Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Erkrankt sind Barbara Ostmeier, Regina Poersch und Flemming Meyer. Wir wünschen allen eine gute Besserung.
Begrüßen Sie mit mir gemeinsam auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtages Schülerinnen und Schüler des Sophie-Scholl-Gymnasiums Itzehoe und den Deutschen Kinderschutzbund, Kreisverband Ostholstein. - Herzlich willkommen heute hier im Landtag!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias von Pein.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Kennen sie Carlos Fernando? Oder Dieter Manzke? - Nein? Aber sicher doch Mehmet Turgut? Amadeu Antonio? Das sind die Namen einiger Mordopfer rechtsextremer Gewalt. Sie stehen stellvertretend für die mindestens 196 Todesopfer rechtsextremer Gewalt, die die Amadeu-Antonio-Stiftung, benannt nach einem der Opfer, allein seit der Wiedervereinigung bei einer hohen Dunkelziffer gezählt hat.
Die meisten dieser Menschen wurden Opfer von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, Verachtung von Obdachlosen und anderen. Andere wurden zu sogenannten Kollateralschäden wie etwa
die Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 vom NSU ermordet wurde. Was ich sagen will: Die Gefahr ist real, auch wenn man selbst vielleicht nicht in das klassische Beuteschema der Rechten passt.
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist nur das jüngste und prominenteste Beispiel, das im Juni in die kollektive Aufmerksamkeit der Bundesrepublik eingehämmert wurde. Er hat aber auch deutlich gemacht, dass wir die Drohungen in der Anonymität des Internets ernst nehmen müssen. Es gibt direkte und indirekte Bedrohungen von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit engagieren. Viele von uns hier im Saal werden schon ihre Erfahrungen mit anonymen Briefen, E-Mails und Telefonanrufen gemacht haben. Das Ziel ist immer das gleiche: Den Betroffenen soll Angst gemacht werden. Sie sollen davon abgehalten werden, ihrer Arbeit nachzugehen.
Mord und die Drohung mit seiner Umsetzung ist die perfideste Form der politischen Kommunikation, die wir kennen. Aber das ist es, womit wir es zu tun haben: mit organisierten Rechtsextremisten, die vor nichts mehr zurückschrecken. Das Internet hat wie so vieles auch - ihre Organisation erleichtert. Sie vernetzen sich, und aus der Anonymität des Internets heraus ist es umso leichter, unentdeckt zu bleiben. Das gilt für die Reichsbürger, die hier im Hause bereits Thema waren, genauso wie für Prepper.
Das gilt aber ebenso für ihre bürgerlich anmutenden Wegbereiter einer bestimmten rechtspopulistischen Bewegung. Deren Flanke nach ganz rechts steht weit offen. Wenn sich etwa die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende als widerständig sieht, sich für die Interessen von Volk und Vaterland engagiert und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze für mehr als enttäuschend hält, ist ihr Engagement für einen Verein, in dem verurteilte Holocaust-Leugner Mitglieder sind, vielleicht doch kein Zufall. Die Neonazis in den Straßen von Chemnitz, die dort im vergangenen September regelrechte Hetzjagden betrieben, bezeichnete sie als Tausende deutsche Patrioten. Ihr damaliger, vielleicht auch heute weiter bestehender - wir wissen es nicht - Fraktionsvorsitzender sprang ihr bei: Die Berichterstattung entstammte einer Lügenpresse. - Darum ist ihr Parteiausschluss lediglich ein Feigenblatt für eine strukturell mit Rechtsextremen durchsetzte Partei.
Die Ermittlungen zu rechten Terrornetzwerken wie dem „Nordkreuz“ haben gezeigt, dass Prepper auch innerhalb der Sicherheitsbehörden aktiv sind und sich ganz konkret auf Bürgerkriegsszenarien vorbereiten. Dazu gehören neben dem Diebstahl von Waffen und Munition sowie der Bestellung von Löschkalk und Leichensäcken auch die Sammlung von Namen und Daten von Menschen, die für Demokratie und Menschenwürde eintreten, in diesem Fall flüchtlingsfreundliche Politiker und Politikerinnen, Künstler und Künstlerinnen, linke Aktivistinnen und Aktivisten und andere. In der Öffentlichkeit wurde diese auch als Todesliste bezeichnet. Auch Walter Lübcke stand auf einer solchen Liste.
Der Umgang mit diesen Daten ist schwierig, das weiß ich. Es gibt keinen Königsweg. Was jedoch grundfalsch ist, ist, die Angelegenheit zu verharmlosen. Das lässt die Bürgerinnen und Bürger nämlich erst recht das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und letztlich den Staat verlieren.
Eine pauschale Veröffentlichung kommt ebenfalls nicht infrage, wenn auch die erste Reaktion der Sicherheitsbehörden war, die Information für sich zu behalten, weil die in diesen Listen Geführten aktuell nicht gefährdet seien. Das könnte sich noch bitter rächen - hoffentlich nicht. Aber wir wollen nicht hoffen, und wir wollen uns auch nicht daran gewöhnen, von Rechten bedroht zu werden.
Nach öffentlicher Kritik hat das LKA Hamburg inzwischen eine Hotline eingerichtet. Andere Länder haben alle betroffenen Personen per Post informiert. Wenn es bei diesen Maßnahmen bliebe und man die Betroffenen damit alleinließe, fände ich das schwierig, weil es die Betroffenen natürlich verstört. Die allermeisten Menschen werden es sich nicht leisten können, eine Handvoll Bodyguards einzustellen. Wir wissen aber auch, dass die Opfer von solchen Bedrohungen nicht proaktiv Angebote annehmen. Deswegen müssen sie unterstützt werden.
Wir wollen erstens, dass Menschen, die auf solchen Listen verzeichnet sind, informiert werden. Zweitens muss diese Information mit sachgerechter Beratung verbunden werden. Drittens müssen die Betroffenen schnell und problemlos eine Anlaufstelle erhalten. Diese Möglichkeiten der Beratung und des Schutzes müssen auch denjenigen offenstehen, die sich aktuell nicht auf den Listen befinden.
Lassen Sie uns die Gefahr, die von rechtem Terror ausgeht, endlich ernst nehmen! Lassen Sie uns am fragilsten Ende der Kette beginnen, nämlich bei den Opfern! - Ich danke Ihnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten jetzt über zwei Anträge, nämlich den Antrag der SPD und dann den - natürlich viel besseren - Alternativantrag von Jamaika. Ich betone, dass beide Anträge das gleiche Ziel haben: der rechtsextremen Bedrohung mit allen Mitteln entgegenzutreten.
Nicht nur die unfassbaren Taten, die in dem NSUProzess Gegenstand der Aufklärung waren, und nicht nur der Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke, sondern vor allem auch der tägliche Blick in die Medien zeigen eine Verrohung von Sitten und Sprache, die wir vermutlich vor ein paar Jahren so nicht für möglich gehalten hätten. Vielleicht haben wir diese Dinge auch nicht ernst genug genommen, weil uns einfach die Vorstellung fehlte, dass sich Menschen, die in unserer freiheitlichen Gesellschaft groß geworden sind, so weit von unseren Wert- und Moralvorstellungen entfernen können.
Wir müssen diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit betrachten. Hass, Hetze und Bedrohung sind Vorboten von Gewalt, Totschlag und sogar Mord. Wir wollen dafür sorgen, dass unsere Behörden sachlich und personell gut aufgestellt sind, damit sie im Zusammenspiel mit dem Bund und den anderen Ländern diese Aufgaben bewältigen können.
Voraussetzung hierfür ist aber auch, dass die Lage erkennbar und einschätzbar ist. Es ist wichtig, dass der einzelne Betroffene die Behörden unterrichtet, Straftaten anzeigt, Strafanträge stellt und die Geschehnisse weder verdrängt noch ignoriert. Abgesehen davon, dass natürlich jede Polizeidienststelle zuständig dafür ist, solche Aussagen aufzunehmen, muss den Betroffenen die Kontaktaufnahme möglichst leicht gemacht werden. Jede mögliche Hemmschwelle muss beseitigt werden. Jeder muss wissen, dass er oder sie Information, Beratung und auch Schutz erhält. Wir begrüßen daher die Ankün
digung unseres Innenministers, den Verfassungsschutz insoweit neu zu organisieren und personell zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Sicht muss klar sein, dass die Lagebeurteilung, die Einschätzung der Gefährdung von den Behörden vorgenommen wird und sie über die zu treffenden Maßnahmen entscheiden. Es kann nicht sein, dass die Betroffenen automatisch von der Polizei unterrichtet werden müssen, wenn ihr Name sich auf irgendeiner obskuren Liste befindet. Dann würde die Polizei unfreiwilliger Handlanger der Extremisten, frei nach dem Motto: Der Rechtsextreme schreibt, und die Polizei stellt zu.
Ich will hier überhaupt nichts verniedlichen oder verharmlosen - das habe ich schon zu Beginn gesagt -, aber wir dürfen auch niemandem Hilfestellung leisten, Angst und Schrecken zu verbreiten.
Um die Sorgen und Nöte der Betroffenen aufzufangen, sind wir - durch die Unterstützung des Zentrums für Betroffene rechter Angriffe, das das schöne Kürzel „Zebra“ trägt - bereits den Weg gegangen, auch zivilgesellschaftliche Hilfe außerhalb der Sicherheitsbehörden zu fördern. Auch hierüber müssen die Betroffenen natürlich informiert werden.
Meine Damen und Herren, auch wenn wir bereits eine Menge auf den Weg gebracht haben, rechtsextreme Bedrohungen zu bekämpfen, lohnt es sich, die Anträge zur weiteren Beratung an den Innen- und Rechtsausschuss zu verweisen. Es darf weder real noch virtuell rechtsfreie Räume geben.
Verhaltensweisen, die wir auf der Straße, im öffentlichen oder im privaten Raum nicht dulden, dürfen auch im Internet nicht sanktionslos bleiben. Hass, Hetze und Bedrohung sind Straftaten, die verfolgt werden müssen. Dazu bedarf es der Mithilfe der Betroffenen, sachlich und personell gut ausgestatteter Behörden sowie des klaren politischen Willens, sich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung von nichts und von niemandem kaputt machen zu lassen.
Daran sollten wir auch über Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam arbeiten. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, vereinzelt SPD und Beifall Jette Wald- inger-Thiering [SSW])
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ob Diskriminierungen, Beleidigungen, Drohungen, Erpressungen, Verleumdungen, rohe Gewalt oder gar Mord - all das erleben Opfer rechter Angriffe. Oft handelt es sich dabei um eine Mischung unterschiedlicher Faktoren; selten kommt einer dieser Bereiche allein vor.
Jeder stelle sich einmal vor, wie der Ablauf ist: Man wird Opfer von Gewalt von rechts. Man wird zusammengeschlagen oder anderweitig angegangen. Wenn man sich entscheidet, zur Polizei zu gehen, dauert es dann aber noch eine ganze Zeit, bis eine Verurteilung oder wenigstens ein Prozess stattgefunden hat. In dieser Zeit nutzen die Rechtsextremen immer wieder ihre Möglichkeiten zur Bedrohung und Einschüchterung. Man hört von anderen aus den Szenen. Freunde kommen auf einen zu und sagen: Auf der Baustelle wurde übrigens über dich gesprochen. Dort sind ein paar Kameraden von denen, mit denen du Probleme hattest.
Das löst im Wesentlichen eines aus: Angst. Diese Angst sorgt dafür, dass Menschen sich entscheiden, an bestimmte Orte nicht mehr zu gehen, bestimmte Bereiche der Stadt und des Arbeitsumfelds zu meiden. Dazu kann auch die Universität gehören. Deshalb haben wir, als ich im AStA war, Zebra an die Universität geholt. Wenn man sein Studium absolvieren muss, kann man sich eben nicht mehr wirklich entscheiden, dem Campus fernzubleiben und Umwege zu gehen. Es kann nicht sein, dass man sich entscheiden muss, Stück für Stück Freiheiten aufzugeben, auch bezüglich der Frage, wie man sich kleidet und ob man sich demokratisch engagiert oder ob man es lieber sein lassen sollte.