Funfact am Rande: Wenn es sich bei dem Beurteilenden dann auch noch um die Präsidentin oder den Präsidenten eines Obergerichts handelt, so ist diese Person selbst nicht durch eine derartig formale Bestenauslese ins Amt gekommen, sondern wurde vom Landtag mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Ihre Beurteilung über die Leistungen des zu Beurteilenden der letzten paar Monate soll nun aber mehr Gewicht haben als der versammelte Sachverstand in einem 12- bis 18-köpfigen Richterwahlausschuss, der neben Abgeordneten auch mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Richterschaft und der Anwaltschaft besetzt ist, der nicht nur auf die letzten paar Monate schaut, sondern der sich die gesamte Personalakte anschaut und der für seine Wahl eine hohe Hürde zu erfüllen hat, der nämlich eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen braucht.
Meine Damen und Herren, wenn die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags vor 50 Jahren gewollt hätten, dass allein die dienstlichen Beurteilungen maßgeblich sein sollen, dann hätte es der Einrichtung eines Richterwahlausschusses nicht bedurft. Eine formale Überprüfung hätte man getrost in den Händen der Exekutive, also des Justizministeriums, belassen können.
Mit dem gemeinsam vorgelegten Gesetzentwurf aller fünf Fraktionen geht es uns deshalb nicht darum, die Rechte des Richterwahlausschusses zu erweitern. Stattdessen geht es uns darum, die Rechte zurückzuerhalten, die der Richterwahlausschuss seit
seiner Gründung besaß, die auch immer für ihn vorgesehen waren und die im Grundgesetz angelegt sind, die aber durch die jüngsten Beschlüsse des OVG massiv beschnitten wurden.
Um das zu erreichen, beschreiten wir genau den Weg, den das OVG in seiner Entscheidung selbst aufgezeigt hat: Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb für den Landesrichterwahlausschuss nicht die gleichen Modifikationen zum Prinzip der Bestenauslese möglich sein sollten, wie sie auch für den Bundesrichterwahlausschuss gelten würden. Dem Landesgesetzgeber komme bei der Ausgestaltung ein weitreichender Gestaltungsspielraum zu, so die Urteilsbegründung des OVG.
Genau davon machen wir jetzt Gebrauch, um die demokratische Legitimation des Richterwahlausschusses auch zukünftig in gleicher Art und Weise zu gewährleisten, wie sich das in den letzten fünf Jahrzehnten bewährt hat. - Herzlichen Dank.
Für die Abgeordneten der Fraktion der SPD hat jetzt der Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner das Wort.
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Richterinnen und Richter haben in einem demokratischen Rechtsstaat eine entscheidende Rolle. Damit sie dieser Rolle nachkommen können, ist ihre Unabhängigkeit garantiert und die Form ihres Dienstverhältnisses besonders. Beides sind Lehren aus der deutschen Geschichte. Und wegen dieses Hintergrunds ist für uns klar, dass es keine Justiz geben darf, die ein Anhängsel der Landesverwaltung ist.
Der Vergleich mit polnischen Verhältnissen, den ich da und dort gelesen habe, ist wirklich absurd. Polnische Verhältnisse heißen: Die Regierung setzt ihre unliebsamen Richter ab. Ehrlich gesagt, das ist absurd und beleidigend gegenüber diesem Parlament, dies zu unterstellen.
Unstrittig ist auch, dass wir keinen Justizapparat wollen, der abgekoppelt von der Gesellschaft agiert und im Alleingang über Ernennungen oder Beförderungen entscheidet. Denn neben den Problemen der Praxis, die abgeschottete Systeme zwangsläufig mit sich bringen, würde ein solches Modell auch
Fragen zur demokratischen Legitimation neu aufwerfen. Irgendjemand hat auch dem Richter Ronald Schill die fachliche Eignung bescheinigt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das allein ist vielleicht also nicht das Kriterium, über das wir reden sollten.
Die meisten Bundesländer - auch Schleswig-Holstein - haben einen Richterwahlausschuss. Ich bin dem Kollegen Koch sehr dankbar, dass er das dargestellt hat. Genau so, wie er es gesagt ist, ist es. Ich glaube übrigens, es ist ein bleibendes Verdienst der Regierung von Björn Engholm, dass wir dafür gesorgt haben, dass inzwischen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Damit sind parteipolitische Entscheidungen ausgeschlossen. Wir wollen keine schwarze Justiz, wir wollen keine rote Justiz, wir wollen keine grüne und auch keine gelbe, sondern wir wollen eine unabhängige Justiz, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Dass der Richterwahlausschuss Schwächen hat, ist wahr. Zu oft kann er keine echte Auswahl treffen. Der Grund dafür ist die strikte Bindung an das Beurteilungssystem. Zugespitzt formuliert: Die gewählten Mitglieder des Ausschusses nicken oftmals eine Reihenfolge ab, die sich aus den Beurteilungen der Gerichtspräsidenten und der derzeitigen Position der Bewerber ergibt. Und an Gehalt, Aussagekraft und zuweilen auch Intention dieser Beurteilungen gibt es auch innerhalb der Justiz große Zweifel. Ich darf - mit Erlaubnis der Präsidentin aus einem Artikel im aktuellen NRV-Magazin zitieren. Dort heißt es:
„Präsidenten/innen erstellen Beurteilungen nicht im luftleeren Raum und legen diese für verschiedene Bewerber/innen am Ende mit einer Spannung wie vor der weihnachtlichen Bescherung nebeneinander, um zur allgemeinen Überraschung ein Ergebnis zu ermitteln. Tatsächlich folgt schon die Erstellung einer Beurteilung einer gewissen Reihenfolge im Kopf der Beurteiler/innen. Beurteilungen werden mit dem Impuls der Steuerung eines Besetzungsvorgangs erstellt.“
Das ist nicht meine Einschätzung, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern die stammt von der Neuen Richtervereinigung, die sich zu diesem Thema genauso geäußert hat wie die Kollegen vom Richterverband.
urteilungen zum einzigen und strikt anzuwendenden Maßstab der Entscheidungen macht. Und es gibt skurrile Situationen im Ausschuss, etwa wenn auf Nachfragen an die Bewerberinnen und Bewerber verzichtet wird, weil man Angst vor Rechtsunsicherheiten im Bewerbungsverfahren haben muss. So einen Zustand wollen wir nicht. Wir sind kein Beurkundungsausschuss, so viel Selbstbewusstsein als Volksvertretung sollten wir schon haben.
Die demokratischen Fraktionen in diesem Haus legen einen gemeinsamen Gesetzentwurf vor. Ich will mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken, die in dieser Form durchaus ungewöhnlich ist, auch wenn wir in der letzten Zeit davon mehrere Vorhaben hatten. Wir haben uns bei unseren Beratungen am Vorbild des Bundes orientiert und ermöglichen damit, dass auch andere Kriterien berücksichtigt werden können, um die Person zu wählen, die wirklich am besten geeignet ist.
Ich glaube, man kann über manche Punkte im Detail reden. Wir wollen keine Abkehr vom Prinzip der Bestenauslese. Die steht übrigens im Grundgesetz. Das Grundgesetz gilt immer und überall, egal was wir hier beschließen. Kein Mensch kommt auf die Idee, das Grundgesetz auszuhöhlen. Wie sollten wir das auch tun? Das ist ein Vorwurf, der in der Sache ebenso danebenliegt.
Der Entwurf öffnet auch nicht Tür und Tor für parteipolitische Entscheidungen. Wir wollen die Zweidrittelmehrheit nicht ändern, die soll Bestandteil bleiben, wie wir das besprochen haben. Ich verstehe auch das Argument nicht, wir würden das Vertrauen in die Justiz riskieren. Mir ist nicht bekannt, dass es in der Vergangenheit Zweifel an unseren Wahlen gab, und das will ich in so einer Rede auch einmal in allem Ernst sagen: Wenn wir dem Antiparteienpopulismus dadurch Tür und Tor öffnen, dass wir ihm nachgeben, dann wird das nicht besser, sondern schlimmer mit dem Übel. Das will ich hier deutlich sagen. Ich finde, die demokratischen Parteien wirken nach Artikel 21 des Grundgesetzes mit an der Willensbildung, und es ist gut, dass sie das tun. Das ist ein Teil der politischen Stabilität unseres politischen Systems in diesem Land.
Wissend, dass das eine heikle Angelegenheit ist, sage ich auch: Wir nehmen das Wort Anhörung ernst. Das heißt nämlich, wir hören die Sachverständigen an. Herr Kollege Rossa, wir haben immer mal wieder über das eine oder andere gesprochen. Wenn es hier klügere Formulierungen gibt, dann werden wir uns denen auch öffnen. Aber niemand soll daran zweifeln: Wenn die sagen, ihr müsst erst das Grundgesetz reformieren, dann sind wir erst im Jahr 2053 damit am Ende. Das wollen wir nicht. Wir wollen das in dieser Legislaturperiode mit Wirkung für die nächste beschließen. Daran arbeiten wir.
Ich bedanke mich herzlich für die Zusammenarbeit und werbe um Unterstützung für unseren Entwurf. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Echo in den Medien und die Stellungnahmen der beiden Richterverbände zeigen, dass wir uns mit der Modifizierung der Richterwahl auf ein schwieriges Terrain begeben haben.
Die Positionen scheinen unversöhnlich. Ein in sich stimmiger Ausgleich der sogenannten Bestenauslese mit dem parlamentarischen Anspruch, auch wirklich eine Wahl zu haben, scheint dem Versuch der Quadratur des Kreises nahezukommen, denn das Prinzip der Bestenauslese geht von der Grundannahme aus, dass bei Vorliegen und bei korrekter Anwendung klar definierter Beurteilungsmaßstäbe eindeutig die am besten geeignete einzige Person gefunden werden kann. Das ist ein Grundsatz der Bestenauslese.
Für eine Wahl bleibt da eigentlich überhaupt kein Raum. Das Wählen reduziert sich bisher im Richterwahlausschuss auf den Vergleich von Notentabellen. Wer die besten Noten vorweisen kann, ist zu wählen, Punkt! Das verträgt sich aber nicht mit unserem parlamentarischen Selbstverständnis.
Gleichzeitig liegt üblicherweise dem Prinzip der Wahl ein besonderes Element zugrunde: Das Amt wird immer nur für einen begrenzten Zeitraum vergeben. Das ist ein korrigierendes und limitierendes Element des Wahlvorgangs. Wenn es eine schlechte
Wahl war, wird sich das nämlich herausstellen, und die Person hat für eine weitere Wahlperiode dann eben keine Chance mehr. Ein Richter oder eine Richterin muss sich hingegen nicht nach einer bestimmten Amtszeit wieder zur Wahl stellen.
Es gibt daher in der Rechtsliteratur durchaus Stimmen, welche die Richterinnen- und Richterwahl durch einen Parlamentsausschuss insgesamt als einen Irrweg bezeichnen.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier aber betonen, dass wir Fraktionen uns nicht leichtfertig auf dieses glatte Eis begeben haben. Es war das Bundesverfassungsgericht selbst, das 2016 die Leinen für den Richterinnen- und Richterwahlausschuss des Bundestages gelockert hat. Der vorliegende Gesetzentwurf hält sich wörtlich an die Vorgaben dieser Entscheidung. Die beiden Richterverbände gehen auf diese Leitentscheidung letztlich gar nicht ersichtlich ein.
Zuvor wurde kritisiert, die erwähnte Entscheidung sei auf den Richterinnen- und Richterwahlausschuss im Landtag nicht übertragbar, weil hier im Gegensatz zum Bund das föderative Element, ein föderativer Ausgleich in der Richterschaft bei Bundesgerichten nicht zu berücksichtigen sei. Vor Einbringung des Gesetzesentwurfs haben wir namhafte Rechtswissenschaftler schriftlich und mündlich befragt. Niemand hat bestätigt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Schleswig-Holstein wegen dieser föderalen Sonderaspekte bei der Bundesrichterwahl nicht übertragbar sei.
Im Übrigen blenden die beiden Richterinnen- und Richterverbände einen maßgeblichen Punkt bei der Besetzung von Richterinnen- und Richterstellen weitgehend aus. Die Rolle derjenigen, welche die Beurteilungen schreiben, nämlich die Präsidentinnen und Präsidenten der Obergerichte in SchleswigHolstein. Diese Personen lassen sich in aller Regel einem der beiden genannten Richterinnen- und Richterverbände zuordnen.
Bekanntlich haben wir den mehr konservativ orientierten Richterinnen- und Richterverband und die eher SPD und Grünen zugeneigte Neue Richterinnen- und Richtervereinigung. Schon optisch wird das bei der Sitzordnung im Richterinnen- und Richterwahlausschuss deutlich. Mitglieder des Richterinnen- und Richterverbandes sitzen bei der CDU, das NRV-Mitglied sitzt auf der Seite der SPD.
Meine Damen und Herren, dass zumindest im Hintergrund parteipolitische Präferenzen bei der Bestenauslese auf der Grundlage der nur scheinbar völlig neutralen Beurteilung mitschwingt, ist für mich,
der seit nunmehr neun Jahren im Richterinnen- und Richterwahlausschuss sitzt, nicht von der Hand zu weisen.
Wir haben vor Einbringung des Gesetzentwurfs mit Vertreterinnen und Vertretern beider Verbände intensiv gesprochen. Wir gehen ergebnisoffen in das parlamentarische Beratungsverfahren. Es liegt zwischenzeitlich auch eine Stellungnahme der Neuen Richterinnen- und Richtervereinigung vor, die versucht, das Interesse der Fraktionen an einer Erweiterung ihrer Einflussmöglichkeit zu ermöglichen. Die hier angerissene Diskussion wird also intensiv und offen im Ausschuss weitergeführt.