Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich willkommen! Ich eröffne die Sitzung und setze die Plenartagung fort. Ich teile Ihnen zunächst mit, dass wir leider nach wie vor erkrankte Kollegen haben. Für die CDU-Fraktion sind das die Kollegen Wiebke Zweig und Andreas Hein und für die SPD-Fraktion Niclas Dürbrook. Allen dreien nach wie vor gute Besserung!
Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind Minister Schrödter und Minister Schwarz heute ganztags und Ministerin Dr. Sütterlin-Waack am Nachmittag abwesend.
Jetzt können Sie mit mir gemeinsam Schülerinnen und Schüler der Grund- und Gemeinschaftsschule Wik aus Kiel begrüßen. – Herzlich willkommen!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Zunächst hat die Kollegin Katja Rathje-Hoffmann für die CDU-Fraktion das Wort.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schleswig-Holstein hat als eines der ersten Länder schon früh mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention angefangen. Wir werden Frauen und deren Kinder noch besser vor sexualisierter und vor häuslicher Gewalt schützen. Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, das wir alle gemeinsam bekämpfen müs
Deswegen haben wir in Schleswig-Holstein ein umfassendes Schutz- und Hilfesystem für die betroffenen Frauen und deren Kinder aufgebaut. Frauenhäuser und Frauenfachberatungsstellen helfen hier konkret und niederschwellig. Durch den Aufbau dieser Unterstützungseinrichtungen und -systeme helfen wir in akuten und oftmals lebensbedrohlichen Lagen. Deshalb ist es so wichtig, dass dieses Netz an Unterstützungsmaßnahmen eng und verzahnt geknüpft wird, damit betroffene Frauen die passgenaue und schnelle Hilfe finden, die sie wirklich benötigen.
Eine wichtige und erfolgreiche Unterstützung für dieses Hilfesystem kommt aus dem Bundesprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, das es seit dem 18. Februar 2020 gibt. Dieses Bun desprogramm ist ein Teil des Gesamtprogramms der Bundesregierung zur Unterstützung und Umsetzung der Istanbul-Konvention. Die Bundesförderung gliedert sich in einen investiven und in einen innovativen Strang; aus beiden Fördersträngen können Zuwendungen beantragt werden. Der investive Teil des Förderprogramms umfasst die Förderung von Baumaßnahmen zum modellhaften Ausbau von Schutz- und Beratungseinrichtungen für betroffene Frauen.
Unser Land erhält aus diesem Programm insgesamt 4 Millionen Euro, auf die wir nicht verzichten können. Mit dieser Forderung sind wir nicht alleine: Auch die GFMK der Bundesländer hat sich einstimmig für die Fortsetzung dieses Programmes ausgesprochen. Der aktuell verhängte Förderstopp lässt bei allen Bundesländern die Alarmglocken laut schrillen. Das Programm muss über das Jahr 2024 hinaus weitergeführt werden.
In Kiel wird, um ein Beispiel zu nennen, der Erweiterungsbau des Frauenhauses durch das Programm finanziert, und in Itzehoe und Halstenbek werden Schutzwohnungen eingerichtet – darauf können wir nicht verzichten. Es ist schon sehr bedauerlich, dass diese Forderung im Oppositionsantrag der FDP nicht steht, vielleicht kann man sich darauf aber noch einigen.
Darüber hinaus bekräftigen wir heute den einstimmigen Landtagsbeschluss vom 25. November letz ten Jahres, Drucksache 20/451, Stärkung der Frauenfacheinrichtungen in Schleswig-Holstein vorantreiben.
Wir bekennen uns zum Ziel der Überführung der zusätzlichen Landesmittel für die Förderung der Frauenfacheinrichtungen aus dem Einzelplan 10 in Höhe von 750.000 Euro. Diese Mittel gibt es bereits seit acht Jahren, und es wird wirklich Gutes damit getan. Zudem regen wir eine Prüfung auf Basis der aktuellen Bedarfe im FAG an. Außerdem werden wir an der bestehenden Dynamik von 2,5 Prozent für die Frauenfacheinrichtungen im Rahmen des FAG nicht rütteln.
Aktuell steigt der Bedarf an Frauenhausplätzen, Zufluchtsorten und benötigter Fachberatung kontinuierlich weiter an. Der Förderstopp würde bedeuten, dass wir bei uns in Schleswig-Holstein auf 1 Million Euro jährlich für die Bekämpfung der Folgen von Gewalt an Frauen verzichten müssten – Tendenz steigend, denn es gab im Vorjahr einen Anstieg der häuslichen Gewalt um fast 10 Prozent. Da müssen wir gemeinsam konzertiert handeln. Daher freue ich mich, dass auch SPD und SSW diesen Antrag unterstützen, sodass wir uns gemeinsam beim Bund dafür einsetzen können, dass wir die zugesagten Gelder auch weiterhin bekommen.
Für uns gibt es einen gemeinsamen Feind, und das ist die Gewalt an Frauen und deren Kindern. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das ist ein Alternativantrag. Es ist ja kein eigenständiger Antrag. Jetzt hat jedenfalls die Kollegin Catharina Nies das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder Mensch hat das Recht, frei von Gewalt zu leben. Jede Frau hat dieses Recht. 42.816.000 Frauen leben in diesem Land, und wenn jede vierte Frau in Deutschland zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen ist, dann sind das weit über 10 Millionen Frauen in unserer Gesellschaft, die entweder aktuell Gewalt erfahren, sie erfahren haben oder noch erfahren werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch in diesem Raum betroffene Frauen sitzen, ist immens hoch.
Diese Zahlen und diese Tatsachen machen mich unfassbar wütend, weil sich daran seit Jahren nichts ändert. Die Gewalt in Partnerschaften ist laut BKA im Jahr 2022 noch weiter angestiegen, nämlich um 9,4 Prozent. Das ist inakzeptabel.
Die Gewalt geht weiterhin überwiegend von Männern aus, und Frauen sind überwiegend davon betroffen. Ich frage mich wieder und wieder: warum? Warum denken in einem modernen Land, in einer emanzipierten Gesellschaft, immer noch so viele Männer, dass es okay sei, eine Frau zu bedrohen, sie zu schlagen, sie zu vergewaltigen oder ihr das Leben zu nehmen? Und vor allem: Warum denken sie, damit ohne Konsequenzen durchzukommen – strafrechtlich und oftmals auch umgangsrechtlich hinsichtlich der gemeinsamen Kinder?
Für mich ist klar: Wir müssen noch stärker präventiv arbeiten, wir müssen konsequenter gegen Täter_innen vorgehen, und wir müssen unser Hochrisikomanagement landesweit ausbauen, im Übrigen auch im Hinblick auf die gesamte häusliche Gewalt, also die Partnerschaftsgewalt und auch die innerfamiliäre Gewalt.
Ich bin froh, dass es uns mit dem Haushalt 2023 gelungen ist, erstmalig eine Förderung für die Beratungsstellen zu § 201 a LVwG, nach polizeilicher Wegweisung, in Schleswig-Holstein auf den Weg zu bringen. Das sind immerhin 12.500 Euro pro Beratungsstelle, und die Förderrichtlinie wird gerade fertiggestellt. Das war ein sehr wichtiger Schritt, und auf diesen Erfolg bin ich stolz.
Land den richtigen Weg. Die Organisationsberatung beim LFSH konnte zum 1. Juli 2023 die Arbeit beginnen.
Das sind wichtige Schritte, aber genug ist das nicht. Wir müssen das Hilfesystem weiter stärken und absichern. Wir Schleswig-Holsteiner_innen haben schon vor Jahren klargestellt, dass Schutz und Hilfe bei Gewalt keine freiwillige Aufgabe der öffentlichen Hand sein kann, sondern institutionalisiert sein muss. Deshalb haben wir einen Teil der Finanzierung der Frauenfacheinrichtungen über das Finanzausgleichgesetz abgesichert. Das ist richtig und im Vergleich zu anderen Bundesländern auch sehr fortschrittlich. Land und Kommunen tragen gemeinsam Verantwortung.
Gleichzeitig ist es aber so, dass die Frauenfacheinrichtungen in diesem Land weiterhin finanziell kämpfen, dass der Personalschlüssel zu niedrig ist und die Aufgaben immer komplexer werden, weil aufenthaltsrechtliche Fragen hinzukommen, wegen fehlendem Wohnraum, was den Übergang aus den Frauenhäusern erschwert, und weil immer mehr Kinder mit Ihren Müttern mitbetroffen sind, und weil in unserem Umgangsrecht häusliche Gewalt nach wie vor nicht ausreichend berücksichtigt wird. Aus meiner Sicht ist es deshalb nur folgerichtig, dass wir uns die Höhe des Vorwegabzugs im Zuge der FAG-Regelfinanzierung ernsthaft anschauen und prüfen, wie bedarfsgerecht finanziert werden kann.
Die sogenannten zusätzlichen Landesmittel für Frauenfacheinrichtungen im Integrationsbereich, die von Ministerin Sütterlin-Waack eingeführt wurden und seitdem jährlich verlängert werden, betragen etwa 750.000 Euro! Diese müssen verstetigt werden, um endlich Planungssicherheit und sichere Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen. Aber Land und Kommunen allein werden es finanziell nicht schaffen, sich der häuslichen Gewalt entgegenzustellen. Wir brauchen den Bund fest an unserer Seite. Deshalb fordern wir die Weiterführung des Bundesförderprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ über 2024 hinaus. Ich möchte die Bundesebene ausdrücklich auffordern, endlich zu erkennen, was wir in Schleswig-Holstein schon vor Jahren getan haben, dass wir strukturelle Probleme nicht mit Freiwilligenaufgaben und befristeten Programmen lösen werden.
Auch auf Bundesebene brauchen wir eine institutionalisierte Förderstruktur, die von politischen Mehrheiten und Haushaltslagen weitestgehend unabhängig läuft. Das ist übrigens angesichts des Erstarken von Rechts wichtiger als je zuvor.
Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt ist spätestens mit der Istanbul-Konvention eine gesetzliche Aufgabe geworden, und solange es Gewalt an Frauen gibt und die Zahlen weiter steigen, wird es notwendig sein, das Schutzsystem konsequent auszubauen.