Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

(Abg. Ries (SPD) )

Die nächste Wortmeldung hat der Abgeordnete Hermann Scharf, CDU-Fraktion, abgegeben.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Ries, als Erstes will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich mache Behindertenarbeit seit mehr als zwanzig Jahren mit Leib und Seele, und dazu stehe ich auch und lasse mich von Ihnen nicht in irgendeiner Art und Weise diskreditieren.

(Anhaltender starker Beifall bei den Regierungs- fraktionen.)

Mit Ihrer Selbstherrlichkeit, die Sie auch in Ihrer heutigen Rede wieder zum Ausdruck gebracht haben, kommen wir in der Behindertenarbeit keinen Millimeter weiter.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsfraktionen. - Zuruf von der LINKEN: Mit Ihnen auch nicht.)

Im Gegenteil: Dies ist überhaupt nicht dienlich.

Ich möchte zu ein paar Punkten Stellung beziehen, zunächst zu den Schulen. Über 35 Prozent unserer behinderten Menschen sind in Regelschulen integriert, weil dies der Wunsch der Betroffenen und auch ihrer Eltern war.

(Abg. Ries (SPD) : Und wie ist die Qualität dort? Unzumutbar.)

Frau Kollegin Ries, ich habe es Ihnen in der letzten Ausschusssitzung schon einmal gesagt. Hören Sie auch einmal zu! Auch das würde manches in der Argumentation erleichtern.

(Beifall bei der CDU.)

Ich betone nochmals: 35 Prozent besuchen Regeleinrichtungen, weil dies der Wunsch der Betroffenen, ihrer Eltern und ihrer Betreuer ist. Die Frau Ministerin hatte einen Brief zitiert; ich hatte einen Brief zitiert. Für uns steht an erster Stelle - das möchte ich noch einmal klar und deutlich sagen, denn auch das ist ein Bestandteil der Inklusion - das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern. Dies ist das wichtigste Gut. Und es wurde ja schon angesprochen: Vieles hat sich infolge unserer modernen Medizin ganz entscheidend geändert.

Sowohl in unseren Krippen und Kindergärten, die wir integrativ führen, als auch in unseren Schulen haben wir es heute mit schwerstbehinderten Kindern zu tun. Auf der Tribüne sitzen einige, die solche Schulen betreiben. Ich erwähne nur den Kollegen Jürgen Müller, der vonseiten der Lebenshilfe Neunkirchen zwei Schulen begleitet. Herr Georgi, ich empfehle Ihnen einen Besuch, denn das würde manches in der Argumentation erleichtern. Wir können feststellen, dass diese Kinder neben einer päd

agogischen Betreuung vor allem auch eine medizinische und pflegerische benötigen. Diese Fachkräfte halten wir in diesen Schulen vor. Ich betone, es ist der ausgesprochene Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder in diesen Schulen untergebracht sind. Dort werden sie in hervorragender Art und Weise und mit Liebe gefördert und gefordert.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Der zweite Punkt ist das Persönliche Budget. Es wird versucht, den Menschen zu suggerieren, damit würde auf einmal alles wunderbar.

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) : Auf jeden Fall wäre es besser als jetzt.)

Herr Schnitzler, ich muss Ihnen sagen, dass Sie keine Ahnung haben. Deswegen unterlassen Sie diese dumme Bemerkung auch.

(Beifall von den Regierungsfraktionen. - Gegen- rufe von den Oppositionsfraktionen.)

Wo das Persönliche Budget gewünscht ist - das kann ich Ihnen aus eigenen Gesprächen sagen - haben das Ministerium, das Landesamt für Jugend, Soziales und Versorgung es auch genehmigt. Wir geben im Titel der Eingliederungshilfe in diesem Jahr in unserem Land weit über 250 Millionen Euro aus. Viele Menschen haben durch dieses Suggerieren eines Persönlichen Budgets gemeint, es sei noch mehr Geld vorhanden. Mit diesen Dingen müssen wir sehr vorsichtig sein. Ich betone, wo die Menschen es wünschen, ermöglichen wir es ihnen.

Zu den Einrichtungen möchte ich einige Zahlen nennen. 680 Menschen in diesem Land besuchen eine Tagesförderstätte. 3.600 Menschen besuchen unsere Werkstätten. 1.300 Wohnheimplätze in differenzierter Form weisen wir vor. In den stationären Gebilden bringt das persönliche Budget den Menschen gleich null.

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) : Das müsste man überprüfen.)

Wir machen für diese Menschen eine Politik nach ihren Ansprüchen und Bedürfnissen. Ich unterstreiche, dass dort das Persönliche Budget nicht notwendig ist. Deswegen sollte man es auch nicht als etwas an die Wand malen, das die Situation verbessern würde.

Ich möchte den Wohnbereich im Besonderen ansprechen. Hier haben wir es über lange Jahre erreicht - Frau Kollegin Ries, das ist ein entscheidender Punkt auf dem Weg zur Inklusion -, eine differenzierte Form des Wohnens in den Einrichtungen zu schaffen. Wir haben das Wohnen für Kinder und Jugendliche, für Schwerstbehinderte, für Senioren und wir haben unsere therapeutischen Wohngruppen für die Menschen, die lange Jahrzehnte im Landeskrankenhaus in Merzig gelebt haben. Seit 1993

haben wir sie in den Einrichtungen innerhalb der Gebietskörperschaften, die vorwiegend von der Lebenshilfe, der Arbeiterwohlfahrt und sonstigen betrieben werden, wunderbar untergebracht. Wir haben ihnen eine gute Heimat geschenkt. Wir haben sie übernommen, als sie sich in keinem menschlichen Zustand befanden. Sie waren vollgepumpt mit Medikamenten und ohne jegliche Pädagogik. Schauen Sie sich heute in den therapeutischen Wohngruppen um. Die Menschen fühlen sich dort sehr wohl.

Es ist uns gelungen - und hier spielt das Persönliche Budget eine Rolle, was wir auch rüberbringen -, die ersten 150 Behinderten in diesem Lande in die Wohnform des selbstbestimmten Wohnens zu bringen. Die Ministerin hat es angesprochen. Wir gehen zwischenzeitlich in diesen Dingen behutsamer vor. Dies tun wir aus einem ganz einfachen Grund. Ein Mensch der mehrere Jahrzehnte in einem Wohnheim gelebt hat und den ich auf einmal in die Wohnform des selbstbestimmten Wohnens bringe, vereinsamt. In den Wohnheimen spielen gerade die sozialen Kontakte - was auch Sie, Kollege Schnitzler angesprochen haben - und die Liebe, die die Menschen sowohl von ihren Mitbewohnern als auch von den Pflegenden geschenkt bekommen, eine ganz entscheidende Rolle. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir uns an diesen Menschen nicht versündigen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Deswegen gehen wir sehr behutsam vor. Die Menschen, bei denen es möglich ist, bringen wir in die Form des selbstbestimmten Wohnens. Die anderen lassen wir in den Heimen, weil sie dort besser untergebracht sind. Auch das ist ein Wunsch, den uns viele Eltern mit auf den Weg geben. Er ist der Inklusion am ehesten zuträglich.

Als letzten Punkt möchte ich das Segment der Arbeit ansprechen. Wir haben in unseren saarländischen Behindertenwerkstätten, wobei das WZB, die Arbeiterwohlfahrt in Dillingen und Kleinere wie die Firma Paulus und das Haus Sonne in Walsheim zu nennen sind, für behinderte Menschen differenzierte Möglichkeiten in der Arbeitswelt geschaffen. Das reicht vom Abfüllen von Schrauben in Tüten bis zum hoch qualifizierten Arbeitsplatz in der Reinraumwäsche, was in einem Werk in Neunkirchen angeboten wird. Auch hier versuchen wir, die Menschen nach ihren Fähigkeiten mit Arbeit zu bedienen.

Wir sind stolz darauf, dass es uns gelungen ist, mehrere große saarländische Firmen in diese Werke zu bekommen. Dort wird für Firmen wie die Decoma zusammen mit Behinderten hervorragende Arbeit geleistet. Ich habe vorhin bereits erwähnt, dass wir noch einige Schwachstellen haben. Wir versuchen, neue Wege zu beschreiten, was Integrationsfirmen

und dergleichen angeht. Aber wir beschreiten sie immer unter Mitnahme der Menschen mit Behinderung, ihrer Eltern und Betreuenden. Auf diesem Weg werden wir unbeirrt weitergehen, weil wir das Wohl der behinderten Menschen immer im Mittelpunkt sehen. Deswegen gehen wir den Weg gemeinsam. Die Koalition hat sich gute Dinge vorgenommen, die wir sukzessive umsetzen werden. - Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von den Regierungsfraktio- nen.)

Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Eine ist von der Fraktion DIE LINKE mit einer Gesamtredezeit von 4 Minuten 40 Sekunden. Ich erteile der Frau Abgeordneten Barbara Spaniol das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Scharf, ich will eine Bemerkung zu Ihrer Rede machen. Sie haben Frau Ries angegriffen. Das war unnötig, denn sie hat sich hier wirklich sehr konziliant geäußert und Sie nicht persönlich angegriffen.

(Zuruf von den Regierungsfraktionen: Lächerlich. - Unruhe.)

Das können Sie nicht. Das war auch heute Morgen schon Ihr Problem. Sie können nicht unterscheiden. Sie beißen um sich, beleidigen persönlich, aber Sie greifen nicht in der Sache an. Das ist Ihr Problem, liebe Kollegen von der CDU.

(Abg. Rink (CDU) : Wo war eine Beleidigung?)

Wollen wir Revue passieren lassen, was Sie sich heute Morgen hier geleistet haben? - Nein. Dafür ist mir dieses Thema zu wichtig. Es sind keine Beleidigungen gegen den Kollegen Scharf gefallen. Es war mein Wunsch, dies zu äußern.

In der verbleibenden Zeit möchte ich einen zweiten Punkt erwähnen. Herr Scharf, ich hatte nach der Diskussion im Ausschuss eine Pressemitteilung herausgegeben, in der wir Sie aufgefordert haben, endlich die Voraussetzungen zu schaffen, dass die UNBehindertenrechtskonvention umgesetzt werden kann. Es ging darum, was Sie auch wissen, dass wir nach dem Ziel der Konvention dazu kommen müssen, jedem behinderten Kind den Besuch einer Regelschule zu ermöglichen. Der Besuch der Regelschule soll nach Konventionszielen im wahrsten Sinne des Wortes zur Regel werden. Es hat mich sehr gewundert, dass Sie das als bildungspolitische Irrfahrt bezeichnet haben. An dieser Stelle müssen wir deshalb feststellen, dass Sie die Ziele der UN-Konvention nicht ernst nehmen, dass Sie sie nicht umsetzen wollen. Das kann man so nicht stehen las

(Abg. Scharf (CDU) )

sen, das hat mich an dieser Stelle in der Debatte enttäuscht.

(Beifall bei der LINKEN.)

Noch ein Punkt. Wir haben immer gesagt, wir gehen sensibel mit dieser Debatte um. Es geht darum, wo möglich Förderschulen sukzessive zu überwinden wo möglich! -, sie aber nicht auf ewig zu zementieren, so wie Sie das in einem Punkt in Ihrem Antrag machen. Auch da haben wir uns sehr gewundert, dass gerade die GRÜNEN mitgehen. Da hatten sie eine komplett andere Position, da hat auch die GEW eine andere Position. Also ist auch an dieser Stelle eine Baustelle erkennbar. Ich finde das sehr schade. Es zeigt einfach, dass Sie das, was die Konvention zum Ziel hat, nicht ernst nehmen. Da würde ich mir wünschen, dass Sie in sich gehen und das Ganze mit weniger ideologischen Scheuklappen diskutieren, damit Sie in einem Jahr wenigstens die Voraussetzungen geschaffen haben, dass wir mehr Kinder in die Regelschule integrieren können, Kolleginnen und Kollegen.

Ein letzter Punkt. Sie haben das Persönliche Budget angesprochen, Herr Scharf. Ich bin gleich fertig, vielleicht hören Sie mir noch eine Sekunde zu. Es geht darum, eine Alternative zu bewerben. Es geht nicht darum, Ihr Engagement in Frage zu stellen. Behindertenpolitik ist doch keine Almosenpolitik! Behindertenpolitik muss - und dazu gehört auch das Persönliche Budget - eine emanzipatorische Behindertenpolitik sein! Das wollen wir erreichen. Da sind wir doch gar nicht so weit auseinander. Vielleicht sollten Sie sich die Veranstaltungen zum Persönlichen Budget einmal näher anschauen. Wir haben eine gemacht, die sehr gut besucht war, in Ottweiler-Lautenbach. Wir laden Sie ein - wenn wir das als Fraktion noch einmal auf den Weg bringen -, dies mit uns zu diskutieren und vielleicht einige ideologische Scheuklappen abzubauen.

(Beifall bei der LINKEN.)

Das Wort hat Herr Lothar Schnitzler von der Fraktion DIE LINKE. Die Gesamtredezeit beträgt 1 Minute 8 Sekunden.

Herr Scharf, ich möchte nicht versäumen, auf Ihre Ausführungen zu antworten. Seien Sie gewiss, bei der Frage, wie man behutsam mit Menschen mit Handicaps umgeht, sind wir bei Ihnen. Das muss man immer sehr sorgfältig abprüfen. Da haben wir keinen Dissens. Aber was Sie ideologisch hier vertreten, ist die klassische Position des allwissenden, allmächtigen Behindertenbeauftragten oder des Mitarbeiters, der dafür zuständig ist, der entscheidet, was für Behinderte gut oder schlecht ist.

(Zurufe von der CDU.)

Genau diese Ideologie - das hat Frau Ries deutlich gemacht - ist das, was die UN-Menschenrechtskonvention nicht will. Sie will eine Gleichstellung von Menschen mit Handicaps mit Menschen ohne Handicaps. Das ist die Grundaussage. Von daher muss man den eigenen Willen und das eigene Können der Menschen mit Behinderung sehr ernst nehmen. Man darf nicht als Vertreter, als Lobbyist einer bestimmten Richtung von Betreuung sagen: Was wir machen, ist alles gut. Wir brauchen deshalb nichts Neues zu machen.