Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, über die Anträge in der Sache abzustimmen. Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktion der AfD, Drucksache 19/947, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Damit ist der Antrag Drucksache 19/ -

(Heiterkeit - Volker Schnurrbusch [AfD]: Das ging ja schnell! - Zuruf SPD: Sehr weit- sichtig!)

Gegenprobe! - Damit ist der Antrag Drucksache 19/947 gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen sämtlicher anderer Fraktionen und Abgeordneten abgelehnt worden.

Ich lasse über den Alternativantrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Drucksache 19/982, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW gegen die Stimmen der AfD angenommen worden.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Brexit-Auswirkungen auf Schleswig-Holsteins Wirtschaft und Strategie der Landesregierung

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/943

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse somit zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.

Ich erteile das Wort für die Landesregierung dem Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, Dr. Bernd Buchholz.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich komme dem Wunsch des Hauses, über die möglichen Folgen des Ausscheidens des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union auf Schleswig-Holstein zu berichten, sehr gern nach, auch wenn ich sagen muss: Dieser Bericht fällt schwer. Wie soll ich heute darüber berichten, wenn ich noch nicht sagen kann, auf welcher Grundlage das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs stattfinden wird?

Seien Sie mir vor diesem Hintergrund bitte nicht böse, lieber Herr Hölck, der Sie ja den Antrag gestellt haben, wenn ich Ihnen sage, dass Ihre Einschätzung nicht zutrifft. Wie ich der Zeitung von heute entnehme, wollen Sie der Landesregierung mit diesem Antrag in Wahrheit Untätigkeit vorwerfen, weil wir uns nicht auf ein Szenario, das Sie für wahrscheinlich halten, einlassen. Es hat, ehrlich gesagt, wenig Sinn, einen Berichtsantrag zu stellen, wenn Sie ohnehin angeblich schon alles wissen.

Lieber Herr Hölck, es wäre spannend, von Ihnen heute zu hören - deshalb bin ich gespannt auf Ihre Rede nachher -, mit welchen Maßnahmen Sie denn die schleswig-holsteinische Wirtschaft auf welches Szenario einstellen wollen. Darauf bin ich echt gespannt.

(Bernd Heinemann [SPD]: Das wollen wir von Ihnen wissen!)

Dazu wird Herr Hölck sicherlich etwas sagen.

(Christopher Vogt)

Meine Damen und Herren, wir als Landesregierung müssen uns darauf einstellen, dass leider gerade nicht feststeht, nach welchem Szenario tatsächlich agiert wird. Wir wissen de facto nicht, ob es bei der Haltung von Theresa May und ihren jetzigen Vorschlägen bleibt, weil wir mehrmals erlebt haben, dass sich das innerhalb von wenigen Tagen um 180 Grad wendet. Wir wissen nicht einmal, ob die britische Regierung überhaupt bis zum Ende des Prozesses durchhalten wird; es hat ja schon zahlreiche spektakuläre Rücktritte gegeben. Wir wissen auch nicht, ob die Forderung, die inzwischen nicht nur der Londoner Bürgermeister, sondern auch die Labour Party in UK erhoben hat, zum Zuge kommt: Sollte es nicht bis zum 18. Oktober dieses Jahres zu einem Deal-Szenario kommen, wollen sie eine neue „Leave-or-Remain“-Abstimmung im Vereinigten Königreich ansetzen. Angesichts all dessen weiß ich, ehrlich gesagt, nicht, von welchem Szenario ich ausgehen soll. Insofern steht überhaupt nicht fest beziehungsweise ist mit vielen großen Fragezeichen versehen, was tatsächlich passieren wird.

Eines ist allerdings klar: Die Varianz zwischen den unterschiedlichen Modellen ist groß. Auf der einen Seite ist ein harter Brexit im Sinne eines No-Deal möglich. Auf der anderen Seite könnte es zu einer Zollunion beziehungsweise einem groß angelegten Freihandelsabkommen kommen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in einem Leitfaden die 111 wichtigsten Fragen zusammengefasst, die sich aus dem Brexit ergeben. Dieser Leitfaden zeigt deutlich auf, dass zwischen den Varianten - Norwegen-Modell einerseits, Schweizer Modell andererseits; CETA oder WTO - vieles möglich ist. Ein harter Brexit ließe uns letztlich auf sämtliche WTO-Regeln zurückfallen. Diese Varianz der Möglichkeiten haben wir vor uns.

Diese Situation der Unsicherheit ist für die Wirtschaft eine Katastrophe. Das muss man einfach so sagen. Unsicherheit ist das Schlimmste, was es für Planung und Investitionssicherheit gibt. Umso schwerer ist es für die Landesregierung, die schleswig-holsteinische Wirtschaft jetzt auf ein Szenario einzustellen. Auf welches denn? Nur weil Sie, lieber Herr Hölck, vermuten, dass es zu einem harten Brexit kommt, kann ich nicht alle Pferde scheu machen und sagen: Ihr müsst euch alle darauf einrichten, dass ihr auf WTO-Standards zurückgeworfen werdet. - Es wäre sogar falsch, dies zu tun; denn wir müssen heute hart daran arbeiten, dass es dazu nicht kommt.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Klar ist: Welches Szenario auch eintreten wird wenn der Brexit tatsächlich stattfindet, wird er negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation nicht nur bei uns in Schleswig-Holstein, sondern auch im Vereinigten Königreich haben. Schon jetzt erlebt Großbritannien Wachstumseinbußen, die sich auch auf die deutsche und damit die schleswig-holsteinische Wirtschaft negativ auswirken. Die Einbußen im Handel mit dem Vereinten Königreich werden derzeit von der guten Konjunktur in Deutschland ein bisschen überlagert. Das wird nach erfolgtem Brexit anders sein. Grund sind Handelshemmnisse wie Zölle und Ursprungskontrollen, die eine Umlenkung der Handelsströme bewirken. Dies alles wird dazu führen, dass ein großer Teil unserer Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich auf andere Wege umgeleitet wird und Handelsströme woanders entlang fließen.

Was bedeutet das nun für Schleswig-Holstein? Ich will versuchen, soweit ich es kann, ein paar Dinge auf unsere Situation in Schleswig-Holstein herunterzubrechen. Die Betroffenheit der Länder hängt einerseits vom Brexit-Szenario ab - das wir nicht kennen -, andererseits von der Wirtschaftsstruktur und den Handelsverflechtungen, die wir mit dem Vereinigten Königreich haben. Das ist bezogen auf Schleswig-Holstein zu analysieren. Im Vergleich zur gesamtdeutschen Betroffenheit durch den Brexit prognostiziert das ifo Institut für unser Bundesland eine Betroffenheitsgrößenordnung zwischen 0,1 und 0,24 % des Bruttoinlandsprodukts. Das ist nicht wenig, aber auch nicht schrecklich.

Dem verarbeitenden Gewerbe drohen bei einem harten Brexit die größten Verluste; angenommen werden ungefähr 0,8 % Verlust an Bruttowertschöpfung im Vergleich zum Basisszenario. Die Industrie ist allerdings in Schleswig-Holstein weniger stark vertreten als in anderen Bundesländern und hat bei uns auch einen etwas geringeren Exportanteil an der Wertschöpfung. Das macht uns etwas weniger anfällig für konjunkturelle Einflüsse aus dem Ausland oder das Brexit-Szenario.

Innerhalb der Industrie sind allerdings Branchen, die besondere Wertschöpfungseinbußen durch den Brexit erleiden können, in Schleswig-Holstein vergleichsweise stark vertreten, insbesondere die pharmazeutische Industrie und der Maschinenbau. Das liegt daran, dass wir im Rahmen der europäischen Harmonisierung der Zulassungsverfahren in vielen Bereichen die wechselseitige Anerkennung vereinbart haben, insbesondere im pharmazeutischen Bereich, aber auch bei Maschinenbauteilen. Wenn diese wechselseitigen Anerkennungen wegfielen, müs

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

ste für jedes einzelne exportierte Gut eine Genehmigung erteilt werden. Das wird uns nicht nur bundesweit, sondern auch europaweit vor die Herausforderung stellen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Auch auf der Seite des Vereinigten Königreichs wird reagiert werden müssen; denn es muss klar sein, welche Genehmigungsverfahren zur Anwendung kommen. Die WTO-Standards sind die Basis, auf die man zurückfallen könnte.

Der Kfz-Bau, der fast ein Drittel der deutschen Güterexporte in das Vereinigte Königreich ausmacht, fehlt bei uns in Schleswig-Holstein bis auf einzelne Zulieferbetriebe fast ganz.

Folgende Erkenntnis des ifo Instituts und anderer Institute sollten wir uns bitte auf der Zunge zergehen lassen, auch dann, wenn wir an anderer Stelle über Freihandelsabkommen diskutieren: Je umfassender ein Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich ausfällt, desto geringer werden die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft sein. Wen wundert es? Eine Bruttowertschöpfungseinbuße von 0,8 % oder von 0,1 % - das ist ein massiver Unterschied, der sich bei uns in Form von Arbeitsplätzen und von Wirtschaftskraft deutlich zeigen wird.

Wir sind natürlich dabei, über den Mittelstandsbeirat und die Industrie- und Handelskammer im Land mit den Unternehmen, die im Land Exporte in das Vereinigte Königreich betreiben, zu reden, wie wir uns wechselseitig schnell darauf vorbereiten. Insofern - lieber Kollege Hölck, seien Sie mir nicht böse -: Untätig sind wir nicht.

Wir sind auch dabei, die Chancen, die sich für Schleswig-Holstein aus dem Brexit-Szenario ergeben können, nutzen zu wollen. Dazu gehört auch, dass man bei aller Verunsicherung, die sich auf der Insel ergeben hat, auch einmal dort die Fühler ausstreckt und sagt: Leute, passt auf, wenn ihr gegebenenfalls über andere zentraleuropäische Standorte nachdenkt, ist auch ein nördliches Bundesland hochinteressant. - Ich persönlich werde deshalb am 25. Oktober 2018 in Downtown London eine Veranstaltung machen, um schlicht und ergreifend dafür zu sorgen, dass der Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein in den Blick gerückt wird.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ob das gelingt, ob ich dabei viel erreiche, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Eines aber kann ich Ihnen sagen: Wenn wir es nicht versuchen, wäre es mit Sicherheit noch schwieriger.

Ich bin gebeten worden, noch ganz viel über Wissenschaftsfragen, Hochschulfragen zu sagen. Das kann ich innerhalb der Redezeit von 5 Minuten gar nicht machen. Nur so viel: Im Bereich von Wissenschaft sind Hochschulkooperationen und Austauschprogramme betroffen. 13.500 Deutsche studieren zurzeit im Vereinigten Königreich; sie stellen die größte Gruppe aus dem europäischen Ausland dar. Schleswig-Holsteiner sind über Erasmus+ natürlich auch darunter. Für diese Austauschprogramme müssen sowohl für die Restlaufzeit bis 2020 als auch für Folgeprogramme Lösungen gefunden werden.

Inwieweit gravierende Folgen für den Arbeitsmarkt entstehen, hängt vom Szenario ab. Zurzeit befinden sich in Schleswig-Holstein etwas über 600 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit UK-Pass im Land. Wie viele deutsche Bundesbürger derzeit im Vereinigten Königreich arbeiten, wissen wir schlicht und ergreifend nicht. Wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit dem Vereinigten Königreich wegfällt, wird das eine schwierige Situation für alle.

Lieber Herr Hölck, deshalb würde ich die schleswig-holsteinische Wirtschaft heute ungern auf einen harten Brexit einstellen. Ganz im Gegenteil, ich appelliere an alle Beteiligten auf allen Ebenen, das, was man jetzt schon besichtigen kann, möglichst zu vermeiden.

Mit welchen Versprechungen von welchen Leuten sind eigentlich die Briten vor Jahren dazu gebracht worden, so über den Brexit zu entscheiden? Mit was für Versprechungen? Ehrlich gefragt: Wo sind all diese Leute geblieben?

Die Einsparungen sind nicht da. Die wirtschaftlichen Vorteile sind absolut nicht zu besichtigen. Alle - ich denke, auch viele auf der Insel - sehen inzwischen, welche Nachteile es nicht nur für uns hier, sondern auch für dort hat.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Deshalb: Wenn schon ein Brexit, dann mit den größtmöglichen Vereinbarungen der Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich, um die Dinge abzumildern, die da kommen. Am liebsten wäre es mir, wenn Leave or Remain wiederholt würde. Ich halte das immer noch für eine gute Position. - Danke schön.

(Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

Der Herr Minister hat die vereinbarte Redezeit um 6 Minuten ausgedehnt. Diese Zeit steht gegebenenfalls allen anderen Fraktionen zu. Denn man tau!

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Thomas Hölck.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister Buchholz, Gelassenheit ist ja schön und gut. Ich glaube aber, Sie sind auf den Brexit nicht vorbereitet. Begäben Sie sich einmal auf die Berliner Ebene, wüssten Sie, dort gibt es Arbeitsgruppen, die sich mit allen Szenarien des Brexit beschäftigen. Diese bereiten sich darauf vor, Sie nicht. Das ist der Unterschied zwischen dieser Regierung und der Regierung in Berlin.

(Beifall SPD - Oliver Kumbartzky [FDP]: Das hat jetzt gesessen!)

Am 30. März 2019 verlassen die Briten die Europäische Union. Es bleiben noch gut sechs Monate Zeit, um eine Lösung zu finden. Die Folgen für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft, für die Verwaltung sind weitreichend. Niemals hätten die britischen Konservativen zum eigenen Machterhalt ein Referendum über den Verbleib der EU zulassen dürfen. Niemals!

(Vereinzelter Beifall SPD und FDP)

Die einzige Hoffnung, die jetzt besteht, ist, dass die Labour Party den Brexit noch abwendet. Das ist gut so.