Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie an diesem sonnigen Morgen sehr herzlich und bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Ich bitte auch die Medienvertreter, dies zu tun. - Ich eröffne die Sitzung und teile Ihnen zunächst mit, dass weiterhin die Kollegin Dr. Marret Bohn sowie der Kollege Sven Krumbeck krank gemeldet sind. Wir übersenden ihnen von dieser Stelle aus herzliche Genesungswünsche.

(Beifall)

Ich darf Ihnen auch mitteilen, dass Frau Ministerin Monika Heinold aufgrund dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene heute nicht an der Sitzung teilnehmen kann.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Beratungen eintreten, bitte ich Sie, mit mir gemeinsam Schülerinnen und Schüler der Heinrich-HarmsSchule aus Hutzfeld sowie der Grund- und Gemeinschaftsschule aus Stecknitz hier im Kieler Landeshaus zu begrüßen. - Seid uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Nun gibt es noch eine schöne Nachricht. Wir dürfen nämlich alle gemeinsam dem Kollegen Burkhard Peters zu seinem Geburtstag gratulieren.

(Beifall - Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] bekommt vom Saaldienst Blumen überreicht)

Lieber Burkhard Peters, wir wünschen alles Gute für das neue Lebensjahr und dass es so sonnig weitergehen möge, wie es begonnen hat.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vielen Dank!)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Bundesratsinitiative zur Schaffung eines modernen Einwanderungsrechts

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/2693

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Einen wunderschönen guten Morgen auch von meiner Seite. - „Wir sind nicht das Sozialamt des Balkans.“ - Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst für Horst Seehofer am Aschermittwoch ist diese Aussage schlicht dumm und peinlich.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

In der Sache ist sie übrigens auch schlicht und ergreifend falsch, wie der Euopäische Gerichtshof unzweifelhaft festgestellt hat. Solche Sätze von einem Spitzenpolitiker, von einem Ministerpräsidenten, schüren Ressentiments. Damit werden Klischees bedient, obwohl unser Auftrag ein vollkommen anderer ist. Er ist genau das Gegenteil. Unser Auftrag ist es, Brücken zu bauen, statt Mauern zu errichten. Das gilt im Übrigen auch für christlich-soziale Ministerpräsidenten.

(Vereinzelter Beifall FDP, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen Menschen einladen, mit uns gemeinsam unser Land weiterzuentwickeln. Wir wollen sie einladen, mit uns gemeinsam zu leben. Ganz besonders traurig macht mich, und es ärgert mich auch: Deutschland war im letzten Jahr nicht nur bei der Zuwanderung das zweitbeliebteste Land der Welt, Deutschland war mit Blick auf das Ausland auch das beliebteste Land, und wir sind gerade dabei, genau dieses Ansehen, was wir uns über die letzten Jahre und Jahrzehnte hart erarbeitet haben, innerhalb weniger Wochen durch Menschen, die auf die Straße gehen und dumpfe Fremdenfeindlichkeit vor sich hertragen, komplett zu verspielen. Da nützt es bedauerlicherweise relativ wenig, wenn zigfach mehr Menschen auf die Straße gehen und sich gegen die sogenannten PEGIDA-Demonstranten wenden. Entscheidend ist, wie das Ausland auf uns schaut.

Ich bin der Auffassung: Wenn es inzwischen sogar Reisewarnungen in den USA für US-Bürger gibt, dass diese bestimmte Teile Ostdeutschlands und bestimmte Bezirke Berlins nicht mehr besuchen sollten, dann ist es höchste Zeit, einen Punkt zu machen und genau das Gegenteil dessen zu tun, was die sogenannten PEGIDA-Demonstranten von der Politik erwarten.

(Beifall FDP, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Antwort der Politik muss lauten, dass gerade jetzt eine Willkommenskultur gelebt werden muss

6832 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 82. Sitzung - Donnerstag, 19. Februar 2015

und dass sie nicht nur immer wiederholt, sondern aktiv von uns gelebt wird.

Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, die ich immer mit „selbstverständlich“ beantwortet habe, ist bedauerlicherweise gar nicht so einfach zu beantworten. Natürlich ist Deutschland kein klassisches Einwanderungsland wie etwa die Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien. Ich habe es gestern angesprochen und mich ein bisschen mit der Geschichte der Zuwanderung in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren beschäftigt. Sie wissen, das erste Anwerbeabkommen gab es 1955 mit Italien. Ein zweites folgte 1960 mit Spanien und Griechenland, und im Weiteren folgte 1961 ein solches mit der Türkei, 1963 mit Marokko und Südkorea und 1964 mit Portugal. Wer sich etwas mit diesen sogenannten Anwerbeabkommen beschäftigt, der weiß, dass sie damals in der 50er- und 60er-Jahren eben nicht nur einen arbeitsmarktpolitischen Hintergrund hatten, sondern sie hatten eine ganz erhebliche außenpolitische Komponente. Gerade bei den ersten Abkommen, und zwar sowohl mit Italien als auch mit Spanien und Griechenland, standen an sich die außenpolitischen Komponenten stärker im Vordergrund als die arbeitsmarktpolitischen Implikationen. 1966/1967, als Deutschland in die Rezession schlitterte, hat man dann weniger Menschen aus den Anwerbestaaten angeworben. Trotzdem hat man 1968 ein neues Anwerbeabkommen mit dem damaligen Jugoslawien geschlossen. Erst die Ölkrise 1973 und die damit verbundenen ökonomischen Konsequenzen haben zum sogenannten Anwerbestopp geführt.

Max Frisch hat die Politik, die damalige „Zuwanderungspolitik“, in einem Aufsatz zusammengefasst. Einen Satz daraus möchte ich zitieren, weil ich finde, dass er bezeichnend ist dafür, wie Deutschland in den 60er- und 70er-Jahren gedacht hat. Er sagt:

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.“

Heike Knortz hat resümiert: Die Politik hat lange Zeit zumindest teilweise aus außenpolitischer Rücksichtnahme Zuwandernde einer weitgehend unvorbereiteten Öffentlichkeit überlassen.

Wir haben das gestern unter dem Stichwort „Akzeptanz“ miteinander diskutiert. Ja, meine Damen und Herren, die Gesellschaft von 1950, 1960 und 1970 war schlicht und ergreifend nicht darauf vorbereitet, auch nicht politisch. Deswegen müssen wir das heute anders machen.

Es ist richtig, dass wir inzwischen Menschen, die zu uns kommen und zu uns gekommen sind, viel

besser auf ein Leben in Deutschland vorbereiten, als das vor 40 Jahren der Fall gewesen ist. Wir bieten Sprachkurse an, wir bieten Integrationskurse an, und alles, was gestern dazu gesagt worden ist, was wir insoweit weiter ausbauen müssen, ist richtig.

Was wir aber nach wie vor nicht richtig schaffen, und zwar unabhängig davon, zu welcher Partei wir gehören oder welcher politischen Strömung wir uns angehörig fühlen: Wir schaffen es immer noch nicht, die Menschen in Deutschland in ausreichendem Maße darauf vorzubereiten, dass wir Menschen aus aller Herren Länder brauchen, um unser Land weiterentwickeln zu können. Das ist unsere Aufgabe. Deswegen sind wir der Auffassung, dass wir ein modernes Zuwanderungsrecht brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Einwanderungsgesetz, das Deutschland tatsächlich zum Einwanderungsland macht, ein Einwanderungsgesetz, das tatsächlich eine Einladung an Menschen ist und nicht eine Suche nach Fachkräften.

Dabei weiß ich, liebe Kolleginnen und Kollegen das will ich auch sehr deutlich in Richtung derjenigen sagen, die das skeptisch sehen -: auch bei klassischen Einwanderungsländern, wie etwa den Vereinigten Staaten oder Kanada, macht diese Form der sogenannten gesteuerten Zuwanderung lediglich 10 bis 15 % aus. Bei 60 % der Zuwanderungen handelt es sich schlicht um Familienzusammenführungen. Der Rest verteilt sich auf Flüchtlinge und Asylbewerber. Das heißt, wir reden bei einem modernen Einwanderungsgesetz, das Zuwanderung steuern soll, lediglich von 10 bis 15 %.

Es kann mir niemand, auch nicht in konservativen Kreisen, erklären, dass das für den Standort Deutschland nicht verkraftbar sei. Im Gegenteil: Ich glaube, dass der Standort Deutschland dadurch massiv gestärkt werden würde.

(Beifall FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das anhand von zwei Zahlen deutlich machen. - Frau Damerow, Sie gucken so skeptisch. Wir werden in 25 Jahren acht Millionen mehr Rentner haben, aber sieben Millionen Menschen weniger, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wie wollen Sie denn ernsthaft ein Niveau, auch ein Wohlstandsniveau, an das wir uns gewöhnt haben, weiterführen, wenn Sie sich weiterhin dagegen wehren, dass Deutschland ein offenes, ein modernes Zuwanderungsrecht braucht? Das ist mir schlicht und ergreifend nicht verständlich, Frau Kollegin,

Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 82. Sitzung - Donnerstag, 19. Februar 2015 6833

(Dr. Heiner Garg)

(Beifall FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und das können Sie uns ja gern gleich erklären.

Wir legen heute einen Vorschlag vor, über den man nicht nur diskutieren kann, sondern über den man sogar diskutieren muss. Wir wollen ein Zuwanderungsrecht in Anlehnung an das alte kanadische Punktesystem, wie wir geschrieben haben. Dazu muss man wissen, dass die Kanadier ihr Punktesystem gerade grundlegend geändert haben. Das sogenannte Scoring System ist in Kanada seit 2015 ein anderes als vorher.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich meine, dass das bis zum Januar 2015 galt, Frau Kollegin von Kalben. Wir möchten, dass Menschen zu uns kommen können, um sich hier eine Arbeit zu suchen. Wir wollen also das sogenannte Jobseeker-Visum ausdehnen; das haben die Kanadier gerade mit der Überarbeitung ihres Scoring Systems rückgängig gemacht.

Wir glauben auch, dass wir mittelfristig die Frage entscheiden müssen: Wie wollen wir mit den Einwanderern umgehen? Wollen wir sie, wie Kanada das tut, zu Staatsbürgern machen? Wollen wir aktiv dafür werben, dass Menschen, die bei uns leben, die mit uns leben, auch eine Perspektive haben müssen? Ich bin davon überzeugt: Sie müssen sie haben, um Staatsbürger mit allen Pflichten, dann aber auch mit allen Rechten sein zu dürfen. Das bedingt grundsätzlich die Zulassung von doppelten Staatsbürgerschaften, weil ich niemandem seine Identität nehmen will. Aber ich möchte jeden haben, der hier mit uns dauerhaft leben will, der unser Land entwickeln will. Der soll dann auch die gleichen Rechte haben.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich will in Anlehnung an Max Frisch enden und sagen: Wir suchen keine Krankenschwestern, Ärzte oder Ingenieure, sondern wir suchen Menschen, die mit uns leben wollen. Es ist uns egal, woher sie kommen. Wichtig ist nur, wohin sie mit uns gemeinsam wollen.

Ich würde mich freuen, wenn wir es schaffen würden, aus Schleswig-Holstein das Signal zu senden, dass Deutschland ein modernes, ein weltoffenes, ein tolerantes, ein liebenswertes und ein freundliches Land ist. Wir sind anders als diejenigen, die vorgeben, sie seien Deutschland. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Für die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der CDU erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Astrid Damerow.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Garg, es ist immer so eine Sache, wenn man als erster Redner bereits so viel voraussetzt, was danach möglicherweise kommen wird. Sie werden das wahrscheinlich gleich hören. Aber irgendwie fühlte ich mich nicht wirklich angesprochen, als Sie mich ansprachen. Schauen wir einmal, was daraus wird.

(Beifall Hans-Jörn Arp [CDU] - Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Herr Dr. Dolgner, so weit möchte ich jetzt auch nicht gehen.