Protokoll der Sitzung vom 12.11.2014

„SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SSW wollen gemeinsam als Bündnis für den Norden einen neuen Politikstil in SchleswigHolstein etablieren.“

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet, sagt der Volksmund zu so einer Ankündigung. Es ist doch himmelschreiend, dass in Ihrer heutigen Regierungserklärung nicht mit einem einzigen Wort ein besserer Politikstil angesprochen wird. Es ist doch höchst verwunderlich, dass das Wort Dialog nicht ein einziges Mal vorkommt. Sie haben hier Ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Jetzt kommt das von mir erwartete: „Ihr seid auch nicht besser!“. Stimmt. Die Schreibmaschinen waren sicher ein kreativer Protest und dem jugendlichen Übermut geschuldet. Schauen wir uns aber doch einmal in dieser Runde um. Schließlich zählt das Ergebnis. Ich sehe nicht nur PIRATEN hinter ihren Laptops und Tablets, sondern auch Abgeordnete anderer Fraktionen und Minister.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN])

Wir haben auch im Glauben an die Richtigkeit unserer Argumente wichtiges politisches Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Wir waren nicht besser, aber wir haben daraus gelernt.

Ich will an einigen Beispielen festmachen, wo und wie Sie uns und die Menschen in Schleswig-Hol

stein enttäuscht haben. Da demonstrieren Vertreter von Studenten-, Eltern-, Schüler- und Lehrerschaft, die Sie ja nicht zuletzt im Wahlkampf 2012 hofiert haben, vor dem Landeshaus, weil diese die Bildungspolitik der ehemaligen Ministerin für mangelhaft, für ungenügend, ja für völlig verfehlt halten. Dieser demokratischen Meinungsäußerung von etwa 500 Menschen begegnet der selbsternannte Politikstilverbesserer Torsten Albig, unterstützt von einem rabaukenhaften und testosterongesteuerten Umweltminister mit den Worten: respektlos, töricht und dumm. - Herr Ministerpräsident, Sie sind nicht besser als andere.

Da gab es einen Innenminister, der sich zunächst als Kronprinz, dann als einsamer Rufer in der Wüste gegen alle seine Kollegen unter Führung des bereits beschriebenen Politikstilverbesserers und gegen den gesamten Landtag Schleswig-Holsteins gestellt hat. Dieser Innenminister nutzte seine guten Kontakte in den von ihm verantworteten politischen Bereich, um sich ansprechen zu lassen und dann zu einem gut dotierten Posten einer Interessenvertretung aus diesem Bereich zu wechseln.

Das Ganze wird aber nicht etwa transparent und offen kommuniziert, sondern in einer Nacht- und Nebelaktion vollzogen, bei der man fast schon von Verdunkelung reden kann. Hat der selbst ernannte Politikstilverbesserer etwas davon mitbekommen? Nein.

Da gab es eine Bildungsministerin, der selbst enge persönliche Freunde Sturköpfigkeit und Beratungsresistenz attestieren. Diese Bildungsministerin hat es nicht nur geschafft, Studenten-, Eltern-, Schülerund Lehrerschaft gegen sich aufzubringen. Diese Bildungsministerin hat auch Hochschulen im Land in einen Streit untereinander getrieben, dessen Wogen immer noch geglättet werden müssen. Noch dazu hat es diese Bildungsministerin geschafft, eine Opposition im Landtag zu schmieden, die es in der Politik natürlicherweise nicht gibt und PIRATEN mit CDU und FDP vereint.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist ja toll!)

Ich halte mich unverändert von einer rechtlichen Beurteilung des Tuns dieser Bildungsministerin fern, aber sie hat in Ihrem Tun die Worte Dialog und Dialogkultur zu Unworten in Schleswig-Holstein gemacht.

(Beifall PIRATEN und Daniel Günther [CDU])

Dabei hatte sie einen Ministerpräsidenten, der ihr bis zuletzt öffentlich den Rücken freigehalten hat,

(Torge Schmidt)

um ihr dann insgeheim in eben diesen zu fallen. Bei all den Verdiensten, die sie sich vorher erworben hatte, ist dies sicher kein feiner Zug und schon gar kein besserer Politikstil, möchte man meinen.

Da gibt es eine Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein, die mit einem Parteibuch ausgestattet war. Das war sicher nicht ihre wesentliche Qualifikation für das Amt, aber sie wurde dem Landtag vorgesetzt, ohne dass dieser ein Wort mitreden konnte.

Herr Ministerpräsident, Sie haben damit das Vorgehen des SPD-Fraktionsvorsitzenden gutgeheißen. Sie haben der Landesbeauftragten damit den Einstig unnötigerweise schwer gemacht. Das ist eine althergebrachte Herangehensweise in bester Tradition in diesem Land, aber sicher kein besserer Politikstil.

(Beifall PIRATEN)

Das einzig Versöhnliche daran ist, dass Frau El Samadoni augenscheinlich einen guten Job für das Land und seine Menschen macht.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Interessant! - Ras- mus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Darauf kommt es doch an, oder?)

Da gibt es eine Landeszentrale für politische Bildung, deren zentrales Ziel als unabhängige und überparteiliche Einrichtung es ist, die demokratische Kultur in Schleswig-Holstein zu stärken und weiterzuentwickeln. Sie bemerken sicher bereits, worauf ich hinaus will. Wie sähe jetzt ein besserer Politikstil bei der Nachbesetzung eines Führungspostens bei dieser Einrichtung aus?

Eigentlich doch ganz einfach: Man überlegt sich, welche Qualifikationen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Position vonnöten sind, und schreibt dann diese Position offen und öffentlich aus. Anschließend schaut man sich die eingegangenen Bewerbungen an und versucht, nach bestem Wissen und Gewissen eine Auswahl der Besten zu machen. Man legt eine Rangfolge fest und stellt den Besten oder die Beste dem Landtag vor, der sich dann voller Vertrauen in die gelungene Auswahl zum Wohle Schleswig-Holsteins diesem nachvollziehbaren Vorschlag anschließt.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sie sind ja ein Schlauer!)

Das ist ja auch so geschehen. Weil der Koalition das Ergebnis aber nicht passte, wurde extra ein Gesetz für eine genehme Lösung geschaffen. Es ist

nicht das erste Mal, dass dies in dieser Legislaturperiode geschieht.

Wir PIRATEN sind in diesen Landtag gekommen, um die verkrustete Politikstruktur zu ändern, ja vielleicht sogar zu verbessern. Es ist uns aber nicht alles gelungen, was wir angegangen sind.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

Von vielen Dingen müssen wir im Nachhinein sagen: Wir wussten es nicht besser, aber wir haben gelernt. Bei Ihnen jedoch, dem selbst ernannten Politikstilverbesserer, hat dies keine Gültigkeit. Sie wussten genau, was Sie tun.

Ich darf an eine Rede des damaligen Kieler Oberbürgermeisters in der Ratsversammlung im Kieler Rathaus am 10. Juni 2011 erinnern, in der Sie dem Kollegen Stefan Kruber Ahnungslosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Wahrheitswidrigkeit vorgeworfen haben, ohne allerdings auf seine Sachargumente einzugehen. Später stellte sich heraus, dass dieser mit so ziemlich allem recht hatte.

Sie behalten Ihren überkommenen Stil bei. Sie behalten den etablierten Politikstil bei. Sie führen die Menschen weiterhin mit nicht gehaltenen Versprechen in die Frustration. Sie entscheiden weiterhin nach Gutsherrenart und verbessern so weder die Politik noch den Politikstil. Sie lernen nicht dazu, Herr Albig. Sie und Ihre Koalition sind immer noch stolz darauf, mit Ihrer Einstimmenmehrheit strittige Gesetzentwürfe zu verabschieden. Das nennt man Durchregieren.

(Beifall PIRATEN)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung?

Bitte schön, Herr Andresen.

Wir haben heute ja viele Reden gehört, Herr Kollege, bei denen es um Inhalte ging. Dabei ging es auch darum, was in der zweiten Hälfte der Wahlperiode aus Sicht der Fraktionen passieren soll. Kommen Sie noch zu diesem Teil?

(Torge Schmidt)

Herr Kollege Andresen, dank dem Ministerpräsidenten habe ich noch knapp 43 Minuten Zeit.

(Zurufe)

Ich habe keine Eile bei meiner Rede. Ich möchte klarmachen, dass der zentrale Punkt in der ersten Regierungserklärung des Ministerpräsidenten der Politikstil war. Nach zweieinhalb Jahren sollte man das auch einmal reflektieren.

(Zuruf FDP: Haben die Grünen noch Rede- zeit?)

- Die Grünen haben auch noch Redezeit. Meines Wissens haben sie noch 17 Minuten Redezeit.

Kommen wir zu den Fakten. Das eine oder andere Versagen der Albig-Regierung wurde von mir bereits aufgezeigt. Kürzlich durften wir eine Broschüre, ein Manifest der Selbstreflexionsfreiheit, mit dem trügerischen Titel „Versprochen. Gehalten!“ in den Händen halten. Darauf will ich gar nicht weiter eingehen. Wir haben aber ein Belegexemplar für die Nachwelt gesichert. Ich werde sicherlich noch genügend Gelegenheit haben, daraus zu zitieren.

Kommen wir also zu dem, was wirklich in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist.

Versprochen haben Sie eine Stärkung der Verbraucherberatung. Geschaffen haben Sie die dauernde Existenzgefährdung wider besseres Wissen. Selbst ein von Ihrem Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass eine interventionslose Fortschreibung des jetzigen Zustands die Verbraucherzentrale in SchleswigHolstein mittelfristig ihre Existenz kosten werde. Ursache der massiven Gefährdung sei der schleichende, geduldete Prozess, die institutionell real abnehmende Finanzierung durch Projektmittel aufzufangen. Die Verbraucherzentrale nagt seit Jahren am Hungertuch. Jetzt kämpft sie ums Überleben.

Ohne die PIRATEN, die jedes Jahr und auch weiterhin unermüdlich die Haushaltsmittel für die Verbraucherzentrale einfordern, gäbe es die Verbraucherberatung in Schleswig-Holstein in ihrem jetzigen Zustand sicherlich nicht mehr.

(Beifall PIRATEN - Zuruf SPD: Ein Kokolo- res!)

In Ihrem Koalitionsvertrag betonen Sie, dass individuelle Mobilität effizienter, billiger und umweltfreundlicher werden müsse. Es liege ein klarer Fokus auf dem Ausbau des ÖPNV. Hier gelte es, weitere Innovationen voranzubringen. Die Barrierefrei

heit aller Mobilitätsangebote müsse schrittweise verbessert werden.

Leider hat die Regierung auch dieses Ziel noch nicht erreicht, und Neubaumittel fließen mehrheitlich in den Straßenbau statt in den ÖPNV beziehungsweise den Schienenverkehr. Dazu kommt aber, dass sich die Straßen in Schleswig-Holstein in einem so erbarmungswürdigen Zustand befinden, dass Fachfremde bereits einen Schlaglochsoli forderten. Aber das war hoffentlich nicht ernst gemeint.