Protocol of the Session on January 24, 2020

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Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, denn ich eröffne die heutige Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Erkrankt ist die fraktionslose Abgeordnete von Sayn-Wittgenstein. Wir wünschen ihr gute Besserung.

(Vereinzelter Beifall)

Der Abgeordnete Volker Nielsen ist scheinbar auch erkrankt. Wir wünschen auch ihm gute Besserung.

(Beifall)

Bevor wir wieder in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Abgeordneten Claus Schaffer herzlich zum Geburtstag gratulieren. - Alles Gute für das neue Lebensjahr!

(Beifall)

Bitte begrüßen Sie mit mir Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule Nortorf und der Gemeinschaftsschule am Brook, Kiel. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Mehr Unternehmergeist in Schleswig-Holsteins Schulen - Landeskonzept Entrepreneuership Education

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1872

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion Christopher Vogt.

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen, aber ich kann ‘ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.“

Heiner Garg, die Älteren werden sich erinnern, so lautete 2015 ein Tweet einer damals noch 17-jährigen Schülerin. Der Tweet ging damals viral und hat einen Nerv getroffen. Ich gebe zu, das hat noch

nichts mit Entrepreneurship zu tun, sondern mit ökonomischer Bildung.

Ich glaube, unser Problem ist in der Tat nicht, dass wir zu viele Schüler haben, die Gedichtanalysen in vier Sprachen schreiben können, sondern es insgesamt einen Nachholbedarf bei der ökonomischen Bildung gibt. Auch viele Schülerinnen und Schüler wünschen sich das. In Nordrhein-Westfalen hat man jetzt schrittweise das Schulfach Wirtschaft eingeführt. Das ist eine Maßnahme, die wir uns auch in Schleswig-Holstein ansehen sollten. Wir sollten gucken, ob wir das auch in Schleswig-Holstein übernehmen können.

(Beifall FDP)

Es gibt die Diskussion über mehr politische Bildung auch an Schulen, und ich glaube, wir sollten auch mehr über die ökonomische Bildung an unseren Schulen sprechen. Hier müssen wir deutlich mehr tun. Wir müssen aber realisieren, dass die großen deutschen Unternehmen in der Regel über 100 Jahre alt sind. Es sind in den letzten 30 Jahren in Deutschland kaum neue große Unternehmen in den Boom-Branchen in Deutschland entstanden, sondern stattdessen vor allem in China oder in den USA. Das ist zunehmend ein Problem für den Erhalt unseres Wohlstandes.

Die Zahl der Gründungen ist über viele Jahre bundesweit zurückgegangen. Das hat mit der guten Arbeitsmarktlage zu tun. Es gibt kaum Bedarf an sogenannten Notgründungen, die wir aus der Arbeitslosigkeit heraus kennen. Es hat auch mit einem insgesamt hohen Bedürfnis nach Sicherheit in unruhigeren Zeiten zu tun, und viele junge Menschen kommen schlichtweg gar nicht auf die Idee, dass man auch unternehmerisch tätig werden könnte.

Erst kürzlich war jedoch erfreulicherweise zu lesen, dass die Zahl der Gewerbeanmeldungen in Schleswig-Holstein in den ersten neun Monaten 2019 im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent angestiegen ist. Das sind erfreuliche Zahlen, und ich bin überzeugt, dass da noch mehr geht. Entrepreneurship und Unterstützung von Gründungen stehen bei der FDP-Fraktion schon lange auf der Agenda, und wir haben uns in einem Positionspapier zu diesem Thema im vergangenen Jahr sehr intensiv damit beschäftigt. Insofern bin ich froh, dass das Thema heute auf der Tagesordnung steht und dass in Schleswig-Holstein da etwas vorangeht.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Es muss einerseits um bessere Rahmenbedingungen gehen, andererseits aber auch unbedingt um einen

neuen Gründergeist, also einen Wandel in der Mentalität: mehr Akzeptanz oder mehr Respekt für diejenigen, die etwas ausprobiert haben und im Zweifel auch mal gescheitert sind. Ich glaube, dass wir vor allem zwei entscheidende Stellen haben, um den Gründergeist bei jungen Menschen beleben zu können: unsere Schulen und natürlich unsere Hochschulen.

Die Schulen sind insofern wichtig, da hier früh Grundlagen gelegt und Interessen geweckt werden können. Zunächst einmal sollten wir uns darauf konzentrieren, den MINT-Bereich zu stärken. Das ist nicht nur für die Gründerperspektive gut, sondern insgesamt. Aber, wie gesagt, der Mentalitätswechsel steht an erster Stelle bei dem, was wir brauchen. Unsere Schülerinnen und Schüler sollten frühzeitig für das Thema Unternehmertum und Gründungen begeistert werden. Das Ausprobieren, das Risiko-Eingehen und eben auch das Scheitern sollten positiver gesehen werden. Es sollte vielmehr belohnt werden, wenn man mutig und risikobereit vorangeht und die erfolgreiche Umsetzung eines Projekts vorantreibt, egal, wie es am Ende ausgehen mag.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Lukas Kilian [CDU])

Ich glaube, wir brauchen konkret einen stärkeren Austausch zwischen den Schulen und der Wirtschaft. Diesen gibt es an vielen Schulen schon sehr erfolgreich in Form von Einzelprojekten. Dies sollten wir flächendeckend aufstellen, also mehr Praktika anbieten. Übrigens, ich wage mich einmal vor: Wir sollten sie auch für die Lehrer anbieten, die in der Woche ansonsten herumreisen und alle Schüler einzeln besuchen. Hier könnte man vielleicht Stichproben machen, sodass auch die Lehrer die Möglichkeit haben, in dieser Zeit in einem Unternehmen zu hospitieren. Man sollte Unternehmer in die Schulen einladen, um Diskussionen zu führen und Vorbilder zu präsentieren. Viele junge Menschen kennen ja gar keinen Unternehmer aus ihrem privaten Umfeld. Es sollten auch Firmengründungen simuliert werden, um so die Rolle des Unternehmers kennenzulernen. Die Erstellung eines Businessplans tut nicht weh und schadet auch nicht denjenigen, die definitiv kein Unternehmer werden wollen.

Das Unternehmerbild sollte insgesamt realistischer und positiver gezeichnet werden. Es gibt kaum etwas Sozialeres, als Arbeitsplätze zu schaffen und Steuern zu zahlen für das Gemeinwesen, und es ist auch nichts schlimm daran, Geld zu verdienen.

(Christopher Vogt)

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Beim Geldverdienen freut sich insbesondere die CDU-Fraktion, was mich auch freut.

Nicht minder wichtig ist, dass wir uns in dem Bereich um unsere Hochschulen bemühen. Die demnächst anstehende Überarbeitung des Hochschulgesetzes bietet uns dafür eine gute Gelegenheit, Ausgründungen attraktiver zu machen, den Umgang mit Patenten neu zu regeln, Gründungssemester zu ermöglichen oder auch das Engagement von Professoren als Unternehmer zu erleichtern.

Ich freue mich sehr, dass die Landesregierung ein Konzept zur Stärkung des Entrepeneurships an Schulen und im Zweifel auch an Hochschulen erarbeiten wird. Das werden wir in den nächsten Monaten bekommen und diskutieren. Das ist eine gute Entwicklung, um in Schleswig-Holstein im Bereich der Unternehmungen und des Gründergeists voranzukommen. - Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Martin Habersaat.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ja, wenn wir Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen hätten, die in der Lage wären, ein Gedicht in vier Sprachen zu analysieren, würde ich davon abraten, das Bildungssystem überhaupt anzupacken, denn dann wäre es so gut, dass wir es so lassen sollten, wie es ist.

(Beifall SPD und vereinzelt SSW)

Das ist es momentan nicht. Drei bildungspolitische Vorhaben der CDU aus jüngster Zeit waren die Forderung, die Schulen in Deutschland zu beflaggen, die Forderung, jungen Mädchen an deutschen Schulen Kopftücher zu verbieten, und die Forderung, neben den Flaggenmasten oder an anderer geeigneter Stelle Kondomautomaten aufzustellen. Das waren drei Vorhaben, die aus meiner Sicht nicht den Kern dessen trafen, was unsere Schulen am dringendsten brauchen.

(Beifall SPD)

Die Entrepreneurship Education kommt diesem Kern ein Stück näher. Das mag daran liegen, dass

die CDU heute nicht alleiniger Antragssteller ist, aber so ganz nah kommt sie dem Kern aus unserer Sicht nicht.

Der Auftrag der Schule wird bestimmt durch die staatliche Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler auf ihre Stellung als Bürgerinnen und Bürger mit den entsprechenden Rechten und Pflichten vorzubereiten. So haben wir das als Landtag in unserem Schulgesetz in § 1 definiert. Im Schulgesetz werden noch weitere Ziele genannt, und in den Fachanforderungen werden diese weiter ausgeführt.

Die Jamaika-Koalition hat sich nun entschieden, Stück für Stück einzelne Aspekte dieses schulischen Auftrags in den Mittelpunkt verschiedener Mottojahre oder Sonderkonzepte zu stellen. Dabei sollte man allerdings die alte Weisheit nie vergessen: Wenn alles besonders wichtig ist, ist nichts besonders wichtig.

(Beifall SPD und SSW)

Lohnender schiene mir zu sein, den schulischen Auftrag gelegentlich mit dem schulischen Alltag abzugleichen und zu sehen, wie wir beides besser übereinbringen. Da müssten wir darüber sprechen, Fächergrenzen öfter zu überwinden und kooperatives Lernen zu fördern. Da müssten wir über Ganztagsmodelle und eine Rhythmisierung von Lernen sprechen, die zum Jahr 2020 passt.

(Beifall SPD)

Am 2. November 2018 - ein denkwürdiger Tag; was war da? - hat das Bildungsministerium in einer Pressemitteilung kundgetan, dass es eine Zukunftswerkstatt zum Thema Entrepreneurship Education durchführe. Von dieser Zukunftswerkstatt ist ansonsten nichts irgendwo durchgedrungen; auf den Webseiten findet sich jedenfalls nichts. Nun ist die Frage: Gibt es heute den Antrag, damit nun doch etwas passiert oder um einen Weg zu bahnen, damit die vielen Erkenntnisse von 2018 jetzt auch einmal im Landtag vorgetragen werden können?

Ein bisschen hat mich das erinnert an die G 8-/ G 9-Raumabfrage des Bildungsministeriums. Das war ein sensationelles Vorgehen. Bei allen Gymnasien wurde abgefragt, wie denn die Raumlage sei. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir wurde mir dann mitgeteilt, dass an eine Auswertung dieser Abfrage nie gedacht gewesen sei; die sei nur so durchgeführt worden.

(Heiterkeit SPD)