Herren, ist es wichtig, dass dies hier noch einmal gesagt wird.