Wir lernen: Es sind nicht die Entscheidungen des Ministerpräsidenten, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle problematisch sein könnten. Es ist ausschließlich die Unfähigkeit der anderen, die Genialität des Ministerpräsidenten überhaupt zu verstehen.
Zu all denen, die Herr Albig hier wie dumme Schuljungen abkanzelt, können wir ohne Weiteres die Kollegen Jürgen Weber und Rasmus Andresen zählen. Beide haben zum Teil sehr scharfe Kritik an dem sachlich bislang noch unbegründeten Neuzuschnitt des Sozialministeriums geübt, und ich finde völlig zu Recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer einen Ministerpräsidenten hat, der braucht als Mitglied der regierungstragenden Fraktionen Feinde wirklich nicht mehr zu fürchten.
Eine unerträgliche Selbstüberschätzung ist das eine, die bewusste Irreführung der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit ist etwas anderes und wiegt für mich deutlich schwerer. Es ist schon bemerkenswert, dass Sie die Querelen der vergangenen Monate heute mit keinem einzigen Wort erwähnt haben, denn über Wochen haben Sie die Menschen in Schleswig-Holstein in der Causa Wende absichtlich hinters Licht geführt. Wenn wir erfahren, dass Wara Wende beim Betreten der Staatskanzlei am Freitagnachmittag noch gar nicht wusste, dass sie anschließend zurücktreten will, dann war die Pressemitteilung der Staatskanzlei vom 15. September 2014 eine schamlose Täuschung.
Die Menschen in Schleswig-Holstein können erwarten, dass bei einer Bilanz der vergangenen zweieinhalb Jahre hierüber ebenfalls Aufklärung gegeben wird. Stattdessen hören sie von Ihnen dazu ganz und gar nichts. Die Menschen interessieren sich dafür, welchen Sinn es hat, durch Mitarbeiter der Staatskanzlei vorsorglich ein Rücktrittsschreiben anfertigen zu lassen, wenn der Ministerpräsident noch gar nicht wusste und nicht wissen konnte, dass die Ministerin persönliche Gründe für ihren Rückzug geltend machen will. Die Menschen wol
len von Ihnen persönlich wissen, warum Sie Ministerin Wende rausgeworfen haben. Ich finde das nicht nur schofelig, sondern ziemlich merkwürdig.
Herr Ministerpräsident, ich sage es Ihnen ganz deutlich: Dass Sie in dieser Frage die Unschuldsvermutung gegenüber Ihrer Bildungsministerin mannhaft verteidigt haben - das habe ich hier schon einmal gesagt -, hat mir Respekt abgenötigt. Das hat auch Respekt verdient. Dass Sie diese Unschuldsvermutung aber beim nächsten Anlass gleich wieder über Bord geworfen haben, obwohl Frau Professor Wende bis zum heutigen Zeitpunkt noch immer nicht angeklagt wurde, ist vor diesem Hintergrund nur noch schwach.
Plötzlich war diese Unschuldsvermutung, die Sie wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, völlig gegenstandslos. Plötzlich war Wara Wende schuldig, von Ihnen persönlich verurteilt und hinausgeworfen.
Nicht „die Öffentlichkeit“, nicht „die Strafverfolgungsbehörden“ oder „die Opposition“ haben Wara Wende auf dem Gewissen. Frau Wende wurde Opfer Ihres Handelns, Herr Ministerpräsident. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache müssen sich auch Ihre Kabinettskollegen selbst fragen, was Ihr Wort eigentlich wert ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zweieinhalb Jahre Rot-Grün-Blau sind auch zweieinhalb Jahre Abbruch in der Bildungspolitik. Ich habe ja schon mit Verwunderung feststellen müssen, dass Sie jetzt im „Schleswig-Holstein Magazin“ offiziell den Schulfrieden ausgerufen haben.
Ich weiß nicht, woher Sie diese Informationen haben. Aber in den Schulen - das kann ich Ihnen sagen - sieht es wirklich anders aus.
In der rot-grün-blauen Koalition geht es um Grundsätzliches: Geradezu erschütternd ist, dass diese Koalition versucht, nach und nach jeglichen Leistungsgedanken aus der Schule zu verbannen. Wenn wir erleben, dass die notenfreie Grundschule in Schleswig-Holstein der Regelfall werden soll, dann fragen sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes schon, wohin die weitere Reise gehen soll.
Da wird auf Parteitagen angeblich gute Bildungspolitik definiert, die anschließend mit der Brechstange durchgesetzt werden muss, ohne auch nur im Entferntesten daran zu denken, ob die Lehrer, Eltern und Schüler diese Politik eigentlich wollen.
Ein wirklich klassisches Beispiel können wir den „Lübecker Nachrichten“ vom 22. Oktober 2014 entnehmen. Danach erklärte der Lübecker Schulrat Gustaf Dreier (SPD) die von den Bedürfnissen anderer Menschen ungetrübte sozialdemokratische Welt. Auf die Frage: „Warum stehen Kinder und Eltern dann so auf Noten?“, antwortete er - und ich bitte Sie jetzt wirklich zuzuhören -:
„Kinder sind wettbewerbsorientiert. Das ist auch nicht schlimm, aber pädagogisch nicht wertvoll. Eltern kennen Zeugnisse nicht anders.“
Hieran sind mindestens zwei Dinge interessant: Erstens lautet die Botschaft: Wir wissen es besser als die Eltern, die im Grunde sowieso keine Ahnung haben. Dahinter steckt schon eine bemerkenswerte Überheblichkeit. Zweitens können wir erkennen - das wundert mich bei Ihnen überhaupt nicht -, dass Leistungsbereitschaft und Durchsetzungsvermögen bei Sozialdemokraten ganz offensichtlich unerwünscht sind.
Sie sagen es ja selbst: Kinder wollen sich messen. Und was tun Sie? Sie wollen ihnen das verbieten! Wie pädagogisch wertvoll ist das denn?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich musste über viele Jahre lernen, dass bildungspolitische Debatten nicht ausschließlich von Sachlichkeit und Logik getragen werden müssen. Wer aber den Wettbewerbsgedanken aus den Schulen tilgen will, der sollte unbedingt logisch weiterdenken. Der sollte sich schon fragen, welches bildungspolitische Ergebnis wir bekommen, wenn wir gegen Wettbewerb in den Schulen sind, dann in den Hochschulen, dann in der Wirtschaft. Wir arbeiten damit - Herr Ministerpräsident, das müssten Sie eigentlich wissen - gegen jede Form von Fortschritt. Wettbewerb ist die Keimzelle des Fortschritts. Nur wer sich mit anderen messen kann, kann auch besser werden. Dass Sie das nicht wollen, ist für die Zukunft des Bildungsstandortes und des Wirtschaftsstandortes Schleswig-Holstein fatal.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass auch Sie dazulernen wollen im Sinne der Schülerinnen und Schüler in unserem Land.
Für uns alle steht zu befürchten, dass es in der sozialdemokratischen Bildungspolitik so bleibt, wie es war: Die Eigenverantwortlichkeit der Schulen wird, soweit es geht, eingeschränkt. Denn am Ende einer gewissermaßen basisdemokratischen Entscheidung könnte ja immer ein Ergebnis herauskommen, das den bildungspolitischen Zielvorstellungen dieser Koalition zuwiderläuft. Wahlfreiheit kennen Sie nicht, weil Wahlfreiheit im Zweifel auch gegen Sie gerichtet sein kann, und das wollen Sie nicht.
Es ist bestenfalls ein Ausdruck von Wirklichkeitsverweigerung, wenn Sie, Herr Ministerpräsident, uns heute erklären, dass das rot-grün-blaue Schulsystem den Eltern und Schülern im Land Wahlfreiheit lasse. Die Wahrheit ist: Sie haben die Wahlfreiheit bei den Gymnasien eingeschränkt. Sie erklären hier ganz bewusst die Unwahrheit.
Das von der Koalition schulgesetzlich durchgesetzte Verbot der Gründung weiterer G-9-Gymnasien kann man nur im bildungspolitischen Gesamtzusammenhang von Rot-Grün-Blau verstehen: Die Angst der Koalitionäre vor der freien Entscheidung aller Schulkonferenzen für G 9 war größer als das Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit des eigenen G-8-Konzeptes.
Auch Sie konnten die vielen Umfragen nicht übersehen, in denen sich stets eine überwältigende Mehrheit für G 9 an Gymnasien ausgesprochen hat. Und weil Sie trotz dieses eindeutigen Votums meinen, es besser zu wissen, haben Sie einfach den Wunsch vieler durch die Änderung des Schulgesetzes unterdrückt. Das ist bildungspolitische Bevormundung par excellence. Sie werden erleben, dass diese Entscheidung für Sie noch zum Bumerang werden wird. Denn mittlerweile befinden Sie sich mit dieser Entscheidung bundesweit nahezu allein auf weiter Flur. Schauen Sie doch mal nach Niedersachsen, wo Ministerpräsident Weil das flächendeckende G 9 wieder eingeführt hat. Schauen Sie doch mal nach Hessen, wo die SPD schon lange auf einem reinen G-9-Kurs ist, übrigens in Rheinland-Pfalz auch. Schauen Sie doch mal nach Baden-Württemberg, wo Grün-Rot das schleswig-holsteinische Modell von Ekkehard Klug in weiten Teilen kopiert hat. Schauen Sie nach NordrheinWestfalen, schauen Sie sich die Diskussion in Bay
ern an, und Sie werden erleben: Sie, Herr Dr. Stegner, werden demnächst der bildungspolitische Geisterfahrer in Deutschland sein, nicht die anderen.
Herr Ministerpräsident, Ihre Ausführungen zu Bildung und Wissenschaft haben mich wirklich begeistert. Vor drei Tagen haben Sie einen Offenen Brief der Landes-ASten-Konferenz bekommen. Hierin üben die Studenten zum Teil scharfe Kritik an Ihren haushalterischen Schwerpunkten und liefern Ihnen eine Zustandsbeschreibung über die derzeitige Hochschulsituation im Land. Es heißt dort:
„Wegen Überfüllung abgebrochene Vorlesungen, Sprachkurse über 50, Seminare mit weit mehr als 100 Studierenden in einem Seminarraum. Wir werden von Bussen stehen gelassen und finden keinen Platz in den zu kleinen Mensen und Bibliotheken. Das Gefühl macht sich breit, dass die Politik Studierende in Schleswig-Holstein stehen lässt. Ausfinanzierte Hochschulen finden scheinbar keinen Platz im finanziellen Verteilungskampf.“
„Symptome des jenseits seiner Belastungsgrenze arbeitenden Systems Hochschule lassen sich viele anführen: vorlesungsartige Seminare, Fließbandbetreuung in den Sprechstunden der Lehrenden, Burnout-Fälle in der Studierenden- und Prüfungsverwaltung, Mittagessen auf dem Boden sitzend, verschimmelte Gebäude, Wettrennen um Bibliotheksarbeitsplätze und Bücher, kontinuierlich steigende Frustration bei allen Beteiligten, Medikamentenmissbrauch und ein immens steigender Beratungsbedarf.“
Das kann doch nicht alles während der letzten zweieinhalb Jahre der Regierung von Schwarz-Gelb oder Gelb-Schwarz passiert sein.
Und Sie, Herr Ministerpräsident erklären heute und sonst auch allerorten, wie wichtig Wissenschaft und Forschung für Schleswig-Holstein sind.
- Dass ihr die Wirklichkeit nicht wahrnehmen wollt, ist euer Problem, tut mir leid. Aber zugleich, Kollege Baasch, reduzieren Sie den entsprechenden Haushaltstitel im Haushaltsentwurf um fast 5,6 Mil