Auf der anderen Seite steht eine sehr viel größere Gruppe, nämlich die Gruppe der Verlierer. Da sind zunächst einmal die Bürgerinnen und Bürger, vor allem aber auch die künftigen Generationen. Da ist die Umwelt, der Klimaschutz, da sind die erneuerbaren
Energien mit ihrer gesamten Branche, die dahinter steht, es sind die Stadtwerke und so weiter. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kanzlerin hat den Atomdeal als Revolution bezeichnen. Dies ist keine Energierevolution, sondern vielmehr die erschreckende Kapitulation einer Regierung vor der Atomlobby.
Nie hat Politik stärker den Eindruck von Käuflichkeit erweckt als im Zusammenhang mit dieser Entscheidung.
Union und FDP haben sich Sicherheit und Zukunft abkaufen lassen, um vermeintliche Haushaltssanierung betreiben zu können. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Ich will es gleich an einem Beispiel festmachen. Es ist die Brennelemente-Steuer. Allein die Einnahmen aus dieser Steuer werden durch die Sanierung der maroden Lagerstätten wie Asse und Morsleben aufgezehrt. Das ist eine Milchmädchenrechnung, wie sie besser nicht aufgemacht werden könnte.
Kolleginnen und Kollegen, Kernkraft ist eine Technologie, die verantwortlich nicht beherrscht werden kann - siehe Tschernobyl und die Atommüllendlager, auf die ich später noch zurückkomme. Deshalb ist die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken in höchstem Maße rückschrittlich, gefährlich und wirtschaftlich unsinnig. Um es auf den Punkt zu bringen: Mit dieser Energiepolitik wird die Bundesregierung selbst zum Störfall, zum Störfall für nachhaltige, bezahlbare und sichere Energie in diesem Land.
Das sehen auch die Bürgerinnen und Bürger so. Fast zwei Drittel der Bevölkerung lehnt Laufzeitverlängerungen ab. Sie tun dies aus gutem Grund. Auf einige wesentliche dieser Gründe will ich eingehen. Den ersten Punkt halte ich für ganz entscheidend. Es ist die Frage, wohin wir mit dem hoch radioaktiven Nuklearschrott hin sollen. Wohin mit dem Atommüll? - Diese entscheidende Frage ist nach wie vor völlig ungeklärt. Bis heute gibt es auf der ganzen Welt kein Endlager. Das Bundesamt für Strahlenschutz gibt an, dass sich durch die Laufzeitverlängerung der radioaktive Abfall um 4.400 Tonnen erhöhen wird. Greenpeace spricht von 6.000 Tonnen. Ganz gleich, ob es 4.400 oder 6.000 Tonnen sind, jede einzelne Tonne ist zu viel, vor allem solange wir nicht wissen, wohin wir mit dem ganzen gefährlichen Zeug sollen.
den. Laut Atomgesetz muss die Frage übrigens bis spätestens 2030 geklärt sein. Wer glaubt, dass hier das Sankt-Florians-Prinzip greift, der irrt. Denn derzeit laufen bereits Initiativen im Europäischen Parlament und in der EU-Kommission, die verhindern sollen, dass der Export von Atommüll in Drittstaaten stattfindet. Das Problem muss also vor Ort gelöst werden. Es muss schnell und 100 Prozent sicher gelöst werden, denn einen zweiten Versuch haben wir in diesem Zusammenhang ganz sicher nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, radioaktiver Schrott strahlt über eine Million Jahre. Wir können ihn nicht getreu dem Motto, nach uns der Atommüll, den nachfolgenden Generation überlassen. Es gilt vielmehr, dass eine Verlängerung der Laufzeiten ohne Klärung der Frage der Endlagerung verantwortungslos ist und bleibt.
Kolleginnen und Kollegen, es bleibt im Übrigen auch sehr teuer; denn die Kosten der Entsorgung entstehen der Allgemeinheit und werden dieser über die Staatskasse aufgebürdet. Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, will ich ein paar Zahlen nennen, was bisher an Unsummen für Atommüll-Lagerstätten in Deutschland ausgegeben worden ist: Endlager-Forschungen durch den Bund 600 Millionen, Asse II bis 2017 vorgesehen 850 Millionen, Schacht Konrad bis zur Inbetriebnahme 1,8 Milliarden, Gorleben bis 2007 1,5 Milliarden, Morsleben 2,2 Milliarden Euro Milliarden über Milliarden, die ausgegeben werden müssen, nur um den Atommüll irgendwo unter der Erde begraben zu können. Wer in diesem Zusammenhang noch davon spricht, dass der Atomstrom eine günstige Form der Stromerzeugung ist, der verkennt die Realität. Das Gegenteil ist der Fall. Würde man die Zwischen- und Endlagerkosten mit einrechnen, wäre die Kernenergie mit Abstand die teuerste Energieform. Auch das gehört zu einer ehrlich geführten Debatte.
Der aktuelle Bundeshaushalt ist im Übrigen ein trauriger Beleg dafür. Fast ein Drittel des 1,6-MilliardenHaushaltes des Umweltministers soll im kommenden Haushaltsjahr für die Folgen der Lagerung von Atommüll ausgegeben werden. Durch die Laufzeitverlängerung werden die Kosten natürlich noch weiter steigen. Viel Geld für eine veraltete und hochriskante Technologie, Geld, das in den Bereichen Umweltschutz, Naturschutz, Klimaschutz und Ausbau der erneuerbaren Energien fehlt.
Die Energiepolitik der Bundesregierung ist aber nicht nur wegen der Endlagerfrage teuer für die Stromkunden, sondern auch, weil sich aus der Laufzeitverlängerung eine Zementierung der machtbeherrschenden Strukturen der großen vier Energiekonzerne ergibt. Echter Wettbewerb ist Fehlanzeige. Alles
bleibt schön beim Alten und die vier Großen diktieren die Preise, denn letztendlich verfügen sie über 80 Prozent der Stromkapazitäten.
Echter Wettbewerb durch Stadtwerke mit kleineren und dezentralen Kraftwerken oder Wettbewerb auf Augenhöhe mit erneuerbaren Energien wird so zulasten der Stromabnehmer leider erfolgreich verhindert. Auch die angeblich freiwilligen Zahlungen der Energiekonzerne in den Fonds zum Ausbau der erneuerbaren Energien erweisen sich schon jetzt als wettbewerbsrechtlicher Taschenspielertrick. Ein Beispiel dafür ist das neue KfW-Sonderprogramm für Offshore-Windanlagen. Dieses Programm ist speziell so gestrickt worden, dass nur die großen Konzerne davon profitieren und damit gewährleistet ist, dass das Geld wieder an die Energiekonzerne zurückfließt. Rechte Hosentasche, linke Hosentasche mit Wettbewerb hat das mit Sicherheit nichts zu tun.
Schließlich will ich auf ein drittes wesentliches Argument gegen die Laufzeitverlängerung eingehen, nämlich den Umstand, dass durch die unflexiblen Atomkraftwerke der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien gehemmt beziehungsweise verhindert wird. Schon jetzt müssen wir feststellen, dass Windkraftanlagen abgeschaltet werden müssen, weil der Atomstrom die Netze blockiert. Das ist insgesamt schlecht für den Klimaschutz, schlecht für die Versorgungssicherheit, aber auch schlecht für die vielen zukunftsträchtigen Arbeitsplätze in den innovativen Unternehmen in Deutschland. Für uns als SPD-Fraktion bleibt es dabei: Atomausstieg und Ausbau der erneuerbaren Energien sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Das Argument, das von der Union ins Feld geführt wird, dass längere Laufzeiten neue Perspektiven für den Ausbau der erneuerbaren Energien schaffen, ist an Unsinnigkeit nicht mehr zu übertreffen. Ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung hat geschrieben, so etwas zu behaupten, wäre ungefähr so, als wollte man den Bau einer Autobahn als Durchbruch für Fahrradfahrer feiern. - Völlig recht hat er. Das ist nichts anderes als blanker Unsinn.
Damit sind wir auch beim Lackmustest für diese Landesregierung. Wenn das alles blanker Unsinn ist, zumindest aber der eigene Koalitionsvertrag einem verordnet, es für Unsinn zu halten, dann muss man auch entsprechend handeln. Sonst gibt man sich endgültig der Lächerlichkeit preis und wird in höchstem Maße unglaubwürdig. Wenn die Bundesregierung bei ihrer Haltung bleibt und die Länder nicht an der Entscheidung im Bundesrat beteiligen wird, dann muss auch das Saarland eine Verfas
sungsklage einreichen. Daran führt kein Weg vorbei. Das ist unsere ganz klare Forderung an die Landesregierung.
Eine Nichtbeteiligung der Länder im Falle der Laufzeitverlängerung ist ein Verfassungsverstoß - eine Meinung, die quer durch die Republik so geteilt wird, eine Meinung, die im Übrigen auch unter anderem der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts und CSU-Mitglied Hans-Jürgen Papier vertritt, immerhin eine namhafte Persönlichkeit, die hierzu Position bezogen hat. Es ist auch eine Meinung, die offensichtlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier im Land vertreten. Mit Erlaubnis der Präsidentin darf ich aus dem „Parlamentskurier“ der GRÜNEN zitieren. Dort hat Frau Willger-Lambert einen Bericht abgefasst, in dem steht: „Durch eine Verlängerung der Laufzeiten kommen auf die Bundesländer ordnungspolitische, organisatorische und finanzielle Belastungen zu, sodass sie unbedingt Mitspracherecht verdienen. Darüber kann die Bundesregierung nicht einfach an der Länderkammer vorbei entscheiden.“ Am Ende heißt es weiter: „Ein Alleingang der Bundesregierung ist nicht hinnehmbar. Der Bundesrat muss bei dieser wichtigen Entscheidung miteinbezogen werden.“
Recht hat sie, die Frau Willger-Lambert, völlig recht. Wenn dem so ist, muss man aber auch danach handeln, Herr Kollege Schmitt. Die Meinung der FDP ist klar. Der Abgeordnete Kühn hat im Namen seiner Partei den Ausstieg aus dem Ausstieg ausdrücklich begrüßt. Welcher Meinung allerdings die CDU, namentlich der Ministerpräsident Peter Müller ist, ist mir auch nach längerer Recherche nicht ganz klar geworden.
Denn der Ministerpräsident wechselt seine Meinung in Sachen Atomenergie und Laufzeitverlängerung beziehungsweise auch in Bezug auf die notwendige Beteiligung des Bundesrates nach Belieben. Es sieht fast so aus, als würde er sie wechseln wie andere Leute ihre Unterwäsche, denn die Wendehalsigkeit ist durch nichts mehr zu überbieten.
Ich will das gerne belegen. In Berlin hat er im Koalitionsvertrag für eine Laufzeitverlängerung gestimmt. In Saarbrücken beschließt er einen Koalitionsvertrag, in dem drinsteht, dass er gegen die von ihm in Berlin beschlossene Laufzeitverlängerung im Bundesrat stimmen muss, wenn er denn gefragt wird. Vor der Wahl sagt er, und da zitiere ich ebenfalls gerne als Beleg eine Aussage des Ministerpräsidenten auf abgeordnetenwatch.de vom 27. August 2009: „Ich spreche mich insbesondere auch aus Kli
maschutzgründen für eine Laufzeitverlängerung der bestehenden sicheren Atomanlagen in Deutschland aus.“ Nach der Wahl steht der Ministerpräsident plötzlich an der Spitze der Anti-Atomkraftbewegung und wird nicht müde, dies in ständigen Presseverlautbarungen auch noch so zu dokumentieren.
Auch hierzu gerne ein Beleg, SR vom 23. Februar 2010: „Ministerpräsident Müller hat sich gegen eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke ausgesprochen. Müller sagte der Frankfurter Rundschau, er sehe dafür keine plausiblen Gründe.“ Die vom 27. August müssen ihm wohl abhanden gekommen sein. „Die Brückentechnologie sei allenfalls akzeptabel, aber ansonsten sei der Atomausstieg von den Konzernen selbst unterzeichnet worden.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, vor allem meine Damen und Herren von der CDU, wer in diesem Land soll Ihnen denn noch was glauben? Kein Mensch weiß mehr, wo Sie stehen. Keiner weiß mehr, wofür die CDU an dieser Stelle Politik macht.
Im Übrigen ist der Ministerpräsident bei der Verfassungsklage, ja oder nein, genauso wendehalsig. Gerade wie es passt und wenn es gilt, wird sich entsprechend weggeduckt. In unzähligen Zeitungsinterviews hat der Ministerpräsident erklärt, die Länder sind betroffen und müssen deshalb auch im Bundesrat gehört werden. Auch hier zum Beleg ein Zitat, SR 03. Mai 2010: „Saar-Ministerpräsident Peter Müller geht davon aus, dass der Bundesrat einem Gesetz über längere Laufzeiten von Atomkraftwerken zustimmen muss.“ - Das sagte er dem Handelsblatt. Es geht weiter: „Ich gehe davon aus, dass der Bundesrat einer Laufzeitverlängerung zustimmen muss, denn die Länder sind bekanntlich vom Vollzug des Atomgesetzes betroffen.“ So der saarländische Ministerpräsident Peter Müller gegenüber dem Hamburger Abendblatt, Focus Online vom 18. Mai 2010. Schließlich noch der SR vom 22. August 2010: Die Länder seien vom Atomgesetz betroffen. Es sei daher folgerichtig, dass sie bei einer eventuellen Verlängerung der Laufzeit auch zustimmen müssten.
so zumindest im „Bericht aus Berlin“. Der Antrag heute gibt ehrlich gesagt auch keinen größeren Aufschluss darüber, was die Haltung der Landesregierung ist. Er enthält lediglich einen Prüfauftrag. Meine sehr verehrten Damen und Herren, klares Regierungshandeln sieht anders aus.
Eines muss man dem Fraktionsvorsitzenden Meiser zugute halten: Er wird zumindest etwas deutlicher, denn er führt aus, dass seiner Meinung nach eine Klage den Koalitionsvertrag - den er offensichtlich ohnehin als schon etwas strapaziös ansieht - überstrapazieren würde. Eine Klage der anderen Länder würde im Übrigen ausreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage Ihnen, insbesondere auch an die grüne Adresse gerichtet, wenn Sie das Recht auf Mitsprache im Bundesrat nicht einklagen, ist die im Koalitionsvertrag festgehaltene Absage an Laufzeitverlängerungen das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht.