Protocol of the Session on June 17, 2021

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Der SSW-Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist allerdings begrenzt auf das Kommunalwahlrecht, und er bezieht sich in seiner Begründung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008, die mit Folgeentscheidungen unter anderem zur Aufhebung der Fünfprozenthürde bei Kommunal- und Europaparlamentswahlen geführt hat. Es wäre also schlüssig gewesen, Lars, zumindest auch die Anpassung des Wahlrechts für die Wahlen zum EU-Parlament zu fordern. Allerdings hat uns diese Entscheidung aus dem Jahr 2008 bei unserem Beschluss 2013 auch schon nicht weitergeholfen.

Ein weiteres Problem im Antrag des SSW ist, dass das aktive und passive Wahlrecht auf Menschen ausgedehnt werden soll, die seit mindestens vier Jahren ihren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik haben. Dabei soll keine Einschränkung bezüglich des legalen oder gesicherten Aufenthalts gemacht werden. Eine solche Regelung würde dazu führen, dass auch vollziehbar ausreisepflichtige geduldete Personen ein aktives und passives Wahlrecht hätten. Das kann man natürlich fordern. Man kann sich vorstellen, wie es in solchen Situationen zugehen könnte. Derartige Vorschriften wären aus meiner Sicht jedenfalls im Aufenthaltsrecht zu regeln und nicht an dieser Stelle; das würde die Erfolgsaussichten der Initiative nicht gerade erhöhen.

Im Übrigen - da war ich ganz erstaunt - beträgt die Aufenthaltsdauer in Dänemark drei - und nicht vier - Jahre.

(Zuruf)

- Dann verstehe ich das. Ich war schon erstaunt, dass der SSW in seinem Antrag vier und nicht drei Jahre genannt hat. - Das Anliegen des SSW ist natürlich richtig. Wir machen Ihnen mit unserem Änderungsantrag das Angebot, gemeinsam ein neues Wahlrecht zu schaffen. Das kann auch für staatenlose Menschen gelten, wenn es daran hapern sollte.

Gestern wurde von diesem Landtag ein ziemlich schlaffes Integrations- und Teilhabegesetz beschlossen. Allerdings sieht § 3 dieses Gesetzes, dem auch

die CDU-Fraktion einstimmig zugestimmt hat, die Förderung und Verbesserung der Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund in demokratische Strukturen und Prozesse vor. Wir machen ihnen hiermit ein Angebot, wie das wirksam gelingen kann. Herr Koch, Sie könnten überdenken, was Sie gestern gesagt haben und es heute in die Tat umsetzen.

(Beifall SPD und SSW)

Denn gibt es bessere Möglichkeiten, der Einbindung in demokratische Strukturen und Prozesse als über die Teilnahme an Wahlen? Wie können Anerkennung und Respekt deutlicher gemacht werden als über die Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts? Einschränkungen des Allgemeinheitsgrundsatzes von Wahlen sind - Herr Neve hat darauf hingewiesen - aus meiner Sicht nur zulässig, wenn ein zwingender Grund vorhanden ist.

Ich stelle fest: Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht - gut, der wurde nach 1989 verabschiedet - gibt es diesen Grund nicht mehr. Die Menschen können zu Wahlen aufstellen und wählen, wen sie wollen. Alles, was zulässig ist, ist möglich. Darüber kann man natürlich lamentieren. Ich lamentiere auch über die Zustände in meiner Kommunalvertretung. Aber trotzdem: Es sind demokratische Wahlen. Mit den Entscheidungen muss man leben. Dass Rechte wählen und gewählt werden, dass man wählt, wen man will, ist ein Grundrecht;

(Beifall AfD)

das sollte wirklich niemandem verwehrt werden.

Hat denn die Demokratie durch das Kommunalwahlrecht für EU-Bürger und -Bürgerinnen Schaden genommen? Das Gegenteil ist doch der Fall.

In 15 von 27 Staaten der EU - der SSW hat das korrigiert; es sind nicht mehr 28 EU-Mitgliedsstaaten dürfen Drittstaatsangehörige an Kommunalwahlen teilnehmen. Menschen aus anderen Staaten sollen nicht länger Zaungäste von Entscheidungen sein, die sie ebenso betreffen wie alle anderen, die hier leben.

In den großen Städten dieses Landes betrifft das über 10 % der potenziellen Bevölkerung, die von diesen Entscheidungen gegenwärtig ausgeschlossen ist. Die Ungleichbehandlung von Menschen aus Drittstaaten und von Staatenlosen - im Vergleich mit Menschen aus anderen EU-Mitgliedstaaten - ist nicht zu rechtfertigen und muss schlicht und ergreifend beseitigt werden.

(Thomas Rother)

Wir reden bereits seit mehreren Jahrzehnten über dieses Thema. Die Landesregierung hat sich - wie ihre Vorgängerregierung - schlicht und ergreifend im Bundesrat dafür einzusetzen, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um Bürgerinnen und Bürger, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Staates haben, die Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen.

Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Ich vermag gegenwärtig nicht zu erkennen, was eine Ausschussberatung noch soll. Lars Harms hat eingangs selbst darauf hingewiesen: Wir haben schon oft darüber diskutiert und sind uns klar darüber, worum es geht. Wir sollten verbindliche Entscheidungen treffen. Wenn wir sie heute träfen, wäre das voll in meinem Sinne. Vielleicht können wir uns noch aufeinander zubewegen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Lars Harms, bekanntlich rennen Sie mit Ihrem Antrag bei uns Grünen offene Türen ein. Ich erinnere an den Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2012. Darin hieß es:

„Wir bekennen uns zu der Einführung eines allgemeinen Ausländerwahlrechtes auf kommunaler und Landesebene“

- liebe SPD, so haben wir es damals festgehalten

„für alle Menschen in Schleswig-Holstein. Hierfür werden wir uns im Bundesrat starkmachen und das Thema auf die Agenda der Integrationsministerkonferenz setzen. Ziel ist es, einen rechtssicheren Weg zu finden, der das Wahlrecht für Nicht-Deutsche möglich macht.“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Der Umsetzung dieser Koalitionsvereinbarung machte seinerzeit eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen aus dem Jahr 2014 einen Strich durch die Rechnung. Von diesem wurde ein entsprechendes Koalitionsvorhaben von SPD und Grünen leider abgelehnt. Staats

volk im Sinne der wahlrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes sei nun einmal nur das deutsche Volk, und das gelte auch für die Landesverfassungen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Grundlage dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1990, nach dem ausschließlich Deutsche berechtigt seien, die Vertretungen der kommunalen Gebietskörperschaften zu wählen. Dies beruhe darauf, dass auch für Kommunalvertretungen die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage des Wahlrechts gelte.

Kollege Neve hat schon darauf hingewiesen. Pikanterweise erging die Entscheidung auf Antrag der Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Erstunterzeichner des Antrags war Alfred Dregger gegen eine Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes in Schleswig-Holstein im Jahr 1989. Darüber wollten die Angehörigen der Staaten Dänemark, Irland, Niederlande, Norwegen, Schweden und der Schweiz ein aktives Kommunalwahlrecht erhalten.

Die schon damals bestehenden Fronten in der Frage bestehen bis heute fort; wir haben es gerade wieder gehört. Die CDU ist nach wie vor strikt dagegen. Bei der FDP ist die Lage nicht ganz klar. In Niedersachsen war die FDP 2016 zusammen mit der SPD und den Grünen für eine entsprechende Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes. In Nordrhein-Westfalen war sie 2017 dagegen.

Namhafte Stimmen aus der Verfassungsrechtswissenschaft plädieren jedoch seit Langem dafür, die festgefahrenen Fronten in dieser Frage endlich aufzulösen. So sagte die Professorin für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt, Frau Astrid Wallrabenstein, 2019 anlässlich einer Anhörung zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf der Grünen im Sächsischen Landtag - ich zitiere -:

„Die Diskussion über ein Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer wird schon länger geführt.“

- In der Tat.

„Die Gegner verstecken sich hinter einem dreißig Jahre alten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und verkennen sowohl die rechtlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen seither.“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

(Thomas Rother)

Sie meinte damit unter anderem, dass die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990 spätestens seit der Einführung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürgerinnen und -bürger im Vertrag von Maastricht 1992 nicht mehr konsistent sei.

(Zuruf: Warum?)

- Warum? EU-Bürgerinnen und -bürger eines anderen Staates besitzen, nur weil sie in Deutschland leben, natürlich nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Deswegen ist diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990 von der Realität längst überholt. Wir sollten die Gesetzeslage endlich an die Gegebenheiten, die wir hier in Deutschland haben, anpassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich schlage vor, wir vertiefen das Thema im Innenund Rechtausschuss. In der Tat, bei der augenblicklichen Konstellation im Bundestag ist das Unterfangen schon wegen des Endes der laufenden Wahlperiode nicht mehr sinnvoll einzubringen. Schauen wir einmal, was die Bundestagswahl am 26. September 2021 an neuen Möglichkeiten bringt. In unserem aktuellen grünen Bundestagswahlprogramm ist auf jeden Fall die Forderung erneut aufgenommen, dass alle, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ein kommunales Wahlrecht erhalten sollen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Stephan Holowaty.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, warum Kollege Lars Harms sich wünscht, dass wir hier keine juristische Diskussion führen. Dann bekäme er nämlich Probleme mit der aktuellen Rechtsprechung und der aktuellen Gesetzeslage - so, wie wir sie beurteilen und wie es auch aus einigen Verfassungsgerichtsurteilen hervorgeht.

Wir sollten in unserem Land schon sehr klar sagen, dass aktive politische Partizipation und Mitbestim

mung drei wichtige Komponenten erfordert: das klare Bekenntnis zu den Werten und zum Recht unseres Landes, eine erfolgreiche Integration und einen langfristigen Bleibewillen. Deshalb ist unser Wahlrecht auf keinen Fall - ich will es ein bisschen polemisch formulieren - ein Give-away-Artikel, und es soll auch keiner werden.

Das aktive und das passive Wahlrecht sind nach dem Grundgesetz dem Volk - und damit dem deutschen Staatsvolk, also den Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft - vorbehalten, mit einer Ausnahme, nämlich dem Kommunalwahlrecht für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dies wiederum - insoweit ist völlig richtig, was bereits gesagt worden ist - basiert auf Gegenseitigkeit und den europäischen Verträgen. Das geschieht, weil die Europäische Union eben nicht lediglich eine Wirtschaftsunion ist, sondern sich als Wertegemeinschaft versteht.

Demokratie, persönliche Freiheit, Rechtsstaatlichkeit - diese gemeinsamen Werte machen Europa aus. Nur deshalb gewähren sich die Staaten der EU gegenseitig das Kommunalwahlrecht. Dieses ist zudem deutlicher Ausdruck der Personenfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Union.