Protokoll der Sitzung vom 17.06.2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 33. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtungen sind Frau Ministerin Anke Spoorendonk und Herr Minister Reinhard Meyer beurlaubt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Im Alter von 78 Jahren ist der frühere Landtagsabgeordnete und Landesminister Roger Asmussen verstorben. Er gehörte diesem Hause von 1971 bis 1988 als Mitglied der CDU-Fraktion an. In dieser Zeit war er Mitglied des Finanzausschusses, des Wirtschaftsausschusses, des Landesplanungsausschusses sowie des Agrar- und Umweltausschusses. Von der 7. bis zur 9. Wahlperiode hatte er den Vorsitz des Finanzausschusses inne.

Von 1983 bis 1988 war Roger Asmussen Finanzminister, seit 1987 zugleich Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein. Für seine Verdienste wurde er 1978 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

1936 in Bremerhaven geboren, ging Roger Asmussen zum Studium der Volkswirtschaft nach Freiburg im Breisgau. Nach Stationen in Köln und Frankfurt am Main zog es ihn 1968 als Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westküste nach Schleswig-Holstein. Roger Asmussen war seit 1968 Mitglied der CDU und von 1970 bis 1978 Kreistagsabgeordneter in Dithmarschen. In seiner Zeit als Landtagsabgeordneter von 1971 bis 1988 gehörte er viele Jahre dem Fraktionsvorstand an. Von 1979 bis 1983 war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

Seine besondere Aufmerksamkeit galt neben der Finanz- und Wirtschaftspolitik dem Naturschutz, dessen Umsetzung Roger Asmussen in den 80er-Jahren in Schleswig-Holstein kritisch und konstruktiv begleitete. Von 2005 bis 2006 war er als Naturschutzbeauftragter des Landes tätig.

Roger Asmussen war ein geradliniger und verlässlicher Kollege, der gerade in schwierigen Zeiten vermittelnd und doch standfest in seinen politischen Überzeugungen auftrat. Er scheute sich dabei nicht, Konsequenzen in seinem Handeln zu ziehen, wenn

er - wie es etwa in seinem letzten Amt als Landesnaturschutzbeauftragter der Fall war - seine Überzeugungen nicht mehr im Einklang mit der Politik sah.

Mit Roger Asmussen hat Schleswig-Holstein einen aufrechten, unbeugsamen Politiker verloren, der während seiner Zeit als Abgeordneter und als Minister das Land mitgestaltet und geprägt hat.

Meine Damen und Herren, der Schleswig-Holsteinische Landtag gedenkt seines früheren Abgeordneten und Landesministers Roger Asmussen in Dankbarkeit und mit vollem Respekt. Unsere Anteilnahme gilt seinen Angehörigen.

Ich bitte Sie nun, einen Moment im Gedenken an unseren verstorbenen Kollegen innezuhalten. - Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, wir schreiben heute den 17. Juni. Bis zum Jahre 1990 haben wir dieses Datum als „Tag der Deutschen Einheit“ in feierlichem Gedenken begangen. Dieser Tag erinnerte an den Volksaufstand in der DDR, der blutig durch das Eingreifen sowjetischer Panzer niedergeschlagen wurde.

Nicht nur in Ost-Berlin, sondern in allen Teilen der damaligen DDR legten die Menschen damals aus Protest gegen die Zwangsmaßnahmen und die Beschneidung ihrer Freiheitsrechte durch die kommunistischen Machthaber die Arbeit nieder und protestierten. Als wichtigen symbolischen Akt entfernten Demonstranten am 17. Juni 1953 die rote Fahne vom Brandenburger Tor und ersetzten sie durch die schwarz-rot-goldenen Farben, die bis heute unser Nationalsymbol für Einigkeit und Recht und Freiheit sind.

55 Menschen bezahlten 1953 ihr Aufbegehren gegen die SED-Diktatur und ihren Einsatz für Demokratie und Freiheit mit ihrem Leben, über 1.000 Menschen wurden inhaftiert, zwei Menschen zum Tode verurteilt. Der Bundesrepublik und ihren demokratischen Verbündeten waren die Hände gebunden. Die damals bereits zementierte Teilung der Welt ließ es nicht zu, die Menschen in der DDR zu unterstützen, ohne die Gefahr eines neuen Krieges heraufzubeschwören.

Meine Damen und Herren, der Schleswig-Holsteinische Landtag gedenkt heute der Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Er bekennt sich damit nachdrücklich zu den Grundwerten, die den Menschen damals und bis 1989 in der ehemaligen DDR vorenthalten wurden, Werte und Freiheitsrechte, die in der Bundesrepublik Deutschland in

Verantwortung vor der deutschen Geschichte stets unverhandelbar waren und deren Schutz die höchsten Ziele unseres Grundgesetzes sind.

Ich bitte Sie, in einem Augenblick der Stille der Opfer des 17. Juni 1953 zu gedenken. - Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln:

Zu den Tagesordnungspunkten 4, 9, 14, 19, 24 und 29 ist eine Aussprache nicht geplant.

Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 3, 12, 25 bis 28, 32, 33, 34 und 38.

Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte und 25, Regierungserklärung zur Förderung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes und Bericht zur Agrarstruktur und des Küstenschutzes; 7 und 22, Nachtrag zum Haushaltsplan 2015 und Antrag zur Schuldenbremse; 20 und 21, Anträge zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe, und die Tagesordnungspunkte 39 und 40, Tätigkeitsberichte der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten und der Antidiskriminierungsstelle.

Wann die einzelnen Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen der 33. Tagung.

Wir werden heute und morgen jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Am Freitag ist keine Mittagspause vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, begrüßen wir gemeinsam auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schülerinnen und Schüler der Klaus-Harms-Schule aus Kappeln sowie den Geschäftsführer des Landesfeuerwehrverbandes, der jetzt seinen Platz in der ersten Reihe gefunden hat. Seien Sie uns herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde Umgang der Landesregierung mit den Vorgän

gen in der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof

Antrag der Fraktion der FDP

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Anita Klahn für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Alheit! Anfang dieses Monats haben wir aus den Medienberichten von offensichtlich unhaltbaren und menschenunwürdigen Erziehungsmethoden und Zuständen in den Friesenhof-Einrichtungen erfahren und leider nicht aus dem Ministerium. Hochauffällige Mädchen, die in ihrem Leben aktive und passive Gewalt, auch sexuelle Gewalt, erlebt hatten, die Straftaten und Drogenerfahrungen hatten, sollten hier in einer neuen Umgebung eigentlich einen Neustart schaffen.

Dazu hätte es eines stringenten und strukturierten pädagogischen Programmes mit starken therapeutischen sowie erlebnispädagogischen Elementen bedurft. Kleine Gruppen, eine erhöhte Anzahl von Fachpersonal mit hoher Fachlichkeit und auf jeden Fall die Einbindung eines Psychologen wären konzeptionelle Grundvoraussetzung für eine gelingende Therapie gewesen. Stattdessen erlebten die Schutzbefohlenen erniedrigende und entwürdigende Maßnahmen, eine Verletzung ihrer Intim- und Privatsphäre durch ihre Betreuer, ohne Chancen auf Gehör.

Frau Ministerin Alheit, Sie betonten in den letzten Tagen wiederholt, dass Ihnen das Thema Kindeswohl und die Schutz- und Hilfegewährung für Jugendliche ein wichtiges persönliches Anliegen sei. Ich teile dieses und möchte Ihnen auch gern glauben. Die Frage ist aber: Welche Bedeutung hatte Ihr wichtiges Anliegen im Ministeriumsalltag, wenn Sie, wie Sie selbst mehrfach sagten, keine Informationen zu den Vorgängen um den Friesenhof hatten?

Seit 2007 belegt der Kreis Dithmarschen die Einrichtungen des Friesenhofs nicht mehr, dokumentierte Beschwerden gibt es mindestens seit Februar 2014. Im Mai 2014 beschreibt ein Fachartikel einer Familienrichterin den Friesenhof, dass dort Mädchen faktisch in geschlossenen Heimen untergebracht seien, obwohl es diese in Schleswig-Holstein eigentlich nicht gibt. Elf Inobhutnahmen durch das Dithmarscher Jugendamt innerhalb von 15 Monaten, das sexuelle Verhältnis zwischen ei

(Präsident Klaus Schlie)

nem Betreuer und einem Mädchen, Kontrollbesuche durch die Heimaufsicht selbst und Auflagen zur Ausgestaltung der Arbeit in der Einrichtung, dazu ein Beschwerdebrief eines Mitarbeiters wegen überzogener Auflagen. - Und von all diesen Vorgängen will die Ministerin Alheit nichts gewusst haben? In über einem Jahr, seit März 2014, soll kein Wort zu all diesen Vorfällen an die Ministerin gelangt sein? Frau Ministerin, wenn das wirklich so ist, dann sind Sie mit Ihrem Amt heillos überfordert.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

Wenn ein Pressesprecher entscheidet, ob etwas verantwortet werden soll, wenn eine Abteilungsleiterin entscheidet, ob Vorlagen gemacht werden, dann frage ich Sie hier: Wie definieren Sie Kindeswohl? Was sind für Sie besondere Ereignisse, über die Sie unverzüglich informiert werden wollen? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen? Womit haben Sie sichergestellt, dass Sie über Vorgänge zum Themenkomplex „Kindeswohl“ informiert werden, insbesondere wenn es Ereignisse von besonderer Bedeutung sind?

Insbesondere vor dem Hintergrund der vielen schrecklichen Vorkommnisse in der Jugendhilfe in den letzten Jahren in Deutschland erwarte ich eine ausgeprägte Sensibilität bei den für die Fachaufsicht zuständigen Einrichtungen und insbesondere bei dem zuständigen Ministerium. Dazu gehört auch die Organisation eines schnellen und konsequenten Krisenmanagements, das hier offensichtlich fehlte. Auch die Eskalation im Zusammenhang mit der Schließung der Einrichtung hätte nicht passieren dürfen. Für solche gravierenden Organisationsfehler tragen Sie, Frau Ahlheit, als Ministerin die Verantwortung.

(Beifall FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, für mich sind Inobhutnahmen aus Jugendhilfeeinrichtungen von besonderer Bedeutung und besonders schwerwiegend. Frau Ministerin, Sie haben das abgetan, als sei es nichts Ungewöhnliches. Aber ich sage Ihnen: Das ist es nicht. Ja, Inobhutnahmen kommen öfter vor. Der normale Vorgang ist allerdings, dass Kinder aus schwierigen Familiensituationen in Obhut genommen werden und nicht aus Heimen des Kinderund Jugendschutzes. Das war also ein außergewöhnlicher Vorgang. Warum hat die Landesregierung hier nicht gehandelt?

Meine Damen und Herren, Artikel 10 unserer Verfassung stellt alle Kinder und Jugendlichen unter den besonderen Schutz des Landes. Es ist Ihre Auf

gabe, Frau Ministerin, dieses Verfassungsziel in Ihrem Aufgabenfeld zu gewährleisten. Doch bei diesen Mädchen, bei dieser Einrichtung, haben Sie versagt, Frau Ministerin. Die Landesregierung war untätig und hat erst unter öffentlichem Druck gehandelt.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

Wenn dieser Vorgang nicht öffentlich geworden wäre, ist davon auszugehen, dass die Landesregierung immer noch nicht gehandelt hätte, und die Mädchen, wie es die Familienrichterin aus Meldorf beschreibt, wären immer noch dem erhöhten Risiko des Missbrauchs ausgesetzt.

Frau Ministerin, es ist wirklich ein Armutszeugnis, dass Sie nicht zu Ihrer politischen Verantwortung stehen, sondern die Verantwortung in Ihre Abteilung verlagern und sagen, diese hätten das gemacht, Sie hätten erst jetzt davon erfahren, Sie hätten das erst jetzt in den Akten gelesen.

Ich finde, es ist ein Armutszeugnis, dass Sie jetzt rufen, Sie brauchten mehr Personal. Sie haben doch die Hoheit in Ihrem Haus; Sie sind die Dienstherrin. Sie hätten schon vor Jahren entscheiden können, dass Sie die Abteilung anders ausstatten.

Dass Sie sich jetzt rühmen wollen, im Mai dieses Jahres nach Bekanntwerden der Vorfälle entsprechend auf Landesebene eine gesetzliche Änderung herbeiführen zu wollen, ist, ehrlich gesagt, ebenfalls eine ganz schwache Leistung.

(Unruhe SPD)