Protokoll der Sitzung vom 29.08.2019

Für viele ist diese Abwägung keine Möglichkeit. Gerade für Menschen, die von Rassismus, Homophobie oder Transphobie betroffen sind, ist es keine Möglichkeit, Angsträume zu meiden, weil der Angstraum omnipräsent wird und unveränderliche Äußerlichkeiten immer eine Zielscheibe rechtsextremer Gewalt sind.

Zu lange hatten die Strategien gegen Rechtsextremismus in Deutschland den Täter im Fokus. Es wurde immer nur als Reaktion auf den Täter agiert. Das ist ein Fehler gewesen - eine Erkenntnis, die heute hoffentlich bei vielen Menschen angekommen ist. Das Entscheidende ist die Opferperspektive. Es ist wichtig zu sehen, was die Opfer empfinden, aber auch, was sie wissen. Das ist eine der wichtigen Erkenntnisse aus dem NSU. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Migrationsverbände sehr früh darauf hingewiesen haben, dass es sich um rechtsextreme Morde handelt und dass die Täter nicht etwa aus der eigenen Community kommen. Aber auch die zivilgesellschaftlichen Akteure haben nicht darauf gehört, sondern sind weiterhin andere Wege gegangen. Wie sich die Zivilgesellschaft dort aufgestellt hat, war ebenfalls ein Fehler.

Ich habe vor zwei Wochen die Geschäftsstelle von Zebra, dem besagten Zentrum für Opfer rechter Angriffe in Kiel, besucht. Das ist auch die zentrale Beratungsstelle in Kiel. Ich muss sagen: Es macht einen schon ein Stück weit stolz, wenn man sieht, was wir erreicht haben. Bei dem Besuch vor einem Jahr wurde uns gesagt, dass es Probleme gebe, in der Geschäftsstelle vertrauliche Gespräche zu führen, weil sie viel zu klein war. Wir, die Jamaika-Koalition, haben uns dazu entschieden, dem zuständigen Verband mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Jetzt verfügen sie über neue, sehr zentral gelegene Örtlichkeiten in Kiel. Wir haben sie auch personell gestärkt, ebenso wie andere Beratungsangebote.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und ver- einzelt CDU)

Diese Beratungsstellen müssen neben der Polizei auch weiterhin die Anlaufstelle für die Zivilgesellschaft sein. Aus diesem Grunde halte ich eine weitere ausgewiesene Anlaufstelle bei der Polizei nicht für hilfreich; denn man darf nicht vergessen, dass es nicht hilft, eine einzige Person bei der Polizei zu benennen. Vielmehr halte ich den Kurs des Innenministeriums, zu sagen, jede Polizeidienststelle sei eine Anlaufstelle, für genau den richtigen Weg. Denn das ist niedrigschwellig. Wenn ich nicht die Kommunikation bis in den letzten Ort SchleswigHolsteins schaffe, dass wir hier etwas ganz Spezielles geschaffen haben, ist immer die Polizei, die man vor Ort hat, der richtige Ansprechpartner.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir müssen die Polizei und natürlich auch die anderen Behörden so aufstellen, dass sie auf neue Be

(Claus Christian Claussen)

drohungslagen angemessen reagieren können. Deswegen ist gerade die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes ganz wichtig, das Internet stärker im Blick zu haben, aber auch wissenschaftlich im Blick zu haben, wie sich die neue Rechte organisiert. Wir müssen Beratungen anbieten. Jede Person in Schleswig-Holstein hat das Recht, sich an die Polizei zu wenden mit der Frage: Stehe ich auf einer Feindesliste? Das Recht, sich dort darüber zu informieren, hat jeder Bürger in Schleswig-Holstein.

All das werden wir aber auch noch vertiefter im Ausschuss diskutieren, auch die Frage, ob eigentlich jeder informiert werden sollte. Ich bin der Meinung, dass jeder informiert werden sollte, der auf einer Liste steht. Ich sehe aber auch Haken, über die man nachdenken muss. Denn letzten Endes übernimmt man damit die Kommunikation der Nazis. Man sorgt nämlich dafür, dass jede Bedrohung beim Bedrohten ankommt. Das ist ein Nebeneffekt, bei dem man zwar sagen kann, der ist nicht so nachteilig; aber das ist ein Nebeneffekt, über den wir mit Expertise im Ausschuss diskutieren sollten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir müssen in der Strategie gegen Rechtsextremismus sagen: Der Fokus auf die Täter ist wichtig, aber er darf nicht der alleinige Fokus sein. Jedes demokratische Engagement bedeutet nicht nur, dass man sich gegen die Feinde der Demokratie stellt, sondern eben auch an die Seite der Opfer dieser Feinde. Genau in diese Richtung gehen beiden Anträge, worüber ich sehr froh bin. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Hans-Jörn Arp [CDU])

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rechtsextreme Bedrohung zu bekämpfen, das dürfte in diesem Haus auf breite Zustimmung treffen. Wir dürfen demokratiefeindliche Strömungen nicht tolerieren. Das ist gerade in einem freiheitlich-demokratischen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland eine besondere Herausforderung. Denn es gehört eben auch zu den Grundprinzipien einer Demokratie, unterschiedliche Meinungen vertreten zu können, auch wenn sie ext

rem erscheinen oder es im Einzelfall tatsächlich sind.

Die Grenze der Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit ist aber da erreicht, wo sie sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet und Menschen bedroht oder körperlich angreift. Ist diese Grenze überschritten, muss sich eine Demokratie wehren. Das gilt in besonderem Maße für die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist aus einem der menschenverachtendsten Regime, die Menschen je hervorgebracht haben, hervorgegangen. Sie ist das Produkt der grausamen Erfahrungen, die wir mit einem faschistischen Staat gemacht haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass eine schwache Demokratie den Weg für die Feinde der Demokratie geebnet hat, die auf der Grundlage der Weimarer Reichsverfassung die Macht in Deutschland zumindest legal errungen haben.

Die Schöpfer des Grundgesetzes haben aus diesen Erfahrungen gelernt und daher eine Verfassung erarbeitet, die vom Bundesverfassungsgericht wiederholt in seinen Entscheidungen als streitbare und wehrhafte Demokratie bezeichnet wird. Damit sich in Deutschland die Geschichte nicht wiederholen kann, wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch unsere Verfassung besonders geschützt; denn sie kann eben nicht auf legalem Weg oder durch Mehrheitsbeschlüsse aufgehoben werden. Hier besteht eine Ewigkeitsgarantie, die wir achten müssen. Jedermann, der das infrage stellt, ist ein Feind unserer Verfassung und unserer Gesellschaftsordnung. Der Staat, unsere Gesellschaft ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, gegen verfassungsfeindliche Einzelpersonen oder Gruppierungen vorzugehen, um sie in die Schranken zu weisen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen auch in Zukunft nicht zulassen, dass die Feinde der Demokratie andere Menschen bedrohen, sie angreifen, verletzen oder, wie zuletzt im Fall des Regierungspräsidenten Walter Lübcke, einen Menschen sogar ermorden. Walter Lübcke ist ganz unbestreitbar ins Visier von Rechtsextremisten geraten, weil er sich auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise für diese Flüchtlinge eingesetzt und sich der PEGIDA-Bewegung entgegengestellt hat. Da sein Engagement für die Grundwerte unserer Gesellschaft deutschlandweit Aufmerksamkeit erzeugt hat, wurde er zum Ziel rechtsextremer Anfeindungen, die schließlich zu seiner Ermordung führten. Die Ermordung eines Menschen, der für Humanität, für Menschen- und Grundrechte eintrat und sich ge

(Lasse Petersdotter)

gen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus stellte, ist erschütternd und eine ernst zu nehmende Bedrohung für unseren Rechtsstaat und unsere Gesellschaft; denn diejenigen, die für den Tod von Walter Lübcke verantwortlich sind, bedrohen auch andere Menschen in diesem Land, wenn ihnen deren Meinungen missfällt.

Wir dürfen Menschen, die unsere Gesellschaftsordnung und das Existenzrecht der Bundesrepublik Deutschland infrage stellen, kein Pardon gewähren, sondern müssen entschieden gegen solche Strömungen vorgehen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Staat und seine Sicherheitsbehörden müssen dafür sorgen, dass durch Einschüchterung und Bedrohung der demokratische Diskurs nicht leidet und geschwächt wird. Es ist deshalb richtig und wichtig, wenn wir unsere Sicherheitsbehörden stärken, um Extremisten zu bekämpfen, die unseren Staat beschädigen und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zerstören wollen. Wir dürfen es nicht dulden, dass Gruppierungen wie die Reichsbürger, die Gruppe Nordkreuz oder auch Bewegungen wie die PEGIDA unseren Staat infrage stellen und diesen bekämpfen wollen.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Menschen, die von Rechtsextremisten bedroht werden, geschützt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Angst und Schrecken durch die Feinde der Demokratie geschürt werden und dadurch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung unterminieren und beschädigen.

Deshalb ist die fraktionsübergreifende Initiative die richtige Antwort, sich Rechtsextremisten entgegenzustellen und die Bedrohten zu schützen. Ja, wir sind eine streitbare Demokratie. Das sollen auch die zu spüren bekommen, die sich als Staats- und Verfassungsfeinde gegen die Mehrheit in unserem Land stellen und versuchen, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zerstören.

Lassen Sie sich gesagt sein: Wir werden die Menschen, die uns bedrohen, enttarnen. Wir werden sie mit rechtsstaatlichen Mitteln verfolgen und zur Verantwortung ziehen. Und wir kennen kein Pardon. Das sind wir unserem Staat, unserer Verfassung und den Menschen, die hier in Freiheit und Sicherheit leben wollen, schuldig. Dieser Verpflichtung werden wir nachkommen.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen. Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall FDP, CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Abgeordneten der AfD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Zunächst vielen Dank für die Initiative der Landesregierung zu einem Fachgespräch am Dienstag hier im Hause.

Die sehr besonnene Art des Vortrags der Vertreter der Sicherheitsbehörden zur Extremismuslage in Schleswig-Holstein und etwaiger Bedrohung von Amts- oder Mandatsträgern trug ganz erheblich zur Versachlichung der Diskussion über dieses Thema bei.

Herr von Pein, wären Sie bis zum Schluss geblieben, hätten Sie zur Kenntnis nehmen können, dass auch für Schleswig-Holstein gilt, was das Bundeskriminalamt bereits öffentlich erklärte: Es gibt keine Feindes- oder Todeslisten, auch nicht mit Bezug auf Schleswig-Holstein.

Der von Ihnen eingebrachte Antrag ist damit in seiner Gesamtheit als linkspopulistische Angst- und Panikmache entlarvt. So kurz vor den anstehenden Landtagswahlen ist die eigentliche Intention Ihres Antrags damit auch offen erkennbar.

Es dabei zu belassen, würde aber dem in der Tat sehr ernsten Thema nicht gerecht werden, bei dem es im Grunde darum geht, öffentlich zu thematisieren, dass Amts- und Mandatsträger Angriffsziele politischer Gewalt aus den unterschiedlichen Lagern von Extremisten sind. Tatsächlich ist nur das öffentliche Ansprechen dieses Phänomens dazu in der Lage, hier etwas zu bewegen.

(Beifall AfD)

Die bisher in Schleswig-Holstein erfolgten politisch motivierten Angriffe, zumeist Bedrohungen, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, öffentliche Diffamierungen - das sind die sogenannten Outings in der Nachbarschaft, beim Arbeitgeber oder auch in Universitäten, aber auch die Brandstiftungen zum Beispiel an Kraftfahrzeugen - haben eine zentrale Zielrichtung. Das ist bereits angesprochen worden.

(Jan Marcus Rossa)

Es geht um Einschüchterung. Der so Eingeschüchterte soll aus Angst um sein Hab und Gut, seiner sozialen Reputation oder seine körperliche Unversehrtheit davon abgehalten werden, sich aktiv an der politischen Meinungs- und Willensbildung zu beteiligen. An dieser Stelle müssen wir politische Gewalt immer auch als Angriff auf unsere demokratische Verfasstheit betrachten.

(Beifall AfD)

Wenn politische Gewalt in der Konsequenz Menschen davon abhält, sich politisch zu betätigen, dann ist zwangsläufig und auf Sicht der Verlust unserer Demokratie zu befürchten. Wir werden uns als überzeugte Demokraten mit aller Macht dagegenstellen.

(Beifall AfD)

Nun hat sich Jamaika zu einem Alternativantrag entschlossen, der in die richtige Richtung geht, letztlich aber auch genau das bestätigt, was ich hier im Hause bereits mehrfach angesprochen habe. Das wurde auch in dem Fachgespräch wieder deutlich. Die regierungstragende Koalition aus CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP möchte verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen den Rechtsextremismus unternehmen. Ja, meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion würde Ihnen hierbei auch vorbehaltlos zustimmen, aber offenbar ist Ihnen ein nicht ganz unwesentlicher Teil des Fachgespräches wieder einmal durchgerutscht: Wir haben in Schleswig-Holstein ein massives Linksextremismusproblem.

(Zurufe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Ah!)

Linksextremistische Taten werden im jamaikanischen Alternativantrag mit keiner Silbe erwähnt. Dass die SPD das nicht tut, ist mir vollkommen klar. Dieser Trend, den Linksextremismus auszublenden, wurde auch im Fachgespräch wieder sehr deutlich. Während das Phänomen Rechtsextremismus in angemessener Tiefe beleuchtet wurde, begnügte man sich beim Linksextremismus aus Sicht des Verfassungsschutzes allein damit, recht lapidar festzustellen, dass es dort im Grunde genauso zugehe. Mehr nicht, das war schon alles.

Statistiken unserer Sicherheitsbehörden allein sind offensichtlich nicht dazu geeignet, das Problem des politischen Extremismus angemessen zu bewerten. Wenn nun auch noch hinzukommt, dass der politische Raum nicht dazu bereit ist, den Linksextremismus in Schleswig-Holstein offen und öffentlich zu thematisieren, entsteht ein Ungleichgewicht zu

gunsten des Linksextremismus. Das wiederholte Schweigen der Landespolitik und auch der Landesregierung zu linksextremistischen Taten ist der Beleg dafür, dass man linksextremistische Gewalt duldet und diese damit gleichsam legitimiert.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Quatsch!)