Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Ich sage in aller Deutlichkeit aber auch: Die Landesregierung will in der Frage der Schulstrukturreform möglichst alle mitnehmen. Dazu setze ich auf einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten. Wenn ich sage „mit allen Beteiligten“, dann schließe ich aus

drücklich alle Fraktionen in diesem Hause mit ein. Dennoch sollten wir uns einmal darüber verständigen, was unter einem konstruktiven Dialog zu verstehen ist, und ebenso darüber, was wir gemeinsam unter mehr Gerechtigkeit und unter mehr Bildungschancen für alle zu verstehen haben. Manchmal habe ich den Eindruck - ich bin noch nicht so lange in diesem Hause -, dass einige, die auch noch nicht so lange in diesem Hause sind, konstruktiven Dialog mit aggressivem Monolog verwechseln und andere wiederum, die schon länger in diesem Hause sind, den Begriff der Gerechtigkeit in der Bildung mit Schlechtigkeit, wenn es um Maßnahmen der Landesregierung geht. Dies kann ich so nicht akzeptieren.

Ebenso wenig kann ich den Vorwurf des Kollegen Schnitzler akzeptieren. Wenn ich bei einem Schulbesuch an einer guten Grundschule wie der in Kirchberg, wo engagiert gearbeitet wird, die Arbeit der Lehrkräfte sowie der Erzieherinnen und Erzieher, die dort ein gutes Beispiel abgeben und schon ein Vorbild sind für das, was wir mit der Schnittstellenverarbeitung Schulvorbereitungsjahr einerseits und erstem Schuljahr andererseits beabsichtigen, lobe und als positiv herausstelle, dann weiß ich nicht, was es daran zu kritisieren gibt.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Lieber Kollege Schnitzler, ich fühle mich verantwortlich für alle Bildungseinrichtungen in diesem Lande. Und wenn ich eingeladen werde, mir die Arbeit anzusehen, die aus deren Sicht gut und vorzeigbar ist, dann schaue ich mir das an, um mir ein Bild davon zu machen. Denn gute Beispiele sollten als nachahmenswert herausgestellt werden.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie und Ihre Vernunft: Lassen Sie uns doch gemeinsam das große Projekt Schulreform in diesem Lande stemmen und eine große historische Chance nutzen, uns über die Notwendigkeiten einer Verfassungsänderung mit dem Ziel einer dauerhaften und langfristig gesicherten Schulstruktur zu verständigen. Jetzt kann man zu Recht fragen, wie unsere Reformvorstellungen konkret aussehen.

(Abg. Spaniol (LINKE) : In der Tat.)

Unsere Reformvorstellungen - das sage ich hier in aller Deutlichkeit - gehen ja weit über die simple Verfassungsdiskussion hinaus. Schulreform bedeutet für uns eine Verbesserung der Qualität unserer Schulen verbunden mit der Erweiterung der Selbstständigkeit der Schulen, dem weiteren Ausbau der individuellen Förderung, der Wahlfreiheit der Eltern zwischen den Schulformen sowie verbindlicheren Kooperationen der verschiedenen Bildungssysteme und Stufen an den wichtigen Schnittstellen.

(Abg. Willger-Lambert (B 90/GRÜNE) )

(Abg. Commerçon (SPD) : Das unterschreibe ich Ihnen alles.)

Deshalb wollen wir ein obligatorisches Schulvorbereitungsjahr einführen, damit ein gleitender, ein weicher Übergang vom letzten Kindergartenjahr in die Grundschule gewährleistet ist. Deshalb wollen wir ebenso das längere gemeinsame Lernen durch ein fünftes Grundschuljahr einführen, damit das, was bereits gut und erfolgreich in der Grundschule gelehrt und gelernt wird, fortgesetzt werden kann. Um den Übergang zu den weiterführenden Schulen, eine entscheidende Schnittstelle auch hinsichtlich der Sozialproblematik, zu erleichtern und diese heute noch vorhandene frühe Trennung der Kinder hinauszuschieben, wollen wir das fünfte Grundschuljahr einführen. Zur inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung habe ich in meinem Haus eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die - das ist üblich so - hierzu eine Konzeption entwickeln wird. Diese beinhaltet eine Raumplanung, eine Lehrereinsatzplanung, Eckpunkte für die inhaltliche Gestaltung und für die Lehrplangestaltung des fünften Schuljahres. Dies alles wird Ihnen dann auch vorgelegt.

(Zuruf.)

Dennoch - lassen Sie mich ausreden - habe ich bereits im Vorfeld zur Einführung des fünften Grundschuljahres auch aus Ihrer Richtung schon einiges an grundsätzlicher Ablehnung gehört, was mich insofern verwundert, als solche Äußerungen doch sehr stark von Vorurteilen einerseits und schulformspezifischem Kirchturmdenken andererseits geprägt sind.

(Sprechen bei der SPD.)

Die Oppositionsparteien reden ständig von einem echten fünften Schuljahr. Ein fünftes Schuljahr ist immer echt. Die Oppositionsparteien reden ständig von einem echten - lesen Sie doch nach! - längeren gemeinsamen Lernen.

(Erneut Sprechen.)

Das echte längere gemeinsame Lernen wird es im fünften Schuljahr geben.

(Lautes Sprechen bei den Oppositionsfraktio- nen.)

Wer, ohne die konzeptionelle und personelle Ausgestaltung des fünften Schuljahres zu kennen, ein solches von vorneherein ablehnt - hören Sie zu -, geht nicht seriös mit dem Thema längeres gemeinsames Lernen um und wird auch unglaubwürdig in der Argumentation, dass wir die Kinder nicht so früh auf verschiedene Schulformen aufteilen dürfen. Da ja auch die Oppositionsfraktionen vom Grundsatz her für längeres gemeinsames Lernen sind, müssten Sie eigentlich unsere bildungspolitischen Ansätze unterstützen. Ich habe aber den Eindruck, Sie verfolgen

eine Politik, die auf den Spruch hinausläuft: Wasch mir den Pelz, aber mache mich nicht nass. Das geht nicht. Dass das nicht geht, werden Sie spätestens bei der Diskussion um eine Verfassungsänderung erfahren.

Die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag Bildungsziele formuliert, die vom Grundsatz her die gleichen Ziele sind wie die der Oppositionsfraktionen. Diese lauten unter anderem: mehr Gerechtigkeit in der Bildung und gerechtere Bildungschancen für alle. Dazu wollen auch wir die Schulstruktur nachhaltig reformieren. Wenn ich den SPD-Antrag lese, bin ich aber doch ein wenig irritiert, weil dort Kritik geäußert wird.

(Zurufe von den Oppositionsfraktionen: Unmög- lich. - Sprechen.)

Ich bin ja noch nicht fertig. Dort wird Kritik am Bildungsprogramm der Koalitionsregierung geäußert. Nein, ich komme noch zur Kritik. - Wenn Sie diesen Antrag beginnen mit einer Formulierung wie „fauler Kompromiss der Koalitionspartner“, dann weise ich das in aller Form ausdrücklich zurück.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Dies ist kein fauler Kompromiss. Dies ist ein politisch vernünftiger Kompromiss, weil es in der Politik, wenn es nach vorne gehen soll und mehrere Parteien vernünftig zusammenarbeiten sollen, immer um Kompromisse geht. Die werde ich auch akzeptieren.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Sie haben im ersten Teil Ihres Antrages einen zweiten Vorwurf formuliert. Sie haben gesagt, in der Debatte ginge es vorrangig um eine Schulstrukturreform und im Grunde nur um Schulformen. Das ist inhaltlich falsch. Unsere bildungspolitische Konzeption ist eine ganzheitliche, und zwar aus einem Guss mit dem Ziel, die Bildungschancen für alle verbessern zu wollen. Wir wollen mehr Gerechtigkeit im System, insbesondere durch den Ausbau der frühkindlichen Förderung und die Einführung des längeren gemeinsamen Lernens in Verbindung mit einer Verbesserung der Sprachförderung. Wir wollen durch eine klarere Gliederung unseres Schulsystems mit einem Zwei-Säulen-Modell ein gerechteres System schaffen. Das ist das Ganzheitliche daran. Deshalb müssen wir auch über die Frage der Schulstruktur debattieren. Deshalb brauchen wir auch die Diskussion um die Verfassungsänderung, aber nicht nur. Daher suchen wir den Dialog mit Ihnen.

Meine Damen und Herren, Sie bekommen die Informationen, die notwendig sind, um entscheiden zu können. Sie dürfen die Entscheidung über die notwendigen Reformen in diesem Land aber nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausschieben. Hier geht es auch um Verantwortung. Ich sagte das bereits eingangs. Verantwortung heißt an dieser Stelle:

(Minister Kessler)

Es muss nach einer Phase des Diskutierens und des Abwägens entschieden werden. Das kann nicht Jahre dauern. Ich erwarte in diesem Jahr - nicht in drei Monaten, aber im Lauf dieses Jahres - eine Entscheidung von Ihnen, weil auch die Eltern und die Öffentlichkeit wissen müssen, wohin die Reise geht. Die Eltern müssen doch wissen, wie das Schulsystem in den nächsten Jahren im Saarland aussehen wird.

Die Landesregierung übernimmt die Verantwortung. Ich bin im Übrigen der SPD an dieser Stelle dankbar, dass sie wichtige Bildungsziele aus unserem Koalitionsvertrag in diesen Antrag aufgenommen hat. Ich verwende an der Stelle ungern den Begriff des Abschreibens.

(Abg. Commerçon (SPD) : Das war sehr bewusst.)

Auch Sie fordern in der Aufzählung Ihres Antrages mehr echte Ganztagsschulen.

(Sprechen bei der SPD.)

Das werden wir tun! Das werden wir tun nach Maßgabe der Wahlfreiheit, der Konzeption und der Antragstellung der Schulträger. Diese Antragstellung erfolgt auf der Basis eines Schulkonferenzbeschlusses. Wir werden keine Schulen dazu zwingen, Ganztagsschulen zu werden. Das Prinzip der Freiwilligkeit und einer fundierten Konzeption ist ganz wichtig.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Wenn ich etwas Neues erfolgreich umsetzen will, dann brauche ich eine breite Zustimmung derjenigen, die dies umsetzen wollen und sollen. Deshalb schlagen wir diesen Weg ein und keinen Weg, der aus Ihrer Sicht ein weitergehender ist. Sie haben weiterhin gefordert, dass wir die demografische Entwicklung nutzen sollen. Das werden wir tun. Wir werden die demografische Entwicklung so nutzen, wie wir dies im Koalitionsvertrag festgelegt haben, zur Qualitätsverbesserung unseres Schulsystems.

(Sprechen bei der SPD.)

Sie haben weiterhin gefordert, dass wir mehr Geld für Bildung in die Hand nehmen sollen. Die 30-Prozent-Quote ist Ihnen bekannt. Auch dies haben wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Sie werden nach den Haushaltsberatungen sehen, dass wir uns in dieser Richtung auf den Weg gemacht haben. Sie haben weiterhin gefordert, dass wir einen ganzheitlichen Bildungsansatz verwenden sollen, den wir im Koalitionsvertrag drin haben; das haben Sie auch im Antrag formuliert. Wir beabsichtigten, die Schwellen- und Übergangsproblematik zwischen den einzelnen Bildungssystemen stärker ins Auge zu fassen und zwar durch die Einführung eines Schulvor

bereitungsjahres auf der einen Seite und die Verlängerung der Grundschulzeit auf der anderen Seite.

Sie haben des Weiteren gesagt, dass wir eine Diskussion über eine Veränderung der Landesverfassung brauchen. Auch das wollen wir. Es geht aus Ihrer Sicht dabei aber nicht - und aus unserer Sicht auch nicht - um eine Privilegierung von Schulformen. Es geht aus unserer Sicht um die Einrichtung einer dauerhaften und zukunftssicheren Struktur für alle Schulformen. Es geht nicht um die Frage der Privilegierung. Dabei müssen wir als Koalitionspartner aber auch berücksichtigen, dass wir dem Gymnasium eine rechtliche Absicherung gewähren. Wenn Sie im Gegenzug - so, wie es im Antrag steht - unter den Punkten 6 und 7 schreiben, dass aus Ihrer Sicht hier eine Privilegierung erfolgt, die Sie nicht mitmachen wollen, dann haben wir an dieser Stelle ein Problem. Dann haben wir ein Problem!

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Ich erwarte von den Oppositionsparteien, dass eine Akzeptanz des Bestandsschutzes des Gymnasiums Bestandteil unserer Gespräche zur Verfassungsänderung ist. Das ist nämlich Bestandteil unseres Koalitionsvertrages. Daran fühle ich mich gebunden, auch wenn Sie meinen, mich in eine andere Richtung drängen zu wollen. Ich halte an dieser Stelle Verträge ein!

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Abg. Commerçon (SPD) mit einer Zwischenfrage:

Herr Minister Kessler, trifft es denn zu, dass Sie auf dem Gewerkschaftstag der GEW gesagt haben, der Koalitionskompromiss beinhalte, dass es eine vorbehaltlose Streichung der Verfassungsgarantie für das Gymnasium geben werde? Oder trifft das nicht zu?

Es geht um eine vorbehaltlose Diskussion über eine Verfassungsänderung. Das ist etwas ganz anderes. Wir müssen vorbehaltlos über Verfassungsänderungen sprechen, um eine neue Struktur hinzubekommen. Ich denke, damit habe ich die Frage beantwortet.

(Zurufe der Abgeordneten Rehlinger (SPD) , Pauluhn (SPD) und Spaniol (LINKE).)

Nein, ich habe mich da nicht widersprochen.