Protokoll der Sitzung vom 25.01.2019

Was ist geeigneter als ein kontroverser Film, der zur Diskussion einlädt und sich mit einem Thema beschäftigt, das viele junge Menschen bewegt. Genau das spiegelt die Leitlinien des Konsenses wider: Überwältigungsverbot, Kontroversität und Schülerorientierung. Das sind die Elemente, die dieser Film im Grunde in den Unterricht hineinbringt, wenn man sich damit auseinandersetzt.

Leider musste ich jetzt Zeit verschwenden auf das, was die AfD beantragt hat; denn politische Bildung ist viel mehr. Wir haben das Jahr der politischen Bildung, in dem wir viele Aktivitäten unternehmen aufgrund 30 Jahre Mauerfall und 70 Jahre Grundgesetz. Das ziehen wir in den Fokus. Ich bin mir sicher, dass andere das noch intensiver ausführen werden. Mir ist es wichtig, drei Punkte zu benennen, die auch uns stärker befassen sollten und weniger diese Richtung, die dort genannt wird.

Es gibt den Dialog P, bei dem wir als Abgeordnete dazu aufgerufen sind, in die Schulen zu gehen, mit Schülern zu diskutieren und uns mit politischer Bildung auseinanderzusetzen. Das ist eine tolle Möglichkeit, auch außerhalb von Wahlkämpfen - ich kenne das vom Verband der politischen Jugend, wo wir oft damit zu tun haben - Politik in die Schulen zu holen. Das sollten wir alle unterstützen.

Ich finde es auch gut, dass wir weiter forschen, wie man politische Bildung gestalten kann. Civic Education Study, das ist etwas, das wir in unseren Antrag aufgenommen haben und unterstützen.

Entscheidend wird sein, wie wir das, was wir an Aktivitäten haben, auch verstetigen. Politische Bildung ist - das sehen wir auch an diesem Antrag

(Tobias Loose)

sehr wichtig. Neue Medien verändern politischen Diskurs.

Wir haben mittlerweile Populismus auch in Parlamenten, der sich stärker breitmacht. Politik ist mit Sicherheit auch komplexer geworden. Das verändert politische Bildung, und daran sollten wir arbeiten und nicht an Denunzierungen von irgendwelchen Filmen, die am Ende in einen anderen Kontext gestellt werden. Hier geht es darum, politische Bildung tatsächlich zu leben und in die Schule zu holen.

Insoweit würde ich mir wünschen, dass Sie unseren Antrag unterstützen; denn der macht das möglich. Danke dafür, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort hat für SPD-Fraktion der Herr Abgeordnete Kai Vogel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Anträge der AfD wie dieser atmen den Geist eines tiefen Misstrauens gegenüber den Lehrkräften. Das finde ich sehr schade, denn Sie senden damit ein Signal nach außen, dass sich Lehrkräfte und damit die Schulen massiv politisch wertend verhalten würden und Schülerinnen und Schüler somit politisch einseitig unterrichtet würden.

Jede Lehrkraft, die in Schleswig-Holstein unterrichtet - das wissen Sie genau, Herr Brodehl -, ist dem Schulgesetz verpflichtet. Die Schulen und damit alle Lehrkräfte sind auf die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte und die sie begründenden Wertvorstellungen einschließlich der Ideen der demokratischen, sozialen und liberalen Freiheitsbewegungen verpflichtet.

(Beifall SPD, SSW und Oliver Kumbartzky [FDP])

Sie werden - so geht es weiter im Schulgesetz - beauftragt, junge Menschen dazu zu ermuntern, eigenständig zu denken und die Bereitschaft zur Empathie zu fördern. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich in einer sich ständig wandelnden Welt zurechtfinden. Dazu gehört auch die Offenheit gegenüber kultureller und religiöser Vielfalt.

Kritische Auseinandersetzung kann aber nur dann erfolgen, wenn jungen Menschen keine glattgeschliffenen Texte, Bücher oder Filme präsentiert

werden. Nur weil wir uns an den Texten von Günther Grass reiben, politische Reden von Willy Brandt oder Franz-Josef Strauß analysieren, jede Strophe unserer Nationalhymne lesen und bewerten und Filme wie „Wildes Herz“ und „Schindlers Liste“ in der Schule zeigen und diskutieren lassen, gelingt es, in die Tiefen des Inhalts und in eine wirkliche interpretatorische Auseinandersetzung zu gelangen. Es ist doch ein Irrglaube, davon auszugehen, dass Filme wie „Wildes Herz“ unvorbereitet angesehen und danach nicht ausgewertet werden.

Auch ich reibe mich bei dem Film an der Sprache; das gebe ich als Germanist zu. Wenn die Worte allerdings komplett in wohlklingendes Deutsch eingebettet wären, dann würde vermutlich in keiner einzigen Schule und durch keine einzige Schülerin und keinen einzigen Schüler nach diesem Film eine Auseinandersetzung über gelungene Kommunikation und Sprache stattfinden. Ob „hammergeil“ oder „das ist ein schöner Moment“ die bessere Sprache ist, müssen alle Schülerinnen und Schülern diskutieren und dann bewerten.

(Heiterkeit SPD und SSW)

Ja, der Film setzt sich kritisch mit rechten Parteien auseinander. Aber es gibt - das wissen auch Sie auch mehr als genug Filme, die sich kritisch mit den Positionen aller anderen im Landtag vertretenen Parteien auseinandersetzen. Das ist etwas, was wir aushalten müssen. Erst die kritische Auseinandersetzung in der Schule führt dann zu einer späteren eigenen Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler. Das sollte doch unser Interesse sein. Wollen Sie allen Ernstes Schulen vorschreiben, welche Filme genehm sind und welche auf einen Index gehören? Das kann doch nicht sein.

Sie provozieren mit Ihren eigenen einseitigen politischen Thesen doch ebenfalls bewusst und wollen doch bestimmt, dass auch über diese in der Schule diskutiert wird, wie der Kollege Loose es eben über das AfD-Plakat sagte. Sie wollen doch damit provozieren.

Wer über den eigenen Bundesvorsitzenden übermitteln lässt, dass die Zeit des Nationalsozialismus ein Vogelschiss gewesen sei, der will doch, dass dieses Zitat in der Gesellschaft diskutiert und bewertet wird.

In anderen Bundesländern lässt die AfD über ein Denunzierungsportal Lehrkräfte bewerten und anschwärzen. Hier findet einseitige Bewertung statt.

(Beifall SPD)

(Tobias Loose)

Hier geht es um das einzige Interesse, Lehrkräfte und Schulen öffentlich bloßzustellen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sie sollten Ihr eigenes Verständnis von Schule dringend kritisch hinterfragen.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Danke!)

Wer in anderen Bundesländern Eltern und Schülerinnen und Schüler animiert, Lehrkräfte öffentlich schlechtzureden, ohne dass diese sich wehren können, wer unseren Lehrkräften unterstellt, unreflektiert kritische Filme im Unterricht zu behandeln,

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Wer macht denn so etwas?)

der sollte sich für diese absolut unpassende Auffassung bei unseren Lehrkräften entschuldigen, statt solche abstrusen Anträge einzureichen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich - und das unterscheidet mich von der AfD-Fraktion - habe Vertrauen in jede Lehrkraft und in jeden meiner früheren Kolleginnen und Kollegen und ihre Schulleitungen, ganz egal, ob sie nun SPD oder eine andere Partei gewählt haben.

Weder der Bildungsausschuss noch der Landtag insgesamt sind das höchste Gremium des Landes für Fragen der Pädagogik oder der Didaktik. Sie sind die höchsten Gremien des Landes für die Festlegung bildungspolitischer Rahmenbedingungen in Gesetzgebung und Haushalt. Im Landtag hat dieser Antrag jedenfalls nichts weiter zu suchen.

Deshalb beantrage ich, ihn in der Sache abzustimmen. Wir werden ihn selbstverständlich ablehnen. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Frau Abgeordnete Ines Strehlau.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD braucht unbedingt Nachhilfe in politischer Bildung. Das ist keine neue Erkenntnis.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Der vorliegende Antrag macht das einmal mehr deutlich.

Die AfD hat den Beutelsbacher Konsens als einen Pfeiler der politischen Bildung völlig falsch verstanden. Sie haben in Ihrem Antrag zwar die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses dargestellt, aber die völlig falschen Schlüsse gezogen.

Beim ersten Prinzip, dem Überwältigungsverbot, darf eine Lehrkraft einen Schüler oder eine Schülerin nicht in eine Richtung bei der Meinungsbildung beeinflussen. Der zweite Punkt heißt: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Drittens muss der Schüler oder die Schülerin in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und die eigene Interessenlage zu analysieren.

Um sich eine eigene Meinung bilden zu können, müssen sich die Schülerinnen und Schüler doch zwangsläufig mit unterschiedlichen Argumenten beschäftigen. Die drei Prinzipien des Konsenses bedeuten logischerweise eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen und Meinungen. Dazu kann auch der Film „Wildes Herz“ gehören. Zur Wahrheit zu „Wildes Herz“ oder zur Band Feine Sahne Fischfilet gehört auch, dass sie sich den rassistischen Parteien in Mecklenburg-Vorpommern entgegenstellen und dass sie Integrationsprojekte mit Geflüchteten unterstützen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Eine Lehrkraft darf nicht indoktrinieren, aber sie darf auch nicht neutral sein in dem Sinne, dass sie alle Positionen unkommentiert und unreflektiert im Raum stehen lässt. Ganz im Gegenteil: Eine Lehrkraft muss reagieren, wenn von Parteien oder einzelnen Personen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung angegriffen wird. Sie muss Positionen klar ablehnen, die dieses Wertegerüst infrage stellen. Ihr Unterricht ist unbedingt wichtig, damit die Schülerinnen und Schüler gerüstet sind gegen Fake News und Manipulationsversuche.

Die Lehrkraft muss dabei überparteilich sein, aber nicht wertneutral.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir sehen: Die Lehrkräfte haben in der Demokratiebildung unserer Schülerinnen und Schüler eine enorm wichtige Aufgabe. In Zeiten, in denen Populistinnen und Populisten an Stärke gewinnen, in denen sie vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme präsentieren und Feinbilder schaf

(Kai Vogel)

fen, um die Massen zu bewegen, ist politische Bildung wichtiger denn je.