Protocol of the Session on May 20, 2021

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Meine Damen und Herren, viele Erkenntnisse aus der Studie sind ebenso beklemmend. Es wurde schon intensiv auf die Rolle des Polizeikorps in Schleswig-Holstein hingewiesen. Ich möchte das jetzt nicht alles wiederholen.

Wie lässt sich mit einem solchen Führungspersonal eine rechtsstaatlich orientierte demokratisch gesinnte Polizei aufbauen? Waren nicht die meisten dieser Akteure ab 1948 maßgeblich in Personalentscheidungen eingebunden, die den Geist der Polizei noch über weitere Jahrzehnte mitprägten? Wie übertrugen sich ihre Denkmuster und Vorstellungswelten auf die nächsten Generationen der von ihnen ausgebildeten und geführten jüngeren Beamtinnen und Beamten? Die gleichen Fragen gelten für den Bereich der Justiz.

Der bedeutende Wert der vorliegenden Studie liegt darin, mit dem bereits für die erste Kontinuitätsstudie neu entwickelten und wirklich wegweisenden Methodenarsenal prägende Elemente des herr

schenden Geistes nach 1945 in wichtigen exekutiven Strukturen in Schleswig-Holsteins eingefangen zu haben, und zwar empirisch mit biografisch genau belegten Einordnungen, mit exakten Zahlen und Diagrammen auf Grundlage der untersuchten Lebensläufe von mehr als 480 Personen. Damit gelingt es, die geistige und moralische Befindlichkeit der Nachkriegszeit genauer als bisher zu beschreiben.

Ich bin sehr froh, dass wir uns vor zwei Jahren einstimmig dazu entschlossen haben, diese Folgestudie in Auftrag zu geben, und dass wir erneut Professor Danker und sein Team für diese wichtige Arbeit gewinnen konnten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt CDU)

Vor uns liegt das Ergebnis einer ebenso arbeitsintensiven wie wissenschaftlich akribischen Recherche- und Auswertungsarbeit eines perfekt zusammenarbeitenden Teams der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History an der Europa-Universität Flensburg. Ihnen gilt unser aller großer Dank.

Ich gehe davon aus, dass diese Studie mindestens die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und Anerkennung in der Geschichtswissenschaft erhalten wird wie schon die erste Studie. Aber sie wird hoffentlich vor allem ihren Weg in die Ausbildung und Fortbildung von Juristinnen und Juristen, von Polizeivollzugskräften und zum Beispiel in die Lehrpläne unserer Verwaltungsfachhochschule in Altenholz finden, denn sie zeigt uns auf: Exekutive Funktionseliten stehen in der Gefahr, missbraucht zu werden. Sie sind aber auch in hohem Maße anpassungsfähig. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW und Dr. Frank Brodehl [fraktionslos])

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Professor Danker, ich danke Ihnen und Ihrem Team für die geleistete Forschungsarbeit. Als Mitglied des Beirats durfte ich Ihre Arbeit mit Abstand und in Abständen begleiten. Ich war fasziniert von Ihrer methodischen Herangehensweise und den Erkenntnissen, die Sie

(Burkhard Peters)

aus Ihrer Arbeit zogen. Sie und Ihr Team leisten damit einen ganz wichtigen Beitrag für die Aufarbeitung unserer NS-Vergangenheit und weisen deren Kontinuität in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland, aber insbesondere in Schleswig-Holstein, eindrucksvoll nach.

Sie verfolgen einen methodischen Ansatz, der - soweit ich dies als Laie überhaupt beurteilen kann einzigartig ist. Die Datenmenge, die Sie ermittelt haben, um Lebensläufe zu durchleuchten und historisch einzuordnen, und die die Grundlage dafür gewesen ist, dass Sie in der Lage waren, die für Ihre Forschung relevanten Personen nach Grundorientierung zu sortieren und innerhalb dieser Orientierungen eine verfeinernde Typisierung vornehmen konnten, ist wirklich beeindruckend.

Wir haben an Beispielen, die Sie uns heute auch vorgestellt haben, nachvollziehen können, mit welcher Akribie Sie vorgegangen sind und wie verantwortungsvoll Sie Lebensläufe bewertet und eingeordnet haben.

Mein Dank gilt aber auch meinem Kollegen Burkhard Peters, dessen Initiative wir sowohl die erste als auch die zweite geschichtswissenschaftliche Kontinuitätsstudie zu verdanken haben. Das ist hier zu erwähnen.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben bereits gestern darüber gesprochen, dass wir eine besondere Aufarbeitungskultur in Deutschland haben, wenn es um die Frage geht, wie stark die Eliten des Dritten Reiches auch in der Bundesrepublik Deutschland gewirkt haben, wenn wir herausfinden möchten, wie stark politische, gerichtliche oder behördliche Entscheidungen durch NS-Gedankengut beeinflusst oder sogar geprägt waren. Da muss man sich eben alle Protagonisten anschauen, die Schlüsselpositionen vor dem 8. Mai 1945 und danach innehatten. Da sind wir nun mithilfe Ihrer Studie einen großen Schritt vorangekommen. Ich will an dieser Stelle nur auf zwei Teilaspekte eingehen, die für mich wirklich bemerkenswert gewesen sind.

Das eine betrifft die Kommunalpolitik in Süderdithmarschen. Im Jahre 1948 schien die Welt in Ordnung. Nur eine Person konnte als exponiert nationalsozialistisch ermittelt werden. Das war ja zunächst eine gute Nachricht. Aber was passierte dann?

1955 waren plötzlich zehn Akteure exponiert nationalsozialistisch, eine Verzehnfachung gegenüber

1948. Hinzu kommen dann noch vier Akteure, die als systemtragend karrieristisch eingeordnet wurden. Wenn man dann die Zahlen vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis: In der Kommunalpolitik Süderdithmarschens gab es 1948 2,3 % der Akteure, die nationalsozialistisch vorbelastet waren. Und innerhalb von nur sieben Jahren stieg dieser Anteil auf über 35 % an. Das spricht, meine Damen und Herren, für sich.

Ein anderer Themenbereich, der mich naturgemäß besonders interessierte, war und ist die schleswigholsteinische Justiz. Die Ergebnisse der Kontinuitätsstudie sind für meinen Berufsstand wirklich erschütternd. 80 % der Akteure der Gruppe der sogenannten Justizjuristen waren Mitglieder der NSDAP, 15 % waren SA-Angehörige. Ein Viertel der untersuchten Personengruppe wurde als Verfolgungsakteure eingeordnet. Weiter haben die Forscher um Professor Danker festgestellt, dass sehr viele der untersuchten Justizjuristen einschlägige Erfahrungen als ehemalige Akteure an NS-Sondergerichten und/oder der NS-Wehrmachtsjustiz aufwiesen. Kein gutes Ergebnis für die Justiz und durchaus besorgniserregend für einen Rechtsstaat.

Dass die einschlägige Prägung von Angehörigen der Justiz durch das NS-Regime erhebliche Bedeutung für die Rechtsprechung hatte und damit Unrecht perpetuiert hat, macht ein seit Jahrzehnten schwelender Meinungsstreit in der Jurisprudenz deutlich. Ich spreche hier von der zwischen Rechtsprechung und Schrifttum nach wie vor offenen Streitfrage, ob Mord im Verhältnis zum Totschlag ein eigenständiges Delikt ist oder nur ein Qualifizierungstatbestand. Das ist zunächst ziemlich rechtstheoretisch. Aber dieser Meinungsstreit hat tatsächlich sehr bedeutsame Auswirkungen auf die Strafbarkeit der sogenannten Schreibtischtäter, die aufgrund der Rechtsprechung des BGH eben oft nicht wegen Beihilfe oder Anstiftung zum Mord verurteilt werden konnten und deren Taten daher auch frühzeitig verjährten - und das, meine Damen und Herren, obgleich der Unrechtsgehalt der Schreibtischtäter mindestens genauso schlimm war wie derjenigen, die diese Todesmaschinerie dann umgesetzt haben.

(Beifall FDP, SPD und Dr. Frank Brodehl [fraktionslos])

Erst sehr spät und meines Wissens auch nach Beendigung meines eigenen Studiums, also in den 90erJahren, vollzog sich in der BGH-Rechtsprechung eine Wandlung im Zusammenhang mit den Prozessen um die Aufarbeitung der Mauer- und Grenztoten. Hier korrigierte man die Rechtsprechung. Der

(Jan Marcus Rossa)

BGH hatte sich aber nicht einfach der herrschenden Literaturmeinung angeschlossen und Mord als Qualifizierungstatbestand vom Totschlag qualifiziert, sodass eben ein Gehilfe oder ein Anstifter auch dann wegen Mordes hätte verurteilt werden können, wenn der Tötende, der Täter, der Haupttäter selbst das Mordmerkmal nicht verwirklichte. Nein, der BGH entschied sich, an seiner wirklich fragwürdigen Rechtsprechung festzuhalten und das rechtspolitische Problem über eine Strafschärfung zu lösen.

Mit Verlaub: Das ist Vertuschung der Tatsache, dass über Jahrzehnte hinweg die Gerichte in Deutschland die Schreibtischtäter des NS-Regimes vor harten und gerechten Strafen geschützt haben. In zahllosen Fällen wurde so verhindert, dass die Schreibtischtäter, diejenigen also, die die Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes erdacht und dann administrativ umgesetzt hatten, nicht dem Unrechtsgehalt ihres Handelns entsprechend verurteilt werden konnten. Sie hätten als Mörder verurteilt werden müssen und nicht als Totschläger.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine umfassende Geschichtsaufarbeitung ist, an der Sie, Herr Professor Danker, und Ihr Team mitgewirkt haben. Dafür herzlichen Dank.

Ich freue mich auf die nächste Kontinuitätsstudie. Wir haben noch viel aufzuarbeiten. - Danke schön.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Frank Brodehl [fraktionslos])

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Vorsitzende Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heute vorgelegten Untersuchung setzen wir die Untersuchung, die den Landtag in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg betraf, weiter fort. Auch ich möchte mich natürlich im Namen des SSW ganz herzlich bei Herrn Professor Danker und auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diese richtig hervorragende Studie bedanken, die wahrscheinlich auch bundesweit Aufsehen erregen wird. Ich hoffe natürlich auch, dass unsere kleine Geschäftsbeziehung, die wir jetzt haben, vielleicht auch noch ihre Fortsetzung findet.

(Beifall SSW)

Meine Damen und Herren, es ging darum, nun auch Kontinuitäten in Justiz, Verwaltung und Polizei aufzeigen zu können und zu sehen, ob das, was für den Landtag festgestellt wurde, auch für die Kommunalpolitik galt.

Betrachten wir also erst einmal die Kommunalpolitik. Da ist eine der untersuchten Kommunen die Stadt Flensburg mit den damals ganz aktuellen deutsch-dänischen Umbrüchen. Auf der anderen Seite steht der Kreis Süderdithmarschen als eine der ehemaligen Hochburgen des Nationalsozialismus.

Die Untersuchung zeigt, dass man in Flensburg anfangs noch im Vergleich weniger ehemalige Nazis in der Ratsversammlung hatte, dies sich aber nach und nach - ich nenne es einmal - der allgemeinen Tendenz anpasste. Soll heißen: Auch hier fassten Menschen schnell wieder Fuß, die mit den Nazis gemeinsame Sache machten oder gar schwere Schuld auf sich geladen hatten.

In Süderdithmarschen erfolgte dieser Prozess sogar noch etwas schneller. Eigentlich verwundert dies ein wenig, denn im Gegensatz zum Landtag, dem naturgemäß die räumliche Nähe zu den Menschen fehlt, setzen sich die kommunalen Vertretungen ja aus den Menschen vor Ort zusammen. Jeder kennt jeden, und jeder kennt die Verfehlungen des jeweils anderen.

Dass trotzdem Menschen mit schlimmer Vergangenheit wieder in Amt und Würden kamen, kann man nur auf eine Art und Weise erklären: Die meisten Menschen waren sich bewusst, dass auch sie Schuld auf sich geladen hatten und deshalb zu einem Großteil eine ähnliche Vergangenheit hatten wie diejenigen, die sie wieder in ihre Ämter wählten.

Ein etwas anderer Mechanismus wirkte sich bei der Polizei und der Justiz aus. Hier benötigte man Fachpersonal und übernahm dieses größtenteils ohne Umschweife. Nur wer nachweisbar schwerste Verbrechen begangen hatte, musste mit einer Art Wartezeit rechnen. Aber selbst dann war eine spätere Übernahme in den Staatsdienst nicht ausgeschlossen.

Eigentlich hatte man immer vermutet, dass informelle Seilschaften dazu geführt hätten, dass Nazis wieder Fuß fassten. Das mag auch eine Rolle gespielt haben. Aber eigentlich bedurfte es dieser Seilschaften nicht. Die Quote derer, die das Naziregime in Polizei und Justiz schützte, war vergleichsweise hoch. Genau deshalb schien man keine Wahl zu haben, wenn man neu anfangen wollte, als eben genau diese Leute wieder zu übernehmen.

(Jan Marcus Rossa)

Aus heutiger Sicht wirkt dies grauenhaft, aus damaliger Sicht mag man keine andere Möglichkeit gesehen haben. Und auch hier muss man sagen, dass die breite Bevölkerung dies wohl auch deshalb zuließ, weil man selbst oft nicht besser als diese Menschen war.

Dies lässt sich auch anhand der gesellschaftlichen Konflikte belegen, die es Ende der 50er bis in die 70er-Jahre hinein gegeben hat. Es war vorwiegend die Jugend, die dies anprangerte. Es waren diejenigen, die die angebliche Gnade der späten Geburt hatten. Dies ist übrigens auch eine Beschreibung derjenigen, die sich entlasten wollten. Man hatte natürlich auch vor und während der Nazizeit die Möglichkeit, sich nicht an deren Unwesen zu beteiligen. Aber das nur am Rande.

Prägend war nämlich, dass trotz Demokratisierung der Bundesrepublik der Nazi-Ungeist nicht weg war. Im Gegenteil, die Vorgänge beispielsweise rund um die Kinderheime in dieser Zeit zeigen eindeutig, dass viele immer noch so dachten wie schon vor 1945. Hier ist sozusagen auch die Kontinuität zu sehen, die sich durch die jungen Jahre der Bundesrepublik gezogen hat. Verhalten der Polizei, Rechtsprechung, Verwaltungshandeln, aber auch politisches Handeln waren eben doch noch vom Gedankengut der Nazis durchsetzt. Das war auch kein Wunder, wenn beispielsweise 80 % aller Juristen vorher stramme Nazis waren.

Die Untersuchung macht aber auch deutlich, dass es extreme menschliche Abgründe gab. Menschen, die verfolgt und gequält wurden, sahen sich nicht nur diesen Altnazis in Justiz, Verwaltung und Politik ausgesetzt, sondern manchmal war man genötigt, mit diesen beruflich zusammenzuarbeiten. Man saß im selben Büro oder Tür an Tür. Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen.

Opfer und Peiniger zusammen an einem Arbeitsplatz. Man schwieg, ließ die Sache ruhen und machte sich an den Aufbau der neuen Republik. Wie das möglich war, kann man nach heutigem Ermessen gar nicht nachvollziehen. Auch das mag im Übrigen einmal wissenschaftlich untersucht werden, wie da die Mechanismen laufen. Aber es ist so, wie wir es auch schon bei der Landtagsstudie festgestellt hatten: Irgendwie ist es gelungen, die neue Demokratie aufzubauen - trotz der enormen Verbrechen, die geschehen waren.

Diese Verbrechen werden eben auch durch die einzelnen Biografien in all ihrer Schrecklichkeit sichtbar. Wer die Studie liest und die Verbrechensbiografien nachvollzieht, für den ist klar, dass Nazis und

extremistische Bestrebungen immer und überall auch in der Zukunft bekämpft werden müssen, meine Damen und Herren. Auch dazu trägt diese Studie bei. Wir lernen immer mehr aus dieser Vergangenheit, und es ist gut, dass wir diese Studie in Auftrag gegeben haben. Es ist fantastisch, dass wir so gute Leute gefunden haben, die für uns diese Studie geschrieben und die harte Arbeit geleistet haben. Vielen Dank noch einmal.