Protocol of the Session on October 27, 2021

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(Zuruf Barbara Ostmeier [CDU])

- Ja, dafür haben wir stark gerungen. - Der Koalitionsvertrag unterstreicht, dass zum Erreichen des Ziels eine durchgehende Betreuung der haftentlassenen Menschen zu gewährleisten ist. So steht es dort drin.

Das erfordert eine intensive Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und freien Trägern. Dafür nahmen wir ausdrücklich auch die Schaffung eines Resozialisierungsgesetzes in Aussicht. Heute verabschieden wir dieses Gesetz, das den im Koalitionsvertrag niedergelegten Grundgedanken einer intensiven Kooperation aller staatlichen Institutionen und freien Träger beim Übergangsmanagement und bei der Rückfallvermeidung nach der Haft durchdekliniert und auf eine tragfähige gesetzliche Grundlage stellt.

Besonders zu begrüßen ist, dass der Gesetzesentwurf die Perspektive der Kriminalitätsopfer ausdrücklich einbezieht. Das sind zwei Seiten einer Medaille.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Auch der Aspekt des Datenschutzes in diesem besonders sensiblen Bereich der Zusammenarbeit von staatlichen Strafvollzugsbehörden und freien, also privaten Akteuren ist ausführlich und angemessen geregelt. Sehr gut ist ebenfalls, dass durch das Gesetz ausdrücklich die kriminologische Forschung einbezogen wird, um die Wirksamkeit des Strafvollzugs und der ambulanten Resozialisierungsleistungen kontinuierlich und dauerhaft zu überprüfen.

Ursprünglich hatten wir im Koalitionsvertrag vorgesehen, einen gemeinsamen kriminologischen Dienst mit Hamburg einzurichten, um die Wirksamkeit des Strafvollzugs zu überprüfen. Leider konnten wir bislang Hamburg nicht für eine solche Zusammenarbeit gewinnen. Dann machen wir das eben jetzt selber. Vielen Dank dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, wir sind allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizministeriums und dem Minister außerordentlich

(Stefan Weber)

dankbar für die Vorlage des Gesetzesentwurfs, der im Rahmen der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss weitgehende Anerkennung gefunden hat - gerade auch durch die freien Träger in der ResoArbeit. Zu diesem Kapitel gehört auch, dass im Innen- und Rechtsausschuss einstimmig empfohlen wurde, diesen Gesetzentwurf zur Annahme anzunehmen. Ich finde es einen großartigen Ausdruck, dass wir hier an einem Strang ziehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Haftvermeidung und Verhinderung von Drehtüreffekten nämlich sind hocheffektive Präventionsarbeit. Sie schützt die Gesellschaft deutlich besser als wegschließender Verwahrvollzug und kalte Entlassung aus dem Gefängnis, und sie spart teure Haftplätze. Schon heute ist Schleswig-Holstein in Bezug auf die sogenannte Gefangenenrate, also wie viele Menschen sich, bezogen auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, in Strafhaft befinden, europaweit ein Musterland. Der Minister hat es hier schon dargelegt. In Zahlen sind es in unserem Land nur 37 Personen, im Bundesdurchschnitt fast doppelt so viele, nämlich 70, und in den USA, um einmal einen Blick über die Bundesrepublik hinaus zu werfen, sind es zum Vergleich 639, zehnfach höher als der Bundesdurchschnitt. Das muss man sich einmal vorstellen: 639!

Also, gelungene Resozialisierung und Haftvermeidung schaffen nicht nur mehr Sicherheit, sondern sparen auch hohe Kosten ein. Was kann man sich eigentlich mehr wünschen?

Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings auch bei diesem Gesetz dabei - wir sprachen es schon an -: die Einführung einer Fachaufsicht für die Bewährungshilfe, angesiedelt beim Justizministerium. Das ist beim Berufsverband der Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer sehr sauer aufgestoßen. Ich gebe zu, dass ich anfangs durchaus Sympathien für den bisherigen Zustand hatte. Bislang liegt die Fachaufsicht der Bewährungshilfe bei sogenannten Richterlichen Referentinnen und Referenten in den vier Landgerichtsbezirken. Letztlich aber hat mich der Gedanke überzeugt, dass es sinnvoller ist, dass die Bewährungshilfe durch Fachleute der gleichen Profession

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

beaufsichtigt wird, wie es übrigens in allen anderen Bundesländern auch der Fall ist. Ich hoffe stark, dass der betroffene Verband im Verlauf der Gesetzesumsetzung doch mit dieser neuen Struktur

seinen Frieden machen kann. Letztlich werden sich die vier neu zu besetzenden Stellen ja auch aus ihrem Berufsfeld heraus rekrutieren. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Jan Marcus Rossa das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reden am heutigen Tag zum Resozialisierungs- und Opferschutzgesetz zeigen die große fachliche Einigkeit in diesem Haus. Das hat sich auch schon im Innen- und Rechtsausschuss abgezeichnet. Deswegen auch von meiner Stelle noch einmal einen Dank an das Justizministerium, an den Justizminister, an die Fachabteilung für diesen Gesetzentwurf und die fachliche Begleitung. Man kann schon heute konstatieren, dass es ein sinnvolles Gesetzesvorhaben war, dass wir ein modernes Gesetz geschaffen haben, das eine bereits gute gesetzliche Grundlage vernünftig weiterentwickelt hat. Dafür herzlichen Dank.

(Vereinzelter Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von meinen Vorrednern ist bereits gesagt worden, dass in der Strafrechtspflege allgemein anerkannt ist, dass eine Bestrafung allein keinen Erfolg haben kann, dass insbesondere neue Straftaten durch Bestrafung allein nicht verhindert werden können, sondern das Instrument der Resozialisierung wichtig und notwendig ist.

Nicht erst das Strafvollzugsgesetz, sondern im Grunde genommen schon unsere Verfassung - das hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen sehr deutlich gemacht - bietet diesen grundsätzlich geschützten Resozialisierungsanspruch, den Gefangene im Strafvollzug gegenüber dem Staat haben. Dem müssen wir gerecht werden. Das tun wir in Schleswig-Holstein sicherlich besser als andere Bundesländer. Dafür sprechen die Zahlen, die hier schon hinreichend dargelegt worden sind.

Insofern kann man sagen, wir haben in SchleswigHolstein ein gut ausgebautes und funktionierendes System ambulanter Resozialisierungsmaßnahmen, bestehend aus den Ambulanten Sozialen Diensten der Justiz, insbesondere der Bewährungshilfe, und

(Burkhard Peters)

den freien Straffälligenhilfen, die hier nicht unerwähnt bleiben dürfen. Der Erfolg der Resozialisierungsarbeit - das ist auch deutlich geworden - wird dokumentiert durch die niedrigste Inhaftierungsquote in Deutschland. Das bedeutet nicht, dass wir bei der Strafverfolgung nachlässig sind, sondern dass es uns immer wieder gelingt, Menschen auf einen tugendhafteren Weg zu bringen, sie eben davor zu bewahren, erneut Straftaten zu begehen.

Ich hätte mir deshalb gerade mit Blick auf die handelnden Personen, die für diese Erfolge so wichtig sind, nämlich die Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in Schleswig-Holstein, gewünscht, dass wir mit unserem Regelungsansatz, insbesondere der Neuorganisation der Bewährungshilfe, von diesen mehr Zustimmung erfahren hätten, als wir sie bekommen haben. Ich habe persönlich und zum Teil mit meinen Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der CDU Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Landesarbeitsgemeinschaft der Bewährungshilfe geführt, wie eine sinnvolle Organisationsstruktur der Bewährungshilfe in Schleswig-Holstein hätte aussehen können. Wir haben diese Thematik auch sehr intensiv im Innen- und Rechtsausschuss diskutiert. Leider waren die Diskussionen am Ende nicht in der Weise von Erfolg gekrönt, dass wir mit den Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern einen Konsens hätten erreichen können.

Deshalb möchte ich hier kurz auf diese Meinungsverschiedenheit eingehen. Aus Sicht der Bewährungshilfe hat sich das sogenannte Sprechersystem einschließlich eines fachlich vorgesetzten Richters in den Landgerichtsbezirken bewährt. In der Tat sprechen die Resozialisierungserfolge eigentlich dafür, auf Änderungen verzichten zu können. Das hat Herr Weber auch schon gesagt. Letztlich war das auch unser Eindruck zu Beginn der Diskussion. Das ist von meinem Kollegen Burghard Peters deutlich dargelegt worden.

Allerdings spricht für diese Strukturänderung, dass die Funktionen eines Fachvorgesetzten nicht wirklich umfassend und ausreichend durch Berufsfremde ausgeübt werden können. Das ist schlicht eine Tatsache, die trifft nicht nur die Bewährungshilfe in Schleswig-Holstein, sondern findet sich in jedem hochspezialisierten Berufsfeld wieder. Fachvorgesetzte müssen eben Fachleute sein. Das hat uns zu dem Ergebnis gebracht, dass wir an der vorgeschlagenen Strukturreform festhalten möchten.

Wir haben mit den Richterinnen und Richtern, die diese Aufgabe der oder des Fachvorgesetzten in der Vergangenheit wahrgenommen haben, gesprochen.

Es sind gute Juristen. Sie haben aus ihrer richterlichen Perspektive sicherlich ein gewisses fachliches Verständnis für die Aufgaben und die Arbeit der Bewährungshilfe, sind aber dennoch nicht durch Hochschulabschlüsse geschulte und ausgebildete Fachleute. Diese berufliche Qualifikation ist für einen Fachvorgesetzten eben notwendig. Das ist auch in der mündlichen Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss sehr deutlich herausgearbeitet worden, insbesondere von Vertretern aus anderen Bundesländern. Auch das Aufgabenverständnis der Richterinnen und Richter, die uns ebenfalls ihre Positionen dargelegt haben, hat uns in unserer Auffassung eigentlich eher bestärkt, als uns von dieser Entscheidung abzubringen.

Ich habe die Erwartung, dass sich das neue System in der Praxis bewähren wird, und ich hoffe, dass dann auch die Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer mit der Zeit den Vorzug der neuen Organisationsstruktur erkennen, nämlich einen fachkundigen Fachvorgesetzten zu haben, der sie in ihrer Arbeit unterstützt, und sich mit der neuen Organisationsstruktur anfreunden können. Denn eines ist klar: Die Erfolgsgeschichte der Resozialisierung in Schleswig-Holstein wird ohne die Menschen, die tagtäglich in der Bewährungshilfe ihren verantwortungsvollen Dienst verrichten, nicht ohne Weiteres fortgeschrieben werden können, wenn wir sie nicht insgesamt an unserer Seite wissen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt der Vorsitzende Lars Harms das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Anhörung zum Gesetzentwurf hat das neue Resozialisierungsgesetz grundlegend nur positive Kommentare bekommen. Das an sich zeigt, dass die bisherige Vorgehensweise in diesem Bereich und die jetzige Weiterentwicklung funktioniert haben beziehungsweise gut an den zukünftigen Anforderungen ausgerichtet sind. Ziel muss es immer sein, dass es nach Möglichkeit keinen Rückfall in die Straffälligkeit gibt. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber wenn man sich die Inhaftierungsquoten in den einzelnen Bundesländern ansieht, dann sieht man, dass auch die Resozialisierungsarbeit hier bei uns im Land sehr gut funktioniert. Das heißt, die Zusammenarbeit zwischen Jus

(Jan Marcus Rossa)

tiz, Vollzug und Sozialarbeit klappt, und das ist ja ein Wert an sich.

Aber es gibt natürlich nichts, was nicht noch verbessert werden könnte. So gibt es bisher für straffällig gewordene Menschen in den Justizvollzugsanstalten einen Vollzugs- und Eingliederungsplan. Das ist ein wichtiges Instrument, um die Menschen planvoll wieder in die Gesellschaft entlassen und integrieren zu können. Die Grundlage ist somit gelegt. Wenn es aber um die Resozialisierungsarbeit geht, dann gibt es bisher nur nachgelagerte Berichte.

Nun ist zwar klar, dass auch hier natürlich trotzdem planvoll gearbeitet wird, aber es wäre natürlich gut, wenn es auch nach der Entlassung eines Häftlings einen Resozialisierungsplan gäbe, dem sich im Übrigen nicht nur die Sozialarbeiter, sondern auch die Klienten verpflichtet fühlen. Genau das soll jetzt eingeführt werden, und das sehen wir als SSW positiv.

(Beifall SSW)

Wir würden uns freuen, wenn die Grundlagen dieser Planungen jeweils miteinander abgestimmt wären und wenn der Übergang von der Haft in die Freiheit von beiden Seiten abgestimmt begleitet würde. Das muss zumindest das Ziel sein.

Uneinigkeit, die Vorredner haben es schon erwähnt, gab es aber in der Anhörung darüber, ob in Zukunft die Fachaufsicht über die Sozialarbeiter in diesem Bereich weiterhin durch Richter oder doch lieber durch Sozialarbeiter erfolgen sollte. Man sagt im Volksmund: „Never change a winning Team“, und das spricht natürlich für die Beibehaltung unseres bewährten Systems. Aber andere machen es anders und oft auch nicht schlechter.

Es stellt sich dann schon die Frage, ob die fachliche Aufsicht über soziale Aufgaben wirklich Juristen überlassen sein sollte. Ich glaube, dadurch, dass in Zukunft Sozialarbeiter die Fachaufsicht übernehmen, kann es durchaus noch positiven fachlichen Input geben. Darüber hinaus sollen ja auch noch die 1,02 Richterstellen für die Fachaufsicht, die bisher dafür vorgesehen sind, auf vier Stellen mit Sozialarbeitern aufgestockt werden. Das System wird also auch personell gestärkt, was wirklich etwas sehr Positives ist.

Wenn es um rechtliche Fragen geht, dann findet sich viel in den jeweiligen Urteilen, das darf man nicht vergessen. Darin steht schon eine Menge darüber, was man zu tun und zu lassen hat. Darüber hinaus gibt es immer die Möglichkeit, mit juristi

schen Fachfragen an die Gerichte heranzutreten. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir also die Stärkung des Systems.

Lassen Sie mich abschließend noch einen weiteren Aspekt nennen, der uns wichtig ist. In der Vergangenheit war es oft so, dass eine Opferorientierung nur stattfinden konnte, wenn auch der Täter bereit war, seinen Teil mit beizutragen. Jetzt ist das Gesetz so aufgebaut, dass Opfer auch ohne explizite Beteiligung von Tätern Hilfe nach diesem Gesetz bekommen können. Das stärkt die berechtigten Interessen der Opfer und gibt ihnen Rechtssicherheit, dass sie Dinge auch wirklich einfordern können, ohne dass sie sich mit dem Täter auseinandersetzen müssen, denn gerade diese Auseinandersetzung kann vom Opfer durchaus nicht gewollt sein. Auch das gilt es zu respektieren, und genau in diese Richtung sind die Bestimmungen des Gesetzes jetzt formuliert, und das ist richtig so.

Man kann also feststellen: Die Arbeit bisher war schon sehr gut. Die Fachlichkeit wird jetzt noch einmal gestärkt, und der Opferschutz wird stärker berücksichtigt. Das Gesetz ist somit eine sinnvolle Weiterentwicklung der bisherigen Rechtslage. Deshalb können wir gut zustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.