Protokoll der Sitzung vom 27.02.2025

So viel zu unserem differenzierten Ansatz. Ich möchte aber auch einige Gemeinsamkeiten betonen, vor allem in der Grundhaltung. Wir sind uns nämlich bei der Weiterentwicklung des Landesaktionsplans und bei der Bundesratsinitiative einig.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann werden wir uns bei der Landesverfassung auch noch ei- nig werden!)

Die reine Lehre unter Juristen ist natürlich seit weit über einem Jahrzehnt, dass die Ergänzung des Grundgesetzes um den Begriff der sexuellen Identität in Artikel 3 Absatz 3 aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht erforderlich ist. Das stimmt immer noch. Aber jetzt, im Februar 2025, könnte sich ja auch die Erkenntnis durchsetzen, dass die Mehrheit zur Verfassungsänderung, soweit und solange man sie hat, dafür genutzt werden sollte, dieser rechtlichen Selbstverständlichkeit auch die notwendige rechtliche Stabilität zu verleihen gegenüber einem möglichen Wechselspiel gesellschaftlicher und politischer Kräfte – Stichwort Resilienz, Stichwort Bewahren von Erreichtem. Ich hoffe darauf, dass sich diese rechtspolitische Erkenntnis durchsetzt. Daher wollen auch wir die Bundesratsinitiative.

(Beifall ganzes Haus)

Die beantragte Überweisung beider Anträge machen wir mit. Das Thema berührt elementare Rechte vieler Menschen; darüber darf man länger als 30 Minuten diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall ganzes Haus)

Der nächste Redner ist Jasper Balke von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Kollege Dr. Garg mit einer USA-Reise begann, muss auch ich heute einen tagesaktuellen Beitrag dazu geben. Kurz vor unserer Debatte heute habe ich tatsächlich die Nachricht eines Bekannten bekommen, dass er wahrscheinlich in seinem Leben nicht mehr in die USA wird einreisen können. Donald Trump hat nämlich per Exe

(Marion Schiefer)

cutive Order verboten, dass Transmenschen in die USA einreisen. Das ist tagespolitische Aktualität –

(Martin Habersaat [SPD]: Unfassbar!)

und so etwas begegnet uns nicht nur in den USA und anderswo auf der Welt, sondern auch bei uns in Schleswig-Holstein. Wir hatten im letzten Jahr anlässlich der Verbrennung der Regenbogenflaggen in Flensburg auf Initiative der FDP hier schon einmal einen interfraktionellen Antrag geeint, den wir als Landtag einstimmig verabschiedet haben. Darin haben wir klargemacht, dass das Verbrennen von Symbolen, die für die Freiheit, die Vielfalt und die Toleranz unserer demokratischen Gesellschaft stehen, einen Angriff auf die grundlegenden Werte eines friedlichen, respektvollen und menschenwürdigen Miteinanders darstellt.

Ich betone das an dieser Stelle so, weil wir hier in Schleswig-Holstein der einzige, der letzte verbliebene Landtag in Deutschland sind, der noch eine Einstimmigkeit bei einem solchen Thema herbeiführen kann.

(Beifall ganzes Haus)

Gerade in Anbetracht des Wahlergebnisses zur Bundestagswahl läuft es mir bei dem Gedanken an die hohen Zustimmungswerte für ganz rechts außen wirklich kalt den Rücken herunter.

Und nicht genau so, aber so ähnlich und wahrscheinlich noch viel schlimmer muss es sich für die Mitarbeitenden von lambda::nord und eine Kinder- und Jugendgruppe für junge LSBTIQ bei mir in Lübeck angefühlt haben, als Ende Januar zwei Unbekannte queerfeindliche Morddrohungen an genau dem Ort geäußert haben, der eigentlich ein Safe Space für die Jugendlichen ist.

Ganz unabhängig von einem konkreten Fall kann ich auch als Lübecker sagen: So etwas spricht sich vor Ort und gerade in der Community herum. Auf einer Demo für Demokratie und Vielfalt, auf der ich selbst auch gesprochen habe, wurde dieser Fall von mehreren Rednerinnen und Rednern erwähnt. In persönlichen Gesprächen sagen die Leute dann: Ich ziehe mich jetzt noch mehr als ohnehin schon zurück; solche Vorkommnisse machen so große Angst, dass wir uns darin bestätigt sehen, uns unsichtbar zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte es ganz klar sagen: Jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Gewalt, Hass und Hetze in allen Ausprägungen gegen die sexuelle und geschlechtliche Identität und gegen eine offene, vielfältige Gesellschaft bedarf nicht nur unserer

entschiedenen Ablehnung, sondern muss mit aller Entschlossenheit bekämpft werden.

(Beifall ganzes Haus)

Das Sicherheitsversprechen des Staates gilt für alle Menschen. Es macht mich zutiefst betroffen, dass solche Fälle immer und immer wieder auftreten und leider mehr werden, weil genau dieser Impuls des Unsichtbarwerdens, des sich Zurückziehens – für den ich Verständnis habe – ja genau das ist, was die Gegner unserer vielfältigen Gesellschaft erreichen wollen. Deshalb verstehe ich es als meine und als unser aller Aufgabe, genau denen klarzumachen: Diese Genugtuung bekommt ihr nicht.

(Beifall ganzes Haus)

Ihr bekommt unsere Angst nicht, sondern wir werden jeden Tag aufs Neue für eine Gesellschaft kämpfen, in der wir alle miteinander verschieden sein können – aber gleich an Rechten, gleich an Würde und gleich an Freiheit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Genau deshalb ist es absolut richtig, heute hier diese Debatte zu führen und unsere Polizei und unseren Rechtsstaat noch stärker zu machen, auch und gerade im Hinblick darauf, dass es mit der veränderten politischen Stimmung in unserem Land immer schwieriger werden könnte – Kollegin Schiefer hat es erwähnt –, die notwendigen Zweidrittelmehrheiten zu bekommen. Deshalb begrüße ich absolut die Erneuerung der Bundesratsinitiative zur Aufnahme des Schutzes der sexuellen Identität in Artikel 3 Absatz 3 unserer Bundesverfassung.

Auch finde ich es genau richtig, dass wir die Polizei und Tim Jänke mit der Zentralen Ansprechstelle LSBTIQ* darin unterstützen, queerfeindliche und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entschieden zu bekämpfen. Wir werden gemäß unseres Koalitionsvertrags den Landesaktionsplan Echte Vielfalt weiterentwickeln und darin die betreffenden Institutionen, Vereine und Verbände wie lambda::nord, HAKI und den LSVD zur Stärkung von Toleranz und zur Gewaltprävention gegenüber der queeren Community einbeziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Thema könnte ich noch deutlich länger sprechen. Ich möchte nun aber mit einer für mich persönlich ganz wichtigen Botschaft enden, einem Satz, der mich schon lange prägt: Die Verfasstheit einer Demokratie und ihrer Gesellschaft lässt sich immer dadurch definieren, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Sie zu stärken, sollte unser oberstes Ziel sein. Da

(Jasper Balke)

her freue ich mich auf die weiteren Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall ganzes Haus)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte begrüßen Sie mit mir weitere Besucher_innen oben auf der Bühne, und zwar den Seniorenrat aus Itzehoe. – Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall)

Die nächste Rednerin ist Sophia Schiebe von der SPD.

Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Liebe Kolleg_innen! In den vergangenen Jahren haben wir eine besorgniserregende Zunahme von queerfeindlichen Straftaten erlebt. Der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 zeigt, dass sich die Anzahl rechtsmotivierter Straftaten gegen LSBTIQ-Personen in unserem Bundesland nahezu verdoppelt hat. Erschütternde Vorfälle wie der Angriff auf das queere Kinder- und Jugendzentrum in Lübeck am 22. Januar 2025 verdeutlichen die akute Bedrohung, der unsere Mitbürger_innen ausgesetzt sind.

In diesem Kontext möchte ich zunächst einmal die Arbeit von Organisationen wie dem Jugendnetzwerk lambda::nord hervorheben. Als queerer Jugendverband mit Sitz in Lübeck setzt sich lambda::nord in Schleswig-Holstein und Hamburg für die Interessen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, inter und queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein. Ihre Angebote reichen von Jugendgruppen über Bildungsarbeit hin zu Beratungsstellen wie NaSowas, die jungen queeren Menschen, ihren Angehörigen und Fachkräften Unterstützung bieten.

Die Beratungsstelle NaSowas stellt einen sicheren Hafen für viele junge Menschen dar, die sich in ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität unsicher fühlen. Hier finden sie ein offenes Ohr, kompetente Beratung und die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können. In einer Zeit, in der queerfeindliche Übergriffe zunehmen, bieten solche Einrichtungen nicht nur Unterstützung, sondern auch Schutz und Hoffnung. Umso wichtiger ist es, dass dann, wenn dieser sichere Hafen angegriffen wird, besondere Schutzmaßnahmen greifen müssen.

Deshalb fordert der vorliegende Antrag die Landesregierung auf, umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit und Gleichberechtigung queerer Menschen zu gewährleisten. Dazu zählen unter anderem die Überprüfung und Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen für betroffene Organisationen und Veranstaltungen, die Intensivierung der Vertrauensbildung zwischen potenziellen Opfern und der Polizei sowie die Ergänzung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik um eine Darstellung von Straftaten gegen LSBTIQ-Personen. Diese Maßnahmen sind essenziell, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle Menschen sicher und akzeptiert fühlen können.

(Beifall SPD und SSW)

Doch Gesetze und Verordnungen allein reichen nicht aus. Es bedarf der aktiven Unterstützung und Zusammenarbeit mit Organisationen wie lambda::nord, die tagtäglich an der Basis arbeiten und direkt mit den Betroffenen in Kontakt stehen. Ihre Expertise und Erfahrung sind unverzichtbar, um effektive Strategien gegen Diskriminierung und Gewalt zu entwickeln und umzusetzen.

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, sicherzustellen, dass diese Einrichtungen die notwendige finanzielle und strukturelle Unterstützung erhalten, um ihre Arbeit fortsetzen und ausbauen zu können. Die aktuelle Haushaltslage stellt dabei eine Herausforderung dar, doch wir dürfen nicht zulassen, dass finanzielle Engpässe den Schutz und die Unterstützung vulnerabler Gruppen gefährden. Es liegt an uns, diese Unsicherheit zu beseitigen und klare Zusagen für die Finanzierung zu machen.

Indem wir den Antrag hier gemeinsam unterstützen und die vorgeschlagenen Maßnahmen entschlossen umsetzen, senden wir ein starkes Signal: Schleswig-Holstein steht für Vielfalt, Toleranz und den Schutz aller seiner Bürger_innen. Wir zeigen, dass Hass und Gewalt keinen Platz in unserer Gesellschaft haben und dass wir bereit sind, aktiv für die Rechte und die Sicherheit queerer Menschen einzutreten. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg beschreiten und dafür sorgen, dass Schleswig-Holstein ein Ort ist, an dem jeder Mensch unabhängig von seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in Sicherheit und Würde leben kann. – Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

(Jasper Balke)

Für die SSW-Fraktion erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, dem Abgeordneten Christian Dirschauer, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist bitter nötig, denn es ist nicht nur traurige Realität, dass es Diskriminierung und Gewalt gegen queere Menschen gibt, sondern es ist dazu noch Fakt, dass diese Form der Hasskriminalität sogar noch zunimmt, und zwar auch hier bei uns in Schleswig-Holstein.

Wir alle kennen die Bilder von abgerissenen und verbrannten Regenbogenflaggen. Wir alle haben vermutlich Berichte von homosexuellen Paaren gehört, die bepöbelt, beleidigt oder tätlich angegriffen werden. Aber so unerträglich es auch ist: Antiqueere Gewalt ist längst nicht nur auf Ausnahmefälle beschränkt. Sie geschieht regelmäßig. Uns muss also klar sein, dass wir es hier nicht mit irgendwelchen kranken Einzeltätern zu tun haben, sondern mit einem strukturellen Problem, das erschreckend ist und von uns allen gemeinsam und entschlossen bekämpft werden muss, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Laut Angaben der Landespolizei hat sich die Zahl der registrierten Straftaten, die in diese Kategorie der Hasskriminalität fallen, in den vergangenen drei Jahren fast verdreifacht. Diese Formen der Gewalt und Diskriminierung ziehen sich längst durch alle Gesellschaftsschichten – von Drohungen gegen queere Kommunalpolitiker oder Kirchenmitglieder, die sich für die queere Community einsetzen, bis hin zu verkappten Morddrohungen gegen Kinder und Jugendliche in vermeintlich geschützten Räumen wie beim Vorfall im Jugendnetzwerk lambda::nord in Lübeck; wir haben es gehört.

Im Ergebnis gehört es für viele Menschen in der queeren Szene mehr oder weniger zum Alltag, dass sie längst nicht nur auf Social Media angefeindet, sondern auf offener Straße beleidigt und bedroht werden. Ich finde, hier sind wir alle miteinander in der Verantwortung, wenn es um entschlossene Gegenmaßnahmen geht. Wenn man bedenkt, dass nur knapp ein Viertel aller Betroffenen überhaupt Anzeige erstattet und die Dunkelziffer entsprechend hoch ist, dann sind die im Antrag genannten Forderungen wirklich mehr als berechtigt.

(Beifall SSW, FDP und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Keine Frage: Wir müssen nicht nur die Gewaltprävention stärken, sondern auch viele Sicherheitsmaßnahmen nachschärfen. Wir müssen aber auch mehr Vertrauen zwischen potenziellen Opfern und der Polizei schaffen und die LSBTIQ*-Ansprechstelle der Polizei personell aufstocken, und wir müssen vor allem auch Straftaten gegen queere Menschen systematischer erfassen und sowohl in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik wie im Verfassungsschutzbericht deutlicher dokumentieren.