Protokoll der Sitzung vom 22.09.2023

Seien wir jetzt einmal ernst und zählen wir das einfach einmal zusammen, meine Damen und Herren: 5.900 Plätze hatten Sie in der vorletzten Woche schon in der Belegung. Jetzt kommen 600 Plätze zu den 5.600 dazu, die Sie haben. Das sind 6.200 Plätze. Sie hätten also in den Erstaufnahmeeinrichtungen genau 300 freie Plätze, wenn Sie die 600 Plätze neu schaffen werden. Wie lange hält das? – Das hält die nächsten 14 Tage. Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht dramatisch dazu kommen, mit den Kommunen gemeinsam Sammelunterkünfte und auch zusätzliche Erstaufnahmeeinrichtungen zu schaffen, dann werden Sie dafür verantwortlich sein, Sie persönlich, wenn in Schleswig-Holstein in den Kommunen die Turnhallen und die Aulen von Schulen wieder benutzt werden müssen, um Flüchtlinge unterzubringen. Ich sage Ihnen: Dann zerreißt es diese Gesellschaft in Teile, und das ist zu verhindern!

(Beifall FDP)

Sehr geehrte Frau Ministerin, deswegen hätte ich heute mehr von Ihnen erwartet, als in der Presse

zu sagen: „Es sind noch freie Plätze da“, und auf die Überlastanzeige der Kommunen reagiere ich, indem ich sage: „Ich nehme das sehr ernst.“

Jetzt braucht es einen Handlungsplan. Wir haben beim letzten Tagesordnungspunkt darüber gesprochen, was in Zukunft möglicherweise auf übergeordneter Ebene notwendig sein muss. Aber von Ihnen, Frau Ministerin Touré, erwarte ich nicht einen Vierpunkteplan, wie Sie ihn bisher verfolgt haben, einen Vierpunkteplan, der besagt: Ich habe erst einmal Erstaufnahmekapazitäten geschaffen. Dann kommt Stufe zwei, dann müssen die Kommunen das mit dem Geld, das wir geben, schaffen. Dann kommt Stufe drei, dann müssen die Kommunen Sammelunterkünfte einrichten, und erst danach kommt Stufe vier, und dann tue ich etwas. Sie haben selbst gemerkt, dass das natürlich nicht funktioniert und dass Sie deshalb Stufe drei sofort überspringen müssen, weil Sie ja an der Stelle nicht geliefert hatten. Sie laufen immerzu den Bedarfen hinterher, und das ist verheerend – auch für die Stimmung im Land, in dem die Menschen gemeinsam solidarisch mit dem Thema umgehen wollen.

(Beifall FDP)

Frau Ministerin, jetzt ist es erforderlich, dass Sie diesem Landtag in kürzester Zeit einen Plan vorlegen, wie Sie mit dem wahrscheinlich dramatisch gestiegenen Aufkommen an Flüchtlingen in diesem Land umgehen wollen. Den erwarte ich am liebsten zur nächsten Innen- und Rechtsausschusssitzung. Sonst werden wir Sie hier in der nächsten Landtagssitzung wieder mit einem entsprechenden Antrag auffordern, endlich einen Plan vorzulegen, wie Sie wirklich vorausschauend in diesem Land unterwegs sein wollen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Seyran Papo das Wort.

Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen die Bedeutung betonen, die dieser Debatte zukommt. Die Frage nach der Unterbringung von Flüchtlingen in Schleswig-Holstein ist zweifellos eine der drängendsten und komplexesten Herausforderungen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind. Ich danke daher dem Kollegen Dr. Buchholz

(Dr. Bernd Buchholz)

von der FDP-Fraktion für seinen Antrag, sodass wir das Thema hier im Landtag heute erörtern können.

Die Unterbringung von Flüchtlingen ist ein Thema, das seit jeher ein starkes Spannungsverhältnis erzeugt – ein Spannungsverhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen einerseits. Zur Bewältigung dieser Aufgabe bedarf es andererseits aber auch nicht nur politischer Entscheidungen, sondern ebenso einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung. Wir dürfen nicht vergessen, dass es letztendlich die Menschen in unseren Kreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden sind, die die direkten Auswirkungen dieser Entscheidungen spüren. Der Schutz der vielen Geflüchteten, die in unser Land kommen, ist eine zweifellos große und anspruchsvolle Aufgabe für uns alle. Die Komplexität dieser Aufgabe dürfen wir nicht unterschätzen, denn mit der Bereitstellung von Betten und sanitären Anlagen allein ist es nicht getan. Neben der Bereitstellung angemessener Unterkünfte und Integrationsmaßnahmen sprechen wir von der Schaffung von ausreichenden Plätzen in DaZ-Klassen, in Betreuungseinrichtungen, Sprachkursen und nicht zuletzt von Arbeitsplätzen.

Integration gelingt am besten, wenn Sprache erlernt wird und in der Folge der reguläre Besuch von Schulen, eine Ausbildung und Arbeitstätigkeit möglich werden.

(Vereinzelter Beifall CDU)

So können sich Menschen, die zu uns kommen, in unseren Städten und Gemeinden einfinden und ein Teil unserer Gesellschaft werden. Je schneller dies gelingt, desto schneller werden auch unsere Kommunen entlastet.

Die Überlastung der Kommunen und der damit verbundene Unmut sind offenkundig. Das wird auch an den kaum mehr vorhandenen Unterbringungskapazitäten deutlich. Umso mehr ist es unsere Aufgabe, diesen Unmut aufzunehmen und durch lösungsorientiertes Handeln in Akzeptanz umzuwandeln.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Ich begrüße daher die am Donnerstag zwischen dem Land und den kommunalen Landesverbänden getroffenen Vereinbarungen, insbesondere über die Aufteilung der 34 Millionen Euro für SchleswigHolstein aus der Entlastungsmilliarde des Bundes zur Erleichterung des Umgangs mit Geflüchteten. Davon entfallen 12 Millionen Euro auf die Unter stützung der Kommunen bei der Unterbringung.

Wir können die Situation in Schleswig-Holstein aber nicht isoliert betrachten. Auch in anderen Tei

len Deutschlands, ja in der gesamten Europäischen Union sind die Herausforderungen riesig. Die Situation der Menschen und ihre Unterbringung ist in Teilen äußerst prekär, wenn wir in diesen Tagen zum Beispiel nach Lampedusa schauen. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass diejenigen, die zu uns fliehen, häufig aus äußerst schwierigen und gefährlichen Situationen kommen.

Die angemessene Unterbringung von Flüchtlingen ist eine humanitäre Aufgabe. Es liegt in unserer Verantwortung, diese soziale Herausforderung zu entschärfen, statt sie weiter zu verschärfen. Dies erfordert eine umfassende und kooperative Herangehensweise bei Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Diese müssen Hand in Hand arbeiten. Wenn wir zusammenarbeiten und unsere Ressourcen in Bund und im Land bündeln, können wir diese Herausforderung bewältigen und eine gemeinsame Zukunft für die Menschen schaffen, die dauerhaft in unserem Land leben. – Vielen Dank.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt die Abgeordnete Catharina Nies das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Etwa 5.600 Asylsuchende wurden in diesem Jahr aufgenommen. Seit dem 24. Februar 2022 sind in Schleswig-Holstein 35.000 Ukrainerinnen und Ukrainer erfasst worden.

Anders als Asylsuchende sind geflohene Personen aus der Ukraine in den Landesunterkünften nicht wohnverpflichtet, sondern es liegt rechtlich in der Zuständigkeit der Kommunen, sie direkt aufzunehmen. Das ist eine Riesenherausforderung. Wir sehen das.

Da wir uns in einer Verantwortungsgemeinschaft befinden, unterstützt das Land sowohl bei der Herrichtung als auch bei dem Betrieb von kommunalem Wohnraum sowie bei der Unterbringung der Vertriebenen aus der Ukraine. Bislang konnte das Land die Kommunen finanziell dabei unterstützen, mit der Herrichtungsrichtlinie knapp 7.000 neue kommunale Unterbringungsplätze landesweit in 165 Kommunen seit 2022 zu schaffen. Mittwoch wurden im Finanzausschuss 20 Millionen Euro zur Verlängerung dieser Förderung bewilligt.

(Seyran Papo)

In Planung ist weitere Unterstützung durch Landesfördermittel zur Errichtung und zum Betrieb von temporären Gemeinschaftsunterkünften für bis zu 200 Personen. Hierfür werden wir den Kommunen insgesamt weitere 49 Millionen Euro zur Verfügung stellen – so in der letzten Sitzung im Finanzausschuss diese Woche beschlossen.

Aufbauend auf der Vereinbarung vom 29. März 2023 wurden somit verschiedene, sinnvolle Maßnahmen zur finanziellen und strukturellen Unterstützung der aufnehmenden Kommunen auf den Weg gebracht, um Wohnraum aufzubauen.

Aber auch heute muss ich wieder betonen: Am Ende muss es das Ziel sein, dass Menschen in eigenständigem Wohnraum leben und ein echtes Privatleben haben. Kommunale Unterkunftsmöglichkeiten können immer nur Übergangslösungen sein. Wir müssen alles daran setzen, Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland zu ermöglichen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin Touré, für Ihren ausführlichen Bericht und auch dafür, dass Sie uns so regelmäßig im Innen- und Rechtsausschuss informieren. Die Maßnahmen des Landes sind vorausschauend. Ich habe großes Vertrauen, dass Schleswig-Holstein in diesem Sinne weitermachen wird, auch künftig für eine faire und menschliche Aufnahmepolitik steht und hierbei mit großer Ernsthaftigkeit und Geschlossenheit der gesamten Landesregierung gehandelt wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Auch so viel ist klar: Wir werden die Kommunen nicht im Regen stehenlassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Lassen Sie mich abschließend noch etwas darüber hinaus anmerken: Die derzeitige Lage ist sehr angespannt und für alle Seiten herausfordernd, aber nicht nur für Land und Kommunen, sondern auch für die Menschen, die zu uns fliehen. Es ist nicht nur schwer, alles hinter sich zu lassen und in einem fremden Land neu anfangen zu müssen, sondern auch die politische Debatte der letzten Wochen und Monaten zu geplanten Verschärfungen in der gemeinsamen europäischen Asylpolitik, zur Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, zu Rückführungsabkommen und Obergrenzen sowie das Rufen einzelner Stimmen auf Bundesebene zur Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl geht an den Menschen nicht spurlos vorbei.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Debatten sind ausgrenzend. Solche Scheinmaßnahmen werden nicht den Effekt haben, dass weniger Geflüchtete zu uns kommen. Sie werden nicht den Effekt haben, dass die Kommunen dadurch entlastet werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- ruf Dr. Bernd Buchholz [FDP])

Meine Vorschläge kommen jetzt, Herr Dr. Buchholz. – Sie verunsichern die Menschen, die hier leben und versuchen, in ihrem Leben so etwas wie Normalität nach der Flucht wiederzufinden.

Egal ob in der Frage der Aufnahme von Geflüchteten, der Unterbringungssituation oder, so wie gestern, in der Debatte zu Sprachkurszugängen: Aus meiner Sicht muss es im Kern darum gehen, dass wir endlich ein nachhaltiges Aufnahme- und Integrationssystem aufbauen. Darüber diskutieren wir in Deutschland gerade zu wenig.

Wir müssen beides sein: Feuerwehr und Langstreckenläuferin. Wir müssen weiterhin zügig Wohnraum aufbauen und gleichzeitig tragfähige Strukturen in der Beratung und beruflichen Integration schaffen, wenn wir endlich wieder in der Lage sein wollen, planbar zu handeln und nicht nur zu reagieren:

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das eine tun, ohne das andere zu lassen. – Das ist nicht neu. Das wussten alle Parteien schon einmal, nur scheint mir gerade, dass das einige wieder vergessen haben.

Die neueste Einigung zwischen Land und Kommunen diese Woche ist deswegen so wichtig und zielführend, weil hiermit auch Integrationsstrukturen gestärkt werden. Das wünsche ich mir auch von der Bundesebene. Wir müssen genau schauen, wo Geld, Strukturen und Kapazitäten gebraucht werden, um Kommunen und Menschen kurz- und mittelfristig zu entlasten. Wir brauchen eine vernünftige, dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Geflüchtetenkosten – wie im Koalitionsvertrag zugesagt – orientiert an den tatsächlichen Zahlen und mit Planungssicherheit für Land und Kommunen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir nicht brauchen, ist ein Bundeshaushalt, in dem ein Drittel der Bundesförderung bei der Migrationsberatung eingespart wird – ausgerechnet der Basisstruktur für Integration – und in dem bei der psychosozialen Arbeit gespart wird, also an der

(Catharina Johanna Nies)

Stelle, an der traumatisierte Menschen aufgefangen werden – im Gegenteil.

Bund, Land und Kommunen müssen mit vereinten Kräften daran arbeiten, den Antragsstau in den Ausländer- und Zuwanderungsbehörden endlich abzubauen. Denn Menschen warten monatelang auf die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. Dann ist natürlich der Arbeits- oder Ausbildungsplatz weg.