Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

Nicht einmal angesichts der aktuellen Pandemie war Europa bereit, den Menschen adäquaten Schutz zu geben, vernünftige Unterbringung zu organisieren, geschweige denn eine Verteilung nach Europa. Selbst nach dem Brand schaffte es Europa nicht, eine gemeinsame Antwort zu finden und eine vernünftige, menschenwürdige Unterbringung zu orga

(Serpil Midyatli)

nisieren, geschweige denn, ein vernünftiges Asylsystem zu entwickeln. Es ist eine Schande!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Nach allem, was man hört, sind die Zustände im neuen Lager Kara Tepe noch schlimmer. Das Lager befindet sich auf einem ehemaligen Militärgelände mit Stacheldraht. Angeblich soll auf dem Boden des Truppenübungsplatzes Munition liegen. Das Essen ist knapp. Die Menschen, die hier Zuflucht suchen, müssen Schlange stehen, um Essen und Trinken zu bekommen.

Nichtregierungsorganisation - Sie haben es schon gesagt, Frau Midyatli -, die auf der Straße vor und um das Lager herum stehen, um zu helfen, werden bestraft. Auch diese Zustände sind eine Schande.

Viel zu lang hat der Bundesinnenminister gezögert. Nach dem Brand formulierte er, dass es schon immer seine Meinung gewesen sei, dass den Menschen zu helfen sei. Das ist gut. Ich frage mich aber, wie er die Situation in Moria vor dem Brand bewertet hatte; denn auch damals war sie schon katastrophal.

(Lars Harms [SSW]: So ist es!)

Nach dem Brand sollen nun 1.553 Menschen aufgenommen werden - 1.553 von circa 12.000 Menschen auf Lesbos, von circa 30.000 Menschen auf den griechischen Inseln insgesamt. Die Asylverfahren dieser Menschen sind übrigens bereits geklärt.

(Lars Harms [SSW]: Richtig!)

Man fragt sich doch, warum Menschen, deren Asylverfahren geklärt sind, überhaupt noch inhaftiert sind. So sehr ich mich für jede Einzelne und jeden Einzelnen der 1.553 Menschen freue und so sehr ich mich freue, dass die Zahl von ursprünglich 150 von der Großen Koalition quasi verzehnfacht worden ist, bin ich fest davon überzeugt, dass das zu wenig ist.

50 Geflüchtete kommen nach Schleswig-Holstein. Ich bin froh, dass wir uns in dieser Frage - auch das hat meine Vorrednerin schon gesagt - auf einen Antrag einigen konnten. Wir sagen: Es dürfen auch noch mehr sein, das heißt, wir in Schleswig-Holstein sind bereit, noch mehr als diese 50 Menschen aufzunehmen. Dafür danke ich Ihnen allen von Herzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Dennys Bornhöft [FDP])

Trotzdem will ich nicht verhehlen, dass ich mir ein deutlicheres Bekenntnis in der vergangenen Bundesratssitzung gewünscht hätte. Dort wurde über eine Initiative beraten, die darauf zielte, dass die Länder die Möglichkeit erhalten, nach ihrem Gusto, das heißt aufgrund ihrer eigenen Entscheidung, mehr Menschen aufzunehmen. Wir wissen, dass sich gerade in Schleswig-Holstein viele Kommunen organisiert und ihre Bereitschaft erklärt haben, mehr Menschen aufzunehmen. Ich hätte mir eine Mehrheit für diesen Bundesantrag sehr gewünscht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Moment! - Leider wurde dieser Antrag auch von vielen rot geführten Ländern nicht unterstützt. Insofern bin ich sehr froh darüber, dass an dieser Stelle bei der SPD in Schleswig-Holstein offensichtlich das Bekenntnis da ist, anders vorzugehen. Es ist tatsächlich so, dass dieser Antrag an einer überwiegenden Mehrheit, nicht nur an einer schwarz-gelben Mehrheit, im Bundesrat gescheitert ist.

(Martin Habersaat [SPD]: Auch an Baden- Württemberg!)

Ich verkenne nicht - wir haben darüber ja intensiv diskutiert -, dass unterschiedliche Lösungen in den Ländern auch Probleme mit sich bringen würden. Ich empfand das wirklich als ernsthafte Diskussion.

Angesichts der Situation, dass wir so viele Menschen haben, die sagen, wir sind bereit, mehr zu machen, und angesichts der Situation, dass der Bundesinnenminister das konsequent blockiert, hätte ich mir ein Signal in diese Richtung gewünscht.

Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass wir in Europa keine menschenwürdige Unterbringung für die Schwächsten und Schwachen organisieren können. Wir müssen Griechenland endlich entlasten.

Ich bin meiner Kollegin Midyatli sehr dankbar dafür, dass sie gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten und anderen Menschen, die im Bund Einfluss haben - es gibt ja auch in anderen Parteien Menschen, die an einer Stelle mit Einfluss tätig sind -, gesagt hat: Lassen Sie uns in Schleswig-Holstein alle unsere Kräfte bündeln, um zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Lassen Sie uns genau schauen, inwiefern wir die Vorschläge der Europäischen Kommission unterstützen können. Ich bin skeptisch, weil das Dublin-System bei diesem Vorschlag nicht angetastet wird. Aber selbstverständlich sind wir auch in Zukunft konstruktiv dabei,

(Eka von Kalben)

wenn es um eine einheitliche europäische Lösung geht.

Danke für den Antrag und Danke an die Koordinierung, Frau Ostmeier. Diese war wichtig. - Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Moria, das Land, in dem Abraham seinen Sohn opfern sollte. Moria, das Lager, in dem wir unsere Humanität opfern?

Die Ereignisse um das Aufnahmelager in Moria, die Unfähigkeit, den in Not geratenen Menschen unverzüglich Hilfe zukommen zu lassen, sind ein Trauerspiel und werden zum Sinnbild eines gesamteuropäischen Versagens in der Migrations- und Flüchtlingspolitik.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Die prekären Lebensbedingungen im Lager Moria sind für uns ja keine neue Erkenntnis. Schon vor Monaten waren die dortigen menschenunwürdigen Lebensbedingungen Gegenstand einer Debatte hier im Landtag. Jetzt aber hat sich durch die Brände die Lage für die Menschen dort in einer Weise zugespitzt, die ich unerträglich finde.

Es ist eine Schande für Europa, einer der wohlhabendsten Regionen auf der Erde, dass wir nicht in der Lage sind, den Menschen aus Moria zu helfen. Es ist unsere Pflicht, sie angemessen und menschenwürdig unterzubringen, bis über ihr Bleiberecht entschieden worden ist. Daran scheitern wir Europäer aber immer wieder. Und dafür müssen wir uns schämen.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Notlage für die Menschen auf Lesbos hat sich durch die Brände in dem Flüchtlingslager dramatisch verschlechtert. 13.000 Menschen, davon etwa 4.000 Kinder, sind seit Wochen obdachlos. Und Europa schafft es nicht, die notwendigen Maßnahmen auf die Beine zu stellen, um die Not dieser Menschen abzustellen. Das ist eine Schande, und dagegen müssen wir gemeinsam etwas tun.

Verabscheuungswürdig ist dabei ohne Frage auch, dass das Lager Moria durch Brandstiftung zerstört wurde - und das vielleicht sogar mit dem Ziel, eine Umverteilung innerhalb Europas zu erzwingen. Das ist auf das Schärfste zu verurteilen, und die Täter sind zur Verantwortung zu ziehen und zu bestrafen.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Aber dies rechtfertigt es eben nicht, den unverschuldet in Not geratenen Menschen die humanitär gebotene Hilfe zu versagen.

(Beifall FDP, SPD und SSW)

Wenn es nicht anders geht, werden wir diese Menschen hier in Deutschland aufnehmen müssen, um sie aus unerträglichen Lebensbedingungen zu befreien. Das nennt man Humanität, und das zeichnet eine von Mitmenschlichkeit geprägte Gesellschaft aus.

Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass sowohl unsere Landesregierung als auch zahlreiche Kommunen in Schleswig-Holstein nach den Bränden in dem Aufnahmelager umgehend ihre Hilfe und vor allem ihre Aufnahmebereitschaft angeboten haben.

Ich fände es aber unerträglich, wenn auf die humanitäre Notlage auf Lesbos weiterhin mit Scheinlösungen reagiert wird, die zwar Regierungen in einem guten Licht erscheinen lassen sollen, aber den Menschen aus dem Lager in Moria in keiner Weise helfen. Meine Vorrednerin Eka von Kalben hat darauf hingewiesen: Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, etwas mehr als 1.500 Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Was aber lange Zeit nicht gesagt wurde, ist, dass es sich dabei in der Regel nicht um Menschen aus dem Flüchtlingslager handelte, sondern eben um Menschen mit Bleiberecht. Und das, meine Damen und Herren, ist Augenwischerei und Symbolpolitik von schlimmster Sorte.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Wenn wir den Menschen auf Lesbos im Flüchtlingslager Moria wirklich helfen wollen, dann gibt es meines Erachtens nur zwei Möglichkeiten:

Entweder stellen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsam sicher, dass den obdachlosen Flüchtlingen auf Lesbos umgehend menschenwürdige Unterkünfte und Lebensbedingungen bereitgestellt werden, oder wir werden die Menschen in Europa verteilen müssen, wenn wir nicht für angemessene Lebensbedingungen sorgen können.

Eines, meine Damen und Herren, muss auch klar sein: Es ist unsolidarisch, wenn wir Ländern wie

(Eka von Kalben)

Griechenland, Italien oder Spanien die Hauptlast der Migration in Europa überlassen. Wir brauchen mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa geht, und wir brauchen endlich ein einheitliches Flüchtlingsrecht für Europa.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Genau hier sollte die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um endlich Lösungen zu erarbeiten, die dann auch umgesetzt werden. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als vor dem Reichstagsgebäude in einem linkspopulistischen Spektakel 13.000 Stühle aufgestellt wurden, war dem vernünftigeren Teil der bundesdeutschen Politik klar, was nun kommen würde: Die griechischen Flüchtlingscamps würden das Thema der Stunde sein, schon bald würde man die Aufnahme weiterer Migranten fordern.