Protokoll der Sitzung vom 22.09.2023

wo man das vielleicht nicht besser wusste. Aber die Gesellschaft entwickelt sich weiter. Die Aufgabe einer Landesregierung ist es gerade, sich dem anzunehmen: den strukturellen Rassismus oder die strukturelle Diskriminierung, die es auch innerhalb der Verwaltungen gibt und geben kann – davon ist niemand frei –, anzugehen und ihn zu bekämpfen. Das zeigen ja auch die verschiedenen Einzelmaßnahmen, die Sie gemacht haben.

Es ist sehr, sehr wichtig, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und das breite Netzwerk auszufahren, um zu sensibilisieren. Denn darum geht es. Hier ist eine Landesregierung, die sich gegen Rassismus einsetzt.

Aber ich möchte einmal auf den 15. Punkt eingehen. Er wurde doch sehr, sehr kontrovers diskutiert. Sie lächeln schon. Sie wissen wahrscheinlich – Sie kennen ihn wahrscheinlich auswendig –, welchen Punkt ich meine. Da geht es um die wissenschaftliche Studie zu möglichen extremistischen, rassistischen Einstellungen in der Landespolizei. Was haben wir darüber gestritten! Was haben wir uns darüber gekloppt! Aber auch das haben Sie angepackt. Wahrscheinlich alles keine so leichten Aufgaben. Ich weiß von den Polizeibeamtinnen und ‑beamten, aber auch von der GdP, dass da Unterstützung gegeben worden ist, wirklich in die Strukturen bei den Landesbediensteten reinzugehen, auf allen Ebenen zu schauen: Was ist unsere Pflicht, unsere Aufgabe als Landesregierung? Wie können wir als gute Arbeitgeberinnen und gute Arbeitgeber gutes Vorbild sein? Das Beste wäre natürlich, wenn wir gar keinen Rassismus hätten, aber die interkulturelle Öffnung von Verwaltung und die Frage, wie eine Mehrheitsgesellschaft oder das Kollegium damit umgeht, wenn ein Team sozusagen bunter oder vielfältiger wird, sind alles Dinge, auf die Mitarbeitende vorbereitet und für die sie sensibilisiert werden müssen.

Wir haben noch einiges zu tun, ich würde aber sagen, an den Hauptknackpunkten hat die Landesregierung tatsächlich das erfüllt, was sie im Vorwege mit dem Landesaktionsplan vorhatte. In diesem Sinne wünsche ich uns allen weiterhin, den Kampf gegen Rassismus an allen Stellen zu führen, an denen er uns begegnet, und dafür einzutreten. Wichtig ist und bleibt aber tatsächlich, den strukturellen Rassismus die Diskriminierung in den Verwaltungen zu bekämpfen und dafür einen Beitrag zu leisten. Das machen Sie. In diesem Sinne: Vielen herzlichen Dank dafür.

(Beifall SPD, SSW und Dirk Kock-Rohwer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Bernd Buchholz das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Landesaktionsplan gegen Rassismus zu verabschieden, war vor zwei Jahren richtig, denn es gibt strukturell an vielen Stellen rassistische Tendenzen, gegen die man sich stellen muss und denen man als Gesellschaft begegnen muss.

Drei Handlungsfelder waren damals identifiziert worden, auf die ich nochmal eingehen möchte.

Der Schutz vor rassistischer Diskriminierung auf individueller und institutioneller Ebene: Um ehrlich zu sein, zu dem Aspekt ist im Bericht relativ wenig zu lesen. Der Bericht ist doch sehr stark darauf geprägt, den Landesaktionsplan selbst mehr bekannt zu machen, in den Institutionen bekannt zu machen und dafür zu sorgen, dass man Institutionen darin weiß, ohne sehr konkret zu werden.

Demokratiebildung und rassismuskritische Aufklärungsarbeit: In vielen Bereichen ist das ein gutes Stück Erfolg. 67 Veranstaltungen sind da genannt. Man hätte gern gelesen, wie viele Menschen daran teilgenommen haben, Frau Ministerin. Das hätte mich noch interessiert, aber das können Sie ja mal irgendwann nachlegen.

Meine beiden Praktikantinnen, die da oben sitzen, haben den Bericht durchgearbeitet und haben mal ihren Kommentar dazu abgegeben und gesagt: Das ist doch viel Symbolik und wenig Konkretes.

(Serpil Midyatli [SPD]: Haben Sie die Arbeit von anderen machen lassen?)

Ja, klar, natürlich. Ich lasse doch vorarbeiten, Frau Kollegin.

(Beifall Serpil Midyatli [SPD])

Da ist viel Werbung. Ich zitiere Seite 8. Dort heißt es, es seien „diverse Öffentlichkeitsmaterialien zur Bewerbung des Landesaktionsplans gegen Rassismus entwickelt“ worden, und dann werden dort „Notizblöcke, Kugelschreiber, Baumwolltaschen, Untersetzer, Aufkleber und Fahrradsattelbezüge“ genannt. Meine beiden Praktikantinnen sagen zu Recht: Diejenigen, an die man sich dort richtet, hätte man über Social-Media-Plattformen vielleicht anders erreicht. Da müsste man eher auch für das Thema Landesaktionsplan gegen Rassismus wer

(Serpil Midyatli)

ben. Ich stimme dem ausdrücklich zu und sage: Da ist noch Luft nach oben, wie in anderen Bereichen.

(Beifall FDP und SSW)

Jetzt nehmen wir einmal die Bereiche, die uns hier alle bei Verabschiedung des Aktionsplans betroffen haben. Es war unser Ziel, den Rassebegriff in Landesgesetzen und Verordnungen sowie im Sprachgebrauch der Landesregierung insgesamt zu eliminieren. Das Ergebnis lautet heute nach zwei Jahren:

„Derzeit wird über die Landeskoordinierungsstelle Antirassismus eine ressortübergreifende und koordinierte Abfrage zum Vorkommen des Begriffs ‚Rasse‘ in schleswigholsteinischen Gesetzen und Verordnungen vorbereitet.“

Das finde ich nach zwei Jahren: einen Schritt.

(Vereinzelte Heiterkeit – Martin Habersaat [SPD]: Da wird nicht mehr geprüft, da wird vorbereitet!)

Ich finde das aber nach zwei Jahren auch: ausbaufähig. Wir hatten als zehntes Ziel festgelegt, dass ein Leitfaden zu diskriminierungsfreier und rassismuskritischer Sprache für die Landesverteilung erstellt wird. Antwort:

„Der Entwurf eines solchen Leitfadens befindet sich derzeit noch in der internen Abstimmung.“

(Zuruf: Aber Sie wissen doch, wie schwer das ist!)

Ich weiß auch, wie schwer das ist. Aber zwei Jahre? – Nach zwei Jahren muss man vorankommen. Deshalb sage ich auch, meine Damen und Herren: Ich habe noch vor Jahren damals in meinem Ministerium mit dem Mittelstandsbeirat dafür gesorgt, dass man sich mal mit dem Landesaktionsplan beschäftigt, was nicht bei allen sofort auf Zustimmung gestoßen ist, weil sie gesagt haben: Was sollen wir denn damit jetzt anfangen?

Es ist schon wichtig, dass man mit der Umsetzung der Maßnahmen tatsächlich vorankommt. Dabei unterstützen wir Sie, Frau Ministerin, auch wenn da noch etwas mehr Schwung erforderlich ist, denn ich glaube in der Tat: Die Debatten, die wir in diesem Haus heute Vormittag geführt haben, sind geeignet, dass in diesem Bereich des latenten Rassismus die Gefahren im Land eher größer werden, als dass sie kleiner werden. Umso mehr ist es wichtig, dass der Landesaktionsplan Rassismus mit Leben, mit Aktivitäten und Maßnahmen gefüllt wird, die auch

umgesetzt werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SPD und SSW)

Für die SSW-Fraktion hat jetzt der Fraktionsvorsitzende Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 2019 ist ein Sachbuch erschienen, das seitdem viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Auch das Büro unseres Beauftragten für politische Bildung hat ja eine Veranstaltung mit der Autorin Alice Hasters durchgeführt. Es geht in dem Buch darum, was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten – so sagt es schon der Titel. Alice Hasters erklärt in dem Buch, warum Rassismus eben nicht nur ein individuelles Problem durch einzelne Handlungen ist, sondern ein historisch entstandenes System, das mit der Absicht aufgebaut worden ist, eine Hierarchie rassifizierter Gruppen herzustellen. Es geht um Rangordnung und Macht.

Rassismus ist ein über Jahrhunderte gewachsenes System. Es hat zum ersten organisierten Völkermord der Geschichte durch deutsche Kolonialbesetzer an den Herero und Nama geführt. In letzter Instanz stand in Deutschland der Holocaust am Ende rassistischer Verkettung. Deswegen war es für uns als SSW besonders wichtig, dass die schleswig-holsteinische Kolonialgeschichte auch hier im Parlament Aufmerksamkeit erfährt und die Auswirkungen der Kolonialverbrechen parlamentarisch behandelt werden.

Vielen Menschen ist immer noch nicht klar, warum bestimmte Waren als Kolonialwaren bezeichnet werden, wo sie herkamen und vor allem unter welchen Umständen sie hergestellt wurden. Vielen Menschen ist auch heute noch nicht klar, dass die Versklavung schwarzer Menschen daraus rührte, dass in der Kolonialzeit auch Menschen zu Waren wurden. Es ist daher wirklich gut, dass wir in Schleswig-Holstein einen Landesaktionsplan gegen Rassismus bekommen haben und alle Ministerien verantwortlich für Maßnahmen gegen Rassismus sein sollen. Dabei wird im Landesaktionsplan ausdrücklich Wert darauf gelegt, dass die Maßnahmen nicht nur die individuelle, sondern auch die strukturelle und institutionelle Ebene von Rassismus adressieren.

(Dr. Bernd Buchholz)

Schleswig-Holstein ist eines der ersten Bundesländer, das sich selbst ein Programm dieser Art auferlegt hat. Das erkennen wir als SSW an. Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass mich einige Abschnitte im Bericht enttäuscht haben. Da wird zu oft noch derzeit intern abgestimmt oder geplant, Abfragen zu etwaigen Informationsbedarfen durchzuführen. Da wurde, anknüpfend an die interministerielle Arbeitsgruppe zur Erstellung des Aktionsplans, ein Jour fixe beim Landesdemokratiezentrum zur weiteren Umsetzung eingerichtet. Die unterschiedlichen Ressorts würden dieses Angebot jedoch aus Kapazitätsgründen häufig nicht mehr in Anspruch nehmen. Beschlossene Informationsveranstaltungen und Sensibilisierungsworkshops haben laut Bericht durch die Coronapandemie nicht stattfinden können. Einige Ministerien würden diese nun nachholen wollen, andere jedoch hätten bereits verkündet, dass sie keinen Bedarf mehr sähen. Mir scheint, hier mahlen die Mühlen langsamer als nötig, und bei einigen Ministerien ist ordentlich Sand im Getriebe.

Das Umweltministerium kündigt bereits jetzt an, Mittel für außerschulische Lernorte im Bereich der nachhaltigen Entwicklung oder Kooperationen mit dem Bündnis Eine Welt aufgrund anstehender Kürzungen nicht ohne Weiteres weiterführen zu können. Zwei Maßnahmen waren für das Ministerium vorgesehen, zwei Maßnahmen werden womöglich eingestampft.

Das Wirtschaftsministerium hat zwar die ihm zugeteilte Maßnahme der Erörterung eines Handlungsbedarfes an Rassismussensibilisierung abgeschlossen und Gespräche mit dem Mittelstandbeirat geführt, Schritte der Umsetzung aus diesen Beratungen würden aber durch andere Herausforderungen erschwert. Energiekosten, Auswirkungen der Pandemie und Fachkräftemangel würden dazu führen, dass Maßnahmen gegen Rassismus nicht vorrangig behandelt werden. Mir kommt das wie ein sehr merkwürdiges Abwägen vor. Kann man sich erst um Rassismus kümmern, wenn der Strom nicht mehr so teuer ist?

Für das Landwirtschaftsministerium sind abgesehen von ressortübergreifenden Maßnahmen keine weiteren Maßnahmen vorgesehen. – Da weise ich beispielhaft auf etwas hin: Es gibt Orte im Land, in denen kommen 85 bis 90 Prozent der Erntehelferin nen und Erntehelfe aus Rumänien. Wir sind auf diese Menschen angewiesen, wir sind darauf angewiesen, dass sie gern wieder zu uns kommen. Dafür darf man sich als Ministerium auch gern zuständig

fühlen. Rassismus ist nämlich ein Standortnachteil für diese Republik.

Wirklich lobend hervorheben möchte ich abschließend einmal die Staatskanzlei. Bei den von der Staatskanzlei ausgerichteten Ausbildungsmessen gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der türkischen Gemeinde, die im Vorfeld für diese Messen wirbt und gezielt junge Menschen mit Migrationshintergrund anspricht. Das darf gern auch mit anderen Communities ausgebaut werden. Ich finde das so lobenswert, weil es eine der besten Antidiskriminierungsmaßnahmen ist, Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, in der öffentlichen Verwaltung einzustellen.

Es ist sicher nicht alles schlecht an diesem Bericht, schon gar nicht der Landesaktionsplan selbst, aber: Wer es ernst meint, der muss auch ernst machen. – Vielen Dank.

(Beifall SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag, Drucksache 20/1067, durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 20/1319, federführend dem Innen- und Rechtsausschuss sowie mitberatend dem Sozialausschuss, dem Europaausschuss und dem Finanzausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Habe ich einen Ausschuss vergessen?

(Jette Waldinger-Thiering [SSW]: Bildungs- ausschuss!)

Okay, an den Bildungsausschuss auch noch. Der Bericht soll also federführend dem Innen- und Rechtsausschuss sowie mitberatend dem Sozialausschuss, dem Europaausschuss, dem Finanzausschuss und dem Bildungsausschuss zur abschließenden Beratung überwiesen werden. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Parlamentarischen Geschäftsführungen haben mitgeteilt, dass die Tagesordnungspunkte 28 und 52 heute Nach mittag aufgerufen werden. Deswegen unterbreche

(Lars Harms)

ich jetzt die Sitzung für die Mittagspause. Wir sehen uns um 14 Uhr wieder.

(Unterbrechung 12:52 bis 14:01 Uhr)