Protokoll der Sitzung vom 22.09.2023

Ohne gemeinsame Anstrengungen werden wir sehr schnell in eine unmenschliche Situation hineinrutschen. Schon jetzt ist es nicht dauerhaft gewährleistet, dass Familien mit kleinen Kindern in geschützten Bereichen Aufnahme finden. Das ist gerade für traumatisierte Kinder eine weitere Belastung.

Ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, die Sozialverbände und die Kommunalverwaltung agieren am Limit. Das ist durch den Brandbrief der Kommunen noch einmal deutlich geworden.

Viele Akteure fühlen sich überfordert, was gerade bei Ehrenamtlichen dazu führt, dass sich kaum neue finden lassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass noch lange nicht alle Geflüchteten, die seit 2015 nach Schleswig-Holstein gekommen sind, wirklich ausreichend integriert sind. Der Aufgabenberg wächst dementsprechend unaufhörlich.

Was ist darüber hinaus nötig? Die Landesregierung muss bei Baumaßnahmen in Kommunen endlich richtig unterstützen, in entsprechenden Fällen die Personen konsequent zurückführen und gleichzeitig vor allem Angebote zur freiwilligen Rückkehr machen, Freiräume zur Nutzung von Leerstand erlauben, neue Bündnisse vor Ort unterstützen und

(Serpil Midyatli)

den Kommunen mehr Mittel für die Betreuung der Menschen zur Verfügung stellen.

Meine Damen und Herren, natürlich – das ist das Wichtigste – müssen wir Erstaufnahmekapazitäten schaffen. Wir haben zu wenig. Das ist mehrfach deutlich geworden. Wir werden einen heißen Herbst bekommen. Die Leute werden nicht aufhören, zu uns zu kommen. Wir können nicht erwarten, dass es in den nächsten drei, vier, fünf Monaten in Europa in irgendeiner Art und Weise Lösungen gibt, die dazu führen, dass sich der Zuzug zu uns massiv verringert. Das wird nicht passieren. Deswegen muss jetzt gehandelt werden. Deswegen brauchen wir mehr Plätze. Das muss schnell geschehen.

(Beifall SSW und SPD)

Auch vor diesem Hintergrund sind Verhandlungen mit dem Bund zur Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel überfällig. Ich hoffe, dass entsprechende Termine schon stehen. Business as usual ist der absolut verkehrte Weg. Innovative, breit angelegte Konzepte mit der Einbindung aller Akteure sind jetzt dringend angezeigt, aber auch handfeste Finanzierungszusagen.

Ich erwarte, dass die Landesregierung angesichts der historischen Herausforderung Druck auf den Bund ausübt, damit mehr Mittel für die Geflüchteten zur Verfügung gestellt werden. Wir haben die Sorge, dass die Finanzmittel zurückgehen. Wir haben gestern darüber geredet, dass auch bei den Integrationshilfen – da geht es nicht um Unterbringung – Mittel vom Bund gekürzt werden. Vor dem Hintergrund, dass wir immer mehr Menschen integrieren wollen und immer mehr Menschen zu uns kommen, kann das nicht der richtige Weg sein. Wir erwarten, dass über den Bundesrat durch unsere Landesregierung mit den anderen Landesregierungen Druck ausgeübt wird. Auch das ist wichtig.

Wir werden die Menschen nämlich nur integrieren können, wenn wir genügend Erstaufnahmeplätze haben, wenn wir genügend Möglichkeiten schaffen, dass sich Leute ehrenamtlich engagieren können, dass das auch Spaß macht und nicht nur Stress verursacht, wenn Leute Bock dazu haben, da mitzumachen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das kann das Land nicht allein leisten. Wir müssen uns mit den anderen Bundesländern zusammen auf die Hinterbeine stellen und dafür sorgen, dass der Bund ordentlich in die Tasche greift. – Vielen Dank.

(Beifall SSW und Birgit Herdejürgen [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da die Landesregierung die Redezeit deutlich erweitert hat, gebe ich jetzt die Restredezeiten bekannt, die den Fraktionen zur Verfügung stehen. Nach der ersten Runde der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt haben die FDP noch eine Restredezeit von drei Minuten und 30 Sekunden, die CDU fünf Minuten und 15 Sekunden, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwei Minuten und 50 Sekunden, die SPD zwei Minuten und 30 Sekunden und der SSW fünf Minuten und zehn Sekunden. Das nur für Sie zur Kenntnis. – Zu Wort gemeldet hat sich jetzt allerdings noch einmal Ministerin Touré.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist absolut sinnvoll und nachvollziehbar, dass man sich bei diesem Tagesordnungspunkt über die besten Maßnahmen streitet. Mir ist es dennoch wichtig, ein paar Punkte richtigzustellen, die in der Debatte durcheinandergegangen sind, die in der Realität schlichtweg anders sind, und zwar, was die Umsetzung von bestimmten Maßnahmen angeht.

Die Richtlinie zur Förderung von Maßnahmen für die Herrichtung von Wohnraum ist ausgeschöpft. Sie wird von den Kommunen in Anspruch genommen. Es wird Wohnraum geschaffen. Wir haben diverse Maßnahmen innerhalb der drei Vereinbarungen getroffen, die von den Kommunen in Anspruch genommen werden. Trotzdem stellen wir fest, dass wir weitere Maßnahmen treffen müssen.

Es ist wichtig, das deutlich zu machen, und es ist wichtig, dass wir den Kommunen in der Breite, in der Fläche deutlich machen, welche Angebote und welche Finanzmittel zur Verfügung stehen, um Wohnraum bereitzustellen, um Integrationsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen.

Wir haben eine Richtlinie zur Errichtung von temporären kommunalen Gemeinschaftsunterkünften. Die Kommunen machen sich auf den Weg, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, und dabei geht es um die Frage der Unterbringung.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Bernd Buchholz?

(Lars Harms)

Ja.

Frau Ministerin, Sie sprachen gerade über temporäre kommunale Gemeinschaftsunterkünfte. Treffen meine Informationen zu, dass dafür immer noch keine Richtlinie fertig ist, wie die Förderung der Kommunen aussieht, und dass die Kommunen darauf warten, dass Sie die Förderrichtlinie endlich auf den Weg bringen, weil sie nicht wissen, was sie sonst machen sollen, und dass der bisherige Entwurf der Förderrichtlinie so voller bürokratischer Hemmnisse ist, dass die kommunalen Landesverbände ihn ablehnen?

Die Richtlinie ist in der Anhörung. Das Instrument der temporären kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte haben wir im vergangenen Jahr gemeinsam mit den Kommunen entwickelt. Dann haben wir uns auf den Weg gemacht, die Richtlinie zu erstellen. Wir haben gemeinsam sehr transparent darüber gesprochen, dass wir die Richtlinie auf den Weg bringen werden, und sie befindet sich jetzt in der Schlusszeichnung. Wir haben die Rückmeldung von den Kommunen und vom Landesrechnungshof bekommen, jetzt ist die Richtlinie in der Schlusszeichnung.

Innerhalb der Richtlinie und der Vereinbarung, die wir mit den Kommunen getroffen haben, haben wir deutlich gemacht, dass wir die temporären kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte rückwirkend gegenfinanzieren werden. Einige Kommunen haben diese Unterkünfte schon auf den Weg gebracht.

Sie kennen die Systematik der Notunterkünfte. Wir haben es im Verwaltungsalltag an ganz vielen Stellen, dass Richtlinien erst vorliegen, nachdem bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden, und eine Finanzierung im Nachhinein stattfindet. Das haben wir bei den Notunterkünften für das Jahr 2022 genauso auf den Weg gebracht.

Ergänzend zu dieser Frage: Wir haben uns in Schleswig-Holstein gemeinsam auf den Weg gemacht und gesagt: Land und Kommunen erstellen gemeinsam temporäre kommunale Gemeinschaftsunterkünfte, obwohl das eine kommunale Aufgabe ist. Wir machen das mit der Herrichtung und dem Betrieb der Unterkünfte gemeinsam.

Wissen Sie, was zeitgleich, danach passiert ist? Die Europäische Union hat sich die gleiche Maßnahme mit dem gleichen Wortlaut überlegt und stellt uns

jetzt Mittel bereit, um temporäre kommunale Gemeinschaftsunterkünfte zu finanzieren. Es ist eine positive Entwicklung, dass wir in Schleswig-Holstein gemeinsam mit den Kommunen auf die Idee gekommen sind und das auf den Weg gebracht haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Eben wurde angesprochen, dass immer noch Menschen in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften von 2015/16 sind. Das ist ein integrationspolitisches Problem. Das haben wir an sehr vielen Stellen. Es ist unsere Aufgabe, mit den Kommunen darüber zu sprechen, wie wir es hinbekommen können – ich will die Situation des Wohnungsmangels nicht herunterreden –, diese Menschen in regu lären, dauerhaften Wohnraum zu überführen, weil Gemeinschaftsunterkünfte nicht dafür gedacht sind, dass man jahrelang darin lebt. Wir arbeiten gerade intensiv mit den Kommunen daran, wie wir das hinbekommen können.

Das Innenministerium und wir sind gemeinsam dabei, eine Veranstaltung und Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Das hat Frau Papo gerade angesprochen. In der Vereinbarung, die wir mit den Kommunen getroffen haben, geht es darum, wie wir noch mehr private Vermieterinnen und Vermieter davon überzeugen können, mehr Menschen in dauerhaften Wohnraum zu bringen, um temporäre kommunale Gemeinschaftsunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen freizuziehen.

Ich möchte noch einen letzten Aspekt zum Brandbrief sagen, den Sie angesprochen haben. Ich sage sehr deutlich, dass ich im regelmäßigen Austausch mit den kommunalen Landesverbänden, den Oberbürgermeistern und Landräten bin. Jeden Monat sitzen wir zusammen und diskutieren über einen längeren Zeitraum über die aktuelle Situation in jedem einzelnen Kreis, in jeder einzelnen kreisfreien Stadt. Jeder einzelne Kreis, jede einzelne kreisfreie Stadt benennt die akuten Herausforderungen vor Ort.

Bevor dieser Brief rausging und die Maßnahme verkündet wurde, dass wir zusätzliche Maßnahmen in Glückstadt schaffen werden und die Ankündigungsfrist verkürzt wird, saß ich mit den kommunalen Landesverbänden, den Kreisen und kreisfreien Städten zusammen. Weil nicht alle politischen Vertreter_innen in dieser Runde waren, habe ich den Entschluss gefasst, am 8. September 2023 noch ei nen Brief hinterherzuschicken. Darin habe ich die Maßnahmen angekündigt. Daraufhin gab es den

Brief als Antwortschreiben, in dem sehr deutlich gemacht worden ist, wie die Situation vor Ort ist. Es ist ihr gutes Recht, das alles in einem solchen Brief zu formulieren.

Ich mache trotzdem deutlich: Eine Überlastanzeige mit Blick auf die Kapazitäten ist etwas anderes. Das habe ich auch dem Kreis Pinneberg erklärt, und wir sind darüber in intensivem Austausch. Es gibt einen Unterschied zwischen der Gesamtsituation und der Frage der Kapazitäten.

Ich sage das nicht, weil ich kleinlich klingen möchte. Es geht um die Frage, ob es eine Kapazität vor Ort gibt. Wenn ein Kreis tatsächlich in der Situation ist, keinen Unterbringungsplatz – es geht nicht um die Maßnahmen wie Sprachunterricht, Kita und so weiter – bereitstellen zu können, dann kann sich der Kreis oder die kreisfreie Stadt an das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge wenden und sagen: Wir haben keine Kapazität in unserem Kreis. – Dann werden diesem Kreis oder dieser kreisfreien Stadt keine Flüchtlinge zugewiesen.

Das muss ein Kreis von sich aus sagen, deutlich machen und nachweisen, dass es keine Kapazitäten gibt. Das ist notwendig, damit die Zuweisung nicht stattfindet. Wir haben es gesetzlich so geregelt, dass dann eine Nachverteilung stattfindet, was sozusagen die Quoten angeht, weil es keine Freiheit ist, die wir als Land haben, sondern es ist so geregelt, dass die Menschen auf die Kreise und kreisfreien Städte verteilt werden.

Deswegen braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung, was diese Frage angeht. Wir nehmen diesen Brief und die Überlastanzeige, die mit Blick auf Integrationsfähigkeit und Unterbringungsfähigkeit insgesamt gemeint ist, sehr ernst. Ich fände es gut, wenn wir das weiterhin wie jede Woche mittwochs im Ausschuss beraten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Die Ministerin hat die allen zur Verfügung stehende Redezeit um weitere vier Minuten und 40 Sekun den erweitert. Ich frage, ob von dieser Redezeit Gebrauch gemacht wird und ob noch weitere Wortmeldungen vorliegen? – Das sehe ich nicht. Dann schließe ich jetzt die Beratung.

Ich stelle fest, dass der Berichtsantrag, Drucksache 20/1360, durch die Berichterstattung der Landesre

gierung seine Erledigung gefunden hat. Damit ist der Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 54 auf:

Umsetzung des Landesaktionsplans gegen Rassismus

Bericht der Landesregierung Drucksache 20/1319

Ich erteile für den Bericht der Ministerin für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Mit dem Landesaktionsplan gegen Rassismus haben wir 2021 als Landesregierung ein deutliches Zeichen gegen Rassismus gesetzt. Im Ländervergleich handelt es sich sogar um das bisher umfassendste Maßnahmenpaket gegen Rassismus. Wir hier in SchleswigHolstein wollen unser Zusammenleben noch offener, toleranter und respektvoller miteinander gestalten. Wir wollen, dass alle Menschen in SchleswigHolstein unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrem religiösen Bekenntnis ohne Diskriminierung leben können.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie sollen nicht nur in ihrem Privatleben, sondern zum Beispiel auch in unseren Behörden – darum geht es im Wesentlichen hier in diesem Bericht – vor rassistischer Diskriminierung besser geschützt werden. Dazu beinhaltet der Aktionsplan 158 Maßnahmen gegen Rassismus. Davon sind 127 bereits vor der Verabschiedung des Aktionsplans im Jahr 2021 auf kommunaler und Landesebene durchgeführt worden.

(Unruhe)

Frau Ministerin, Entschuldigung. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es finden diverse Gespräche am Rande des Plenums statt. Ich bitte doch, die nach draußen zu verlegen und bitte auch nicht am Rande der Regierungsbank zu führen! Wenn Gespräche geführt werden, dann bitte draußen. – Danke schön. – Entschuldigung, Frau Ministerin.

(Ministerin Aminata Touré)