Protokoll der Sitzung vom 26.09.2018

schlicht und ergreifend weiterhin die Welt in Schubladen packen möchte und sie so einteilen möchte, wie es einem passt. Das kann man machen.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Warum sage ich das? - Im Oktober des vergangenen Jahres hat das Bundesverfassungsgericht ein sehr beachtliches Grundsatzurteil gefällt, und zwar ein Urteil, auf das ganz viele Betroffene sehr lange gewartet haben, auf das viele Betroffene mit ganz viel Engagement hingearbeitet und für das sie gekämpft haben.

Ich sage so einen Satz selten, aber dieses Urteil empfehle ich wirklich zur Lektüre. Ich darf einmal daraus zitieren:

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch die geschlechtliche Identität, die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität eine herausragende Bedeutung zu; sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Dabei ist auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir, unsere Gesellschaft, teilen bei allen möglichen und allen erdenklichen Gelegenheiten in männlich und weiblich ein, sei es bei Verwaltungsakten, im Beruf, in der Freizeitgestaltung oder auch im täglichen Sprachgebrauch. Die Geschlechtszugehörigkeit spielt in vielen Aspekten des Alltags eine ganz wesentliche Rolle. Teilweise regelt das Recht Ansprüche und Pflichten in Anknüpfung an das Geschlecht. Vielfach bildet das Geschlecht die Grundlage für die Identifikation einer Person.

Auch jenseits rechtlicher Vorgaben hat die Geschlechtszugehörigkeit im täglichen Leben erhebliche Bedeutung. Sie bestimmt beispielsweise, wie Menschen angesprochen werden oder welche Erwartungen an das äußere Erscheinungsbild einer Person, an deren Erziehung oder an deren Verhalten gerichtet werden. Das Geschlecht ist Teil der Identität. Wir nehmen dies als so selbstverständlich wahr, dass es uns oftmals gar nicht auffällt. Genau hier, weil wir es als selbstverständlich wahrnehmen, geraten diejenigen aus dem Blick, die genau in diese binäre Welt nicht passen. Damit diskrimi

(Dr. Kai Dolgner)

nieren wir in diesen Kategorien männlich und weiblich tagtäglich Menschen, schließen sie aus und geben ihnen das Gefühl, nicht richtig zu sein, nicht da zu sein, nicht sichtbar zu sein. Den Schaden, den wir damit den Betroffenen zufügen, können wir nur erahnen. Ich sage noch einmal: Die Suizidrate gerade bei diesen Menschen ist unendlich hoch. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil daher zu Recht fest, ich zitiere noch einmal:

„Der Personenstand ist keine Marginalie, sondern ist nach dem Gesetz ‚die Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung‘. Der Personenstand umschreibt in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität gefährdet darum bereits für sich genommen die selbstbestimmte Entwicklung.“

Ich begrüße es sehr und freue mich, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine vergleichsweise kurze Umsetzungsfrist, nämlich bis zum 31. Dezember dieses Jahres, gesetzt hat, um eine Änderung des Personenstandrechts vorzunehmen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt aktuell dem Bundesrat zur Stellungnahme vor. Danach wird sich der Bundestag mit dem Gesetzentwurf befassen.

Vor der Sommerpause haben wir in einer großen Gemeinsamkeit hier im Landtag bereits eine vergleichbare, eine ähnliche Debatte geführt. Damals habe ich kritisiert, dass die Bundesregierung an den Wünschen der Betroffenen komplett vorbei agiert hat. Der damalige Referentenentwurf sah vor, als neues Merkmal die Kategorie „weiteres“ einzuführen. „weiteres“ - ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich finde, das klingt fast verächtlich.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Betroffenen sprechen sich mehrheitlich für den Begriff „divers“ aus. Ich freue mich darüber, dass sich die Bundesregierung nun endlich den Wünschen der Betroffenen angeschlossen hat, um nun ebenfalls im Gesetzentwurf den Begriff „divers“ vorsieht.

Eigentlich wollte ich gar nicht darauf eingehen, aber der Zwischenruf des Kollegen Stegner, den ich gehört habe, unterstützt mich in meiner Auffassung, dass niemand befürchten muss, dass sich jetzt auf einmal eine gesamte Bevölkerung in ihrer Geschlechtsidentität zukünftig als „divers“ bezeichnet. Wir sollen vielmehr die Wünsche der Betroffenen

respektieren. Ich bin sogar der Auffassung, dass wir die Wünsche der Betroffenen in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen müssen. Deswegen sollten wir die Hürden für eine Änderung der Geschlechtsangaben so niedrig wie irgend möglich halten. Die Kolleginnen und Kollegen haben dazu alles Notwendige gesagt.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Meine Damen und Herren, die Betroffenen haben oftmals eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Ich empfehle wirklich jedem und jeder - ich kann das ja in irgendeiner Weise nachvollziehen, möglicherweise bestehen da diffuse Berührungsängste -: Lernen Sie doch solche Menschen einmal kennen. Sprechen Sie mit solchen Menschen. Hören Sie ihnen einfach zu. Lassen sich deren Lebensgeschichte erzählen. Vielleicht denken und reden Sie mit der Zeit anders. Ich wünsche mir das jedenfalls.

Diese Menschen sollten der geschlechtlichen Identität, die sie fühlen, Ausdruck verleihen, ohne dass wir ihnen ärztliche Untersuchungen oder Nachweise auferlegen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt unmissverständlich klar, dass die geschlechtliche Identität aller zu schützen ist. Das bedeutet für mich daher auch: Niemand soll sich für seine Identität rechtfertigen müssen. Ein Mensch ist ein Mensch!

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [AfD])

Der Herr Minister hat die vorgesehene Redezeit um 3 Minuten erweitert. Diese stünde jetzt grundsätzlich allen weiteren Fraktionen erneut zur Verfügung. - Ich sehe jedoch, dass davon kein Gebrauch gemacht wird, denn weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe somit die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag, Drucksache 19/929, sowie den Alternativantrag, Drucksache 19/976, federführend an den Innen- und Rechtsausschuss und begleitend an den Sozialausschuss zu überweisen.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Ich bitte um ge- trennte Abstimmung!)

- Wenn es recht ist, stimmen wir getrennt ab.

Ich lasse zunächst über den Antrag 19/929 abstimmen. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/929 federführend in den Innen- und Rechts

(Minister Dr. Heiner Garg)

ausschuss sowie begleitend in den Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! Stimmenthaltung? - Dies ist mehrheitlich somit so beschlossen.

Zudem ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/976 federführend in den Innen- und Rechtsausschuss sowie begleitend dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltung? - Das ist einstimmig so beschlossen worden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die heutige Sitzung und unterbreche die Tagung bis morgen 10 Uhr und wünsche Ihnen Erfolg und Spaß bei Ihren Abendveranstaltungen.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 18:18 Uhr

(Vizepräsidentin Annabell Krämer)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenografischer Dienst